VwGH Ra 2018/19/0082

VwGHRa 2018/19/00825.4.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Eder und Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, in den Revisionssachen 1. des M A, 2. der R K, 3. des A A, 4. des

A A, und 5. der A A, alle vertreten durch Mag. Christoph Kaltenhauser, Rechtsanwalt in 5730 Mittersill, Gerlosstraße 17, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Dezember 2017, 1) W196 1435310-3/7E, 2) W196 1435309-3/6E,

3) W196 1435311-3/5E, 4) W196 1435312-3/5E und 5) W196 2017166- 2/4E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §21 Abs6a;
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
BFA-VG 2014 §9;
FrPolG 2005 §52;
FrPolG 2005 §53;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §67;
MRK Art8;
VwGVG 2014 §24;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018190082.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die revisionswerbenden Parteien sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und der Volksgruppe der Tschetschenen zugehörig. Die erst- und zweitrevisionswerbenden Parteien sind miteinander verheiratet und die Eltern der minderjährigen drittbis fünftrevisionswerbenden Parteien.

2 Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) jeweils vom 21. Februar 2017 wurden die bereits zweiten Folgeanträge der erst- bis viertrevisionswerbenden Parteien und der erste Folgeantrag der Fünftrevisionswerberin auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, den revisionswerbenden Parteien keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt und gegen sie Rückkehrentscheidungen erlassen.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 21. Dezember 2017 wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde der revisionswerbenden Parteien ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

5 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit vorgebracht, die angefochtene Entscheidung weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Zulassungsverfahren (§ 21 Abs. 7 iVm. Abs. 6a BFA-VG) ab. Das Bundesverwaltungsgericht hätte sich einen persönlichen Eindruck von den revisionswerbenden Parteien in Hinblick auf die Würdigung ihrer fortgeschrittenen Integration verschaffen müssen. Zudem bedürfe es der Klärung, ob diese Rechtsprechung auch auf jene Sachverhaltskonstellationen zu übertragen sei, in denen zwar ein Folgeantrag formell zurückgewiesen, die Entscheidung jedoch mit einer meritorischen Rückkehrentscheidung verbunden werde.

6 Dem ist zu entgegnen, dass sich der Verwaltungsgerichtshof bereits ausführlich mit den Voraussetzungen für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Zulassungsverfahren - wozu auch Verfahren über Beschwerden gegen eine vor Zulassung des Verfahrens ausgesprochene Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG zählen - auseinandergesetzt hat (vgl. VwGH 12.7.2017, Ra 2017/18/0220 bis 0224, mit Hinweis auf VwGH 30.6.2016, Ra 2016/19/0072). Demnach hat auf Grund der in § 21 Abs. 6a BFA-VG enthaltenen Wendung "Unbeschadet des Abs. 7" eine Verhandlung jedenfalls immer dann zu unterbleiben, wenn die Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA-VG vorliegen. In einem solchen Fall stellt sich die Frage, ob nach § 21 Abs. 6a BFA-VG im Rahmen der Ermessensübung von der Durchführung der Verhandlung Abstand genommen werden kann, nicht mehr (vgl. nochmals VwGH Ra 2016/19/0072).

7 Den revisionswerbenden Parteien ist zwar zuzustimmen, dass bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zukommt, und zwar sowohl in Bezug auf die (allenfalls erforderliche) Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. Daraus ist aber noch keine "absolute" (generelle) Pflicht zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 8.10.2017, Ra 2017/19/0422 bis 0424, mwN).

8 Wie die vom Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Leitlinien der Rechtsprechung vorgenommene und insofern nicht revisible Interessenabwägung (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0474, mwN) zeigt, war diese Voraussetzung im vorliegenden Fall gegeben.

9 Das Bundesverwaltungsgericht hat im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG sowohl das Vorbringen der revisionswerbenden Partei hinsichtlich ihres Privatlebens - auch in Hinblick auf die in der Revision genannten Kriterien der Aufenthaltsdauer, Selbsterhaltungsfähigkeit und Integration -, als auch ihre in diesem Zusammenhang vorgelegten Unterlagen berücksichtigt. Es gelangte zum Ergebnis, dass bereits das BFA zu Recht von einem Überwiegen der öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber den privaten Interessen der revisionswerbenden Parteien an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ausgegangen sei, weshalb die in den Bescheiden angeordneten Rückkehrentscheidungen nicht ungerechtfertigt in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Privat- und Familienleben eingriffen. Die Interessenabwägung erweist sich vor dem Hintergrund der oben genannten Rechtsprechung als vertretbar und somit nicht revisibel.

10 Das Bundesverwaltungsgericht hielt es nicht für geboten, den maßgeblichen Sachverhalt mit den revisionswerbenden Parteien zu erörtern, weil diese mit ihrem Beschwerdevorbringen die verwaltungsbehördlichen Ermittlungen nicht substantiiert bestritten haben und sich das BFA ausreichend und abschließend mit dem Vorbringen der revisionswerbenden Parteien auseinandergesetzt hat. Das Bundesverwaltungsgericht hat den Sachverhalt daher aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt angesehen, weshalb bereits die Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA-VG für die Abstandnahme von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vorlagen. Schon deshalb - die Frage der Ermessensausübung gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG stellte sich somit nicht mehr - ist dem Bundesverwaltungsgericht kein Abweichen von den in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien zur Verhandlungspflicht in Zulassungsverfahren vorzuwerfen.

11 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen. Wien, am 5. April 2018

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