VwGH Ro 2018/09/0006

VwGHRo 2018/09/000613.12.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rosenmayr und die Hofräte Dr. Doblinger, Dr. Hofbauer und Mag. Feiel sowie die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schachner, über die Revision des Verwaltungsrates der Oberösterreichischen Lehrer-Kranken- und Unfallfürsorge in Linz, vertreten durch Prof. Haslinger & Partner, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Zollamtstraße 7, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 11. Mai 2018, Zl. LVwG-950096/26/BP/JB, betreffend Versehrtenrente nach dem Oö. Lehrer-Kranken- und Unfallfürsorgegesetz (mitbeteiligte Partei: S S in S, vertreten durch Dr. Victoria Treber-Müller, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5; weitere Partei:

Oberösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
AVG §68 Abs1;
GdUFG OÖ 1969 §13;
GdUFG OÖ 1969 §18 Abs1;
LKUFG OÖ 1983 §24 Abs1;
LKUFG OÖ 1983 §24;
LKUFG OÖ 1983 §25;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §17;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RO2018090006.J00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Antrag auf Aufwandersatz wird abgewiesen.

Begründung

1 Der im Jahr 1948 geborene Mitbeteiligte steht als Hauptschuloberlehrer in einem öffentlich-rechtlichen Ruhestandsverhältnis zum Land Oberösterreich. Nach Dienstunfällen in den Jahren 1990 und 2002 wurde ihm mit Bescheid des Revisionswerbers, des Verwaltungsrates der Oberösterreichischen Lehrer-Kranken- und Unfallfürsorge, vom 12. November 2003 ausgehend von einer aufgrund einer Knieverletzung beim letztgenannten Unfall auf Dauer eingetretenen Minderung der Erwerbsfähigkeit um 25 Prozent, eine Versehrtenrente im Ausmaß von 25 Prozent der Vollrente gewährt. Zur weiteren Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 14. November 2017, Ra 2017/09/0042, verwiesen.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der vom Mitbeteiligten gegen den Bescheid der revisionswerbenden Partei, mit dem aufgrund der wesentlichen Änderung der Verhältnisse das Erlöschen des Anspruchs auf Versehrtenrente gemäß § 25 Abs. 1 und 3 des Oö. Lehrer- Kranken- und Unfallfürsorgegesetzes (OÖ LKUFG) ausgesprochen wurde, erhobenen Beschwerde im zweiten Rechtsgang nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Einholung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens Folge gegeben und dieser Bescheid ersatzlos behoben. Die ordentliche Revision erklärte das Verwaltungsgericht für zulässig.

3 Begründend führte das Verwaltungsgericht - soweit für den Revisionsfall von Bedeutung - aus, dass die im anspruchsbegründenden medizinischen Gutachten aus dem Jahr 2003 festgestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht kausal von den Dienstunfällen aus den Jahren 1990 und 2002 stammten, sondern Folgen von Vorverletzungen seien. Die faktischen unfallkausalen Verletzungen der gemeldeten Dienstunfälle (Bänderzerrungen) hätten keine dauerhaften Folgen nach sich gezogen, weshalb deren Einstufung ursprünglich mit 0 Prozent Minderung der Erwerbsfähigkeit zu bemessen gewesen wäre. Die zum damaligen Zeitpunkt bestehenden (nicht-unfallkausalen) Beschwerden und gesundheitlichen Beeinträchtigungen hätten sich seither nicht verbessert.

4 § 24 iVm § 25 OÖ LKUFG sehe vor, dass - so das Verwaltungsgericht weiter - zumindest eine wesentliche entscheidende Änderung in Höhe von zehn Prozent eingetreten sein müsse, um die Rente entziehen zu können; hier habe sich der tatsächliche unfallkausale Gesundheitszustand des Mitbeteiligten nicht geändert und schon gar nicht verbessert, was alleine schon der Tatsache geschuldet sei, dass keine für die Einstufung relevanten unfallkausalen Beschwerden vorgelegen seien. Bereits ursprünglich sei eine Gewährung der Versehrtenrente durch eine fälschliche Einbeziehung von nicht-unfallkausalen Beschwerden rechtlich nicht angebracht gewesen. Zur Beseitigung dieses rechtlichen Mangels seien jedoch allenfalls die Bestimmungen zur Wiederaufnahme nach dem AVG anzuwenden gewesen, die Bestimmung des § 25 OÖ LKUFG biete hierfür keine Grundlage, weil keine Verbesserung des Gesundheitszustandes festgestellt habe werden können.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision, der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.

 

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist nach Art. 133 Abs. 4 B-VG die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Das Verwaltungsgericht begründet die Zulässigkeit der Revision mit dem Fehlen von Judikatur zu § 25 OÖ LKUFG zu Fällen, "in denen schon von Anbeginn keine unfallkausalen Beschwerden bestanden" (gemeint wohl: für den Fall, dass sich die Beurteilung der Unfallkausalität der Verletzungen nachträglich als unrichtig herausstellt). Die Revision bringt zur Zulässigkeit ergänzend vor, dass das Verwaltungsgericht die Wesentlichkeit einer Änderung der Verhältnisse im Widerspruch zur Rechtsprechung unrichtig ausgelegt habe. Mit diesem Vorbringen erweist sich die Revision letztlich als zulässig; sie ist auch berechtigt:

9 §§ 24 und 25 Oö. Lehrer-Kranken- und Unfallfürsorgegesetz (OÖ LKUFG), LGBl. Nr. 66/1983, in der jeweils maßgeblichen Fassung, lauten auszugsweise wie folgt:

"§ 24

Neufestsetzung von Renten aus der Unfallfürsorge

(1) Bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse, die für die Festsetzung einer Rente maßgebend waren, ist die Rente auf Antrag oder von Amts wegen neu festzusetzen. Als wesentlich gilt eine Änderung der Verhältnisse nur, wenn durch sie die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch mehr als drei Monate um mindestens 10 v.H. geändert wird, durch die Änderung ein Rentenanspruch entsteht oder wegfällt oder die Schwerversehrtheit entsteht oder wegfällt.

(2) Sind zwei Jahre nach dem im § 15 Abs. 1 Z 4 oder 5 bezeichneten Zeitpunkt abgelaufen, so kann die Rente immer nur in Zeiträumen von mindestens einem Jahr nach der letzten Festsetzung neu festgesetzt werden. Diese Frist gilt nicht, wenn in der Zwischenzeit eine neue Heilbehandlung abgeschlossen oder eine vorübergehende Verschlimmerung der Folgen des Dienstunfalles oder der Berufskrankheit wieder behoben wurde.

§ 25

Entziehung von Leistungen aus der Unfallfürsorge

(1) Sind die Voraussetzungen des Anspruches auf eine wiederkehrende Leistung aus der Unfallfürsorge nicht mehr vorhanden, so ist die Leistung zu entziehen, sofern nicht der Anspruch gemäß § 27 ohne weiteres Verfahren erlischt.

(2) (...)"

10 Die Punkte 122 und 145 der Satzung der Oö. Lehrer-Kranken- und Unfallfürsorge lauten wie folgt:

"122. Die Leistung ist von Amts wegen oder auf Antrag neu festzusetzen, wenn sich die Verhältnisse, die für die Festsetzung maßgebend waren, wesentlich ändern. Als wesentlich gilt eine Änderung der Verhältnisse nur, wenn durch sie die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch mindestens drei Monate um mindestens 10 v.H. geändert wird, durch die Änderung ein Rentenanspruch entsteht oder wegfällt oder die Schwerversehrtheit entsteht oder wegfällt.

(...)

145. Anspruch auf Versehrtenrente besteht, wenn die Erwerbsfähigkeit des Lehrers durch die Folgen eines Dienstunfalles länger als drei Monate ab dem Unfallereignis um mindestens 20 v.H. vermindert ist."

11 Dem Verwaltungsgericht ist zwar zunächst zuzustimmen, dass es konkret zu § 25 OÖ LKUFG (relevant für den Revisionsfall ist Abs. 1 der Bestimmung) keine Rechtsprechung gibt. Es übersieht dabei aber, dass es Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den insoweit vergleichbaren Bestimmungen in § 13 iVm § 18 Abs. 1 Oö. Gemeinde-Unfallfürsorgegesetz (OÖ GUFG) gibt (vgl. VwGH 19.12.2000, 94/12/0159). In diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof allgemein gültige Aussagen zum Umfang der Rechtskraft von Versehrtenrentenbescheiden getroffen. Demnach berechtigt im Falle des Vorliegens eines rechtskräftigen Bescheides, mit dem über eine Versehrtenrente abgesprochen wurde, nur eine wesentliche Veränderung in den Voraussetzungen, die nach Erlassung dieses Bescheides eingetreten ist, zur neuerlichen Bescheiderlassung über die Versehrtenrente. Eine solche Änderung der Voraussetzungen liegt entweder im Tatsachenbereich oder bei Änderung der Rechtslage vor. Änderungen im Tatsachenbereich sind bei späterem Entstehen von weiteren Leidenszuständen, für die die anerkannten Folgeschäden nach einem Dienstunfall wesentliche Bedingung sind, oder bei Verschlimmerung anerkannter Folgeschäden gegeben. Eine bloß abweichende Beurteilung unveränderter Verhältnisse stellt hingegen keinen Umstand dar, der die Neubemessung oder Einstellung einer Versehrtenrente rechtfertigt.

12 Ein Bescheid betreffend Anerkennung eines Unfallgeschehens als Dienstunfall mit oder ohne Bemessung einer Versehrtenrente gibt Auskunft darüber, welche im Zeitpunkt seiner Erlassung bekannten Leidenszustände als kausale Folgeschäden oder akausale Beeinträchtigungen angesehen wurden. Fehleinstufungen in beide Richtungen (also Anerkennung eines Schadens als ein durch den Dienstunfall bedingter Folgeschaden wie auch Nichtanerkennung eines Schadens als Folgeschaden, obwohl ein solcher vorliegt) werden, da sie den Ausspruch über die Gebührlichkeit und Höhe der Versehrtenrente im Spruch bestimmen, von der Rechtskraft dieses Ausspruches im Bescheid mitumfasst. Von ihnen kann, solange die Rechtskraftwirkung besteht, durch Neufestsetzung der Rente nur unter den Voraussetzungen abgewichen werden, die das Verfahrensrecht für die Abänderung rechtskräftiger Bescheide zur Verfügung stellt, also etwa zB durch die Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn ein Wiederaufnahmegrund vorliegt (vgl. noch einmal VwGH 19.12.2000, 94/12/0159; vgl. außerdem VwGH 21.11.2001, 96/12/0217, darin hat der Verwaltungsgerichtshof die genannte Rechtsprechung bereits auf die inhaltlich wiederum vergleichbaren Bestimmungen des Beamten- Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes (B-KUVG) übertragen).

13 § 24 Abs. 1 OÖ LKUFG sieht vor, dass bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse die Rente neu festzusetzen ist. Als wesentlich gilt eine Änderung nur, wenn durch sie die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch mehr als drei Monate um mindestens zehn Prozent geändert wird, durch die Änderung ein Rentenanspruch entsteht oder wegfällt oder die Schwerversehrtheit entsteht oder wegfällt. Diese Bestimmung ist so zu verstehen, dass die Voraussetzungen einer mindestens zehnprozentigen Änderung und des Entstehens oder Wegfalles eines Rentenanspruches nicht kumulativ vorliegen müssen. Eine Änderung ist auch dann als wesentlich zu qualifizieren, wenn sie zwar weniger als zehn Prozent beträgt, damit aber der Rentenanspruch wegfällt (vgl. dazu VwGH 25.2.1998, 97/12/0380).

14 Das Verwaltungsgericht hat im Revisionsfall ausgeführt, dass die faktischen unfallkausalen Verletzungen bei nachträglicher Betrachtung keine dauerhaften Folgen nach sich gezogen hätten, weshalb deren Einstufung bereits ursprünglich mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 0 Prozent zu bemessen gewesen wäre. Der tatsächliche unfallkausale Gesundheitszustand habe sich nicht geändert und "schon gar nicht" verbessert, weil keine für die Einstufung relevanten unfallkausalen Beschwerden vorgelegen wären. Die zum damaligen Zeitpunkt bestehenden (nicht-unfallkausalen) Beschwerden hätten sich seither nicht wesentlich verbessert. Mit diesen Ausführungen verkennt das Verwaltungsgericht, dass aufgrund der Rechtskraft - soweit keine Wiederaufnahme erfolgt ist - die damaligen (wenn auch fälschlicherweise als unfallkausal anerkannten) Verletzungen weiterhin als Ausgangslage für die Beurteilung von Veränderungen heranzuziehen sind (vgl. noch einmal VwGH 19.12.2000, 94/12/0159; 21.11.2001, 96/12/0217).

15 Im Bescheid des Revisionswerbers vom 12. November 2003 wurde die Minderung der Erwerbsfähigkeit basierend auf einem Sachverständigengutachten mit mehreren Beeinträchtigungen begründet und letztlich gesamt mit 25 Prozent bemessen. Eine Aufschlüsselung, wie viele Prozente auf die einzelnen Beeinträchtigungen entfallen, wurde im Gutachten nicht vorgenommen. Die im damaligen Bescheid festgestellte Situation ist nunmehr als Vergleichsmaßstab heranzuziehen und ist entscheidend für die Beantwortung der Frage, ob zwischenzeitig eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist (wozu nach den obigen Ausführungen bereits eine Unterschreitung des Minderungsgrades der Erwerbsfähigkeit von 20 Prozent ausreicht).

16 Der zuletzt beauftragte und vom Verwaltungsgericht als tragend für seine Entscheidungsbegründung herangezogene Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung über Befragung zwar eine nähere Aufschlüsselung dieser im Jahr 2003 mit gesamt 25 Prozent bemessenen Minderung der Erwerbsfähigkeit in Bezug auf die einzelnen Beschwerdefaktoren und einen Vergleich zur diesbezüglichen jetzigen Situation vorgenommen, woraus eine Veränderung des seinerzeitigen Beeinträchtigungsgrades um weniger als zehn Prozent resultieren würde und die Minderung der Erwerbsfähigkeit insgesamt im Bereich von 20 Prozent zu sehen wäre. Das Verwaltungsgericht hat aber offensichtlich ausgehend von einer unrichtigen Auslegung von § 24 Abs. 1 OÖ LKUFG einer Veränderung der Minderung der Erwerbsfähigkeit eines Versehrten erst ab zehn Prozent Bedeutung beigemessen und schon bereits mangels Erreichens dieses Wertes keine relevante Veränderung für eine allfällige Entziehung der Leistung gesehen, jedoch keinerlei konkrete Feststellungen zum Vergleich der Beeinträchtigungen getroffen. Solcher hätte es aber bedurft, um abschließend beurteilen zu können, ob die hier relevante Beeinträchtigungsschwelle von 20 Prozent unterschritten würde und damit die Entziehung der Leistung gerechtfertigt wäre.

17 Indem das Verwaltungsgericht dies übersah, hat es sein Erkenntnis mit (prävalierender) Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, weshalb dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

18 Der Antrag auf Zuspruch von Aufwandersatz war abzuweisen, weil gemäß § 47 Abs. 4 VwGG der Revisionswerber in den Fällen des Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG keinen Anspruch auf Aufwandersatz hat.

Wien, am 13. Dezember 2018

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