VwGH Ra 2018/11/0204

VwGHRa 2018/11/020413.12.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision der E K in W, vertreten durch Dr. Johannes Schuster und Mag. Florian Plöckinger, Rechtsanwälte in 1020 Wien, Praterstern 2/1. DG, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21. August 2018, Zl. W135 2196024- 1/4E, betreffend Neufestsetzung des Grades der Behinderung und Einziehung des Behindertenpasses (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
BBG 1990 §43 Abs1 ;
BBG 1990 §43 Abs1;
BBG 1990 §45 Abs2;
BEinstG §14 Abs2;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018110204.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in Höhe von 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 I.1.1. Die Revisionswerberin verfügte nach der Aktenlage über einen Behindertenpass, in dem ein Grad der Behinderung von 60 % ausgewiesen war. Sie stellte mit Schreiben vom 12. Dezember 2017 - ua. - einen Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung im Behindertenpass unter Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung".

2 Nachdem ihr die belangte Behörde mit Schreiben vom 23. Februar 2018 Gelegenheit zur Stellungnahme zu einem ärztlichen Sachverständigengutachten, aus dem sich ein Grad der Behinderung von nur noch 30 % ergibt, gegeben hatte, zog die Revisionswerberin mit Schreiben vom 13. März 2018 ihren Antrag zurück.

3 I.1.2. Daraufhin erließ die belangte Behörde gegenüber der Revisionswerberin einen Bescheid vom 17. April 2018 mit dem Betreff "Neufestsetzung des Grades der Behinderung im Behindertenpass" und folgendem Spruch:

"Mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 30 % erfüllen Sie nicht mehr die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses."

Als Rechtsgrundlage waren §§ 41, 43 und 45 des Bundesbehindertengesetzes (BBG) angegeben.

In der Begründung führte die belangte Behörde aus, die Revisionswerberin habe am 12. Dezember 2017 die Neufestsetzung des Grades der Behinderung im Behindertenpass beantragt. Nach dem im Ermittlungsverfahren eingeholten Gutachten betrage der Grad der Behinderung 30 %. Der Revisionswerberin sei Gelegenheit geboten worden, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Da eine Stellungnahme innerhalb der gesetzten Frist nicht eingelangt sei, habe vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens nicht abgegangen werden können. Da das Begutachtungsverfahren einen Grad der Behinderung von 30 % ergeben habe, lägen die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht mehr vor.

Nach der Rechtsmittelbelehrung findet sich folgender Hinweis:

"Ab einem Grad der Behinderung von mindestens 25 % steht es Ihnen frei, mit obigem Bescheid den pauschalierten Steuerfreibetrag beim Finanzamt zu beantragen (amtliche Bescheinigung im Sinne des § 35 Einkommensteuergesetz 1988)"

4 In weiterer Folge erließ die belangte Behörde gegenüber der Revisionswerberin einen Bescheid vom 18. April 2018 mit dem Betreff "Einziehung des Behindertenpasses" und folgendem Spruch:

"Mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 30 % erfüllen Sie nicht mehr die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses.

Ihr Behindertenpass ist einzuziehen und unverzüglich dem Sozialministeriumservice vorzulegen"

Als Rechtsgrundlage waren ebenfalls §§ 41, 43 und 45 des Bundesbehindertengesetzes (BBG) angegeben.

5 In der Begründung wird als "Sachverhalt" festgestellt, dass die Revisionswerberin derzeit über einen Behindertenpass auf Grund eines Grades der Behinderung von 60 % verfüge. Nach Wiedergabe der für einschlägig befundenen Bestimmungen des BBG wird ausgeführt, aus den bisherigen Ausführungen ergebe sich die "Rechtsfolge", dass "durch diese Änderung" die Voraussetzung für den Behindertenpass weggefallen sei und der Behindertenpass daher einzuziehen sei. Der Bescheid vom 17. April 2018 wird in der Begründung nicht erwähnt.

6 I.1.3. Die Revisionswerberin erhob nach Ausweis der Verwaltungsakten gegen den Bescheid vom 17. April 2018 Beschwerde. Begründend wurde ausgeführt, die belangte Behörde habe "auf Antrag" der Revisionswerberin auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung im Behindertenpass den Grad der Behinderung von 60 % auf 30 % herabgesetzt. Dies sei rechtswidrig, weil die Revisionswerberin ihren Antrag mit Schreiben vom 13. März 2018 zurückgezogen habe.

7 I.1.4. Ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung und ohne der Revisionswerberin Parteiengehör einzuräumen, entschied das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 21. August 2018

"über die Beschwerde ... gegen den Bescheid des Bundesamtes für

Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vom 17.04.2018" wie folgt:

"A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Voraussetzungen für die Ausstellung des Behindertenpasses liegen nicht mehr vor. Der Behindertenpass ist einzuziehen."

Unter B) wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

In der Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, die Revisionswerberin sei Inhaberin eines unbefristeten Behindertenpasses, in welchem der Gesamtgrad der Behinderung zuletzt mit 60 % ausgewiesen sei. Sie habe am 12. Dezember 2017 einen Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung gestellt. Es lägen aktuell mehrere dauernde Funktionseinschränkungen vor, wobei die Funktionseinschränkung "Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule" das führende Leiden darstelle. Dieses habe sich im Vergleich zum Zeitpunkt der Vorbegutachtung im Jahr 2008 gebessert. Insgesamt ergebe sich eine Absenkung des Gesamtgrades der Behinderung von 60 % auf 30 % (das Verwaltungsgericht stützte sich dabei auf das als schlüssig qualifizierte ärztliche Sachverständigengutachten aus dem Verwaltungsverfahren). Die Revisionswerberin habe weder "in der Stellungnahme zum Gutachten" (Anm: eine solche gab es nach der Aktenlage gar nicht) noch in der Beschwerde gegen den Bescheid vom 17. April 2018 Einwendungen gegen das Gutachten bzw. dessen Ergebnis erhoben.

In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht aus, dass die Revisionswerberin ihren verfahrenseinleitenden Antrag mit Eingabe vom 13. März 2018 zurückgezogen habe, ändere nichts daran, dass sie "zum aktuellen Zeitpunkt" die Voraussetzungen für den Besitz eines Behindertenpasses nicht erfülle. Die belangte Behörde sei gemäß § 43 Abs. 1 BBG berechtigt, den Behindertenpass zu berichtigen, "wenn Änderungen, durch die behördliche Eintragungen berührt werden und auch verpflichtet den Behindertenpass bei Wegfall der Voraussetzungen einzuziehen". Sie könne hiebei auch von Amts wegen tätig werden. Bei einem Gesamtgrad der Behinderung von 30 % seien die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht mehr erfüllt. Es sei daher spruchgemäß zu entscheiden "und der Behindertenpass einzuziehen" gewesen.

8 I.2.1. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, vom Verwaltungsgericht gemeinsam mit den Akten des Verfahrens vorgelegte (außerordentliche) Revision.

9 I.2.2. Mit Schreiben vom 11. Oktober 2018 teilte das Verwaltungsgericht über Nachfrage des Verwaltungsgerichtshofes mit, dass auch eine Beschwerde der Revisionswerberin gegen den Bescheid vom 18. April 2018 über die Einziehung des Behindertenpasses vorliege. Ein E-Mail-Verkehr zwischen der Revisionswerberin und der belangten Behörde, wie in der Revision erwähnt, sei im elektronischen Aktenverwaltungssystem des Verwaltungsgerichtes nicht aktenkundig.

10 I.2.3. Mit Urkundenvorlage vom 16. Oktober 2018 legte die Revisionswerberin Kopien zweier - in der Revision erwähnter - E-Mails vor, und zwar eines der Revisionswerberin vom 27. April 2018 an die belangte Behörde und eine Antwort der belangten Behörde vom selben Tag an die Revisionswerberin.

11 Der Urkundenvorlage zufolge lautete das E-Mail der Revisionswerberin:

"Nach Übermittlung eines PGH vom 23.02.-2018 an uns, zugestellt am 27.02.2018, wurden die Anträge auf Neufestsetzung des GdB und auf Vornahme der ZE Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sowie auf Ausstellung eines Parkausweises vom 12.12.2017 mit Schreiben vom 13.03.2018 zurückgezogen. Dennoch wurden nunmehr ein Bescheid über die Herabsetzung des GdB am 17.04.2018 und ein Bescheid über die Einziehung des Behindertenpasses am 18.04.2018 ausgestellt. Ich ersuche um Mitteilung ob es sich dabei um ein Versehen handelt und ich Ihnen die Originalbescheide zurücksenden soll, oder ob die Einbringung fristgerechter Beschwerden notwendig sein wird."

und das E-Mail der belangten Behörde

"Sehr geehrter Herr (Vertreter der Revisionswerberin im Verwaltungsverfahren),

leider wurde die Antragsrückziehung übersehen.

Somit gelten die Bescheide als erlassen und es muss bitte Beschwerde eingebracht werden."

12 Beide Nachrichten sind im vorgelegten Verwaltungsakt nicht ausgewiesen.

13 I.2.4. Mit hg. Verfügung vom 17. Oktober 2018 leitete der Verwaltungsgerichtshof das Vorverfahren über die Beschwerde ein. Die belangte Behörde wurde darin aufgefordert, zu dem von der Revisionswerberin vorgelegten Ausdruck des E-Mail-Verkehrs vom 27. April 2018 Stellung zu nehmen, insbesondere auch zum Umstand, dass dieser dem Verwaltungsgericht und dem Verwaltungsgerichtshof nicht vorgelegt wurde.

14 Die belangte Behörde nahm von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand. Auch eine Reaktion auf den Vorhalt unterblieb.

 

15 II. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

16 II.1. Das BBG, BGBl. Nr. 283/1990 idF. der Novelle BGBl. I Nr. 59/2018, lautet (auszugsweise):

"ABSCHNITT VI

BEHINDERTENPASS

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem

Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer

Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag

vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein

Behindertenpaß auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der

Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch

Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen

Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder

Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld,

eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige

Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie

selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im

Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

...

§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40

genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid

eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil

eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz,

BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des

Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung

der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des

Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das

Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der

Behinderung nach der Einschätzungsverordnung

(BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen

Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen

einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden

Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen

Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.

...

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

(2) Der Behindertenpaß ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.

§ 43. (1) Treten Änderungen ein, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpaß berührt werden, hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen diese zu berichtigen oder erforderlichenfalls einen neuen Behindertenpaß auszustellen. Bei Wegfall der Voraussetzungen ist der Behindertenpaß einzuziehen.

...

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

..."

17 II.2. Die Revision ist aus den in ihr näher genannten Gründen (Abweichen von der hg. Rechtsprechung betreffend das einzuräumende Parteiengehör) zulässig.

18 II.3. Die Revision ist im Ergebnis auch begründet. 19 II.3.1. Die Revision bringt, auf das Wesentliche

zusammengefasst, vor, nach Erhalt der Bescheide der belangten Behörde vom 17. und vom 18. April 2018 sei der Revisionswerberin auf Nachfrage per E-mail von der belangten Behörde mitgeteilt worden, dass die Antragsrückziehung vom 13. März 2018 leider übersehen worden wäre, die Bescheide somit als erlassen gälten und Beschwerde eingebracht werden müsste. Im Hinblick auf diese Mitteilung sei der Revisionswerberin im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung nicht erkennbar gewesen, dass eine "Neufestsetzung von Amts wegen" erfolgt wäre, dies nicht zuletzt deswegen, weil in der Begründung des Bescheids vom 17. April 2018 zwar die Antragstellung, nicht aber die Zurückziehung desselben erwähnt seien. Im Gegenteil sei anzunehmen gewesen, dass dieser Bescheid eine - im Hinblick auf die mittlerweile erfolgte Zurückziehung des Antrags - unzulässige Erledigung dieses Antrags auf Neufestsetzung darstelle. Es sei der Revisionswerberin daher nicht notwendig erschienen, in der Beschwerde auf das dem bekämpften Bescheid zugrunde gelegte Gutachten näher einzugehen.

20 Das Verwaltungsgericht verkenne einerseits, dass der Bescheid vom 17. April 2018 nicht von Amts wegen erlassen worden sei, es habe es zudem unterlassen, die Revisionswerberin im Rahmen eines Parteiengehörs über die beabsichtigte und überraschende Entscheidung zu informieren und ihr die Gelegenheit zu geben, ein weiteres Vorbringen zu erstatten. Zudem übersehe das Verwaltungsgericht, dass der mit Beschwerde bekämpfte Bescheid vom 17. April 2018 nur über eine Neufestsetzung des Grades der Behinderung abspreche und nicht auch über die Einziehung des Behindertenpasses. Da das angefochtene Erkenntnis nur die Beschwerde gegen den Bescheid vom 17. Mai 2018 - und nicht auch die gegen den Bescheid vom 18. Mai 2018 erhobene Beschwerde - erledige, habe das Verwaltungsgericht mit seinem Ausspruch, der Behindertenpass sei einzuziehen, die Sache des Beschwerdeverfahrens überschritten.

21 II.3.2. Im Ergebnis zeigt die Revision damit eine zur Aufhebung führende Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses auf.

22 II.3.2.1. Die Ausstellung eines Behindertenpasses auf Antrag setzt gemäß § 40 Abs. 1 BBG - soweit im Revisionsfall von Bedeutung - einen Grad der Behinderung von mindestens 50 % voraus. Der Behindertenpass hat gemäß § 42 Abs. 1 BBG u.a. den festgestellten Grad der Behinderung zu enthalten. Aus § 41 Abs. 2 BBG ergibt sich, dass - innerhalb zeitlicher Schranken - Anträge auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung zulässig sind. Im Falle einer solchen Neufestsetzung des Grades der Behinderung ist, solange der Grad der Behinderung weiterhin wenigstens 50 % beträgt, gemäß § 43 Abs. 1 erster Satz BBG der Behindertenpass zu korrigieren (bzw. erforderlichenfalls ein neuer mit geänderten Eintragungen auszustellen).

23 § 43 Abs. 1 erster Satz BBG regelt, wie vorzugehen ist, wenn sich herausstellt, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses weggefallen sind. Dies ist der Fall, wenn der Grad der Behinderung nicht mehr wenigstens 50 % beträgt. In einem solchen Fall "ist der Behindertenpass einzuziehen" (vgl. zB. VwGH 29.3.2011, 2008/11/0191). Die Einziehung hat gemäß § 45 Ab. 2 BBG durch Bescheid zu erfolgen.

§ 43 Abs. 1 zweiter Satz BBG enthält keine Ermächtigung für einen gesonderten Ausspruch der Behörde, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht mehr vorliegen (anders als etwa § 14 Abs. 2 des Behinderteneinstellungsgesetzes - BEinstG) oder dass ein Grad der Behinderung von weniger als 50 % besteht. Der Wegfall der Voraussetzungen für die Ausstellung ist vielmehr als Vorfrage im Einziehungsverfahren zu klären. Da mithin ein eigenes Verfahren vorgesehen ist, in dem die Frage, ob weiterhin ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 % vorliegt, zu beantworten ist, fehlt es auch an einer Grundlage für die Erlassung eines von Amts wegen erlassenen Feststellungsbescheids über das Nichtbestehen dieser Voraussetzung (vgl. zB. VwGH 25.7.2007, 2005/11/0131).

24 § 43 Abs. 1 BBG ermächtigt die Behörde daher zwar zu einem amtswegigen Vorgehen, allerdings nach den bisherigen Ausführungen nur zu einem Ausspruch der Einziehung des Behindertenpasses. Ein Bescheid, in dem ausgesprochen wird, dass die Betreffende mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50 % nicht mehr die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses erfülle, oder in dem festgestellt wird, dass ein Grad der Behinderung von weniger als 50 % besteht, findet in § 43 Abs. 1 BBG keine Deckung.

25 II.3.2.2. Für den Revisionsfall ergibt sich daraus Folgendes:

26 II.3.2.2.1. Die belangte Behörde hat in ihrem Bescheid vom 17. April 2018 ausgesprochen, dass die Revisionswerberin mit einem Grad der Behinderung von 30 % nicht mehr die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses erfülle. Diesen Spruch hat das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis bestätigt.

27 Nach den Ausführungen unter Pkt. II.3.2.1. findet ein solcher Ausspruch im BBG keine Deckung.

28 Die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 17. April 2018 als ohne Antrag, also von Amts wegen erlassenen Bescheids und auch seine Bestätigung durch das Verwaltungsgericht hängen im Besonderen davon ab, ob der Revisionswerberin in dem der Erlassung vorausgehenden Verfahren ausreichend Parteiengehör eingeräumt wurde.

29 In der Begründung des Bescheids vom 17. April 2018 wird zwar nicht ausgeführt, dass die Erlassung des Bescheids eine Erledigung eines Antrags der Revisionswerberin darstellt, der Antrag der Revisionswerberin vom 12. Dezember 2017 auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung wird aber eingangs erwähnt. Da die Zurückziehung des Antrags in der Bescheidbegründung nicht erwähnt wird, sondern nur hervorgehoben wird, dass innerhalb der gesetzten Frist zur Abgabe einer Stellungnahme zum medizinischen Sachverständigengutachten eine Stellungnahme nicht eingelangt sei, und die belangte Behörde den Bescheid auf die §§ 41, 43 und 45 BBG stützte, war für die Revisionswerberin nicht erkennbar, dass ihr gegenüber - nach Zurückziehung ihres Antrags auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung mit Schreiben vom 13. März 2018 - in einem anderen, von Amts wegen eröffneten Verwaltungsverfahren ein Bescheid erlassen wurde. Sollte es zutreffen, dass die belangte Behörde im Rahmen einer E-mail-Nachricht zu erkennen gegeben hat, sie hätte die Antragsrückziehung übersehen, so wäre die Revisionswerberin, die die Bescheiderlassung diesfalls als auf einem Versehen beruhend erachten konnte, nicht gehalten gewesen, schon in ihrer Beschwerde den dem bekämpften Bescheid zugrunde gelegten Ausführungen des medizinischen Sachverständigen entgegenzutreten.

30 Die fehlende Einräumung von Parteiengehör - etwa im Rahmen einer mündlichen Verhandlung - zur Annahme des Verwaltungsgerichtes, die belangte Behörde habe (nach Antragsrückziehung) ihren Bescheid von Amts wegen in einem daraufhin eingeleiteten weiteren Verwaltungsverfahren erlassen, stellt im Ergebnis eine unzulässige "Überraschung" der Revisionswerberin dar.

31 II.3.2.2.2. Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Erkenntnis, mit dem seinem Kopf zufolge ausdrücklich die

Beschwerde "gegen den Bescheid ... vom 17.04.2018" erledigt wird,

auch ausgesprochen, dass der Behindertenpass "einzuziehen" sei. Einen diesbezüglichen Abspruch enthielt der Bescheid der belangten Behörde vom 17. April 2018 jedoch nicht. Er war vielmehr erst im Bescheid der belangten Behörde vom 18. April 2018 enthalten. Gegen diesen hat die Revisionswerberin ebenfalls Beschwerde erhoben. Da das Verwaltungsgericht eine weitere Beschwerde (gegen den Bescheid über die Einziehung des Behindertenpasses vom 18. April 2018) nicht erwähnt, gibt es keinen Grund für die Annahme, es habe unter einem auch eine gegen letzteren Bescheid erhobene Beschwerde erledigt.

32 Das angefochtene Erkenntnis geht mit seinem Abspruch über die Einziehung des Behindertenpasses jedenfalls über die "Sache" des Beschwerdeverfahrens hinaus, die durch den Bescheid vom 17. April 2018, der keinen Abspruch über die Einziehung des Behindertenpasses enthielt, abgesteckt war.

33 II.3.3. Da die Vorgangsweise des Verwaltungsgerichtes auf einer Verkennung der Rechtslage beruhte, war das angefochtene Erkenntnis zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. II.4. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil gemäß § 51 BBG die Revision von der Eingabengebühr nach § 24a VwGG befreit ist und ein weiterer Aufwandersatz unter dem Titel der Umsatzsteuer bzw. eines ERV-Zuschlags nicht vorgesehen ist.

Wien, am 13. Dezember 2018

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