VwGH Ra 2017/08/0107

VwGHRa 2017/08/010713.12.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der J P in Wien, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 12/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. August 2017, Zl. W216 2136433- 1/4E, W216 2136433-2/5E, betreffend Einstellung, Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Wien Schönbrunner Straße), zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §6;
MRK Art6;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis sprach das Bundesverwaltungsgericht - in Bestätigung entsprechender Bescheide des Arbeitsmarktservice (AMS) - aus, dass zum einen gemäß § 24 Abs. 1 in Verbindung mit § 38 AlVG der Notstandshilfebezug der Revisionswerberin eingestellt werde und zum anderen gemäß § 24 Abs. 2 in Verbindung mit § 38 AlVG die Zuerkennung der Notstandshilfe für den Zeitraum 20. März 2016 bis 30. April 2016 widerrufen werde sowie gemäß § 25 Abs. 1 in Verbindung mit § 38 AlVG die unberechtigt empfangene Notstandshilfe in Höhe von EUR 978,18 zurückzuzahlen sei.

2 Dem lag zugrunde, dass das Bundesverwaltungsgericht vom Bestehen einer - dem AMS nicht bekannt gegebenen - Lebensgemeinschaft zwischen der Revisionswerberin und Herrn G. ausging. Die Revisionswerberin hatte diese Lebensgemeinschaft in der Beschwerde bestritten. Diesem Vorbringen schenkte das Bundesverwaltungsgericht in einer umfangreichen Beweiswürdigung keinen Glauben. Von der ausdrücklich beantragten mündlichen Verhandlung sah das Bundesverwaltungsgericht ab, weil die Voraussetzungen des § 24 Abs. 4 VwGVG vorlägen.

3 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch das AMS in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

4 Die Revisionswerberin macht unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung geltend, dass das Bundesverwaltungsgericht in Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterlassen habe.

5 Damit ist sie im Recht, sodass sich die Revision als zulässig und berechtigt erweist.

6 Im vorliegenden Fall war die Frage des Bestehens einer Lebensgemeinschaft zwischen der Revisionswerberin und Herrn G. strittig. Das dazu erstattete Beschwerdevorbringen sowie die niederschriftlichen Aussagen von Herrn G. und dessen Mutter vor dem AMS erachtete das Bundesverwaltungsgericht nicht als glaubwürdig.

7 Es gehört aber gerade im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts, dem auch in § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen und sich als Gericht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl. etwa VwGH 16.5.2017, Ra 2017/08/0026, mwN).

8 Bei Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung handelt es sich um "civil rights" im Sinn des Art. 6 EMRK. Die Relevanz des Verfahrensmangels der Unterlassung der Durchführung einer Verhandlung war daher nicht zu prüfen (vgl. etwa VwGH 7.8.2017, Ra 2016/08/0171, mwN).

9 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

10 Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da die Eingabegebühr nur einfach zu entrichten war.

Wien, am 13. Dezember 2017

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