VwGH Ra 2017/18/0086

VwGHRa 2017/18/008630.6.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wech, über die Revision

1. des A P, 2. der N A, und 3. des M P, alle in R, alle vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 1. Februar 2017,

  1. 1) Zl. L523 1436960-3/8E, 2) Zl. L523 1436959-3/8E und
  2. 3) Zl. L523 1436808-3/8E, betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §8 Abs1;
MRK Art3;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind verheiratet und die Eltern des volljährigen Drittrevisionswerbers; alle sind armenische Staatsangehörige. Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin stellten am 15. April 2013, der Drittrevisionswerber am 13. Mai 2013 den ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Als Fluchtgrund gaben sie zusammengefasst an, der Erstrevisionswerber sei mit seinem Autohandel in Armenien ins Visier der Mafia gekommen und einer Schutzgelderpressung ausgesetzt gewesen. Die Familie sei infolge mit dem Umbringen bedroht worden. Von der Polizei hätten sie keinen Schutz erwarten können.

2 Mit Bescheiden des Bundesasylamtes (nunmehr: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) vom 8. Juli 2013 wurden die Anträge gemäß §§ 3 und 8 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) abgewiesen und die revisionswerbenden Parteien gemäß § 10 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden jeweils mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 21. Oktober 2013 als unbegründet abgewiesen und die Entscheidungen erwuchsen in Rechtskraft.

3 Am 12. Dezember 2013 stellten die revisionswerbenden Parteien die gegenständlichen Folgeanträge und brachten zusammengefasst vor, die eigentlichen Fluchtgründe seien die Probleme des Drittrevisionswerbers gewesen, welche die ganze Familie beträfen. Der Drittrevisionswerber habe 2011 beim Militär gemeinsam mit einem Freund einen Mord an einem Soldaten beobachtet. Die Täter seien Offiziere gewesen. Im März 2013 habe der Drittrevisionswerber eine gerichtliche Ladung bekommen, um über den beobachteten Mord auszusagen. Der beim Vorfall beteiligte Offizier habe den Drittrevisionswerber in weiterer Folge telefonisch bedroht.

4 Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 30. Jänner 2015 wurden die Folgeanträge gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Den dagegen erhobenen Beschwerden wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7. April 2015 stattgegeben und die Bescheide gemäß § 28 VwGVG wegen Ermittlungsmängeln behoben, da zum veränderten Gesundheitszustand des Erstrevisionswerbers - dieser hatte 2014 einen Schlaganfall erlitten - Feststellungen zur Nachbehandlungsbedürftigkeit fehlten.

5 Nach neuerlicher Einvernahme der revisionswerbenden Parteien wurden die Anträge auf internationalen Schutz mit Bescheiden des BFA vom 2. September 2016 hinsichtlich des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen, keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG jeweils eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Armenien zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV.) und einer Beschwerde werde gemäß § 18 Abs. 1 Z 6 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).

6 Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

7 Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit im Wesentlichen vorgebracht wird, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG abgewichen, indem es die positiven Aspekte, nämlich das erreichte hohe Niveau der deutschen Sprache, die tiefen sozialen Bindungen und Freundschaften, die fehlenden Bindungen zu Armenien und die Unbescholtenheit, negativ auslege. Auch habe das BVwG keine behördenseitige Verzögerung erkannt, obwohl das Verfahren bereits seit 2013 laufe. Das BVwG habe gegen die Ermittlungspflicht verstoßen und die Entscheidung leide unter Feststellungsmängeln, da entgegen dem Akteninhalt festgestellt worden sei, dass der Erstrevisionswerber in Armenien die notwendige medizinische Behandlung erhalten werde. Die veralteten Anfragebeantwortungen, welche die ausreichende Erhältlichkeit der Medikamente bejahten, hätten wegen der widersprechenden Länderfeststellungen mit Stand 2016 überprüft werden müssen. Zudem weiche das BVwG bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit der revisionswerbenden Parteien von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Der Drittrevisionswerber habe seinen Militärdienst nachvollziehbar, detailliert und chronologisch schildern können und die Länderfeststellungen bestätigten ebenfalls die herrschende Korruption in Justiz und Politik. Lediglich aufgrund eines kleinen Widerspruchs sei ihm letztlich gänzlich die Glaubwürdigkeit abgesprochen worden.

8 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 Soweit die revisionswerbenden Parteien die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG monieren, ist auszuführen, dass eine Interessenabwägung als einzelfallbezogene Beurteilung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH vom 11. Oktober 2016, Ra 2016/01/0025).

13 Das Verwaltungsgericht berücksichtigte in seiner Entscheidung als Stärkung der persönlichen Interessen die Deutschkenntnisse der revisionswerbenden Parteien, ihre Bemühungen sich sprachlich zu integrieren, die Tätigkeit des Drittrevisionswerbers im Sportverein und im Lionsclub, seinen Schulbesuch, die Chorteilnahme der Zweitrevisionswerberin, den bereits aufgebauten Freundeskreis der revisionswerbenden Parteien in Österreich sowie deren gemeinnützige und karitative Tätigkeiten. Zu Ungunsten der revisionswerbenden Parteien wertete das Verwaltungsgericht den relativ kurzen Aufenthalt im Bundesgebiet seit April beziehungsweise Mai 2013, deren Kenntnis über den unsicheren Aufenthaltsstatus, deren unberechtigte Asylanträge sowie ihre noch bestehenden Bindungen zum Herkunftsstaat, zumal die revisionswerbenden Parteien den überwiegenden Teil ihres Lebens in Armenien verbracht hätten, dort sozialisiert, ausgebildet und berufstätig gewesen seien, die dortige Sprache beherrschten und über Bezugspersonen verfügen würden. Welche integrationsbegründenden Umstände das Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt hätte, wodurch es zu einer anderen Entscheidung hätte kommen können, und inwiefern keine verfahrensrechtlich einwandfreie Grundlage für eine Interessenabwägung vorliege oder in unvertretbarer Weise von den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen abgewichen worden sei, legt die Revision nicht substantiiert dar.

14 Zum Gesundheitszustand des Erstrevisionswerbers ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof unter Hinweis auf die einschlägige Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte bereits erkannt hat, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in Österreich zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung in seinem Herkunftsstaat nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, soweit der Betroffene tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung hat. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt eine Abschiebung in den Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK.

15 Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Herkunftsstaat oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. etwa VwGH vom 22. März 2017, Ro 2017/18/0001, und VwGH vom 21. Februar 2017, Ra 2017/18/0008 bis 0009, unter Verweis auf das Urteil des EGMR vom 13. Dezember 2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien).

16 Das BVwG bejahte unter Heranziehung aktueller Länderberichte und unter Verweis auf zahlreiche Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation sowohl das Vorhandensein der notwendigen medizinischen Behandlungen und der Medikamente im Herkunftsstaat als auch den tatsächlichen Zugang zu diesen. Es setzte sich mit den finanziellen Verhältnissen und Lebensumständen der revisionswerbenden Parteien auseinander und kam zum Ergebnis, dass die notwendige medizinische Versorgung sowie die Medikamente beziehungsweise eine adäquate Alternativmedikation auch tatsächlich verfügbar seien. Soweit die Revision die Verfügbarkeit der vom Erstrevisionswerber benötigten Medikamente unsubstantiiert in Zweifel zieht, vermag sie eine Unschlüssigkeit der diesbezüglichen Beweiswürdigung des BVwG - unter Berücksichtigung der aktenkundigen Länderberichte - nicht aufzuzeigen.

17 Zur Beweisrüge der Revision in Bezug auf das Fluchtvorbringen ist im Übrigen festzuhalten, dass diese im Allgemeinen nicht revisibel ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt in diesem Zusammenhang nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. VwGH vom 6. September 2016, Ra 2016/18/0192, mwN). Das Fluchtvorbringen der revisionswerbenden Parteien im Folgeantrag wurde vom BVwG - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit vertretbarer und nicht als unschlüssig zu erkennender Begründung als unglaubhaft beurteilt. Dass und wodurch dem BVwG ein derartiger krasser Fehler der Beweiswürdigung unterlaufen wäre, wird in der Revision nicht aufgezeigt.

18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 30. Juni 2017

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