Normen
AVG §52 Abs1;
AVG §52;
AVG §73 Abs2;
B-VG Art130 Abs1 Z3;
EisenbahnG 1957 §48 Abs4;
VwGVG 2014 §8 Abs1;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RO2017030033.J00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Schriftsatz vom 3. September 2015 (eingelangt am 7. September 2015) beantragte die Revisionswerberin beim Landeshauptmann von Oberösterreich (im Folgenden: belangte Behörde) eine näher umschriebene Entscheidung über die Kostentragung gemäß § 48 Abs. 3 EisbG.
2 Da über diesen Antrag keine Entscheidung erging, erhob die Revisionswerberin mit Schriftsatz vom 15. Juli 2016 Säumnisbeschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (LVwG), die mit dem angefochtenen Erkenntnis gemäß § 8 Abs. 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen wurde. Die Revision erklärte das LVwG für zulässig.
3 Begründend führte das LVwG aus, eine Säumnisbeschwerde sei abzuweisen, wenn die Verzögerung der Erledigung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen sei. Davon sei im vorliegenden Fall auszugehen: Nach mehreren Verfahrensschritten, welcher Umstand zumindest keine Untätigkeit der belangten Behörde zu begründen vermöge, sei der Antrag der Revisionswerberin schließlich mit Schreiben vom 15. Februar 2016 an die Schieneninfrastruktur-Dienstleistungsgesellschaft mbH mit dem Ersuchen um Erstattung eines Gutachtens gemäß § 48 Abs. 4 EisbG weitergeleitet worden. Ab diesem Zeitpunkt habe die belangte Behörde das Gutachten dieser Kommission - ohne weitere Tätigkeit ihrerseits - abgewartet. Somit habe es zwar keine Urgenzen der belangten Behörde zur Erlangung des Gutachtens gegeben, allerdings hätten solche Urgenzen nach Lage der Dinge nahezu mit Gewissheit nichts an der Säumnis geändert. Wie sich aus einem Telefonat der belangten Behörde mit dem Vorsitzenden der Sachverständigenkommission am 28. Juli 2016 nämlich ergeben habe, sei die Kommission im Zeitpunkt der Säumnisbeschwerde mit anderen Verfahren gemäß § 48 Abs. 2 bis 4 EisbG im Rückstand gewesen, welche vor dem gegenständlichen Antrag auf Kostenentscheidung eingebracht worden seien. Der Vorsitzende habe der belangten Behörde mitgeteilt, dass er sich bemühen werde, noch im Jahr 2016 die Kommission einzuberufen und ein Gutachten zu erstellen. Da die Kommission gesetzlich vorgesehen sei, sei es für die belangte Behörde auch nicht möglich gewesen, sich eines anderen Sachverständigen zu bedienen. Sie habe auch keine Möglichkeit gehabt, auf die Reihenfolge der Abwicklung der anhängigen Verfahren in der Kommission Einfluss zu nehmen. Die Verzögerung der Schieneninfrastruktur-Dienstleistungsgesellschaft mbH bzw. der von ihr geführten Sachverständigenkommission könne auch nicht der Sphäre der belangten Behörde zugerechnet werden. Zusammenfassend könne festgestellt werden, dass für die belangte Behörde eine Entscheidung vor dem Einlangen der Säumnisbeschwerde auch bei zweckentsprechender und zügiger Verfahrensführung nicht möglich gewesen wäre und die belangte Behörde daher kein überwiegendes Verschulden für die gegenständliche Verzögerung des Verfahrens treffe.
4 Da es zur Zurechnung der Säumnis einer Sachverständigenkommission, wie sie im EisbG vorgesehenen sei, an die belangte Behörde keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gebe, sei die ordentliche Revision zuzulassen gewesen.
5 Gegen dieses Erkenntnis des LVwG erhob die Revisionswerberin Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, deren Behandlung mit dg. Beschluss vom 8. Juni 2017, E 3024/2016-13, abgelehnt und die dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten wurde. Begründend hegte der Verfassungsgerichtshof gegen die für die Verwaltungsbehörde in § 48 Abs. 4 EisbG angeordnete Einholung eines Gutachtens einer speziellen dafür eingerichteten Sachverständigenkommission in einem Verfahren über die Kostentragung gemäß § 48 Abs. 3 EisbG keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Es liege im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, die zwingende Befassung einer Kommission als Sachverständiger vorzusehen. Im Übrigen habe die Eisenbahnbehörde bei der Erlassung ihrer Entscheidung das Gutachten entsprechend zu würdigen und sei an dieses nicht gebunden.
6 In der vorliegenden Revision macht die Revisionswerberin - zusammengefasst - geltend, die Säumnis der Sachverständigenkommission sei der belangten Behörde entgegen der Rechtsansicht des LVwG zuzurechnen. Die belangte Behörde habe auch ihre Urgenzpflicht verletzt.
7 Die belangte Behörde erstattete trotz Aufforderung des LVwG keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 Die Revision ist im Sinne der Zulassungsbegründung des LVwG
zulässig; sie ist auch begründet.
9 Gemäß § 8 Abs. 1 VwGVG kann Beschwerde wegen Verletzung der
Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) erhoben werden, wenn die Behörde die Sache (ausgenommen kürzerer oder längerer gesetzlicher Entscheidungsfristen) nicht innerhalb von sechs Monaten entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Frage des "überwiegenden Verschuldens der Behörde" in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, dass diese Wendung nicht im Sinne eines Verschuldens von Organwaltern der Behörde, sondern insofern "objektiv" zu verstehen sei, als ein solches "Verschulden" dann anzunehmen sei, wenn die zur Entscheidung berufene Behörde nicht durch schuldhaftes Verhalten der Partei oder durch unüberwindliche Hindernisse an der Entscheidung gehindert war. Der Verwaltungsgerichtshof hat ein überwiegendes Verschulden der Behörde darin gesehen, dass diese die für die zügige Verfahrensführung notwendigen Schritte unterlässt oder mit diesen grundlos zuwartet. Der allgemeine Hinweis auf die Überlastung der Behörde kann die Geltendmachung der Entscheidungspflicht nicht vereiteln (vgl. etwa VwGH 25.10.2017, Ra 2017/07/0073, mwN).
11 Im vorliegenden Fall war die sechsmonatige Entscheidungsfrist zwischen Einlangen des Antrags der Revisionswerberin bei der belangten Behörde (am 7. September 2015) und Einbringung der Säumnisbeschwerde mit Schriftsatz vom 15. Juli 2016 - unbestritten - bereits abgelaufen.
12 Strittig ist jedoch, ob die belangte Behörde an dieser Säumnis ein (überwiegendes) Verschulden traf. Ein solches wurde vom LVwG zusammengefasst mit der Begründung verneint, dass die belangte Behörde gemäß § 48 Abs. 4 EisbG verpflichtet war, sich bei der Kostenfestsetzung des Gutachtens einer Sachverständigenkommission zu bedienen, die jedoch ihr Gutachten bis zur Einbringung der Säumnisbeschwerde nicht erstattet habe. Deren Verzögerung könne der belangten Behörde nicht zugerechnet werden; eigene Säumnis sei der belangten Behörde nicht anzulasten, weil Urgenzen bei der Sachverständigenkommission im Ergebnis zu keiner Beschleunigung der Erledigung geführt hätten.
13 Diese Rechtsansicht wird vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt:
14 Zu Recht weist die Revisionswerberin darauf hin, dass der Verwaltungsgerichtshof vergleichbare Gutachterkommissionen, derer sich eine Verwaltungsbehörde nach den gesetzlichen Vorgaben zu bedienen hat, als Amtssachverständige qualifiziert hat, die einer Behörde im Sinne des § 52 Abs. 1 AVG zur Verfügung stehen (vgl. etwa zur Gutachterkommission nach § 22 Stadterneuerungsgesetz: VwGH 7.12.1993, 93/05/0119; 20.9.1994, 94/05/0129; 29.11.1994, 94/05/0149).
15 Grundsätzlich wäre es daher nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Aufgabe der belangten Behörde gewesen, mit diesem Sachverständigen sachlich begründete Termine zur Ablieferung des Gutachtens zu vereinbaren und deren Einhaltung zu überwachen und bei Säumigkeit entsprechende Schritte zu setzen (vgl. etwa die in Hengstschläger/Leeb, AVG § 73 Rz 131, zitierten Hinweise auf die hg. Judikatur).
16 Wenn das LVwG argumentiert, die belangte Behörde habe gegen die Säumigkeit der Gutachterkommission keine Abhilfe schaffen können, weil sie deren Abläufe nicht habe beeinflussen können und gleichzeitig deren Gutachten habe abwarten müssen, vermag dies eine Verweigerung des Säumnisschutzes nicht zu rechtfertigen. Sieht das Gesetz nämlich ausdrücklich vor, dass sich die Behörde eines bestimmten Amtssachverständigen bedienen muss, um die Voraussetzungen für eine Entscheidung zu schaffen, so muss dessen Verhalten der behördlichen Sphäre zugerechnet werden, und es kann in einer solchen Konstellation nicht davon gesprochen werden, dass die Behörde durch ein unüberwindliches Ereignis an der Entscheidung gehindert war. Zutreffend zieht die Revision insoweit Parallelen zu jenen in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung bereits behandelten Fällen, in denen überbzw. untergeordnete Behörden sich hinsichtlich der Frage der Säumnis das hierfür bedeutsame Verhalten der jeweils anderen Behörde zurechnen lassen müssen, wie etwa, wenn eine zur Entscheidung notwendige Studie erst verspätet durch die Oberbehörde übermittelt wird oder die Oberbehörde der Unterbehörde einen für deren Entscheidung maßgeblichen Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes nicht zur Kenntnis gebracht hat. Auch vermag es eine Behörde nicht zu entlasten, wenn eine andere Behörde die Übermittlung von Verfahrensakten abgelehnt oder verzögert hat und deshalb Säumnis eintritt. Auch Verzögerungen durch eine an der Entscheidung mitwirkungsbefugte Behörde führen grundsätzlich nicht zur Entlastung der entscheidenden Behörde in Bezug auf ihre Entscheidungspflicht (vgl. auch dazu Hengstschläger/Leeb, AVG § 73 Rz 133, mwN). Nichts Anderes kann aber gelten, wenn die Behörde sich, wie im Falle des § 48 Abs. 4 EisbG, aufgrund gesetzlicher Vorgaben einer bestimmten Gutachterkommission bedienen muss, deren Säumnis die Entscheidung verzögert.
17 Dass die Gutachterkommission selbst im vorliegenden Fall aufgrund von unüberwindlichen Hindernissen an der Erstattung des Gutachtens gehindert gewesen wäre, lässt sich dem angefochtenen Erkenntnis nicht entnehmen. In diesem Zusammenhang ist (nochmals) auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die Überlastung einer Behörde oder - wie hier - eines Amtssachverständigen grundsätzlich nicht geeignet ist, als unüberwindliches Ereignis, das einer behördlichen Entscheidung entgegen steht, akzeptiert zu werden.
18 Zusammenfassend erweist sich somit die Rechtsauffassung des LVwG, die belangte Behörde treffe kein (überwiegendes) Verschulden an der Säumnis, auf der Grundlage des zuvor Gesagten als unrichtig.
19 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
20 Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 20. März 2018
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)