VwGH Ra 2016/20/0259

VwGHRa 2016/20/025922.11.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie den Hofrat Mag. Straßegger und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin MMag.a Ortner, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 169, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. August 2016, Zl. W197 2106406- 1/23E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: M S K in B), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §3 Abs1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 2005 §3 Abs1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 20. März 2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Befragt zu jenen Gründen, aus denen er sein Heimatland verlassen habe, gab er im Rahmen seiner Vernehmung zusammengefasst an, er habe für die US-amerikanischen Truppen in der Provinz Ghazni als Dolmetscher gearbeitet. Nach einem Drohbrief der Taliban, in welchem er aufgefordert worden sei, seine Tätigkeit für die US-Amerikaner zu beenden und mit den Taliban zusammenzuarbeiten, sei er nach Kabul geflohen. Während er dort auf den Erhalt seines Visums für die USA gewartet habe, sei er erneut von den Taliban kontaktiert und mit dem Tod bedroht worden. Mit Bescheid vom 20. März 2015 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag sowohl gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt und gegen den Mitbeteiligten eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG setzte es eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt III.).

Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Mit Erkenntnis vom 18. August 2016 gab das Bundesverwaltungsgericht - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24. Mai 2016 und am 30. Juni 2016 - der Beschwerde statt und erkannte dem Mitbeteiligten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des Asylberechtigten zu; gemäß § 3 Abs. 5 leg. cit. stellte es fest, dass dem Mitbeteiligten damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme (Spruchpunkt A). Die Revision sei nicht zulässig (Spruchpunkt B).

Begründend stellte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen fest, der Mitbeteiligte sei Staatsangehöriger Afghanistans, gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an, habe in Afghanistan für die USamerikanische Armee als Kriegsdolmetscher gearbeitet und sei von den Taliban mit dem Tod bedroht worden. Im Herkunftsdorf des Mitbeteiligten gebe es eine Truppe der US-amerikanischen Armee; diese bilde auch in ganz Afghanistan die Lokalpolizei aus. Bei jedem Einsatz und bei jedem anderwärtigen Auftreten seien stets Dolmetscher anwesend; Kriegsdolmetscher würden in den Blickpunkt der Taliban geraten. Sobald ein Dolmetscher von den Taliban erkannt werde, bestehe die Gefahr, dass er angegriffen werde. Beweiswürdigend erwog das Bundesverwaltungsgericht hiezu, das Vorbringen des Mitbeteiligten sei widerspruchsfrei gewesen und habe sich als glaubwürdig erwiesen. Die Feststellungen würden auf dem persönlichen Eindruck beruhen, den das Gericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung habe gewinnen können, sowie auf den vom Mitbeteiligten vorgelegten Urkunden und Fotos. Auch in Verbindung mit den Länderfeststellungen habe sein Vorbringen verifiziert werden können. Der Mitbeteiligte habe den Stützpunkt, auf dem er gearbeitet habe, glaubwürdig zu beschreiben vermocht und Namen von auf Fotos ersichtlichen hochrangigen Militärs zuordnen können; zudem sei er in der Lage gewesen, Kampfhandlungen, welche er miterlebt habe, glaub- und lebhaft zu beschreiben. Rechtlich folgerte das Bundesverwaltungsgericht hieraus, der Mitbeteiligte habe die wohlbegründete Furcht, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden. Unter Zugrundelegung des festgestellten Sachverhalts bestehe für den Mitbeteiligten eine objektiv nachvollziehbare Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision.

2 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

3 In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst - zusammengefasst - geltend gemacht, die angefochtene Entscheidung sei nicht nachvollziehbar, weil weder den Feststellungen noch der Beweiswürdigung zu entnehmen sei, "aufgrund welcher Informationen das Bundesverwaltungsgericht von der Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens der mitbeteiligten Partei hinsichtlich ihrer Mitarbeit bei den Amerikanern" ausgehe; mit (in der Revision näher genannten) "Widersprüchen" in den vom Mitbeteiligten vorgelegten Urkunden habe es sich nicht auseinandergesetzt.

Soweit mit diesen Ausführungen eine Verletzung der Begründungspflicht gerügt wird, ist darauf hinzuweisen, dass den beweiswürdigenden Erwägungen im angefochtenen Erkenntnis - wenn auch (bloß teilweise) disloziert im Rahmen der Darstellung des Verfahrensganges - zweifelsfrei zu entnehmen ist, dass und aus welchen Gründen (u.a. aufgrund des persönlichen Eindruckes des Mitbeteiligten im Rahmen der durchgeführten mündlichen Verhandlung, der widerspruchsfreien Aussagen, des Erkennens von Militärs auf Fotos, des vorgelegten Bildmaterials und der Urkunden, der Beschreibung des Stützpunktes und von Kampfhandlungen) die Angaben des Mitbeteiligten zu seinem Fluchtgrund vom Bundesverwaltungsgericht für glaubwürdig befunden und seiner rechtlichen Beurteilung daher zugrunde gelegt wurden. Dass sich die angefochtene Entscheidung der Rechtsverfolgung durch die Parteien oder der nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof entziehen würde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Mai 2015, Ra 2015/20/0067, mwN), ist demzufolge nicht ersichtlich.

Wenn sich die Revision in diesem Zusammenhang auch gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes richtet, ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig ist, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt - als Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - allerdings dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. den hg. Beschluss vom 22. Jänner 2016, Ra 2015/20/0294, mwN). Eine derartige Fehlbeurteilung vermag die gegenständliche Revision - mit der im Wesentlichen das Vorliegen eines Schreibfehlers sowie die unterschiedliche Schreibweise des Namens des Mitbeteiligten in den vorgelegten Urkunden ins Treffen geführt werden - schon vor dem Hintergrund der auf Basis einer durchgeführten mündlichen Verhandlung angestellten und teils mit den vorgelegten Urkunden nicht unmittelbar in Zusammenhang stehenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes nicht aufzuzeigen.

4 Ferner wird zur Begründung der Zulässigkeit der Revision vorgebracht, es sei dem angefochtenen Erkenntnis nicht zu entnehmen, "anhand welcher konkreten Gründe sich die mitbeteiligte Partei aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb ihres Herkunftsstaates" befinde; weder beziehe sich das Bundesverwaltungsgericht auf einen oder mehrere Konventionsgründe, noch lege es dar, inwiefern ein kausaler Zusammenhang zwischen einem solchen und etwaig drohenden Verfolgungshandlungen bestehen würde.

Entgegen diesem Vorbringen ist dem Erkenntnis - wenn auch disloziert im Rahmen der Feststellung des maßgebenden Sachverhalts - die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts zu entnehmen, dass dem Mitbeteiligten im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit Verfolgung "aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung" drohe. In der Revision wird nicht näher dargelegt, inwiefern diese rechtliche Beurteilung im Ergebnis verfehlt sei. Auf Basis des vom Bundesverwaltungsgericht festgestellten Sachverhalts ergeben sich hierfür auch keinerlei Anhaltspunkte; dies vor allem hinsichtlich des Vorliegens des Konventionsgrundes der - wenn auch nur unterstellten - politischen oder religiösen oppositionellen Gesinnung als eines (maßgebenden) beitragenden Faktors (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 8. September 2015, Ra 2015/18/0080) für die zu erwartenden Verfolgungshandlungen durch die Taliban (vgl. zur insoweit vergleichbaren Sachverhaltskonstellation der Weigerung gegen die Zwangsrekrutierung durch die Taliban die hg. Erkenntnisse vom 13. Oktober 2015, Ra 2014/01/0243, vom 28. Jänner 2015, Ra 2014/18/0090, und vom 10. Dezember 2014, Ra 2014/18/0103 bis 0106).

5 Wenn in der vorliegenden Amtsrevision darüber hinaus moniert wird, das Bundesverwaltungsgericht hätte zu prüfen gehabt, ob dem Mitbeteiligten eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul zur Verfügung gestanden wäre, ist darauf hinzuweisen, dass der Mitbeteiligte im gesamten Verfahren vorbrachte, auch nach seinem Umzug nach Kabul von den Taliban ausfindig gemacht und bedroht worden zu sein. Vor dem Hintergrund, dass das Bundesverwaltungsgericht das Vorbringen des Mitbeteiligten als glaubwürdig erachtete und dieses erkennbar zur Gänze seiner Entscheidung zugrunde legte, ist eine Abweichung von der hg. Rechtsprechung nicht zu erblicken.

6 Schließlich macht die Revision zusammengefasst geltend, das angefochtene Erkenntnis weiche auch insofern von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, als es keine Länderinformationen (der Staatendokumentation) über Afghanistan enthalte, sondern lediglich Informationen zu ebendiesem Staat "resultierend aus dem mündlich erstatteten ‚Gutachten' des Sachverständigen" angeführt seien; das Bundesverwaltungsgericht lasse mit dieser Vorgangsweise "eine wesentliche Ermittlungsquelle außer Acht". Da jenes vom Bundesverwaltungsgericht herangezogene, mündlich erstattete "Gutachten" den Anforderungen nicht entspreche, welche der Verwaltungsgerichtshof an ein Sachverständigengutachten stelle, hätte dieses nicht ohne Weiteres der Entscheidung zugrunde gelegt werden dürfen. Zu den Fragen, "ob nicht generell die Staatendokumentation vorrangig als zur Verfügung stehende Informationsmöglichkeit im Verhältnis zu Ländersachverständigen heranzuziehen" wäre und ob die "vollständige Außerachtlassung der Länderinformationen der Staatendokumentation (...) ein gravierender Ermittlungsmangel" sei, bestehe keine hg. Rechtsprechung.

Auch mit diesen Ausführungen wird keine zur Zulässigkeit der Revision führende Rechtsfrage aufgezeigt:

Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Zulässigkeit der Revision neben einem eine grundsätzliche Rechtsfrage aufwerfenden Verfahrensmangel voraus, dass die Revision von der Lösung dieser geltend gemachten Rechtsfrage abhängt. Davon kann im Zusammenhang mit einem Verfahrensmangel aber nur dann ausgegangen werden, wenn auch die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang dargetan wird, das heißt, dass dieser abstrakt geeignet sein muss, im Falle eines mängelfreien Verfahrens zu einer anderen - für den Revisionswerber günstigeren - Sachverhaltsgrundlage zu führen (vgl. für viele den hg. Beschluss vom 9. Oktober 2014, Ra 2014/18/0036 bis 0039).

7 Die revisionswerbende Behörde unterlässt es gänzlich darzulegen, inwiefern die geltend gemachten Verfahrensmängel im Zusammenhang mit den getroffenen Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat des Mitbeteiligten fallbezogen von Relevanz wären. Den Ermittlungsergebnissen des von der revisionswerbenden Behörde gerügten "Gutachtens", auf welches das Bundesverwaltungsgericht die Feststellung gründete, (als solche erkannte) Kriegsdolmetscher würden in Afghanistan von den Taliban angegriffen werden, wurde weder im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, noch in der vorliegenden außerordentlichen Revision entgegen getreten. Vielmehr entspricht dies auch den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016, denen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken ist ("Indizwirkung"; vgl. erneut das hg. Erkenntnis vom 10. Dezember 2014, Ra 2014/18/0103 bis 0106, mwN); dort werden als Risikoprofil unter anderem "Zivilisten, die mit den internationalen Streitkräften verbunden sind oder diese vermeintlich unterstützen" genannt und festgehalten, dass Personen, die für die internationalen Streitkräfte in zivilen Funktionen - etwa als Dolmetscher - gearbeitet hätten, von regierungsfeindlichen Kräften bedroht und angegriffen worden seien (vgl. Seite 43 der Richtlinien).

Mangels der erforderlichen Relevanzdarstellung muss daher im Ergebnis dahingestellt bleiben, ob die behaupteten Verfahrensmängel vorliegen.

8 Die Revision war sohin gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 22. November 2016

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