VwGH Ro 2017/08/0019

VwGHRo 2017/08/001930.1.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der 1. Dr. W‑Dr. Wu OG, 2. Univ.Doz. Dr. W, Univ.Doz. Dr. P und Partner GmbH, 3. Univ.Prof. Dr. W D und Dr. H M, 4. Dr. T Dr. Wun Dr. Tö GmbH, 5. R, B GmbH, 6. R‑P‑D‑B OG, 7. Dr. A L & Partner OG, 8. Dr. A & Dr. M OG, 9. S & Partner OG, 10. Dr. G A und Dr. F V OG, 11. Prim. Univ.Prof. Dr. D T & Partner OG, 12. Univ.Doz. Dr. V M und Dr. K G OG, 13. Dr. M S und Dr. A S OG, 14. O G zwischen Dr. W P und Dr. J K‑D und Univ.Doz. Dr. K P, alle in Wien, alle vertreten durch Backhausen Rechtsanwalts GmbH in 1010 Wien, Am Lugeck 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 31. August 2017, Zl. W201 2011241‑1/10E, betreffend Honorierung sonographischer Untersuchungen durch Gruppenpraxen für Radiologie (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Paritätische Schiedskommission für Wien; mitbeteiligte Partei: Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter in Wien, vertreten durch Preslmayr Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Universitätsring 12), zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §6
ABGB §7
ASVG §341
ASVG §342
ASVG §342 Abs2
ASVG §342a
B-VG Art133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RO2017080019.J00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat den Revisionswerbern den Aufwand von € 1.106,40 binnen zwei Wochen zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Schriftsatz vom 27. Februar 2014 stellten die Revisionswerber an die belangte Behörde folgende Anträge:

„1.) Die Antragsgegnerin [mitbeteiligte Partei] ist schuldig, den Antragstellerinnen die in der Zeit vom September 2013 bis Februar 2014 in Abzug gebrachten Honorare für die von ihnen erbrachten sonographischen Leistungen bis zu der nach Abschnitt II. Z. 2.1. bis 2.15. ermittelten Anzahl nach dem vereinbarten Tarif ohne jeden Abschlag binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu bezahlen.

2.) Festgestellt wird, dass Abschnitt XII. ‚Sonographische Unterschungen‘, Ziffer 5, der Honorarordnung für Ärzte für Allgemeinmedizin und Fachärzte zum von der Österreichischen Ärztekammer mit der Antragsgegnerin [mitbeteiligte Partei] abgeschlossenen Gruppenpraxengesamtvertrag vom 01.04.2011 dahingehend auszulegen ist, dass sonographische Untersuchungen durch Gruppenpraxen für Radiologie nur mit 70 % des entsprechenden Eurowertes honoriert werden, wenn die Anzahl der von der Gruppenpraxis für Radiologie innerhalb eines Abrechnungsmonats abgerechneten Sonographieuntersuchungen den Wert 71 multipliziert mit der Anzahl der Gesellschafter der jeweiligen Gruppenpraxis übersteigt. Nach Ablauf eines Jahres erfolgt eine Endabrechnung auf Basis des Jahreswertes im Ausmaß des zwölffachen Monatswertes.“

Die genannte Honorarordnung sehe ab der 72. sonographischen Untersuchung durch einen Facharzt eine Deckelung der Honorierung mit 70% vor. Sie sei dahin auszulegen, dass die Deckelung bei Gruppenpraxen mit mehreren Fachärzten entsprechend später eingreife.

2 Mit Bescheid vom 10. Juni 2014 wies die belangte Behörde diese Anträge ab. Unbestritten sei, dass die Honorarordnung für Ärzte für Allgemeinmedizin und Fachärzte die sei, die in § 49 des Gruppenpraxengesamtvertrages vom 1. April 2011 (GPGV) als „Anlage 1“ bezeichnet sei. Diese Honorarordnung sei integrierender Bestandteil des GPGV. Die ärztlichen Tätigkeiten, die der jeweils behandelnde Gesellschafter einer Vertragsgruppenpraxis für Anspruchsberechtigte der mitbeteiligten Versicherungsanstalt erbringe, würden vertragsrechtlich der Vertragsgruppenpraxis zugerechnet, der das Honorar zustehe. Den Parteien eines Gesamtvertrags komme ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Honorarregelungen seien in aller Regel als angemessen anzusehen. Deckelungen und Limitierungen seien zulässig. Nach § 342 Abs. 2 ASVG müsse es für Einzelpraxen bzw. Gruppenpraxen nur dann getrennte Honorarordnungen geben, wenn es sich um Gruppenpraxen handle, in denen mehrere Fachrichtungen vertreten seien. Hier seien im Unterschied zu Einzelordinationen Pauschalmodelle vorzusehen. Für Gruppenpraxen mit fachgleichen Ärzten als Gesellschafter (wie im vorliegenden Fall) könne die Vergütung nach Einzelleistungen wie bei Einzelordinationen erfolgen. Die bei Gruppenpraxen erzielbaren Synergieeffekte würden sich in der Honorarvereinbarung niederschlagen. Dies begründe die Zulässigkeit der hier vorgesehenen Deckelungsregelung für Einzelordinationen auch für Gruppenpraxen.

3 Gegen diesen Bescheid erhoben die revisionswerbenden Parteien Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Die Parteien des GPGV hätten bei Vertragsabschluss der Einfachheit halber die für Einzelpraxen geltende Honorarordnung zum Vertragsinhalt gemacht. Die Honorarordnung sei jedoch nicht an die Erfordernisse einer Gruppenpraxis angepasst worden. Die mitbeteiligte Partei unterstelle dem Gesamtvertrag, dass der „Deckel“ ab der 72. sonographischen Untersuchung auch für eine Gruppenpraxis gelten würde. Dies könne den Parteien des Gesamtvertrages ‑ zumindest ohne entsprechendes Beweisergebnis ‑ nicht unterstellt werden. Die Gesamtvertragsparteien hätten einen derartigen Regelungsinhalt gerade nicht gewollt. Daher liege insoweit eine Regelungslücke vor bzw. sei eine vertragsergänzende Auslegung notwendig.

4 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht die Beschwerde abgewiesen. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für zulässig erklärt. § 49 GPGV verweise auf die Anlage 1, die Honorarordnung für Ärzte für Allgemeinmedizin und Fachärzte. Diese Honorarordnung sei integrierender Bestandteil des Gruppenpraxengesamtvertrages. Nach Punkt XII. der Honorarordnung würden sonographische Untersuchungen durch Fachärzte für Radiologie mit 70 % des entsprechenden Eurowertes honoriert, wenn die Anzahl der vom Arzt innerhalb eines Abrechnungsmonates abgerechneten Sonographieuntersuchungen den Wert 71 übersteigen würde. Auch für die revisionswerbenden Parteien als Gruppenpraxen komme die Grenze der 71 Untersuchungen gemäß Punkt XII. der Honorarordnung zur Anwendung. Es seien dabei nicht die einzelnen Ärzte der Gruppenpraxis zu berücksichtigen, sondern die Gruppenpraxis als Ganzes. Gemäß § 341 Abs. 1 ASVG würden die Beziehungen zwischen den Trägern der Krankenversicherung und den freiberuflich tätigen Ärzten sowie den Gruppenpraxen jeweils durch Gesamtverträge geregelt. Von den Gesamtverträgen für die freiberuflich tätigen Ärzte getrennt seien jeweils Gesamtverträge für Gruppenpraxen abzuschließen. Gemäß § 342a ASVG seien in den Gesamtverträgen für Vertragsgruppenpraxen spezielle Regelungen im Hinblick auf deren spezifische Versorgungsaufgaben und Honorierung vorzusehen. Ein derartiger Gruppenpraxengesamtvertrag sei am 1. April 2011 zwischen der Österreichischen Ärztekammer sowie dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger für die mitbeteiligte Partei abgeschlossen worden. Demnach erfolge die Honorierung nach den Bestimmungen der Honorarordnung (Anlage 1), die einen integrierenden Bestandteil des Gruppenpraxengesamtvertrages bilde. Der Gesamtvertrag setze sich aus dem Rahmenvertrag und den Anhängen, zu denen auch die Honorarordnung zähle, zusammen. Der normative Teil des Gesamtvertrages erfasse jene Bestimmungen, die sich auf Individualinteressen der Vertragsärzte bezögen und einer Regelung im Einzelvertrag zugänglich seien. Diese würden die Rechte und Pflichten der Vertragsärzte und deren Honorierung betreffen. Der normative Teil des Gesamtvertrages sei nach den Grundsätzen der Gesetzesinterpretation auszulegen. Ziel der Auslegung sei die Ermittlung des rechtlich maßgeblichen, des normativen Sinnes des Gesetzes. Jede Gesetzesauslegung habe im Sinn des § 6 ABGB mit der Erforschung des Wortsinnes zu beginnen, wobei zu fragen sei, welche Bedeutung einem Ausdruck oder Satz nach dem allgemeinen Sprachgebrauch des Gesetzgebers zukomme. Sei auf diesem Weg kein eindeutiges Ergebnis zu erzielen, sei insbesondere auch der Regelungszusammenhang, in welchem die anzuwendende Norm stünde, zu berücksichtigen. § 49 GPGV sei zu entnehmen, dass die Honorierung der Vertragsgruppenpraxis nach den Bestimmungen der Honorarordnung (Anlage 1), die einen integrierenden Bestandteil des Gruppenpraxengesamtvertrages bilde, erfolge. Die Formulierung des Vertragstextes sei eindeutig und unmissverständlich. Den Vertragsparteien habe klar sein müssen, zu welchen Bedingungen der streitgegenständliche Vertrag abgeschlossen worden sei. Selbst die revisionswerbenden Parteien würden in der Beschwerde zugestehen, dass die Vertragsparteien bei Vertragsabschluss „der Einfachheit halber“ die für Einzelpraxen geltende Honorarordnung zum Vertragsinhalt erhoben hätten. Es sei somit eindeutig der Wille der Vertragsparteien, die für Einzelpraxen geltende Honorarordnung auch für Gruppenpraxen in Geltung zu setzen. Eine Uminterpretation dieses eindeutigen Parteiwillens sei unzulässig.

5 Die Revision sei zulässig, weil eine Rechtsfrage zur Interpretation der genannten Bestimmung vorliege, der grundsätzliche Bedeutung zukomme, „zumal sie über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat und die Entscheidung über die Revision von der Lösung der Rechtsfrage abhängt“.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die ordentliche Revision. Die mitbeteiligte Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie die Zurückweisung bzw. Abweisung der Revision beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Die Revision ist zulässig. Zwar stellt die Frage, ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, im Allgemeinen nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde. Der Auslegung einer Bestimmung eines Gesamtvertrages iSd § 341 ASVG ‑ und sei es auch (wie hier) nur als Vorfrage ‑ kommt allerdings wegen des größeren hievon betroffenen Personenkreises nur dann keine grundsätzliche Bedeutung iSd Art 133 Abs. 4 B‑VG zu, wenn die relevante Rechtsfrage in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt oder die Auslegung klar und eindeutig ist. Die hier strittige Frage ist auch nicht so spezifisch, dass die typische Betroffenheit eines größeren Personenkreises zu verneinen wäre (vgl. idS VwGH 12.10.2017, Ro 2017/08/0009).

8 Gemäß § 128 B‑KUVG gelten ua hinsichtlich der Beziehungen der Versicherungsanstalt zu den Ärzten/Ärztinnen und Gruppenpraxen die Bestimmungen des Sechsten Teiles des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes insbesondere mit der Maßgabe, dass die für jedes Land gemäß den §§ 344 und 345 ASVG errichteten Kommissionen und die gemäß § 346 ASVG errichtete Bundesschiedskommission auch zuständig sind, wenn am Verfahren die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter beteiligt ist. § 338, § 341, § 342 und § 342a ASVG in der hier maßgeblichen Fassung lauten auszugsweise:

„Regelung durch Verträge

§ 338. (1) Die Beziehungen der Träger der Sozialversicherung (des Hauptverbandes) zu den freiberuflich tätigen Ärztinnen/Ärzten und Zahnärztinnen/Zahnärzten, Dentistinnen/Dentisten, Primärversorgungseinheiten, Gruppenpraxen, Hebammen, Apothekerinnen/Apothekern, den Erbringerinnen/Erbringern von nach § 135 der ärztlichen Hilfe gleichgestellten Leistungen, Pflegepersonen, die medizinische Hauskrankenpflege nach § 151 erbringen, und anderen Vertragspartnerinnen/Vertragspartnern werden durch privatrechtliche Verträge nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen geregelt. Diese Verträge bedürfen zu ihrer Rechtsgültigkeit der schriftlichen Form. Die Verträge sowie allfällige Änderungen und Zusatzvereinbarungen sind vom Hauptverband im Internet zu veröffentlichen. ...

(2) ... .“

„Gesamtverträge

§ 341. (1) Die Beziehungen zwischen den Trägern der Krankenversicherung und den freiberuflich tätigen Ärzten sowie den Gruppenpraxen werden jeweils durch Gesamtverträge geregelt. Diese sind für die Träger der Krankenversicherung durch den Hauptverband mit den örtlich zuständigen Ärztekammern abzuschließen. Die Gesamtverträge bedürfen der Zustimmung des Trägers der Krankenversicherung, für den der Gesamtvertrag abgeschlossen wird. Die Österreichische Ärztekammer kann mit Zustimmung der beteiligten Ärztekammer den Gesamtvertrag mit Wirkung für diese abschließen.

(2) Aufgehoben.

(3) Der Inhalt des Gesamtvertrages ist auch Inhalt des zwischen dem Träger der Krankenversicherung und dem Arzt oder der Gruppenpraxis abzuschließenden Einzelvertrages. Vereinbarungen zwischen dem Träger der Krankenversicherung und dem Arzt oder der Gruppenpraxis im Einzelvertrag sind rechtsunwirksam, insoweit sie gegen den Inhalt eines für den Niederlassungsort des Arztes oder für den Sitz der Gruppenpraxis geltenden Gesamtvertrages verstoßen.

(4) ...

Inhalt der Gesamtverträge

§ 342. (1) Die zwischen dem Hauptverband und den Ärztekammern abzuschließenden Gesamtverträge haben nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen insbesondere folgende Gegenstände zu regeln:

1. (...)

(2) Die Vergütung der Tätigkeit von Vertragsärztinnen und Vertragsärzten ist nach Einzelleistungen oder nach Pauschalmodellen zu vereinbaren. Die Vereinbarungen über die Vergütung der ärztlichen Leistungen sind jeweils in den Honorarordnungen für Einzelordinationen und für Gruppenpraxen zusammenzufassen; diese bilden einen Bestandteil der jeweiligen Gesamtverträge. Die Gesamtverträge sollen eine Begrenzung der Ausgaben der Träger der Krankenversicherung für die vertragsärztliche Tätigkeit einschließlich der Rückvergütungen bei Inanspruchnahme der wahlärztlichen Hilfe (§ 131) bzw. für die Tätigkeit von Vertrags-Gruppenpraxen einschließlich der Rückvergütungen bei Inanspruchnahme von Wahl‑Gruppenpraxen enthalten.

(2a) Bei der Vereinbarung der Honorarordnungen sind von den Gesamtvertragspartnern mit der Zielsetzung einer qualitativ hochwertigen Versorgung, einer nachhaltig ausgeglichenen Gebarung des Trägers der Krankenversicherung und einer angemessenen Honorarentwicklung folgende Kriterien anzuwenden:

1. Die Entwicklung der Beitragseinnahmen des Krankenversicherungsträgers, wobei gesetzlich für andere Zwecke gebundene Beitragsanhebungen nicht zu berücksichtigen sind;

2. die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Krankenversicherungsträgers ohne Berücksichtigung der eigenen Einrichtungen und der Verwaltungskosten;

3. die gesamtwirtschaftliche Situation (einschließlich Lohn- und Gehaltsentwicklungen);

4. die allgemeine Kostenentwicklung getrennt nach Vertragsärztinnen/Vertragsärzten sowie Vertrags‑Gruppenpraxen;

5. die Auswirkung von Mengensteigerungen der ärztlichen Leistungen (Leistungen von Gruppenpraxen) auf die Ausgaben des Krankenversicherungsträgers;

6. die Ausgabenentwicklung des Krankenversicherungsträgers mit Ausnahme jener Leistungen, die nicht in Zusammenhang mit der vertragsärztlichen Hilfe stehen;

7. der Stand der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung sowie die Auswirkungen der demographischen Entwicklung und der Veränderungen der Morbidität;

8. die im Rahmen der Planung der Gesundheitsversorgungsstruktur beschlossenen Qualitätsvorgaben.

Sonderregelungen für Gruppenpraxen

§ 342a. (1) Ergänzend zu den §§ 341 und 342 sind in den Gesamtverträgen für Vertrags-Gruppenpraxen spezielle Regelungen im Hinblick auf deren spezifische Versorgungsaufgaben (insbesondere hinsichtlich Öffnungszeiten und Leistungsspektren) und Honorierung vorzusehen.

(2) Art und Umfang der Abrechnung der Tätigkeit von Gruppenpraxen sind unbeschadet des § 342 Abs. 2 auf Grundlage einer einheitlichen elektronischen Diagnosen- und Leistungsdokumentation zu vereinbaren. Leistungen von Gruppenpraxen, in denen mehrere Fachrichtungen vertreten sind, sind jedenfalls nach Pauschalmodellen (zB Fallpauschalen) zu honorieren. Dabei sind das Leistungsspektrum und die durch die Organisation als Gesellschaft allenfalls möglichen Wirtschaftlichkeitspotentiale (Synergieeffekte) zu berücksichtigen.

(3) (...)

(4) (...)

(5) Ist für eine Gruppenpraxis kein Gruppenpraxis-Gesamtvertrag anwendbar, so können zur Sicherstellung oder Verbesserung des Sachleistungsangebotes vom Hauptverband unter Bedachtnahme auf die Regionalen Strukturpläne Gesundheit (RSG) für die Träger der Krankenversicherung Sonder‑Einzelverträge mit Gruppenpraxen nach einheitlichen Grundsätzen abgeschlossen werden. Ein solcher Sonder‑Einzelvertrag bedarf der Zustimmung des Krankenversicherungsträgers, für den er abgeschlossen wird, und der zuständigen Ärztekammer. Der Sonder‑Einzelvertrag hat insbesondere die Öffnungszeiten unter Berücksichtigung von Tagesrand‑ und Nachtzeiten, Sams-, Sonn- und Feiertagen sowie erforderlichenfalls Bereitschaftszeiten sowie das Leistungsspektrum festzulegen.“

9 Die revisionswerbenden Parteien bringen vor, § 49 GPGV iVm der Honorarordnung für Ärzte für Allgemeinmedizin und Fachärzte sei dahin auszulegen, dass die Deckelungsregelung erst nach der Anzahl der Untersuchungen greife, die der Anzahl der an der Gruppenpraxis beteiligten Fachärzte entspreche, zumal es in Gruppenpraxen Standard sei, mehrere (allenfalls bereits früher angeschaffte) Geräte zu betreiben. Die Degressionsregelung würde nur Fachärzte für Gynäkologie, Innere Medizin, Radiologie und Urologie betreffen. Für Fachgruppenpraxen unterschiedlicher Fachrichtungen fände sie keine Anwendung. Dies würde auf eine Ungleichbehandlung von Gruppenpraxen hinauslaufen. Eine Interpretation der Honorarregelung führe zu dem Ergebnis, dass die normierten Degressionsschwellen für jeden in einer Gruppenpraxis tätigen Facharzt getrennt zu berechnen seien. In einer Gruppenpraxis mit vier Gesellschaftern wäre daher die Deckelung erst ab der 285. Untersuchung (4 x 71 = 284) vorzunehmen. Es stelle sich zudem die Frage, ob es zulässig sei, dass ein Gruppenpraxengesamtvertrag hinsichtlich der Honorierung auf eine bereits für Einzelordinationen abgeschlossene Honorarordnung verweise, oder ob es nicht zwingend notwendig sei, einen gesonderten Vertrag abzuschließen. In der Literatur werde es als unzulässig angesehen, ohne gesonderte Beurteilung der Kostensituation die für Einzelpraxen geltenden Honorarordnungen auch für Gruppenpraxen anzuwenden. Der GPGV sehe keine speziellen Regelungen für Gruppenpraxen hinsichtlich der Honorierung vor. Seine Honorarordnung bzw. der gesamte GPGV seien nichtig.

10 § 49 Abs. 1 des zwischen der Österreichischen Ärztekammer einerseits und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger für die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (die mitbeteiligte Partei) andererseits geschlossenen Gruppenpraxengesamtvertrages vom 1. April 2011 (GPGV) lautet samt Überschrift:

„§ 49

Honorierung der Vertragsgruppenpraxis

(1) Die Honorierung der Vertragsgruppenpraxis erfolgt nach den Bestimmungen der Honorarordnung (Anlage 1), die integrierender Bestandteil dieses Gruppenpraxengesamtvertrages ist.“

11 Punkt XII. der Honorarordnung für Ärzte für Allgemeinmedizin und Fachärzte („Anlage 1“) nach dem Stand vom 1. April 2011 lautet auszugsweise:

„XII. Sonographische Untersuchungen

1. Die im Leistungskatalog angeführten sonographischen Untersuchungen können gegenüber der BVA von Vertragsärzten verrechnet werden, deren Sonderfach in entsprechender Abkürzung bei der jeweiligen Position angeführt ist und die zur Verrechnung gegenüber der BVA gemäß Punkt 3. berechtigt sind.

(...)

5. Sonographische Untersuchungen durch Fachärzte für Gynäkologie, Innere Medizin, Radiologie und Urologie werden mit 70% des entsprechenden Eurowertes honoriert, wenn die Anzahl der vom Arzt innerhalb eines Abrechnungsmonats abgerechneten Sonographieuntersuchungen die nachstehenden Werte übersteigt

- Fachärzte für Gynäkologie 27

- Fachärzte für Innere Medizin 45

- Fachärzte für Radiologie 71

- Fachärzte für Urologie109

Nach Ablauf eines Jahres erfolgt eine Endabrechnung auf Basis des Jahreswertes im Ausmaß des 12fachen Monatswertes.

(...)“

12 Der vorliegende GPGV wurde iSd § 338 Abs. 1 ASVG in schriftlicher Form abgeschlossen. Bei der „Anlage 1“, auf die § 49 Abs. 1 GPGV verweist, handelt es sich nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien um die „Honorarordnung für Ärzte für Allgemeinmedizin und Fachärzte“, die einen integrierenden Bestandteil des GPGV bilde. Diese Honorarordnung ist nach dessen § 27 Abs. 1 wesentlicher Bestandteil des zwischen der Österreichischen Ärztekammer und der mitbeteiligten Partei abgeschlossenen Gesamtvertrags, der die Beziehungen zwischen der mitbeteiligten Partei und den freiberuflich tätigen Ärzten regelt. Sie liegt mittlerweile in den Fassungen 1. April 2011, 1. Februar 2015 und 1. Juli 2016 vor. Die genannte Honorarordnung (in ihrer jeweiligen, auch von den Vertragsparteien des GPGV vereinbarten Fassung) bildet sohin iSd § 342 Abs. 2 ASVG einen Bestandteil des GPGV.

13 Gemäß § 342 Abs. 2 ASVG sind die Vereinbarungen über die Vergütung der ärztlichen Leistungen jeweils in den Honorarordnungen für Einzelordinationen und für Gruppenpraxen zusammenzufassen; diese bilden einen Bestandteil der jeweiligen Gesamtverträge. Gemäß § 342a Abs. 1 ASVG sind in den Gesamtverträgen für Vertrags‑Gruppenpraxen spezielle Regelungen insbesondere im Hinblick auf deren Honorierung vorzusehen und es müssen ‑ wie sich aus § 342 Abs. 2 ASVG ergibt ‑ getrennte Honorarordnungen für Einzelordinationen und Gruppenpraxen bestehen.

14 Diesen Bestimmungen wird nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes im vorliegenden Fall formal insofern entsprochen, als entsprechend trennbare Vereinbarungen (wenn auch teilweise durch gemeinsamen Verweis auf weitere Vereinbarungen in anderen Schriftstücken) existieren. Es ist nicht erkennbar, dass Gesamtverträge bzw. Honorarordnungen nur deshalb gesetzwidrig bzw. (teil)nichtig sein sollen, weil sie nach dem Willen der Parteien im Ergebnis gleich lauten, sofern sie für die hier zu beurteilende Honorierung sonographischer Untersuchungen den in §§ 341 ff ASVG niedergelegten inhaltlichen Erfordernissen Genüge tun, was im vorliegenden Fall nicht bestritten wurde (vgl. aber zur im Schrifttum erörterten Unzulässigkeit, auf Gruppenpraxen generell und ohne Abschläge die für Einzelpraxen geltende Honorarordnung anzuwenden und damit die Wirtschaftlichkeitspotentiale für den Krankenversicherungsträger ungenutzt zu lassen, Kletter in Sonntag ASVG8 Rz 29 zu § 342a, sowie Kneihs/Mosler in SV‑Komm § 342a, Rz 7ff). Es ist vorliegend auch kein Fall iSd § 342a Abs. 2 ASVG zu beurteilen, wonach Leistungen von Gruppenpraxen, in denen mehrere Fachrichtungen vertreten sind, jedenfalls nach Pauschalmodellen (zB Fallpauschalen) zu honorieren wären.

15 Strittig ist, wie Punkt XII. der gegenständlichen Honorarordnung auszulegen ist, wenn der Vertragspartner nicht ein Vertragsarzt, sondern eine Gruppenpraxis ist. Bei den Regelungen eines Gesamtvertrages ist zwischen den schuldrechtlichen Vereinbarungen zwischen den Parteien des Gesamtvertrages und den normativen, die Vertragsärzte bzw. Gruppenpraxen bindenden Regelungen zu unterscheiden. Die Auslegung des normativen Teiles des Gesamtvertrages erfolgt nach § 6 und § 7 ABGB.

16 § 49 GPGV sowie die in ihm erwähnte Honorarordnung gehören dem normativen Teil des Gesamtvertrages an. Die Auslegung hat in erster Linie nach dem Wortsinn zu erfolgen. Die Motive der am Abschluss mitwirkenden Personen (bzw. deren Vernehmung darüber) sind für die Auslegung eines Gesamtvertrages irrelevant, wenn sie nicht im Normtext ihren Ausdruck finden. Für die Auslegung des Gesamtvertrages hat seine bisherige Handhabung bzw. Vollziehung keine Bedeutung. Es besteht auch kein schützenswertes Vertrauen auf den Fortbestand einer Vertragsübung. Bei Ergebnislosigkeit der Gesetzesauslegung im Sinn des § 6 ABGB ist eine Lückenfüllung (§ 7 ABGB) unzulässig, wenn ‑ gemessen am Regelungszweck des Gesamtvertrages und in systematischer Betrachtung seiner Regelungen ‑ nicht sicher vom Vorliegen einer planwidrigen Lücke ausgegangen werden kann, sondern mehr dafür spricht, dass die Gesamtvertragsparteien keine Einigung erzielen konnten oder den Gegenstand nicht regeln wollten (vgl. Kletter in Sonntag ASVG8 § 342 ASVG, Rz 2ff).

17 Vorauszuschicken ist, dass die Qualität des vorliegenden GPGV in legislativer Hinsicht im Vergleich zu anderen derartigen Verträgen erhebliche Verbesserungspotentiale aufweist. Seine Auslegung erfolgt im Rahmen des vorliegenden Verfahrens lediglich im Rahmen der Vorfrage (vgl. die Zuständigkeit der Landesschiedskommission zur Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Parteien eines Gesamtvertrages über die Auslegung eines bestehenden Gesamtvertrages iSd § 345 Abs. 2 Z 2 ASVG). Die Erwägungen des Verwaltungsgerichtshofes sind darauf ausgerichtet, den vorliegenden Honorarstreit im Rahmen des streitgegenständlichen Parteienvorbringens zu beurteilen. Aus Punkt XII.5. der gegenständlichen Honorarordnung iZm der Verweisung durch § 49 Abs. 1 GPGV ist gerade noch abzuleiten, dass die Bestimmungen der Honorarordnung nicht nur für Einzelvertragsärzte, sondern auch für Vertragsgruppenpraxen gelten sollen. Bei Anwendung der Honorarordnung auf ein Vertragsverhältnis mit einer Gruppenpraxis hat letztere an die Stelle der in der Honorarordnung an sich genannten „Ärzte für Allgemeinmedizin“ bzw. „Fachärzte“ zu treten. Im Hinblick auf den hier zu beurteilenden Honoraranspruch iSd Punktes XII.5. der Honorarordnung hat das zur Folge, dass die mitbeteiligte Versicherungsanstalt der Vertragsgruppenpraxis für eine sonographische Untersuchung, die ein behandelnder Gesellschafter gegenüber einem Anspruchsberechtigten erbringt, das sich aus der Honorarordnung ergebende Honorar zu bezahlen hat.

18 Was allerdings die in der Honorarordnung vorgesehene Deckelung dieser Ansprüche mit 70% ab einer gewissen Anzahl von Untersuchungen betrifft (ab der 27. für Fachärzte für Gynäkologie, ab der 45. für Fachärzte für Innere Medizin, ab der 71. für Fachärzte für Radiologie und ab der 109. für Fachärzte für Urologie), so ist diese nach ihrem eindeutigen Wortlaut („... der vom Arzt ... abgerechneten Sonographieuntersuchungen ...“ nicht auf die Vertragsgruppenpraxis als Ganzes, sondern auf die in ihr tätigen einzelnen „Fachärzte“ zu beziehen. Die Honorarordnung stellt bei der Deckelung nicht auf eine Ordination, sondern auf den Tätigkeitsumfang eines bestimmten Facharztes ab. Für verschiedene Fachärzte wurden verschiedene Degressionsgrenzen festgesetzt. Die Honorarordnung berücksichtigt offenbar, dass bei jedem Facharzt in einer bestimmten, dem Versorgungsauftrag Rechnung tragenden Grundauslastung mit derartigen Untersuchungen zu rechnen ist, und dass das Regulativ der Deckelung sowohl was die Kosten als auch was die Beurteilung der Notwendigkeit derartiger Untersuchungen betrifft erst ab der jeweils angegebenen Fallzahl eingreifen soll. Die Ausgewogenheit dieses Regulativs würde in unsachlicher Weise verzerrt, würde man den in einer Vertragsgruppenpraxis tätigen Fachärzten eine umso geringere Grundauslastung zugestehen, je mehr Gesellschafter tätig sind.

19 Abweichend von der dem Antrag zu Grunde liegenden Auffassung (der eine Gesamtgrenze von 71 multipliziert mit der jeweiligen Anzahl der Gesellschafter der Gruppenpraxis iSd § 52a Abs. 3 Z 1 Ärztegesetz 1998 vor Augen hatte) hat die betreffende Gruppenpraxis für die vom einzelnen Gesellschafter oder auf dessen Anweisung und unter dessen Verantwortung von dazu befugten Hilfskräften vorgenommenen sonographischen Untersuchungen einen Honoraranspruch von 100 % des in der Honorarordnung vorgesehenen Betrages, so lange die Zahl der diesem zuzurechnenden Untersuchungen innerhalb eines Abrechnungsmonats die in Punkt XII.5. der Honorarordnung für Fachärzte für Radiologie vorgesehene Grenze von 71 noch nicht überschritten hat. Die betreffende Gruppenpraxis hat im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht das Vorliegen dieser Voraussetzung nachzuweisen.

20 Da das Verwaltungsgericht dies verkannte, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

21 Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.

Wien, am 30. Jänner 2018

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