VwGH Ro 2017/13/0011

VwGHRo 2017/13/001112.6.2019



Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und Senatspräsident Dr. Nowakowski sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision der M GmbH in W, vertreten durch die Gregorich & Partner GmbH, Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft in 1190 Wien, Heiligenstädter Straße 50-52/Top 3+4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 23. März 2017, Zl. RV/7101252/2012, betreffend Umsatz- und Körperschaftsteuer 2005 bis 2007, den Beschluss gefasst:

Normen

UStG 1994 §12 Abs1 Z1
62014CJ0516 Barlis 06 VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RO2017130011.J00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Revisionswerberin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine GmbH, betrieb in den Streitjahren 2005 bis 2007 einen Einzelhandel mit Bekleidung und Textilwaren. Näharbeiten an Kleidungsstücken ließ die Revisionswerberin mangels eigener Kapazität von Subunternehmern ausführen.

2 Im Abschlussbericht vom 27. Jänner 2012 über eine bei der Revisionswerberin erfolgte abgabenbehördliche Prüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, dass der Revisionswerberin der Vorsteuerabzug aus näher bezeichneten Eingangsrechnungen der S-KEG und der H-KEG über die Durchführung von Näharbeiten zu versagen sei, weil diese keine bzw. eine nicht existierende UID-Nummer sowie eine falsche Geschäftsanschrift der leistenden Unternehmer enthielten.

3 Das Finanzamt folgte der Ansicht des Prüfers und erließ nach Wiederaufnahme der Verfahren entsprechende Umsatz- und Körperschaftsteuerbescheide für die Jahre 2005 bis 2007, wobei es den Vorsteuerabzug aus den betreffenden Rechnungen nicht anerkannte und die daraus resultierenden Umsatzsteuernachzahlungen in den jeweiligen Körperschaftsteuerbescheiden als Aufwand berücksichtigte.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die (als Beschwerde zu behandelnde) Berufung der Revisionswerberin gegen die Umsatz- und Körperschaftsteuerbescheide der Jahre 2005 bis 2007 ab.

5 In der Begründung führte das Bundesfinanzgericht zusammengefasst aus, nach der Rechtsprechung des EuGH sei der Vorsteuerabzug bei Erfüllung der materiellen Voraussetzungen zu gewähren, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Voraussetzungen nicht genüge. Daraus folge, dass das Recht auf Vorsteuerabzug wohl nicht allein deshalb verweigert werden könne, weil eine Rechnung nicht alle erforderlichen Rechnungsmerkmale aufweise.

6 Allerdings sei nach der Judikatur des EuGH eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Unionsrecht nicht zulässig. Deshalb sei das Recht auf Vorsteuerabzug zu versagen, wenn aufgrund objektiver Umstände feststehe, dass dieses Recht in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht werde. Dies sei nicht nur der Fall, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung begehe, sondern auch, wenn der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er mit seinem Erwerb an einem Umsatz teilnehme, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen sei.

7 Dem Revisionsfall liege unbestrittenermaßen ein Umsatzsteuerbetrug zugrunde. Auf Basis des festgestellten Sachverhalts sei davon auszugehen, dass die Revisionswerberin anhand objektiver Umstände hätte erkennen können, dass im Zusammenhang mit den betreffenden Rechnungen der S-KEG und der H-KEG ein Umsatzsteuerbetrug vorliege. So enthielten u.a. die Rechnungen der S-KEG keine UID-Nummer und jene der H-KEG eine falsche, nicht existierende UID-Nummer, die die Revisionswerberin während der gesamten Geschäftsbeziehung mit der H-KEG nie überprüft habe. Auch habe die Revisionswerberin gegenüber beiden Gesellschaften (den Wunsch nach) Barzahlungen in größerem Umfang (EUR 259.187,-- zzgl. USt) innerhalb von drei Jahren akzeptiert. Dass der Geschäftsführer der Revisionswerberin der H-KEG einen "Antrittsbesuch" an der Geschäftsadresse in B. abgestattet habe, sei aufgrund der Zeugenaussagen des M. I. nicht glaubwürdig. Gleiches gelte für das Vorbringen des Geschäftsführers der Revisionswerberin, wonach er mehrfach an der Geschäftsadresse der H-KEG in W. gewesen sei (auch hätte es ihm ansonsten auffallen müssen, dass an dieser Anschrift kein Hinweis auf eine unternehmerische Tätigkeit der H-KEG im Inland existiert habe). Bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte die Revisionswerberin aufgrund der bestehenden Verdachtsmomente daher nähere Nachforschungen anstellen und erkennen müssen, dass die betroffenen Eingangsumsätze im Zusammenhang mit Umsatzsteuerhinterziehungen gestanden seien.

8 Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Bundesfinanzgericht für zulässig, weil vor dem Hintergrund des Urteils des EuGH vom 22. Oktober 2015, PPUH Stehcemp, C-277/14 , Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, "ob es für den Vorsteuerabzug nicht auf das Vorliegen aller formellen Rechnungsvoraussetzungen ankommt".

9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

10 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11 Die Frage, ob die Voraussetzung des Art. 133 Abs. 4 B-VG, also eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt, ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu beurteilen. Wurde die zu beantwortende Rechtsfrage daher vom Verwaltungsgerichtshof - auch nach Einbringung der Revision - bereits geklärt, liegt keine Rechtsfrage (mehr) vor, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG wegen Fehlens von Rechtsprechung grundsätzliche Bedeutung zukäme (vgl. etwa den Beschluss VwGH 21.11.2018, Ro 2016/13/0020, mwN).

12 Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 29. Mai 2018, Ra 2016/15/0068, unter Bezugnahme insbesondere auf das Urteil des EuGH vom 15. September 2016, Barlis 06, C-516/14 , Rn. 42 bis 44, zum Ausdruck gebracht hat, folgt aus dem Grundprinzip der Neutralität der Mehrwertsteuer, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Voraussetzungen dafür erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt. Daher darf die Steuerverwaltung das Recht auf Vorsteuerabzug in einem solchen Fall nicht verweigern, wenn sie über sämtliche Daten verfügt, um zu prüfen, ob die für das Vorsteuerabzugsrecht geltenden materiellen Voraussetzungen vorliegen. Dabei darf sich die Steuerverwaltung nicht auf die Prüfung der Rechnung selbst beschränken. Sie hat auch die vom Steuerpflichtigen beigebrachten zusätzlichen Informationen zu berücksichtigen (vgl. auch nochmals VwGH 21.11.2018, Ro 2016/13/0020, sowie VwGH 25.4.2019, Ro 2017/13/0021).

13 Die in der Revisionszulassung durch das Bundesfinanzgericht aufgeworfene Rechtsfrage ist daher bereits durch die - vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH ergangene - Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes geklärt.

14 Das Bundesfinanzgericht hat jedoch, im Gegensatz zum Finanzamt, die Versagung des Vorsteuerabzugs insbesondere auch damit begründet, dass die Revisionswerberin - aus näher dargelegten Gründen - hätte wissen müssen, dass die betreffenden Eingangsumsätze im Zusammenhang mit Umsatzsteuerhinterziehungen gestanden seien.

15 Ob der Steuerpflichtige vom Mehrwertsteuerbetrug wusste oder zumindest hätte wissen müssen, hängt von Tatfragen ab, die das Bundesfinanzgericht in freier Beweiswürdigung im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände zu beurteilen hat. Diese unterliegt insoweit der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes, als das Ausreichen der Sachverhaltsermittlungen und die Übereinstimmung der Überlegungen zur Beweiswürdigung mit den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut zu prüfen ist (vgl. z.B. VwGH 26.3.2014,

2009/13/0172, VwSlg 8902/F, sowie den Beschluss VwGH 19.12.2018, Ra 2017/15/0012, mwN).

16 Dass dem Bundesfinanzgericht insoweit ein vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifender Fehler unterlaufen wäre, zeigt die Revision - die auf die im angefochtenen Erkenntnis im Einzelnen dargelegten Umstände, auf die das Bundesfinanzgericht die Beurteilung, die Revisionswerberin hätte von der Umsatzsteuerhinterziehung wissen müssen, gestützt hat, nicht näher eingeht - nicht auf.

17 Die Revision war daher zurückzuweisen.

18 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20

14.

Wien, am 12. Juni 2019

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