Normen
BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §53
FrPolG 2005 §67
MRK Art8 Abs2
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019210232.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, kam im August 2003 im Alter von fast fünfzehn Jahren nach Österreich. Er hält sich seitdem durchgehend und rechtmäßig hier auf. Zuletzt verfügte er über eine bis April 2021 gültige "Rot-Weiß-Rot - Karte plus". Der Revisionswerber ist geschieden und wohnt im Haushalt seiner Eltern. Seine frühere Ehefrau lebt mit dem gemeinsamen Kind in der Türkei.
2 Der Revisionswerber wurde mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 10. Juli 2018 wegen des am 18. November 2017 begangenen Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten (davon zehn Monate bedingt nachgesehen) rechtskräftig verurteilt.
3 Wegen dieser Straftat erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 19. September 2018 gegen den Revisionswerber (u.a.) gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm mit § 9 BFA-VG eine R��ckkehrentscheidung und verband damit gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von neun Jahren befristetes Einreiseverbot. Des Weiteren sprach es aus, dass einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 FPG die aufschiebende Wirkung aberkannt und gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt werde. Überdies stellte das BVwG gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Türkei zulässig sei.
4 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG), nachdem es mit "Beschluss" vom 3. Dezember 2018 dieser Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebenden Wirkung zuerkannt hatte, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 2. Jänner 2019 mit dem angefochtenen Erkenntnis "mit der Maßgabe" als unbegründet ab, dass die Dauer des Einreiseverbotes von neun auf zehn Jahre hinaufgesetzt werde. Es sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über deren Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen hat:
6 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemä�� § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
8 In dieser Hinsicht macht die Revision im Sinne eines Abweichens von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter mehreren Aspekten Begründungsmängel geltend. Entgegen der diesbezüglich in der Revision vertretenen Meinung ist die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses, insbesondere auch die bemängelte Beweiswürdigung, jedoch ausreichend nachvollziehbar und einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich. 9 Das BVwG traf nämlich entsprechend der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nähere Feststellungen zu der dem Revisionswerber zur Last gelegten Straftat der Vergewaltigung und verschaffte sich in einer mündlichen Verhandlung von ihm auch einen persönlichen Eindruck (siehe zu diesen Pflichten bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen etwa aus der letzten Zeit VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0162, Rn. 17 und 18, mwN). Davon ausgehend legte das BVwG dann mit ausführlicher und schlüssiger Begründung dar, dass sich an der seinerzeitigen Einschätzung des Gerichtes im Strafurteil, der Revisionswerber habe "nicht einmal eine bedingte Unrechtseinsicht und eine partielle Verantwortungsübernahme gezeigt", nichts geändert habe und dass er nach wie vor wenig Respekt vor Frauen habe. Auch in der Verhandlung vor dem BVwG habe der Revisionswerber nämlich versucht, sein Verhalten gegenüber dem Vergewaltigungsopfer zu rechtfertigen und zuletzt wiederum angegeben, dass es ihm nicht gesagt habe, "dass sie ihn nicht will". Das steht jedoch im Widerspruch zu den unbekämpften Feststellungen, wonach der Revisionswerber dessen von Schreien und Weinen begleitete Gegenwehr und Aufforderung, mit den körperlichen Übergriffen aufzuhören, ignoriert habe. Daraus konnte das BVwG durchaus vertretbar folgern, der Revisionswerber habe nach wie vor den Unrechtsgehalt seiner Taten nicht eingesehen, insgesamt einen "äußerst ungünstigen und uneinsichtigen Eindruck hinterlassen" und es könne "keinesfalls von einem reumütigen Verhalten" gesprochen werden. Dabei durfte das BVwG auch einbeziehen, dass sich die Haltung des Revisionswerbers gegenüber Frauen bereits aus Anlass eines Vorfalles im Februar 2016 gezeigt habe, als er seine damalige Freundin im Zuge eines Streits in einem Kino, sohin in der Öffentlichkeit, ins Gesicht geschlagen habe. Dem steht - anders als der Revisionswerber meint - nicht entgegen, dass das diesbezügliche Strafverfahren "wegen Geringfügigkeit" eingestellt wurde, weil diese Tathandlung unbestritten feststeht (vgl. VwGH 23.3.2017, Ra 2016/21/0349, Rn. 15, mwN). Darauf, ob der Revisionswerber "des Öfteren Ohrfeigen" gegeben habe, wie das BVwG der im Zuge der Anzeigeerstattung getätigten Aussage des Opfers folgend überdies annahm, kommt es aber fallbezogen nicht mehr entscheidungswesentlich an, sodass die diesbezügliche, mehrfach vorgetragene Rüge in der Revision, diese vom Revisionswerber bestrittene Behauptung hätte vom BVwG nicht verwertet werden dürfen, ins Leere geht.
10 Vor diesem Hintergrund war es somit auch nicht unvertretbar, dem Revisionswerber ein besonders großes Gefährdungspotential zu attestieren und demzufolge die Dauer des Einreiseverbotes noch um ein Jahr zu erhöhen, zumal insoweit kein Verbot der "reformatio in peius" besteht (siehe dazu VwGH 30.6.2015, Ra 2015/21/0002, mwN). Die Festsetzung der Dauer des Einreiseverbotes mit zehn Jahren war entgegen der Meinung in der Revision nicht schon deshalb unzulässig, weil das Strafgericht eine - fallbezogen relativ milde - teilbedingte Freiheitsstrafe verhängt hatte, zumal es bei der Bemessung der Dauer eines Einreiseverbotes neben der Berücksichtigung der privaten und familiären Interessen in erster Linie auf das bisherige Verhalten und auf die sich daraus ergebende Gefährdungsprognose ankommt (vgl. etwa jüngst VwGH 4.4.2019, Ra 2019/21/0009, Rn. 36). Die Bemessung der Dauer eines Aufenthaltsverbotes stellt jedenfalls keinen rein mathematischen Vorgang dar (vgl. VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0219, Rn. 7), was auch für ein Einreiseverbot gilt. Demzufolge war es nicht rechtswidrig, dass das BVwG dabei vor allem auf die dem Revisionswerber zur Last liegende massive und besonders verwerfliche Straftat, die - wie das BVwG noch unbestritten konstatierte - beim Opfer auch psychische Folgen (Panikattacken) nach sich gezogen hatte, und die hieraus abzuleitende sehr schwerwiegende Gefährdung öffentlicher Interessen abstellte. Angesichts dessen stehen der Erhöhung der Dauer des Einreiseverbotes auch die Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich trotz seines langen Inlandsaufenthalts und einer teilweisen beruflichen Integration nicht zwingend entgegen.
11 Demzufolge erweist sich auch die Abwägung nach § 9 BFA-VG nicht als unvertretbar. Die Trennung von den in Österreich lebenden Familienangehörigen ist nämlich im großen öffentlichen Interesse an der Verhinderung von Straftaten der in Rede stehenden Art hinzunehmen. In Bezug auf Besuchsmöglichkeit des kranken und nicht reisefähigen Vaters ist der Revisionswerber auf die Möglichkeit der Erlangung eines Visums nach § 26a FPG zu verweisen. Im Übrigen ist noch festzuhalten, dass der Revisionswerber nach den unbekämpft gebliebenen Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis auch in der Türkei über familiäre Anknüpfungspunkte (Großmutter und Schwester samt Familie sowie weitere Verwandte) verfügt und dass er in einem im Eigentum des Vaters stehenden Haus eine Wohnmöglichkeit hat.
12 Der Verwaltungsgerichtshof judiziert in ständiger Rechtsprechung, dass die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose (vgl. dazu etwa VwGH 3.7.2018, Ra 2018/21/0050, Rn. 8, mwN) und für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbotes (vgl. VwGH 29.5.2018, Ra 2018/20/0259, Rn. 5, mwN). 13 Da diese Voraussetzungen - wie dargelegt - im vorliegenden Fall erfüllt sind, liegen entscheidungswesentliche grundsätzliche Rechtsfragen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht vor, sodass die Revision gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen war.
Wien, am 24. Oktober 2019
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