Normen
AVG §10 Abs1
AVG §10 Abs2
AVG §13 Abs3
AVG §19 Abs1
AVG §19 Abs3
AVG §56
B-VG Art130 Abs1 Z2
B-VG Art132 Abs2
VVG §1
VVG §10
VVG §10 Abs1
VVG §5
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §7 Abs4
VwGVG 2014 §9 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018210188.L00
Spruch:
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte (nach einer erfolglosen Antragstellung vom 7. Dezember 2012) am 29. April 2015 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 28. Februar 2018 zur Gänze abgewiesen; unter einem wurde dem Mitbeteiligten ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt; es ergingen gegen ihn u.a. eine Rückkehrentscheidung samt Ausspruch gemäß § 52 Abs. 9 FPG, dass die Abschiebung nach Nigeria zulässig sei, sowie ein auf drei Jahre befristetes Einreiseverbot. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1a FPG nicht erteilt. Einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 und 6 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.
2 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Mitbeteiligten wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 30. Juli 2018 als unbegründet ab. Ein Antrag an den Verwaltungsgerichtshof auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wurde mit Beschluss vom 2.10.2018, Ra 2018/18/0484, wegen Aussichtslosigkeit abgewiesen.
3 Mit Bescheid vom 16. Mai 2018 hatte das BFA dem im Bundesgebiet verbliebenen Mitbeteiligten gemäß § 46 Abs. 2a und 2b FPG iVm § 19 AVG u.a. aufgetragen, einen durch Uhrzeit und Ort näher umschriebenen "Interviewtermin durch eine Experten-Delegation Nigeria am 25.05.2018 wahrzunehmen" und dadurch an den notwendigen Handlungen zur Erlangung eines Ersatzreisedokuments mitzuwirken. Er habe in seinem Besitz befindliche relevante Dokumente (Reisepass, Ausweise, Urkunden und sonstige seine Identität oder Staatsangehörigkeit bescheinigende Dokumente) mitzubringen. Sollte er dem Auftrag ohne wichtigen Grund nicht Folge leisten, wurde ihm die Verhängung einer Haftstrafe von 14 Tagen angedroht. Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen.
Die Zustellung dieses Bescheides, die eigenhändig vorzunehmen war (§ 19 Abs. 3 AVG), erfolgte gemäß der Aktenlage nach einem erfolglosen Zustellversuch an der Meldeadresse des Mitbeteiligten in Wien durch Hinterlegung bei einer Polizeiinspektion; der Beginn der Abholungsfrist fiel auf den 18. Mai 2018.
In einer aus anderem Anlass erfolgten Beschwerdevorlage an das BVwG vom 16. Juli 2018 führte das BFA dazu u.a. aus, diese Zustellung sei "fehlgeschlagen". Der Mitbeteiligte habe den Bescheid bis zum 25. Mai 2018 nicht abgeholt. Er habe auch "trotz mehrfacher Festnahmeversuche" an seiner bekannten Wiener Meldeadresse nicht angetroffen werden können.
Der Mitbeteiligte äußerte sich zu diesem Thema mit Schriftsatz vom 21. Juli 2018. Darin brachte er u.a. vor, dass er damals in Graz gelebt und sich nur selten in Wien aufgehalten habe, sodass es zu einer "Verzögerung in der Abholung" dieses Bescheides (bis zum 27. Juni 2018) gekommen sei.
4 Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Mandatsbescheid des BFA vom 27. Juni 2018 war über den Mitbeteiligten gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung angeordnet worden.
5 In Erledigung einer dagegen erhobenen Beschwerde erklärte das BVwG mit Erkenntnis vom 18. Juli 2018 die Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft für rechtswidrig. Es stellte des Weiteren fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorlägen. (Eine dagegen erhobene Amtsrevision des BFA wurde mit Beschluss VwGH 16.5.2019, Ra 2018/21/0171, zurückgewiesen.)
Am 18. Juli 2018 entließ das BFA den Mitbeteiligten aus der Schubhaft.
6 Unmittelbar darauf händigte das BFA dem Mitbeteiligten einen mit "28.05.2018" datierten Bescheid aus, mit dem es unter Bezugnahme auf die dem Mitbeteiligten im Bescheid vom 16. Mai 2018 auferlegte (nicht befolgte) Verpflichtung, bei der Erlangung eines Ersatzreisedokuments mitzuwirken und am 25. Mai 2018 zu einem Interviewtermin zu kommen (Ladung), über ihn gemäß § 5 VVG die für den Fall der Nichterfüllung angedrohte Haftstrafe von 14 Tagen verhängte.
Diesen Bescheid setzte das BFA am 18. Juli 2018 um 14:25 Uhr in Vollzug. Der Mitbeteiligte wurde bis zum 27. Juli 2018 (nach Beendigung des Interviewtermins vom selben Tag) in Haft angehalten.
7 Dagegen erhob der Mitbeteiligte am 19. Juli 2018 Beschwerde "gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG". Darin behauptete er primär eine rechtswidrige Fortsetzung der vorangehenden Schubhaft ungeachtet des Erkenntnisses des BVwG vom 18. Juli 2018 (laut Rn. 5). Im Verfahren berief er sich (nach Vorhalt durch das BVwG, dass aktuell eine Zwangsstrafe vollzogen werde) mit dem schon erwähnten Schriftsatz vom 21. Juli 2018 (Rn. 3) darauf, dass die "mit Bescheid vom 28.5.2018 verfügte Vollstreckung einer Zwangsstrafe rechtswidrig" sei. Dasselbe gelte für ihren Vollzug. Dies begründete er u.a. damit, dass die Erlassung des Bescheides vom 16. Mai 2018 (weil gegenüber dem Mitbeteiligten persönlich und nicht gegenüber seinem ausgewiesenen Rechtsvertreter vorgenommen) unwirksam und darüber hinaus zu knapp vor dem (noch innerhalb der offenen Abholungsfrist liegenden) Botschaftstermin am 25. Mai 2018 erfolgt sei, der schon deshalb vom Mitbeteiligten nicht habe wahrgenommen werden können. Die Ladung habe ihn nämlich bis zu diesem Termin gar nicht erreicht. Im Ergebnis liege eine rechtswidrige "verfahrensfreie Anhaltung" vor.
8 Mit Erkenntnis vom 21. August 2018 gab das BVwG der Beschwerde gemäß § 46 Abs. 2b FPG iVm § 11 BFA-VG statt und erklärte die Anhaltung des Mitbeteiligten seit 18. Juli 2018, 14:25 Uhr, für rechtswidrig. Es traf entsprechende Kostenaussprüche nach § 35 VwGVG. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG erklärte es die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig. 9 Begründend stellte es (zu dem in Rn. 1 und 2 beschriebenen Verfahren zur Erlassung u.a. einer Rückkehrentscheidung samt Begleitaussprüchen sowie eines Einreiseverbotes) fest, der Mitbeteiligte habe am 27. Februar 2018 auf die Frage nach einem Vertreter oder Zustellbevollmächtigten geantwortet, er hätte einen gehabt, habe aber nun keinen mehr. Dieser Erklärung zufolge sei das Vertretungsverhältnis - jedenfalls im Außenverhältnis gegenüber dem BFA - als aufgelöst anzusehen gewesen. Infolge Einbringung einer Beschwerde am 28. März 2018 durch den schon bisher ausgewiesenen Rechtsanwalt (gegen den in Rn. 1 erwähnten Bescheid des BFA vom 28. Februar 2018, dies unter Hinweis auf die ihm bereits am 28. April 2015 umfassend erteilte Vollmacht) habe dem BFA jedoch die erneute Bevollmächtigung dieses Rechtsanwaltes bewusst gewesen sein müssen.
Auf dieser Grundlage verneinte das BVwG eine rechtswirksame Erlassung der Bescheide vom 16. Mai 2018 und "vom 28. Mai 2018" (im letztgenannten Fall am 18. Juli 2018), sodass sich die bekämpfte Anhaltung des Mitbeteiligten in Haft mangels Rechtsgrundlage als rechtswidrig erweise.
10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete, erwogen hat:
Die Revision ist zur Klärung der Frage, wie weit in einer Konstellation, wie sie hier vorliegt, ein gegenüber der Behörde erklärtes Vertretungsverhältnis reicht, zulässig; sie ist aber nicht berechtigt:
11 Auszugehen ist davon, dass sich der einschreitende Rechtsanwalt in der von ihm verfassten Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 28. Februar 2018 auf die ihm vom Mitbeteiligten erteilte Vollmacht berufen hat. Er war daher - tatsächlicher Bestand der Vollmacht unterstellt - im weiteren Verfahren betreffend den vom Mitbeteiligten gestellten Antrag auf internationalen Schutz und die damit im Zusammenhang stehenden Aussprüche als dessen Vertreter anzusehen.
12 Die erwähnten Aussprüche (vor allem die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach § 52 Abs. 9 FPG) zielten darauf ab, dass der Mitbeteiligte (insbesondere) Österreich unverzüglich in Richtung Nigeria verlasse. Das war auch die Zielrichtung "des Verfahrens" zur Erlangung eines nigerianischen Heimreisezertifikates, das mit Ladungsbescheid vom 16. Mai 2018 eingeleitet wurde und ergänzend die Umsetzung der Rückkehrentscheidung vorbereiten sollte. 13 Für die Beurteilung der Frage, ob eine Vollmacht auch für andere Verfahren über bereits schwebende oder erst später anhängig werdende Rechtsangelegenheiten als erteilt anzusehen ist, ist es zufolge der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entscheidend, ob ein so enger Verfahrenszusammenhang besteht, dass von derselben Angelegenheit oder Rechtssache gesprochen werden kann (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG I2 § 10, Rz. 18, mit Verweis auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes).
14 Ein derartiger "enger Verfahrenszusammenhang" ist im vorliegenden Fall angesichts der aufgezeigten einheitlichen Zielrichtung beider "Verfahren" einerseits und der bloß dienenden Funktion des Verfahrens zur Erlangung eines Heimreisezertifikates andererseits anzunehmen, zumal als weiteres vereinheitlichendes Element hinzutritt, dass das Verfahren über den vom Mitbeteiligten gestellten Antrag auf internationalen Schutz samt Rückkehrentscheidung im Beschwerdestadium noch anhängig war. 15 In dieser Konstellation bildete das mit Bescheid vom 16. Mai 2018 eingeleitete "Verfahren" nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes jedenfalls auch noch einen Teil des (anhängigen) Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz und die Rückkehrentscheidung. Es lag also noch kein anderes - davon gesondertes - Verfahren als dasjenige vor, in dem sich der Rechtsanwalt des Mitbeteiligten (mit dem erwähnten Schriftsatz vom 28. März 2018) bereits ausgewiesen und sich auf seine (umfassend erteilte) Vollmacht berufen hatte. Demzufolge wären sowohl der Ladungsbescheid vom 16. Mai 2018 als auch die mit 28. Mai 2018 datierte Vollstreckungsverfügung richtigerweise dem Rechtsvertreter zuzustellen gewesen. Die Zustellung an den Mitbeteiligen selbst hat zu keiner rechtswirksamen Erlassung der Bescheide geführt.
16 Zwar stehen im Allgemeinen, wie das BFA grundsätzlich richtig darlegt, ein Titelverfahren und ein folgendes Vollstreckungsverfahren nicht in einem so engen Zusammenhang, dass generell von "derselben" Angelegenheit oder Rechtssache zu sprechen wäre (vgl. dazu etwa VwGH 28.2.1996, 95/07/0190; VwGH 30.4.1998, 98/06/0032, und VwGH 26.3.2004, 2004/02/0038, jeweils mwN).
17 Das kann allerdings dann nicht gelten, wenn es - wie hier - nur um den Vollzug des schon im Ladungsbescheid angedrohten Zwangsmittels geht, sodass auch insofern ein untrennbarer Zusammenhang existiert und nicht von einem gesonderten Vollstreckungsverfahren auszugehen ist.
18 Zutreffend verweist das BFA auch darauf, dass Zwangsakte im Zuge einer Vollstreckung grundsätzlich keine Maßnahmen behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt bilden, sofern sie auf Grund einer Vollstreckungsverfügung (§ 10 VVG) von Verwaltungsorganen gesetzt wurden.
19 Vollstreckungshandlungen können aber dann Maßnahmen unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt darstellen und mit Beschwerde nach Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG angefochten werden, wenn sie ohne vorangegangenes Verfahren oder vor (wirksamer) Erlassung einer Vollstreckungsverfügung durchgeführt werden (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 25.1.2000, 98/05/0175; VwGH 20.9.2012, 2012/06/0107 und 0113, sowie VwGH 25.10.2018, Ra 2018/09/0068, Rn. 13 und 20, jeweils mwN). Das war hier nach dem zuvor Gesagten der Fall.
20 Die vom BFA in der Revision gerügte Behandlung und Erledigung der (in Rn. 7 dargestellten) Beschwerde als Maßnahmenbeschwerde durch das BVwG (samt entsprechenden Kostenaussprüchen nach § 35 VwGVG) erweist sich somit auf Basis der eben (in Rn. 19) wiedergegebenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes als im Ergebnis berechtigt. Es wurden nämlich die Vollstreckungshandlungen noch vor wirksamer Erlassung der Vollstreckungsverfügung und schon von daher rechtswidrig vollzogen.
21 Die Abänderung des Gegenstandes der Beschwerde an das BVwG (mit Schriftsatz vom 21. Juli 2018, wiedergegeben in Rn. 7) ist schon deshalb unproblematisch, weil sie (über Verbesserungsauftrag des BVwG) jedenfalls innerhalb offener Beschwerdefrist erfolgte. 22 Die Amtsrevision des BFA erweist sich somit insgesamt als nicht berechtigt. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
23 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 22. August 2019
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