VwGH Ra 2016/20/0022

VwGHRa 2016/20/002218.5.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Straßegger, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Christl, über die Revision des A A K K in W, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 9. Dezember 2015, Zl. L514 1316891-2/32E, betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §11;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §34 Abs3;
AsylG 2005 §8 Abs1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
MRK Art2;
MRK Art3;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2016200022.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, reiste am 9. November 2007 im Rahmen einer Familienzusammenführung legal nach Österreich ein, wo sein Vater für ihn als gesetzlicher Vertreter am 12. November 2007 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Zu den Fluchtgründen wurde zunächst auf die seines Vaters verwiesen.

2 Der am 12. August 2003 gestellte Asylantrag des Vaters des Revisionswerbers wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. März 2004 gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen, seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Irak gemäß § 8 AsylG 1997 als nicht zulässig festgestellt und es wurde ihm gemäß § 15 Abs. 1 iVm Abs. 3 AsylG 1997 eine bis 28. Februar 2005 befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

3 Im ersten Verfahrensgang wies das Bundesasylamt (BAA, nunmehr: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) mit Bescheid vom 4. Jänner 2008 den Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 1. März 2008.

4 In Erledigung der dagegen gerichteten Berufung behob der Unabhängige Bundesasylsenat (UBAS) mit Bescheid vom 17. März 2008 Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides und verwies die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das BAA zurück, weil sich das BAA mit der Konversion des Revisionswerbers vom Islam zum Christentum nicht auseinandergesetzt habe.

5 Im zweiten Verfahrensgang wies das BAA den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 3. Juli 2008 erneut gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab.

6 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Asylgerichtshof. Das Verfahren über die Beschwerde wurde gemäß § 75 Abs. 19 AsylG 2005 ab 1. Jänner 2014 vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu Ende geführt.

7 Mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis wies das BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 11 AsylG 2005 als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

8 Nach Wiedergabe des Verfahrensganges stellte das BVwG zur Person des Revisionswerbers u.a. fest, er sei in Bagdad aufgewachsen und habe sich im Dezember 2007 in Österreich taufen lassen, er lebe seine Religion jedoch in lediglich moderater Form aus, indem er ab und zu in die Kirche gehe und die christlichen Feste feiere.

9 Daran anschließend traf das BVwG Feststellungen zur Situation im Heimatland des Revisionswerbers, nach denen sich die Sicherheitslage im Irak Mitte 2014 dramatisch verschlechtert habe. Schwerpunkte terroristischer Aktivitäten seien Bagdad sowie die Provinzen Anbar, Ninawa, Salah al-Din und Diyala im Norden und Westen des Landes geblieben. Weite Teile dieser Provinzen seien nicht unter Kontrolle der Zentralregierung und 17 Millionen Menschen (53 Prozent der Bevölkerung) seien von Gewalt betroffen. Diese gehe überwiegend von der terroristischen Organisation Islamischer Staat (ISIS) aus. Nach dem Vorstoß von ISIS im Sommer 2014, der auch das christliche Kernland im Irak getroffen habe, seien zehntausende Christen in die Region Kurdistan-Irak geflohen. Christen und andere Minderheitenangehörige seien in der de iure kurdisch verwalteten Region grundsätzlich sicher. Im Zentralirak hingegen gebe es für diese Gruppe keine inländische Fluchtalternative. In Bagdad könnten Christen ein "relativ" normales Leben führen.

10 Beweiswürdigend führte das BVwG im Hinblick auf die Konversion des Revisionswerbers aus, dass sich dieser selbst als gemäßigt religiös bezeichne. Eine Konversion zum Christentum im Irak sei straflos und der Revisionswerber habe von staatlicher Seite keine Konsequenzen zu fürchten. Die Hauptsiedlungsgebiete der Minderheiten, darunter auch der chaldäischen und assyrischen Christen, lägen im Nordirak, welche im Sommer 2014 unter die Kontrolle von ISIS geraten seien, wobei es zu systematischer Verfolgung, Zwangskonversion, Massenvertreibungen sowie Verschleppungen gekommen sei. Besonders Jesiden und Christen seien Opfer von Gräueltaten geworden. Eine Verfolgung von Christen sei entsprechend den zugrunde gelegten Länderberichten in von ISIS dominierten Gebieten anzunehmen. Dies treffe jedoch auf den Revisionswerber, der aus Bagdad stamme, nicht zu.

11 Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das BVwG aus, eine gegen die Person des Revisionswerbers gerichtete Verfolgungsgefahr sei nicht glaubhaft gemacht worden. Im Übrigen sei es dem Revisionswerber möglich, sich bei Rückkehr im Nordirak niederzulassen, wo die Situation für Christen als ruhig und sicher bezeichnet werden könne.

 

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Revision nach Vorlage derselben und der Verfahrensakten durch das BVwG und nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:

13 Der Revisionswerber macht zur Zulässigkeit der Revision unter anderem geltend, das BVwG hätte sich mit der allgemeinen Situation von zum Christentum konvertierten Muslimen, insbesondere in der Herkunftsregion des Revisionswerbers Bagdad, auseinandersetzen müssen. Der Revisionswerber sei Konvertit und somit Apostat und das BVwG hätte ihm bei Berücksichtigung entsprechender aktueller Länderinformationen auch zur Herkunftsregion des Revisionswerbers als vom Islam abgefallenen Konvertiten Asyl gewähren müssen. Auch weiche die Entscheidung des BVwG von der hg. Rechtsprechung zur Begründungspflicht verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen ab.

14 Die Revision ist zulässig, sie ist auch begründet. 15 Nach der hg. Rechtsprechung zur Frage einer drohenden

Verfolgung von zum christlichen Glauben konvertierten Muslimen ist maßgeblich, ob der Revisionswerber bei weiterer Ausführung seines behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsse, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Juni 2015, Ra 2014/01/0117, mwN).

16 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben.

17 Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. zum Ganzen VwGH vom 21. Oktober 2014, Ro 2014/03/0076; daran anschließend etwa VwGH vom 20. Mai 2015, Ra 2015/20/0067, sowie vom 27. Juni 2016, Ra 2016/18/0055).

18 Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis gegen die ihm obliegende Begründungspflicht verstoßen:

19 Das BVwG stellte fest, dass der Revisionswerber Christ ist und aus Bagdad stammt, es legte seiner Entscheidung eine erfolgte Konversion zugrunde.

20 Das angefochtene Erkenntnis lässt jedoch fallbezogen ausreichend konkrete und widerspruchsfreie Feststellungen zur möglichen Verfolgung von Christen generell sowie von zum christlichen Glauben konvertierten Muslimen im Besonderen vermissen. Unter anderem trifft das BVwG etwa bloß allgemein gehaltene Feststellungen zur Herkunftsregion des Revisionswerbers in Bagdad, die weder Informationen zur Situation von Konvertiten enthalten, noch lassen sich der angefochtenen Entscheidung Feststellungen zur Apostasie entnehmen. Die im Rahmen der Beweiswürdigung getätigte Ausführung des BVwG, eine Konversion sei im Irak straflos, blieb ohne Quellenangabe und ersetzt nicht die gegenständlich gebotene eindeutige Sachverhaltsfeststellung über die Lage von vom Islam abgefallenen Muslimen in der Herkunftsregion des Revisionswerbers. Auch sind die Feststellungen zur Lage der Christen in Bagdad nicht ausreichend klar, werden doch ein das christliche Kernland im Irak betreffender Vorstoß von ISIS im Sommer 2014, der zur Flucht zehntausender Christen in die Region Kurdistan-Irak führte und den Zentralirak für diese Gruppe als inländische Fluchtalternative ausschloss, festgestellt und an anderer Stelle des Sachverhalts festgehalten, dass Christen in Bagdad ein relativ normales Leben führen könnten. Folglich entziehen sich die Überprüfung der widersprüchlichen Feststellungen und die rechtliche Beurteilung der Konversion oder Apostasie einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof.

21 Das BVwG wird daher im fortgesetzten Verfahren eindeutige und konkrete Feststellungen zum maßgebenden Sachverhalt zu treffen, die (weiteren) Ermittlungsergebnisse zu würdigen und zu beurteilen haben, ob dem Revisionswerber in Bagdad mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aufgrund seiner Konversion zum Christentum und einer Apostasie eine asylrelevante Verfolgung droht.

22 Soweit das BVwG eine innerstaatliche Fluchtalternative für den Revisionswerber im Nordirak angenommen hat, sind die diesbezüglichen Erwägungen des BVwG in sich widersprüchlich, weil es einerseits terroristische Aktivitäten von ISIS im Norden und Westen des Irak feststellte sowie beweiswürdigend von systematischer Verfolgung, Zwangskonversion, Massenvertreibungen von Angehörigen religiöser Minderheiten und Gräueltaten von ISIS in den Hauptsiedlungsgebieten der (auch christlichen) Minderheiten im Nordirak ausging und andererseits in der rechtlichen Beurteilung die Situation für Christen im Nordirak als ruhig und sicher annahm.

23 Einer solchen Prüfung stand nicht - wie die Revision meint - die Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Revisionswerber entgegen, weil diese in seinem Fall auf § 34 Abs. 3 AsylG 2005 beruhte.

24 Nach dieser Bestimmung hat die Behörde auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn

  1. 1. dieser nicht straffällig geworden ist;
  2. 2. die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist;

    3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9 AsylG 2005) und

    4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

    Die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative ist gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 2005 möglich, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

    Die nach der zuletzt genannten Vorschrift erforderliche Beurteilung, ob eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, war jedoch - anders als etwa im hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 2015, Ra 2015/20/0048 - nicht Gegenstand bei der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Revisionswerber, sodass die Rechtskraft des auf der Grundlage des § 34 Abs. 3 AsylG 2005 ergangenen Beschlusses über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Familienverfahren die Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative nach § 11 AsylG nicht ausschließt.

    25 Aus den dargelegten Erwägungen war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

    26 Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

    27 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

    Wien, am 18. Mai 2017

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