VwGH Ra 2015/05/0028

VwGHRa 2015/05/002823.5.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Rehak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Lorenz, über die Revisionen 1. des Verkehrsvereins W und 2. der W-GmbH, beide in W, beide vertreten durch die Hofbauer & Nokaj Rechtsanwalts GmbH in 3250 Wieselburg, Bartensteingasse 8, und

3. der Bezirkshauptmannschaft Scheibbs, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 10. Februar 2015, Zl. LVwG-AB-14-0966, betreffend Feststellung der Parteistellung (belangte Behörde vor dem Landesverwaltungsgericht:

Bezirkshauptmannschaft Scheibbs; mitbeteiligte Partei: W B, vertreten durch Dr. Wolfgang Schimek, Rechtsanwalt in 3300 Amstetten, Graben 42), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
AVG §8;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der erst- und zweitrevisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Eingabe vom 13. Mai 2014 kamen die erst- und zweitrevisionswerbenden Parteien um die Erteilung einer Bewilligung für die Errichtung und den Betrieb eines Hotels inklusive Pkw-Stellplätzen auf einer näher genannten Liegenschaft in der KG W. ein.

2 Mit Eingabe vom 10. Juni 2014 erhob die mitbeteiligte Partei Einwendungen gegen das Bauvorhaben.

3 In der mündlichen Verhandlung am 11. Juni 2014, an der die mitbeteiligte Partei teilnahm, erklärte der Verhandlungsleiter, auf Grund der Aussage des Geometers zum Abstand der Liegenschaft der mitbeteiligten Partei vom Baugrundstück komme ihr keine Parteistellung zu. Daher werde ihr auch nicht die Erledigung zugestellt. Daraufhin beantragte die mitbeteiligte Partei in der Verhandlung in Bezug auf die Parteistellung die "Erlassung und Zustellung eines Bescheides".

4 Auch mit Eingabe vom 24. Juni 2014 beantragte die mitbeteiligte Partei (unter anderem), dass bescheidmäßig über die Parteistellung abgesprochen werde.

5 Mit Bescheiden vom 26. Juni 2014 erließ die Bezirkshauptmannschaft Scheibbs (im Folgenden: BH) einerseits die beantragte Baubewilligung (diese wurde laut den Verwaltungsakten der mitbeteiligten Partei nicht zugestellt) und andererseits einen Bescheid, mit dem sie das Ansuchen um Zuerkennung der Parteistellung zurückwies und feststellte, dass der mitbeteiligten Partei im Baubewilligungsverfahren keine Parteistellung zukomme.

6 Gegen den Feststellungsbescheid erhob die mitbeteiligte Partei mit Eingabe vom 22. Juli 2014 Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (Verwaltungsgericht).

7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Bescheid der BH ersatzlos behoben und gleichzeitig ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, die BH habe sich über § 59 Abs. 1 AVG hinweggesetzt, in dem über die Einwendungen der mitbeteiligten Partei in dem angeführten Bauverfahren nicht abgesprochen worden sei und diese zu Unrecht als Antrag auf Zuerkennung der Parteistellung in diesem Verfahren umgedeutet worden seien. Eine gesonderte Entscheidung über die beantragte baurechtliche Bewilligung und über die dagegen erhobenen Einwendungen sei nach dieser Bestimmung nicht zulässig (Hinweis auf die hg. Erkenntnisse vom 26. April 2012, Zl. 2010/07/0129, und vom 25. September 1986, Zl. 85/07/0326). Es sei von der Untrennbarkeit von Bewilligungsantrag und Einwendungen auszugehen. Ein Feststellungsbescheid sei demnach jedenfalls dann unzulässig, wenn die für die Feststellung maßgebende Rechtsfrage im Rahmen eines anderen gesetzlich vorgezeichneten Verwaltungsverfahrens zu entscheiden sei. Es liege kein gesondertes Feststellungsinteresse vor. Der Verwaltungsgerichtshof erkenne zwar einer Partei ein rechtliches Interesse auf Klärung ihrer strittigen Parteistellung zu, dies beziehe sich aber nur auf Fälle, in denen ein entsprechender Parteiantrag gestellt worden sei, nachdem in einem Mehrparteienverfahren eine Entscheidung ergangen sei, die dem Antragsteller nicht zugestellt worden sei.

Im gegenständlichen Fall sei die Sachlage aber anders: Die mitbeteiligte Partei habe Einwendungen erhoben und es gehe ihr nicht um die gesonderte Entscheidung über ihre Parteistellung, sondern um die Behandlung ihrer Einwendungen. Demgegenüber habe die Behörde von sich aus einen Feststellungsbescheid erlassen. Die Behörde hätte über die Einwendungen im Bewilligungsbescheid zu entscheiden gehabt. Eine Umdeutung der Einwendungen in einen Antrag auf Zuerkennung der Parteistellung sei nicht gerechtfertigt.

8 Gegen dieses Erkenntnis richten sich die vorliegenden Revisionen. Es wird die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt.

9 Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Zurückbeziehungsweise Abweisung der Revisionen beantragte.

 

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

11 Die Revisionen der erst-, zweit- und drittrevisionswerbenden Parteien sind hinsichtlich der Frage der Zulässigkeit der Feststellung der Parteistellung durch Erlassung eines abgesonderten Bescheides zulässig und auch begründet.

12 § 70 der am 1. Februar 2015 in Kraft getretenen NÖ Bauordnung 2014 (NÖ BO 2014), LGB1. Nr. 1/2015, lautet auszugsweise:

"§ 70

Übergangsbestimmungen

(1) Die am Tage des Inkrafttretens dieses Gesetzes anhängigen Verfahren, ausgenommen jene nach §§ 33 und 35 der NÖ Bauordnung 1996, LGB1. 8200, sind nach der bisherigen Rechtslage zu Ende zu führen. § 5 Abs. 3 ist jedoch auf alle Beschwerden, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingebracht werden, anzuwenden.

..."

§ 6 NÖ Bauordnung 1996 (NÖ BO 1996), LGB1. 8200-0, idF

LGB1. 8200-23 lautet auszugsweise:

"§ 6

Parteien, Nachbarn und Beteiligte

(1) In Baubewilligungsverfahren und baupolizeilichen Verfahren nach § 32, § 33 Abs. 2, § 34 Abs. 4 und § 35 haben Parteistellung:

...

3. die Eigentümer der Grundstücke, die an das Baugrundstück

angrenzen oder von diesem durch dazwischen liegende Grundflächen mit einer Gesamtbreite bis zu 14 m (z.B. schmale Grundstücke, Verkehrsflächen, Gewässer, Grüngürtel) getrennt sind (Nachbarn),

...

Nachbarn sind nur dann Parteien, wenn sie durch das Bauvorhaben bzw. das Bauwerk und dessen Benützung in den in Abs. 2 erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechten berührt sind.

...

(2) Subjektiv-öffentliche Rechte werden begründet durch jene Bestimmungen dieses Gesetzes, des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, LGBl. 8000, der NÖ Aufzugsordnung, LGBl. 8220, sowie der Durchführungsverordnungen zu diesen Gesetzen, die

1. die Standsicherheit, die Trockenheit und den Brandschutz

der Bauwerke der Nachbarn (Abs. 1 Z 4)

sowie

2. den Schutz vor Immissionen (§ 48), ausgenommen jene, die sich aus der Benützung eines Gebäudes zu Wohnzwecken oder einer Abstellanlage im gesetzlich vorgeschriebene Ausmaß (§ 63) ergeben,

gewährleisten und über

3. die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe, den Bauwich, die

Abstände zwischen Bauwerken oder deren zulässige Höhe, soweit diese Bestimmungen der Erzielung einer ausreichenden Belichtung der Hauptfenster (§ 4 Z. 11) der zulässigen (bestehende bewilligte und zukünftig bewilligungsfähige) Gebäude der Nachbarn dienen."

13 Dem Verwaltungsgericht kann nicht beigetreten werden, wenn es davon ausgeht, die mitbeteiligte Partei habe ausschließlich Einwendungen erhoben und keinen Antrag auf Zuerkennung der Parteistellung gestellt. Die mitbeteiligte Partei beantragte nämlich in der mündlichen Verhandlung infolge der Verneinung ihrer Nachbareigenschaft iSd NÖ BO 1996 die Zuerkennung der Parteistellung und stellte überdies in der schriftlichen Eingabe vom 24. Juni 2014 den Antrag, dass über ihre Parteistellung bescheidmäßig abgesprochen werde. Allein dieser Antrag der mitbeteiligten Partei war Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

14 Verwaltungsbehörden sind befugt, im Rahmen ihrer örtlichen und sachlichen Zuständigkeit auch Feststellungsbescheide zu erlassen, sofern hiefür entweder eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung vorliegt oder ein im öffentlichen Interesse begründeter Anlass dazu gegeben oder aber die Feststellung im rechtlichen Interesse einer Partei erforderlich ist und die Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmen. Ein Feststellungsbescheid ist jedenfalls dann nicht zulässig, wenn die für die Feststellung maßgebende Rechtsfrage im Rahmen eines anderen gesetzlich vorgesehenen Verwaltungsverfahrens zu entscheiden ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 2007, Zl. 2006/05/0071, mwN).

15 Ein in einem Mehrparteienverfahren gegenüber einer Partei erlassener Bescheid erhält dadurch seine rechtliche Existenz, auch wenn er gegenüber den anderen Parteien - solange er ihnen gegenüber nicht erlassen wurde - keine rechtlichen Wirkungen äußert. Eine Partei, die rechtliche Interessen oder einen Rechtsanspruch an einer Verwaltungssache hat, welcher im Verfahren nicht die Stellung einer Partei eingeräumt wurde und gegenüber welcher keine Bescheiderlassung erfolgte, hat nach Abschluss des Verfahrens die Möglichkeit, die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides zu begehren und in der Folge Berufung zur Wahrung ihrer Rechte zu erheben. Unter den wiedergegebenen Voraussetzungen ist auch die Erlassung eines Feststellungsbescheides über die Parteistellung in einem bestimmten Verwaltungsverfahren zulässig, um im Zweifel zu klären, ob einer bestimmten Person in dem betreffenden Verfahren Parteistellung zukommt (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 2007, mwN).

16 Wie bereits ausgeführt hat die mitbeteiligte Partei - neben der Erhebung von Einwendungen - explizit die Zustellung des über die strittige Parteistellung ergehenden Bescheides sowie die Zuerkennung ihrer Parteistellung beantragt. Gegenstand im vorliegenden Verwaltungsverfahren war - wie bereits erwähnt - der Antrag der mitbeteiligten Partei auf Zuerkennung der Parteistellung. Dies verkannte das Verwaltungsgericht. Die vom Verwaltungsgericht zitierten Erkenntnisse belegen nicht, dass im vorliegenden Fall ein Feststellungsbescheid zur strittigen Parteistellung unzulässig wäre.

17 Das angefochtene Erkenntnis war schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Es erübrigt sich daher, auf das weitere Revisionsvorbringen einzugehen.

18 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am 23. Mai 2017

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