VwGH Ra 2016/22/0115

VwGHRa 2016/22/011518.2.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des H P in W, vertreten durch Mag. Petra Trauntschnig, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Schubertring 6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. August 2016, G313 1266085-2/7E, betreffend Aufenthaltstitel und Rückkehrentscheidung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §10 Abs3;
AsylG 2005 §55;
BFA-VG 2014 §9 Abs2;
FrPolG 2005 §67;
MRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2016220115.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Die belangte Behörde wies mit Bescheid vom 1. September 2015 den Antrag des Revisionswerbers, eines Staatsangehörigen der Republik Kosovo, vom 12. Mai 2015 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab. Weiters erließ die belangte Behörde gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung nach § 46 FPG fest und setzte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen fest.

1.2. Die belangte Behörde führte begründend im Wesentlichen aus, der Antrag des seit März 2005 durchgehend in Österreich aufhältigen Revisionswerbers auf internationalen Schutz sei im Instanzenzug mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 2. April 2008 rechtskräftig abgewiesen worden. Die dagegen erhobene Beschwerde sei mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 24. Juni 2010 abgewiesen worden.

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 19. April 2008 sei gegen den Revisionswerber ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden, nachdem er vom Landesgericht Eisenstadt am 12. März 2008 (wegen des Verbrechens der teils versuchten und teils vollendeten Schlepperei in mehreren Tathandlungen im Jahr 2007) zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, rechtskräftig verurteilt worden war. Der gegen den Bescheid erhobenen Berufung sei mit Bescheid der Sicherheitsdirektion Wien vom 26. Mai 2008 nicht Folge gegeben worden, die dagegen erhobene Beschwerde sei mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 29. März 2012 abgewiesen worden.

Der Revisionswerber sei trotz des gegen ihn erlassenen Aufenthaltsverbots in Österreich verblieben. Im August 2012 habe er die Aufhebung des Verbots beantragt und dabei auf sein Wohlverhalten seit der Verurteilung, seine Integration in Österreich und seine Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen hingewiesen. Das Verbot sei letztlich auf Grund der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 19. September 2013, C-297/12 , wonach die Geltungsdauer solcher vor dem 1. Juli 2011 in Rechtskraft erwachsenen Verbote auf fünf Jahre beschränkt sei, ungültig geworden und zu löschen gewesen.

Am 12. Mai 2015 habe der Revisionswerber den hier gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 gestellt. Er habe dazu diverse Beweismittel (so unter anderem einen Arbeitsvorvertrag, eine Versicherungsbestätigung, eine Wohnrechtsbestätigung, ein Sprachdiplom B2, eine Bestätigung über ehrenamtliche Tätigkeit sowie Fotos) vorgelegt.

Was das Privat- und Familienleben des Revisionswerbers betreffe, so sei dieser mit einer in Deutschland lebenden deutschen Staatsangehörigen verheiratet. Er gehe keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nach und beherrsche die deutsche Sprache.

1.3. Rechtlich folgerte die belangte Behörde, der Revisionswerber sei trotz der Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbots unrechtmäßig in Österreich verblieben. Der Großteil seines Privat- und Familienlebens sei in einem Zeitraum entstanden, in dem er sich seines unsicheren (auf einem unbegründeten Asylantrag beruhenden bzw. gegen das erlassene Aufenthaltsverbot verstoßenden) Aufenthalts bewusst gewesen sei, wobei das Verbot letztlich auf Grund der Rechtsprechung des EuGH ungültig geworden und zu löschen gewesen sei. Der Revisionswerber habe durch sein Verhalten gezeigt, dass er nicht gewillt sei, die österreichischen Gesetze einzuhalten; er stelle daher eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar, wobei das öffentliche Interesse die privaten Interessen an einem weiteren Aufenthalt überwiege. Folglich sei die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels zu versagen, eine Rückkehrentscheidung zu treffen und die Zulässigkeit der Abschiebung auszusprechen gewesen.

2. Der Revisionswerber erhob gegen den Bescheid Beschwerde, beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und behauptete diverse der Entscheidung anhaftende Fehler. Er wandte sich dabei auch gegen die Tatsachenfeststellungen und die Beweiswürdigung und brachte vor, die belangte Behörde sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass sich der Sachverhalt seit der Entscheidung im Asyl- bzw. Aufenthaltsverbotsverfahren nicht wesentlich geändert habe und keine neuen Tatsachen vorgebracht worden bzw. hervorgekommen seien, obwohl er diverse Beweismittel vorgelegt habe. Die Behörde hätte insbesondere seine während der langen Aufenthaltsdauer maßgeblich fortgeschrittene Integration aktuell beurteilen müssen, wobei auf die Rechtsprechung hinzuweisen sei, wonach bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in der Regel von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen sei. Hätte die belangte Behörde die durch konkrete Beweismittel nachgewiesene weitreichende Integration berücksichtigt, so hätte sie zum Ergebnis kommen müssen, dass das Privat- und Familienleben das öffentliche Interesse überwiege, folglich die Aufenthaltsbeendigung einen unzulässigen Eingriff im Sinn des Art. 8 EMRK darstelle und daher der beantragte Aufenthaltstitel zu erteilen sei.

3.1. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

3.2. Das Verwaltungsgericht ging im Wesentlichen von dem - bereits durch die belangte Behörde zugrunde gelegten Sachverhalt (vgl. oben Punkt 1.2.) - aus. Ergänzend bzw. erweiternd hielt es fest, der Revisionswerber sei seit September 2008 mit einer in Deutschland lebenden deutschen Staatsangehörigen verheiratet, in Österreich verfüge er über keine familiären Anknüpfungspunkte. Er sei gesund und arbeitsfähig; aktuell gehe er keiner Beschäftigung nach, verfüge jedoch über eine Einstellungszusage. Im Dezember 2005 sei er für einen Tag als Arbeiter erwerbstätig gewesen, von Mai 2008 bis Juli 2009 sei er als Bauarbeiter geringfügig beschäftigt gewesen. Der Revisionswerber verfüge über keine hinreichenden finanziellen Mittel, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Er sei jedenfalls von 4. Mai bis 3. Juni 2015 krankenversichert gewesen. Im April 2015 habe er einen Deutschkurs auf dem Niveau B2 erfolgreich abgeschlossen und besuche aktuell einen Kurs auf dem Niveau C1. Er sei seit Oktober 2015 in einem Pflege- und Sozialheim sowie im Verband zur gewerkschaftlichen Unterstützung undokumentiert Arbeitender ehrenamtlich tätig. Weitergehende maßgebliche Anhaltspunkte für eine hinreichende berufliche und gesellschaftliche Integration könnten nicht festgestellt werden.

3.3. Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, aus dem durchgeführten Ermittlungsverfahren und dem festgestellten Sachverhalt ergebe sich, dass die lange Aufenthaltsdauer auf die Stellung eines letztlich unberechtigten Asylantrags und auf die Missachtung des erlassenen Aufenthaltsverbots zurückzuführen sei. Das Hinwegsetzen über das Aufenthaltsverbot und der Verbleib in Österreich mit dem Ziel, den Aufenthalt zu erzwingen, sprächen dafür, dass der Revisionswerber nie gewillt gewesen sei, sich an die bestehenden Gesetze zu halten; schwer anzulasten sei ihm vor allem die - auf ein besonderes kriminelles Potenzial hinweisende - Straffälligkeit wegen Schlepperei während des Asylverfahrens. Zwar habe der Revisionswerber nach den vorgelegten neuen Unterlagen durchaus Integrationsschritte gesetzt, indem er fallweise berufliche Tätigkeiten ausgeübt, sich um eine Beschäftigung für den Fall der Erteilung des Aufenthaltstitels bemüht, sich daneben ehrenamtlich engagiert, sich selbst krankenversichert und Deutsch auf dem Niveau B2 erlernt habe sowie aktuell einen Deutschkurs auf dem Niveau C1 besuche. Allerdings würden diese Umstände im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung nicht genügen, um von einer hinreichenden Integration ausgehen zu können. Dabei sei auch zu beachten, dass der Revisionswerber keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich dargetan habe, zumal die Ehefrau in Deutschland lebe; weiters verfüge er über keine ausreichenden finanziellen Mittel, habe keine ortsübliche Unterkunft (durch einen Mietvertrag) nachgewiesen und unterhalte keine starken privaten Bindungen in Österreich. Davon ausgehend sei die belangte Behörde zu Recht zum Ergebnis gelangt, dass das öffentliche Interesse die privaten Interessen an einem Verbleib in Österreich überwiege und daher ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 zu versagen sei sowie weiters eine Rückkehrentscheidung zu erlassen und die Zulässigkeit der Abschiebung auszusprechen sei.

3.4. Eine mündliche Verhandlung habe - so das Verwaltungsgericht weiter - gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben können, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine. Nach der Rechtsprechung müsse der Sachverhalt von der Behörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichts noch immer die gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Behörde müsse die Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Verwaltungsgericht die tragenden Erwägungen teilen. In der Beschwerde dürfe kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstanziiertes Bestreiten ebenso außer Betracht bleiben könne wie ein gegen das Neuerungsverbot verstoßendes Vorbringen.

Vorliegend sei dem bekämpften Bescheid ein umfassendes und ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durch die belangte Behörde vorausgegangen. Der Sachverhalt sei auf dieser Grundlage unter schlüssiger Beweiswürdigung festgestellt worden. In der Beschwerde sei kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens entgegenstehender Sachverhalt in konkreter und substanziierter Weise behauptet worden.

4.1. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit einem Aufhebungsantrag.

Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision unter anderem vor, das Verwaltungsgericht habe seinem Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Unrecht nicht entsprochen. Die Beschwerde habe einen dem behördlichen Ermittlungsverfahren entgegenstehenden bzw. darüber hinausgehenden, konkret und substanziiert behaupteten Sachverhalt (vor allem zur fortgeschrittenen Integration des Revisionswerbers) aufgezeigt. Auch im Hinblick auf den zwischen den Entscheidungen der belangten Behörde und des Verwaltungsgerichts liegenden Zeitraum wäre die weitere Integration jedenfalls aktuell zu beurteilen gewesen. Die dafür notwendige Sachverhaltsermittlung wäre im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vorzunehmen gewesen.

4.2. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

 

5. Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Die Revision ist - entgegen dem den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Verwaltungsgerichts (§ 34 Abs. 1a VwGG) - aus dem vom Revisionswerber geltend gemachten Grund (vgl. Punkt 4.1.) zulässig und aus den nachfolgenden Erwägungen auch berechtigt.

6.1. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG - die Bestimmung geht der bloß subsidiär anwendbaren Norm des § 24 Abs. 4 VwGVG vor (vgl. VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017) - kann selbst bei Vorliegen eines ausdrücklichen Antrags (siehe VwGH 16.10.2014, Ra 2014/21/0039) eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

6.2. Vorliegend hat sich das Verwaltungsgericht beim Absehen von einer mündlichen Verhandlung auf den erstgenannten Tatbestand des § 21 Abs. 7 BFA-VG gestützt. Mit diesem Tatbestand hat sich der Verwaltungsgerichtshof im (schon genannten) Erkenntnis Ra 2014/20/0017, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, eingehend befasst. Demnach muss der für die rechtliche Beurteilung wesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichts noch immer die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Behörde muss die die maßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Verwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der behördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstanziiertes Bestreiten des von der Behörde festgestellten Sachverhalts ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein gegen das Neuerungsverbot verstoßendes Vorbringen (vgl. auch VwGH 27.1.2015, Ra 2014/19/0014; 17.1.2017, Ra 2016/19/0055; u.v.a.).

6.3. Wie der Verwaltungsgerichtshof ferner in ständiger Rechtsprechung vertritt, kann die Frage der Intensität der privaten und familiären Bindungen eines Fremden in Österreich nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen reduziert werden. Vielmehr kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks insbesondere auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände besondere Bedeutung zu (siehe etwa VwGH 5.5.2015, Ra 2014/22/0035; 25.1.2018, Ra 2017/21/0200).

7.1. Vorliegend stützte die belangte Behörde die Versagung des beantragten Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 im Wesentlichen darauf, dass es sich bei dem bisherigen Inlandsaufenthalt des Revisionswerbers überwiegend um einen unsicheren (auf einem letztlich unbegründeten Asylantrag beruhenden bzw. gegen das erlassene Aufenthaltsverbot verstoßenden) Aufenthalt gehandelt habe und der Revisionswerber insbesondere durch die Missachtung des (auf Grund einer strafgerichtlichen Verurteilung im Jahr 2008 wegen Schlepperei verhängten) Aufenthaltsverbots gezeigt habe, dass er zur Einhaltung der österreichischen Gesetze nicht gewillt sei. Im Übrigen maß die belangte Behörde jedoch der langen Dauer des Inlandsaufenthalts (durchgehend seit dem Jahr 2005) und dem dabei entfalteten Privat- und Familienleben (zu dem es - obwohl der Revisionswerber diverse Beweismittel vorgelegt hatte, aus denen weitergehende Feststellungen zu treffen gewesen wären - lediglich festhielt, dass der Revisionswerber mit einer in Deutschland lebenden deutschen Staatsangehörigen verheiratet sei, keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgehe und die deutsche Sprache beherrsche) kein entscheidendes Gewicht bei. Im Hinblick darauf kam die belangte Behörde zum Ergebnis, dass das Verhalten des Revisionswerbers eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, wobei das öffentliche Interesse die privaten Interessen überwiege.

7.2. Dem trat der Revisionswerber in der Beschwerde entgegen, indem er (unter anderem) die Tatsachenfeststellungen und die Beweiswürdigung der belangten Behörde bekämpfte und in dem Zusammenhang ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragte. Er monierte insbesondere, dass die Behörde zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass keine wesentliche Sachverhaltsänderung eingetreten wäre und - obwohl er diverse Beweismittel vorgelegt habe - keine neuen Tatsachen vorgebracht worden bzw. hervorgekommen wären. Die belangte Behörde hätte - so der Revisionswerber weiter - seine maßgeblich fortgeschrittene Integration, die er während der mehr als zehnjährigen Aufenthaltsdauer erlangt und durch konkrete Beweismittel nachgewiesen habe, wobei bei einer derart langen Aufenthaltsdauer in der Regel von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen sei, aktuell beurteilen müssen. Die belangte Behörde wäre dabei zum Ergebnis gelangt, dass das Privat- und Familienleben das öffentliche Interesse überwiege und daher die Aufenthaltsbeendigung einen unzulässigen Eingriff im Sinn des Art. 8 EMRK darstelle.

7.3. Im Hinblick auf dieses - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - jedenfalls hinreichend konkrete und substanziierte Beschwerdevorbringen kann freilich nicht davon ausgegangen werden, dass ein geklärter Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG vorliege bzw. der von der belangten Behörde festgestellte Sachverhalt und die vorgenommene Beweiswürdigung nur substanzlos bestritten worden wären und damit die Voraussetzungen für die Abstandnahme von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erfüllt (gewesen) wären.

Wie der Revisionswerber zutreffend hervorhebt, kommt - vor allem mit Blick auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bei Interessenabwägungen gemäß Art. 8 EMRK, wonach einem zehnjährigen Inlandsaufenthalt eine besondere Bedeutung dahin beigemessen wird, dass in der Regel von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist, sowie in Anbetracht der vom Revisionswerber aufgestellten Behauptungen (samt vorgelegten Beweismitteln) und der vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen zu den Integrationsmerkmalen - der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks durch das Verwaltungsgericht in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände jedenfalls ein besonderes Gewicht zu (vgl. VwGH 8.11.2018, Ra 2018/22/0203; mwN).

7.4. Wie die belangte Behörde und das Verwaltungsgericht verkennen, kann auch der strafgerichtlichen Verurteilung - im Hinblick darauf, dass der Revisionswerber die Taten (bezogen auf den maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichts) vor beinahe zehn Jahren gesetzt und seither unstrittig nicht mehr straffällig geworden ist - kein solches Gewicht beigemessen werden, dass von einem geklärten Sachverhalt ("eindeutigen Fall") im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG auszugehen wäre, in dem selbst bei Berücksichtigung aller zu Gunsten des Fremden sprechenden Fakten für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten wäre, wenn sich das Verwaltungsgericht einen persönlichen Eindruck von ihm verschaffen würde (vgl. VwGH 21.6.2018, Ra 2018/22/0035; 20.10.2016, Ra 2016/21/0289).

Was das auf Grund der strafgerichtlichen Verurteilung erlassene Aufenthaltsverbot betrifft, so ist zwar dessen jahrelange Missachtung im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK negativ in Ansatz zu bringen (vgl. etwa VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0009; 21.1.2010, 2009/18/0429). Allerdings kommt auch diesem Umstand - fallbezogen -

kein solches Gewicht zu, dass schon deshalb von einem geklärten Sachverhalt im soeben aufgezeigten Sinn auszugehen wäre.

8.1. Insgesamt ergibt sich daher, dass das Verwaltungsgericht - indem es zu Unrecht davon ausging, dass von einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden könne - seine Entscheidung mit Rechtswidrigkeit belastet hat. Das angefochtene Erkenntnis war deshalb zur Gänze (die weiteren Aussprüche allein können keinen Bestand haben) nach § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

8.2. Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

9. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

10. Sollte im fortgesetzten Verfahren der beantragte Aufenthaltstitel nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 nicht zu erteilen sein, wäre (auch) eine - nach der Aktenlage bislang nicht erfolgte - Entscheidung über den Eventualantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG 2005 durch die belangte Behörde herbeizuführen (vgl. dazu VwGH 31.1.2019, Ra 2018/22/0086).

Wien, am 18. Februar 2019

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