VwGH Ra 2016/08/0171

VwGHRa 2016/08/01717.8.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Strohmayer und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des Mag. S B in Wien, vertreten durch Dr. Raoul G. Wagner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rathausstraße 15 gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30. September 2016, W209 2123433- 1/5E betreffend Notstandshilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Wien, Schloßhofer Straße), zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §6;
MRK Art6;
VwGVG 2014 §24 Abs4;
VwGVG 2014 §24;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Erkenntnis hat das Bundesverwaltungsgericht dem Revisionswerber gemäß §§ 33 und 36 Abs. 3 lit. b AlVG sowie §§ 1, 2 und 6 der Notstandshilfeverordnung ab 1. Oktober 2015 Notstandshilfe in der Höhe von EUR 21,49 täglich zuerkannt.

2 Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, der Revisionswerber bewohne gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin eine von ihm gemietete Wohnung. Die Behauptung des Revisionswerbers, es bestehe keine Lebensgemeinschaft, sondern eine reine Wohngemeinschaft, erachtete es nicht als glaubhaft. Bei Bemessung der Höhe der Notstandshilfe des Revisionswerbers sei daher das Einkommen seiner Lebensgefährtin zu berücksichtigen und der sich ergebende anzurechnende Betrag von der Leistung in Abzug zu bringen. Der festgestellte Sachverhalt sei aus der Aktenlage hinreichend geklärt, sodass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht erforderlich sei.

3 Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision. Die belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie die Abweisung der Revision beantragt.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

4 Der Revisionswerber bringt unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG unter anderem vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung trotz seines Antrages in der Beschwerde abgesehen habe.

5 Die Revision ist aus dem genannten Grund zulässig und berechtigt.

6 Der Revisionswerber hat die Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch das Verwaltungsgericht beantragt. Daher durfte das Verwaltungsgericht im Sinn des § 24 Abs. 4 VwGVG von der Verhandlung nur dann absehen, wenn die Akten erkennen ließen, dass durch die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstanden.

7 Der Revisionswerber hat die der Annahme des Bestehens einer Lebensgemeinschaft zu Grunde liegenden Feststellungen der belangten Behörde bestritten.

8 Es gehört gerade im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts, dem auch im § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen und sich als Gericht im Rahmen einer (bei Geltendmachung von "civil rights" in der Regel auch von Amts wegen durchzuführenden) mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 11. November 2016, Ra 2016/08/0089, mwN).

9 Bei Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung handelt es sich um "civil rights" im Sinn des Art. 6 EMRK (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. November 2016, Ra 2016/08/0142, mwN). Die Relevanz des Verfahrensmangels der Unterlassung der Durchführung einer Verhandlung war daher nicht zu prüfen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 4. November 2016, Ra 2016/05/0014, und vom 2. März 2017, Ra 2017/08/0004, jeweils mwN).

10 Da die Unterlassung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung somit auf einer Verkennung der Vorgaben des § 24 VwGVG beruhte, war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

11 Die Zuerkennung von Aufwandersatz im beantragten Ausmaß beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013. Wien, am 7. August 2017

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