VwGH Ra 2016/08/0007

VwGHRa 2016/08/000717.3.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Gruber, über die Revision des Mag. G M in Wien, vertreten durch Dr. Georg Lehner, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Südtirolerstraße 12a, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 9. Februar 2015, Zl. W145 2005438- 1/2E, betreffend Pflichtversicherung nach dem ASVG und AlVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Gebietskrankenkasse in 1100 Wien, Wienerbergstraße 15-19; mitbeteiligte Parteien: 1. R M, Wien,

2. Pensionsversicherungsanstalt in 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 3. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt in 1201 Wien, Adalbert Stifterstraße 65-67; weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Normen

VwGVG 2014 §24;
VwGVG 2014 §24;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Wiener Gebietskrankenkasse hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass der Erstmitbeteiligte auf Grund seiner Tätigkeit für den Revisionswerber in der Zeit vom 1. Februar bis zum 31. März 2009 als Pizza-Zusteller der Vollversicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG und der Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterliegt. Neben inhaltlichen Ausführungen zur Frage der Abwägung iSd § 4 Abs. 2 ASVG führte das Verwaltungsgericht aus, es habe von der beantragten Einvernahme des Erstmitbeteiligten und des Revisionswerbers abgesehen,

"da einerseits nicht zu erwarten ist, dass es dadurch zu einer 'Klärung des Sachverhaltes' kommen würde und andererseits sozialversicherungsrechtliche Verfahren betreffend die Feststellung der Versicherungspflicht stets Einzelfallentscheidungen sind".

Der Sachverhalt scheine hinreichend geklärt und es sei nicht zu erwarten, dass eine (neuerliche) Einvernahme der Genannten im vorliegenden Fall "neue Erkenntnisse" bringen könnte.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision. Die belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Revision beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Revisionswerber macht u.a. geltend, er habe in der Beschwerde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ausdrücklich beantragt. Er habe von Anbeginn des Verfahrens geltend gemacht, dass die Aussage des Erstmitbeteiligten in keiner Weise zu verwerten sei, weil dieser ohne Beiziehung eines Dolmetschers unter Ausschluss des Revisionswerbers befragt worden sei. Dessen Angaben seien ausdrücklich bestritten worden. Der Revisionswerber habe eine eigene detaillierte Darstellung des Sachverhalts vorgelegt. Ihm sei auch die Möglichkeit genommen worden, Fragen an den Erstmitbeteiligten zu stellen. Der Glaubwürdigkeit des Erstmitbeteiligten komme im vorliegenden Fall besondere Bedeutung zu. Das Verwaltungsgericht habe eine unzulässige vorgreifende Beweiswürdigung vorgenommen.

In Ansehung dessen, dass der Revisionswerber die Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch das Verwaltungsgericht beantragt hat, durfte das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG von der Verhandlung nur dann absehen, wenn die Akten erkennen hätten lassen, dass durch die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstanden. Es gibt im vorliegenden Fall, in dem es sich um die Geltendmachung von "civil rights" handelt, keinen Hinweis darauf, dass von vornherein anzunehmen wäre, die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung könnte nichts zur Klärung der Rechtssache beitragen, zumal es sich nicht bloß um eine Frage technischer Natur (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. April 2015, Ra 2015/11/0004), sondern um die abwägende Beurteilung einer Dienstnehmereigenschaft handelt. Es gehört gerade im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts, dem auch im § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen, um sich als Gericht einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seien Beweiswürdigung zu gründen (vgl. zum Erfordernis einer sogar amtswegigen Durchführung der mündlichen Verhandlung das hg. Erkenntnis vom 14. Oktober 2015, Ra 2015/08/0101, sowie das hg. Erkenntnis vom 27. April 2015, Ra 2015/11/0004).

Das angefochtene Erkenntnis war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Zuerkennung von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am 17. März 2016

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