Normen
BFA-VG 2014 §20 Abs1;
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
BFA-VG 2014 §9;
FrPolG 2005 §52 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §52 Abs9;
FrPolG 2005 §55;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §24 Abs4;
VwGVG 2014 §24;
BFA-VG 2014 §20 Abs1;
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
BFA-VG 2014 §9;
FrPolG 2005 §52 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §52 Abs9;
FrPolG 2005 §55;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §24 Abs4;
VwGVG 2014 §24;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde) hat in seinem Bescheid vom 15. April 2014 in Spruchpunkt III ausgesprochen, dass der Revisionswerberin (einer Staatsangehörigen der Republik Kosovo) ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt werde und dass gegen sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen werde; weiters stellte die belangte Behörde gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung der Revisionswerberin gemäß § 46 FPG in die Republik Kosovo zulässig sei (die Spruchpunkte I und II - betreffend die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz - wurden von der Revisionswerberin nicht bekämpft und sind somit für das vorliegende Verfahren nicht von Relevanz).
Die belangte Behörde verwies auf die Einreise der Revisionswerberin nach Österreich am 5. April 2013 und auf ihre am 1. März 2011 geschlossene Ehe mit dem in Österreich lebenden und hier aufenthaltsberechtigten G P, mit dem die Revisionswerberin nunmehr im gemeinsamen Haushalt lebe. Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung zugrunde, dass die Revisionswerberin nur über geringfügige Deutschkenntnisse verfüge, keinen nennenswerten Freundeskreis habe und auch sonst keine integrationsfestigenden Maßnahmen gesetzt habe. Hinsichtlich der ehelichen Gemeinschaft mit G P habe vor der Einreise der Revisionswerberin nach Österreich nur ein kurzfristiges Treffen in der Republik Kosovo stattgefunden. Es liege somit kein schützenswertes Familienleben in Österreich vor, weshalb die "Ausweisung keinen Eingriff in das Familienleben" darstelle. Die Revisionswerberin gehe auch keiner regelmäßigen Erwerbstätigkeit nach und sie sei nicht in Vereinen oder Organisationen aktiv. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sei nicht geboten im Sinn des Art. 8 EMRK. Dies sei mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden.
Gegen diesen Spruchpunkt des genannten Bescheides erhob die Revisionswerberin Beschwerde. In dieser brachte sie vor, sehr gut Deutsch zu sprechen und sie verwies darauf, dass ihr Ehemann, der eine Invaliditätspension beziehe und gesundheitlich beeinträchtigt sei, ihre Unterstützung benötige. Sie machte geltend, dass sie und ihr Ehemann sich schon vor ihrer Einreise oft gesehen hätten und ihr Ehemann sie oft im Kosovo besucht habe; ihr Eheleben habe sich durch das nunmehrige ständige Zusammenleben intensiviert. Weiters verwies sie darauf, dass sie einer alten Dame in der Nachbarschaft im Alltag helfe.
Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht diese Beschwerde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9 und § 55 FPG sowie §§ 55 und 57 AsylG als unbegründet ab (Spruchpunkt A) und erklärte die Revision für nicht zulässig (Spruchpunkt B).
Das Verwaltungsgericht verwies insbesondere auf die kurze Aufenthaltsdauer der Revisionswerberin in Österreich, auf den unsicheren Aufenthaltsstatus und auf den fehlenden Nachweis der Deutschkenntnisse. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung führte das Verwaltungsgericht aus, dass der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine. Der Sachverhalt sei nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und unter schlüssiger Beweiswürdigung der belangten Behörde festgestellt worden und es sei auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet worden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene außerordentliche Revision erwogen:
Die Revisionswerberin begründet die Zulässigkeit der außerordentlichen Revision damit, dass das Verwaltungsgericht entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes von einer mündlichen Verhandlung abgesehen habe. So könne die Prüfung der Intensität der privaten und familiären Bindungen in Österreich nicht auf eine Rechtsfrage reduziert werden. Insbesondere verweist die Revisionswerberin auf den in der Beschwerde vorgebrachten, dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehenden relevanten Sachverhalt.
Damit wird im Ergebnis zutreffend geltend gemacht, dass die vorliegende Revision zulässig - und auch berechtigt - ist.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017, 0018, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausführlich mit den Kriterien für die Abstandnahme von der Durchführung einer Verhandlung nach dem - hier allein in Betracht kommenden - § 21 Abs. 7 erster Fall BFA-VG auseinandergesetzt (vgl. zur Maßgeblichkeit dieser Bestimmung und der dazu ergangenen Rechtsprechung auch für dem BFA-VG unterliegende Verfahren zur Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen das hg. Erkenntnis vom 16. Oktober 2014, Ra 2014/21/0039). Demnach geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" folgende Kriterien beachtlich sind: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.
Im vorliegenden Fall kann angesichts des Vorbringens der Revisionswerberin insbesondere zur Intensität der familiären Bindung - auch betreffend den Zeitraum vor ihrer Einreise nach Österreich - und zur Unterstützungsbedürftigkeit des Ehemannes nicht davon ausgegangen werden, dass der von der belangten Behörde festgestellte Sachverhalt bzw. die vorgenommene Beweiswürdigung nur substanzlos bestritten worden wäre und dass somit die Voraussetzungen für die Abstandnahme von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vorlägen. Hinsichtlich des Ehemannes der Revisionswerberin stellte das Verwaltungsgericht zwar dessen Berufsunfähigkeit auf Grund eines Arbeitsunfalles und den Bezug einer Invaliditätspension fest, führte ansonsten aber nur aus, es sei nicht entnehmbar, dass die gesundheitliche Beeinträchtigung des Ehegatten Besuche im Herkunftsstaat der Revisionswerberin unmöglich machen würden. Die Auffassung, dass diesbezüglich von einem geklärten Sachverhalt iSd § 21 Abs. 7 BFA-VG auszugehen sei, vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu teilen.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner ständigen Rechtsprechung betont hat, dass die Frage der Intensität der privaten und familiären Bindungen in Österreich nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen reduziert werden kann und dass der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen insbesondere auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände besondere Bedeutung zukommt (vgl. aus jüngerer Zeit das Erkenntnis vom 28. Jänner 2015, Ra 2014/20/0121, mwN; weiters das zu § 24 VwGVG ergangene hg. Erkenntnis vom 18. Juni 2014, Ra 2014/21/0019).
Nach dem Gesagten war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am 5. Mai 2015
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