VwGH Ro 2016/04/0009

VwGHRo 2016/04/000920.12.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie Hofrat Dr. Kleiser, Hofrat Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz‑Sator und Hofrat Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Tiefenböck, über die Revision 1. des Vereins M in V, 2. des K H in S, 3. des H H, 4. des M P, beide in V, 5. des G P in I, 6. des N P, 7. der M P, beide in S, 8. des Mag. K S in P, 9. des G W, 10. des M W, beide in I, 11. der G W, 12. der F Z, beide in V, alle vertreten durch die List Rechtsanwalts GmbH in 1180 Wien, Weimarer Straße 55/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Oktober 2015, Zl. W180 2003747‑1/8E, betreffend Zurückweisung eines Antrags auf Feststellung gemäß § 3 Abs. 7 UVP‑G 2000 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Oberösterreichische Landesregierung; mitbeteiligte Partei: N GmbH in L, vertreten durch die Onz, Onz, Kraemmer, Hüttler Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §8
StarkstromwegeG OÖ 1970
UVPG 2000 §3 Abs7
UVPG 2000 §3 Abs7a
32011L0092 UVP-RL Art11
62013CJ0570 Gruber VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RO2016040009.J00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Revisionswerber haben zu ungeteilten Handen dem Land Oberösterreich Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 jeweils binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 1. Mit Bescheid vom 19.12.2013 wies die Oberösterreichische Landesregierung (belangte Behörde) den Antrag der Revisionswerber auf Feststellung gemäß § 3 Abs. 7 Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 (UVP‑G 2000), dass das Vorhaben der mitbeteiligten Partei „110 kV‑Leitung V“ einem Genehmigungsverfahren nach dem UVP‑G 2000 zu unterziehen sei, als unzulässig zurück.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 14.10.2015 wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerber als unbegründet ab. In seiner Begründung verwies das Verwaltungsgericht auf das Urteil des EuGH vom 16.4.2015, Gruber, C‑570/13, demzufolge die Revisionswerber die Möglichkeit haben müssten, die Entscheidung, keine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchzuführen, im Rahmen eines dagegen oder gegen einen späteren Genehmigungsbescheid eingelegten Rechtsbehelfes anzufechten. Weder aus § 3 Abs. 7 und 7a UVP‑G 2000 noch aus unmittelbar anwendbarem Unionsrecht ergebe sich eine Antrags‑ bzw. Beschwerdelegitimation von Nachbarn im UVP‑Feststellungsverfahren. Vielmehr könne dem Unionsrecht dadurch Genüge getan werden, dass den Nachbarn das Recht auf Klärung der Frage der UVP‑Pflicht in einem Genehmigungsverfahren zustehe und die dort zuständige (Materien)Behörde diese Frage behandle.

3 Das Verwaltungsgericht erklärte die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für zulässig, weil über die Frage, ob Nachbarn im UVP‑Feststellungsverfahren Parteistellung zukommt oder ihnen Beschwerdelegitimation einzuräumen ist, vom Verwaltungsgerichtshof noch nicht abgesprochen worden sei.

4 2. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision. Begründend wird vorgebracht, dass die Revisionswerber zur betroffenen Öffentlichkeit im Sinn des Art. 11 der Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (UVP‑RL) gehörten und infolge der Zurückweisung des verfahrensgegenständlichen Antrags ihre sich aus der UVP‑RL ergebenden subjektiv‑öffentlichen Rechte nicht hätten geltend machen können. Die Unterlassung der Durchführung eines UVP‑Feststellungsverfahrens sei für sie nicht anfechtbar.

5 Die belangte Behörde erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung, in der diese jeweils die Abweisung der Revision beantragen.

6 3. Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 3.1. Mit Urteil vom 16.4.2015 in der Rechtssache C‑570/13, „Gruber“ wies der EuGH auf den Effektivitätsgrundsatz hin und führte weiter aus, eine auf der Grundlage einer nationalen Regelung getroffene Verwaltungsentscheidung, keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, dürfe einen zur „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinne der Richtlinie 2011/92 gehörenden Einzelnen, der die Kriterien des nationalen Rechts in Bezug auf ein „ausreichendes Interesse“ oder gegebenenfalls eine „Rechtsverletzung“ erfülle, nicht daran hindern, diese Entscheidung im Rahmen eines gegen sie oder gegen einen späteren Genehmigungsbescheid eingelegten Rechtsbehelfs anzufechten.

10 3.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 18.5.2016, Ro 2015/04/0026, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, festgehalten, dass es den Mitgliedstaaten hinsichtlich der - entsprechend der Rechtsprechung des EuGH im Urteil „Gruber“ - geforderten Anfechtungsmöglichkeit offen steht, entweder direkten Rechtsschutz zu ermöglichen oder den Rechtsschutz auf die Möglichkeit einer inzidenten Rüge im Zusammenhang mit einem Rechtsbehelf gegen eine Genehmigung zu beschränken (Rz. 13). Da sich aus § 3 Abs. 7 und 7a UVP‑G 2000 in der (dort wie auch hier) maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 95/2013 ergibt, dass Nachbarn im Feststellungsverfahren weder ein Antragsrecht, noch Parteistellung, noch ein Beschwerderecht eingeräumt wird, stellt die Möglichkeit, die UVP-Feststellungsentscheidung im Rahmen eines gegen einen späteren Genehmigungsbescheid eingelegten Rechtsbehelfs anzufechten, einen ungleich geringeren Eingriff in die innerstaatliche Rechtsordnung dar (Rz. 15).

11 Nach dem oben Gesagten, stand jenen Revisionswerbern, die als Parteien im Genehmigungsverfahren betreffend die Bau‑ und Betriebsbewilligung gemäß dem Oö. Starkstromwegegesetz 1970 zugezogen waren, in welchem der Einwand der UVP‑Pflicht des Vorhabens erhoben wurde, die Möglichkeit offen, die Frage des Bestehens einer UVP‑Pflicht zu relevieren. Im Rahmen ihrer Parteistellung steht nämlich den Nachbarn auch ein subjektives Recht auf Einhaltung der gesetzlich normierten Zuständigkeiten zu und sie können mit dem Vorbringen, es sei keine UVP durchgeführt worden, die Frage der Zuständigkeit der vollziehenden Behörde aufwerfen (vgl. zu all dem VwGH 30.7.2015, 2015/04/0003 und VwGH 4.7.2016, Ro 2016/04/0004).

12 Soweit die Revision vorbringt, dass einige der Revisionswerber keine Parteistellung im Bau‑ und Betriebsbewilligungsverfahren gehabt hätten, ist ihr zu entgegnen: Personen, die an der Sache vermöge eines Rechtsanspruches oder eines rechtlichen Interesses beteiligt sind (§ 8 AVG), muss gemäß den Bestimmungen der direkt anwendbaren UVP‑RL jedenfalls Parteistellung im Verfahren nach dem Oö. Starkstromwegegesetz 1970 (ungeachtet der dortigen Bestimmungen) eingeräumt werden, um vorbringen zu können, dass das gegenständliche Vorhaben einer UVP zu unterziehen wäre. Diese können sohin einen Antrag auf Zustellung des materienrechtlichen Genehmigungsbescheides stellen und im Rahmen einer Beschwerde ihre Argumente betreffend die Verpflichtung zur Durchführung einer UVP nach der Richtlinie vorbringen (vgl. hierzu wiederum VwGH 5.11.2015, Ro 2014/06/0078).

13 Damit ist auch fallbezogen den Anforderungen des EuGH in Auslegung der UVP‑Richtlinie, dass nämlich die betroffene Öffentlichkeit eine auf der Grundlage einer nationalen Regelung getroffene Verwaltungsentscheidung, keine UVP durchzuführen, im Rahmen eines gegen diese Entscheidung oder gegen einen späteren Genehmigungsbescheid eingelegten Rechtsbehelfes anfechten können muss, Genüge getan.

14 3.3. Zu der in der Revision erstatteten Anregung, ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu stellen, genügt es darauf hinzuweisen, dass die von den Revisionswerbern diesbezüglich zugrunde gelegte Annahme, es bestünde nach der nationalen Rechtslage keine Möglichkeit, in nachfolgenden materiengesetzlichen Genehmigungsverfahren Einwendungen bezüglich der Nichtdurchführung einer UVP zu erheben, im Hinblick auf die oben dargelegten Ausführungen nicht zutrifft.

15 3.4. Die aufgeworfene Rechtsfrage ist somit durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bereits geklärt (siehe zur Maßgeblichkeit des Zeitpunktes der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes für das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung VwGH 26.6.2014, Ra 2014/03/0005).

16 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.

17 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung.

Wien, am 20. Dezember 2017

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