VwGH Ra 2016/11/0098

VwGHRa 2016/11/009819.9.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Höhl, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung in 8021 Graz, Bahnhofgürtel 85, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 12. Mai 2016, Zl. LVwG 40.24-3155/2015-2, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Angelegenheit nach dem FSG (mitbeteiligte Partei: S R in D, vertreten durch Dr. Christian Schoberl, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Alberstraße 9/HP/2), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §13 Abs2;
AVG §13 Abs5;
AVG §71 Abs1;
AVG §13 Abs2;
AVG §13 Abs5;
AVG §71 Abs1;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird dahin abgeändert, dass die Beschwerde abgewiesen wird.

Ein Zuspruch von Aufwandersatz entfällt.

Begründung

1 I.1. Mit Bescheid vom 24. September 2015 wies die Revisionswerberin die per e-mail durch einen Rechtsanwalt eingebrachte Vorstellung des Mitbeteiligten gegen den Mandatsbescheid der Revisionswerberin vom 1. September 2015, mit welchem u.a. die Lenkberechtigung des Mitbeteiligten entzogen wurde, als verspätet zurück. Begründend wurde ausgeführt, der Mandatsbescheid sei am 7. September 2015 zugestellt worden. Die Vorstellung hätte demnach spätestens am 21. September 2015 innerhalb der von der Revisionswerberin verfügten, im Internet veröffentlichten "organisatorischen Einschränkungen" eingebracht werden müssen. Diese hätten wie folgt gelautet:

"Amtsstunden

Montag bis Donnerstag von 8:00 - 15:00 Uhr und Freitag von 8:00 - 12:30 Uhr

Bei elektronischen Anbringen (E-Mail, Fax oder Online-Formulare zur Einbringung bestimmter Anträge) sind jedoch die technischen Voraussetzungen zu beachten.

Elektronische Anbringen, die uns außerhalb der Amtsstunden übermittelt werden, werden erst mit dem Wiederbeginn der Amtsstunden entgegengenommen und bearbeitet. Daher gelten diese Anbringen auch erst zu diesem Zeitpunkt als eingebracht und eingelangt."

Die am 21. September 2015 erst um 16:28 Uhr per e-mail eingebrachte Vorstellung sei daher als verspätet eingebracht zu werten.

2 I.2. In dem mit Schriftsatz seines Rechtsvertreters vom 5. Oktober 2015 gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Vorstellungsfrist wurde vorgebracht, in der Rechtsmittelbelehrung des Mandatsbescheids finde sich kein Hinweis, dass die grundsätzlich von der Behörde als zulässig anerkannte Übertragung des Rechtsmittels via e-mail nur innerhalb der Amtsstunden zulässig sei. Der Umstand, dass die Vorstellung am letzten Tag der dafür vorgesehenen Frist via e-mail um 16:28 Uhr eingelangt sei, könnte nur dann ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden darstellen, wenn sich der Hinweis auf Einschränkung des Anbringens via e-mail in der Rechtsmittelbelehrung finde. In einer dem Antrag beigeschlossenen eidesstättigen Erklärung gab die mit der Übermittlung der Vorstellung am 21. September 2015 beauftragte Mitarbeiterin M.K. des Rechtsvertreters des Mitbeteiligten an, sie sei im Hinblick auf die Rechtsmittelbelehrung im Mandatsbescheid, welche die Einbringung des Rechtsmittels im elektronischen Weg als zulässig erklärt und eine Beschränkung auf die Amtsstunden nicht vorgesehen habe, davon ausgegangen, dass die Übermittlung am 21. September 2015 bis Mitternacht ausreichend zur Fristenwahrung gewesen sei.

3 I.3. Mit Bescheid vom 9. Oktober 2015 wies die Revisionswerberin den Wiedereinsetzungsantrag ab. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, ein Rechtsanwalt habe Rechtsmittelfristen selbst richtig zu beurteilen, habe bereits länger bestehende Gesetzesänderungen zu kennen und sich über schon länger bestehende Verordnungen der Behörden über Beschränkungen des elektronischen Verkehrs zu informieren. Der Rechtsvertreter müsse auch das uhrzeitliche Fristende am letzten Fristtag berücksichtigen und festsetzen. Von einem minderen Grad des Versehens könne nicht ausgegangen werden.

4 I.4. Mit Erkenntnis vom 12. Mai 2016 gab das Landesverwaltungsgericht Steiermark der gegen den Bescheid vom 9. Oktober 2015 erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten Folge und gab in Abänderung dieses Bescheides dem Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung statt. Unter einem wurde gemäß §25a VwGG ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei.

5 I.5. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision.

Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.

6 II. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

7 II.1. Das AVG lautet (auszugsweise):

"Anbringen

§ 13. (1) Soweit in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, können Anträge, Gesuche, Anzeigen, Beschwerden und sonstige Mitteilungen bei der Behörde schriftlich, mündlich oder telefonisch eingebracht werden. Rechtsmittel und Anbringen, die an eine Frist gebunden sind oder durch die der Lauf einer Frist bestimmt wird, sind schriftlich einzubringen. Erscheint die telefonische Einbringung eines Anbringens der Natur der Sache nach nicht tunlich, so kann die Behörde dem Einschreiter auftragen, es innerhalb einer angemessenen Frist schriftlich oder mündlich einzubringen.

(2) Schriftliche Anbringen können der Behörde in jeder technisch möglichen Form übermittelt werden, mit E-Mail jedoch nur insoweit, als für den elektronischen Verkehr zwischen der Behörde und den Beteiligten nicht besondere Übermittlungsformen vorgesehen sind. Etwaige technische Voraussetzungen oder organisatorische Beschränkungen des elektronischen Verkehrs zwischen der Behörde und den Beteiligten sind im Internet bekannt zu machen.

...

(5) Die Behörde ist nur während der Amtsstunden verpflichtet, schriftliche Anbringen entgegenzunehmen oder Empfangsgeräte empfangsbereit zu halten, und, außer bei Gefahr im Verzug, nur während der für den Parteienverkehr bestimmten Zeit verpflichtet, mündliche oder telefonische Anbringen entgegenzunehmen. Die Amtsstunden und die für den Parteienverkehr bestimmte Zeit sind im Internet und an der Amtstafel bekanntzumachen.

...

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

§ 71. (1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:

1. die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder

2. die Partei die Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung, keine Rechtsmittelfrist oder fälschlich die Angabe enthält, daß kein Rechtsmittel zulässig sei.

(2) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muß binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.

(3) Im Fall der Versäumung einer Frist hat die Partei die versäumte Handlung gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen.

(4) Zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist die Behörde berufen, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war oder die die versäumte Verhandlung angeordnet oder die unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat.

..."

8 II.2. Die Revision ist zulässig, weil das Verwaltungsgericht, wie im Folgenden zu zeigen ist, die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum minderen Grad des Versehens iZm. der Fristversäumung durch einen berufsmäßigen Parteienvertreter außer Acht gelassen hat.

9 II.3. Die Revision ist auch begründet.

10 II.3.1. Das Verwaltungsgericht begründet sein Erkenntnis damit, dass die Rechtsmittelbelehrung des Mandatsbescheids keinen Hinweis auf die im Internet kundgemachten organisatorischen Beschränkungen für den elektronischen Rechtsverkehr enthalten habe. Ein solcher Hinweis sei zwar gesetzlich nicht geboten (weshalb keine mangelhafte Rechtsmittelbelehrung vorliege), doch sei es nachvollziehbar, wenn in der Beschwerde vorgebracht werde, dass die Kanzleikraft aufgrund des fehlenden Hinweises in der Rechtsmittelbelehrung davon ausgegangen sei, dass bis zum Ablauf des letzten Tages der Rechtsmittelfrist die Rechtzeitigkeit eines eingebrachten Rechtsmittels gewahrt würde. Da somit auch bei aufmerksamer Lektüre des Bescheids, insbesondere seiner Rechtsmittelbelehrung, die Rechtsunkenntnis bzw. der Rechtsirrtum nicht hätte vermieden werden können, sei vom Vorliegen eines bloß minderen Grades des Versehens auszugehen.

11 II.3.2. Die Revision führt, auf das Wesentliche zusammengefasst, aus, wenn ein rechtskundiger Parteienvertreter der seit Jahren in Geltung befindlichen Bestimmung des § 13 AVG und der einschlägigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere der im Erkenntnis vom 23. Mai 2012, Zl. 2012/08/0102, dargelegten Rechtsauffassung, keine Beachtung schenke und sich hinsichtlich allfälliger zeitlicher Beschränkungen bei der Einbringung von Rechtsmitteln im Internet weder selbst Kenntnis verschaffe noch seine damit befasste Mitarbeiterin instruiere, so liege kein bloß minderer Grad des Versehens vor.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Revision eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses auf.

12 II.3.3.1. Dass die von der Revisionswerberin im Internet veröffentlichten Beschränkungen der Entgegennahme von Eingaben mittels e-mail den unter Pkt. I.1. wiedergegebenen Inhalt hatten, war im gesamten Verfahren vor dem Verwaltungsgericht unstrittig. Auch der Verwaltungsgerichtshof hat im Folgenden davon auszugehen.

13 Der rechtlichen Beurteilung ist demnach zugrunde zu legen, dass die Vorstellung erst mit 22. September 2015 als eingebracht gilt. An diesem Tag war die (zweiwöchige) Vorstellungsfrist jedoch bereits abgelaufen. Im Hinblick darauf war die in § 71 Abs. 1 AVG normierte Voraussetzung der Fristversäumung in Bezug auf die angeführte Vorstellung, die Gegenstand des in Rede stehenden Wiedereinsetzungsantrages ist, erfüllt.

14 Die Parteien des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht gingen im Übrigen, wie auch das Verwaltungsgericht selbst, zutreffend davon aus, dass - vor dem Hintergrund der hg. Judikatur (vgl. das bereits mehrfach erwähnte hg. Erkenntnis Zl. 2012/08/0102) - die Rechtsmittelbelehrung des Mandatsbescheids nicht unvollständig war.

15 II.3.3.2. Das Verschulden des Parteienvertreters trifft - so die ständige hg. Judikatur (vgl. etwa den Beschluss vom 26. Februar 2015, Ra 2014/22/0092, sowie den hg. Beschluss vom 24. November 2015, Zl. Ra 2015/05/0062, jeweils mwN) - die von diesem vertretene Partei, wobei an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen. Ein dem Vertreter widerfahrenes Ereignis stellt einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt.

16 Dem Wiedereinsetzungsantrag ist nicht zu entnehmen, dass dem Rechtsvertreter von der Revisionswerberin kundgemachte Beschränkungen der Entgegennahme von Eingaben per e-mail bekannt gewesen wären oder er sich vom Fehlen solcher Einschränkungen versichert hätte.

17 Gemäß dem vorliegend anzuwendenden § 13 Abs. 2 letzter Satz AVG sind etwaige technische Voraussetzungen oder organisatorische Beschränkungen des elektronischen Verkehrs zwischen der Behörde und den Beteiligten im Internet bekanntzumachen. Ein berufsmäßiger Parteienvertreter, wie insbesondere ein Rechtsanwalt, hat sich mit den einschlägigen Verfahrensbestimmungen vertraut zu machen. Unterlässt er dies, so liegt eine auffallende, einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegenstehende Sorglosigkeit vor. Mit der Kundmachung hätte die Revisionswerberin hinreichend klar zum Ausdruck gebracht, dass schriftliche Anbringen (und damit auch Vorstellungen gegen Mandatsbescheide) nur während der Amtsstunden entgegengenommen werden, sodass der Vertreter des Mitbeteiligten nicht davon hätte ausgehen dürfen, dass die am letzten Tag der Vorstellungsfrist nach Ablauf der Amtsstunden mittels e-mail eingebrachte Vorstellung rechtzeitig erhoben wurde (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 5. Juli 2000, Zl. 2000/03/0152, und die oben genannten Entscheidungen Zl. Ra 2014/22/0092 und Zl. Ra 2015/05/0062). Einem Rechtsanwalt ist es auch zumutbar, sich mit solchen im Internet bekanntgemachten organisatorischen Beschränkungen des elektronischen Verkehrs durch die Behörde, bei der er ein Rechtsmittel einzubringen beabsichtigt, vertraut zu machen (vgl. nochmals den genannten Beschluss, Zl. 2000/03/0152). Darin liegt keine Erschwerung des Zugangs zum Rechtsschutz, ist doch durch die Kundmachung im Internet sichergestellt, dass sich die Parteien über die Voraussetzungen für ein rechtzeitiges Einlangen ihrer Anbringen umfassend informieren können (vgl. dazu etwa das erwähnte hg. Erkenntnis Zl. 2012/08/0102). Mit dem unter Pkt. I.2. wiedergegebenen Wiedereinsetzungsantrag des Mitbeteiligten, dem, wie bereits erwähnt, eine Sorglosigkeit seines Rechtsvertreters zuzurechnen ist, wurde demnach nicht dargetan, dass ihm kein Verschulden an der von ihm selbst angenommenen Versäumung der Revisionsfrist oder ein lediglich minderer Grad des Versehens vorzuwerfen ist.

18 Angesichts des unter Pkt. I.1. wiedergegebenen Inhalts der im Internet veröffentlichten Beschränkungen der Entgegennahme von Eingaben mittels e-mail erweist sich die Bewilligung der Wiedereinsetzung aus den genannten Gründen als rechtswidrig.

19 II.3.3.3. Da nach dem Gesagten die Sache entscheidungsreif ist und auch die übrigen Voraussetzungen des § 42 Abs. 4 VwGG erfüllt sind, konnte der Verwaltungsgerichtshof eine den Wiedereinsetzungsantrag abweisende Entscheidung in der Sache treffen.

20 II.4. Aufwandersatz findet im Hinblick auf § 47 Abs. 4 VwGG nicht statt.

Wien, am 19. September 2016

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