VwGH Ra 2016/01/0058

VwGHRa 2016/01/005824.5.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching und die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Berger, über die Amtsrevision der Vorarlberger Landesregierung gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 28. Jänner 2016, Zl. LVwG-451-1/2015-R10, betreffend Beibehaltung der Staatsbürgerschaft (mitbeteiligte Partei: Dr. (PhD.) Mag. G L, vertreten durch Weh Rechtsanwalts GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1), zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art130 Abs4;
StbG 1985 §28 Abs1;
StbG 1985 §28 Abs2;
StbG 1985 §28;
VwGVG 2014 §28 Abs2;
VwGVG 2014 §28 Abs3;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RA2016010058.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid der Amtsrevisionswerberin vom 30. Juli 2015 wurde der Antrag des Mitbeteiligten auf Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall des Erwerbs der US-amerikanischen Staatsangehörigkeit gemäß § 28 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl. Nr. 311 idgF (StbG), abgewiesen. Es lägen weder vom Mitbeteiligten im Interesse der Republik Österreich gelegene bereits erbrachte oder zu erbringende Leistungen noch besonders berücksichtigungswürdige Gründe in dessen Privat- oder Familienleben vor.

2 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde Folge und behob den erwähnten Bescheid.

3 Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, der Mitbeteiligte sei österreichischer Staatsbürger. Er habe nach seinem Studienabschluss in den USA eine Firma gegründet und diese bis zu seiner Pensionierung erfolgreich geführt. Im Jahr 1986 habe er eine US-amerikanische Staatsbürgerin geheiratet; der Ehe entstammten zwei Kinder, die österreichisch-amerikanische Doppelstaatsbürger seien. Die Mutter des Mitbeteiligten lebe in Österreich. Der Mitbeteiligte habe Liegenschaftsvermögen in näher genannten österreichischen Gemeinden, darunter auch Wohnobjekte. Nach seinem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung sei das Haus in B. sein Urlaubsdomizil. In den letzten 36 Jahren sei er mindestens einmal im Jahr in Österreich gewesen, dies dann meistens für zwei Wochen. Er strebe den Erwerb der USamerikanischen Staatsangehörigkeit an, um erb- und steuerrechtliche Nachteile nach amerikanischem Recht zu verhindern, der andere Grund sei, dass er in den USA nicht wahlberechtigt sei. Er verfüge über die "Green Card", welche ihn zum Aufenthalt in den USA berechtige. Wenn er jedoch ca. ein Jahr in Österreich wohnte, würde er diese Karte verlieren, was für ihn ein Nachteil wäre. Er wolle die österreichische Staatsbürgerschaft behalten, weil er in Österreich Liegenschaftsvermögen habe und deshalb auch politische Mitspracherechte behalten wolle. Als Ausländer hätte er auch Probleme im Grundverkehrsrecht.

4 Nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts sei ein maßgeblicher Anhaltspunkt für häufigere bzw. längere Aufenthalte des Mitbeteiligten in Österreich gegeben, weil er über Liegenschaftsvermögen in Österreich verfüge. Dies könnte zu einem Verlust seiner "Green Card" führen. Nach Auskunft der Einwanderungsvisumsabteilung der US-Botschaft in Wien wäre die Bearbeitungsdauer bei Beantragung einer neuen Green Card mehrere Monate und mit Kosten in Höhe von EUR 210,-- für eine medizinische Untersuchung und $ 325,-- Einwanderungsvisumsantragsgebühr verbunden. Es lägen daher - im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf die hg. Erkenntnisse vom 15. November 2000, 2000/01/0354, und vom 20. September 2011, 2009/01/0023) - Umstände (gemäß § 28 Abs. 2 StbG) vor, die das Einreise- bzw. Aufenthaltsrecht des Mitbeteiligten in die bzw. den USA erheblich beeinträchtigen könnten.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision mit dem Antrag, das Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes bzw. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Das Landesverwaltungsgericht legte die Revision unter Anschluss der Akten des Verfahrens vor (§ 30a Abs. 7 VwGG). Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6 1. § 28 Abs. 2 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985,

BGBl. Nr. 311 idF BGBl. I Nr. 136/2013 (StbG), lautet auszugsweise:

"§ 28. (1) Einem Staatsbürger ist für den Fall des

Erwerbes einer fremden Staatsangehörigkeit (§ 27) die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft zu bewilligen, wenn

1. sie wegen der von ihm bereits erbrachten und von ihm noch zu erwartenden Leistungen oder aus einem besonders berücksichtigungswürdigen Grund im Interesse der Republik liegt, und - soweit Gegenseitigkeit besteht - der fremde Staat, dessen Staatsangehörigkeit er anstrebt, der Beibehaltung zustimmt sowie die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 sinngemäß erfüllt sind, oder

...

(2) Dasselbe gilt für Staatsbürger, wenn sie die Staatsbürgerschaft durch Abstammung erworben haben und in ihrem Privat- und Familienleben ein für die Beibehaltung besonders berücksichtigungswürdiger Grund vorliegt.

..."

7 2. Die Amtsrevision macht in den Zulässigkeitsgründen gemäß § 28 Abs. 3 VwGG als Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung geltend, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es schon einen möglichen, nicht konkret drohenden, Verlust der "Green Card" als extreme Beeinträchtigung des Privat- und Familienlebens des Mitbeteiligten im Sinne des § 28 Abs. 2 StbG qualifiziert habe.

8 Die Revision ist nach diesem Vorbringen zulässig und berechtigt.

9 3. Vorweg sei darauf hingewiesen, dass der Verwaltungsgerichtshof zu § 28 VwGVG festgehalten hat, dass dem Verwaltungsgericht sowohl in den in Art. 130 Abs. 4 B-VG vorgesehenen und in § 28 Abs. 2 VwGVG genannten, als auch in den von § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG erfassten Fällen (kein Widerspruch durch die Verwaltungsbehörde gegen eine Entscheidung in der Sache), in denen § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eingreift, eine kassatorische Entscheidung nicht offen steht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2015, Ra 2014/22/0103, mit Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063).

10 Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht - gestützt auf § 28 Abs. 2 VwGVG - im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses der gegen den bekämpften Bescheid erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten Folge gegeben und diesen Bescheid behoben. Ein inhaltlicher Abspruch über den Antrag des Mitbeteiligten auf Bewilligung der Beibehaltung der Staatsbürgerschaft ist nicht erfolgt. Das Verwaltungsgericht hat damit gegen seine Verpflichtung verstoßen, nicht nur die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde sondern auch die Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war (vgl. die erwähnten hg. Erkenntnisse vom 26. Juni 2014 und vom 26. Februar 2015).

11 4. Die Bewilligung der Beibehaltung der Staatsbürgerschaft nach § 28 StbG ist kein Ermessensakt; vielmehr besteht bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen ein Rechtsanspruch auf Beibehaltung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. September 2011, 2009/01/0023).

12 Der Tatbestand des § 28 Abs. 2 StbG - nur um diesen geht es im vorliegenden Revisionsfall - wurde durch die Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998 geschaffen. Nach den Erläuterungen soll damit Staatsbürgern die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft trotz Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit ermöglicht werden, wenn ein für die Beibehaltung besonders berücksichtigungswürdiger Grund vorliegt. Damit wird es möglich, extreme Beeinträchtigungen des Privat- oder Familienlebens des Staatsbürgers zu vermeiden, die sich aus der Nichtannahme der Staatsangehörigkeit oder dem Verlust der Staatsbürgerschaft ergeben (vgl. das erwähnte hg. Erkenntnis vom 20. September 2011, mit Hinweis auf die Gesetzesmaterialien RV 1283 BlgNR 20. GP , S. 10, sowie das hg. Erkenntnis vom 15. November 2000, 2000/01/0354).

13 Die zu erwartenden Beeinträchtigungen müssen konkret sein. Es handelt sich bei den gegenständlich zu bewertenden Beeinträchtigungen um solche, die sich in der Zukunft ergeben können. Dabei muss es sich um konkret zu erwartende Beeinträchtigungen handeln und nicht um solche, die von ungewissen, in der Zukunft vom Beibehaltungswerber selbst zu setzenden Handlungen abhängen. Die zu erwartenden Beeinträchtigungen sind daher am bisherigen Gesamtverhalten des Beibehaltungswerbers zu messen, aus dem eine Zukunftsprognose zu erstellen ist (vgl. die erwähnten hg. Erkenntnisse 2000/01/0354 sowie 2009/01/0023).

14 Im erwähnten Erkenntnis 2009/01/0023 hat der Verwaltungsgerichtshof u.a. Folgendes ausgeführt:

"Beeinträchtigungen, die sich aus der Nichtannahme der USamerikanischen Staatsbürgerschaft ergeben könnten:

Wie aus den weiter oben wiedergegebenen Gesetzesmaterialien zu § 28 Abs. 2 StbG deutlich wird, sind bei der Beurteilung des Vorliegens berücksichtigungswürdiger Gründe auch Beeinträchtigungen des Privat- und Familienlebens zu berücksichtigen, die sich aus der Nichtannahme der (fremden) Staatsangehörigkeit ergeben (vgl. dazu das schon zitierte hg. Erkenntnis vom 15. November 2000).

Die mangelnde Möglichkeit, das Wahlrecht in den USA ausüben zu können, bewirkt keinerlei Beeinträchtigung des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführerin. ...

Anders verhält es sich ... mit dem Vorbringen der

Beschwerdeführerin, wonach ein längerer Aufenthalt außerhalb der USA den Verlust der "Green Card (permanent residency)" zur Folge habe. Diese Behauptung erfährt durch ein dem gegenständlichen Beibehaltungsantrag der Beschwerdeführerin beigeschlossenes, an die belangte Behörde gerichtetes, Schreiben des Österreichischen Generalkonsulates in Los Angeles vom 15. März 2008, folgende Konkretisierung:

'... Das Generalkonsulat darf in diesem Zusammenhang auf die Schwierigkeiten von nicht US-Bürgern mit amerikanischem Hauptwohnsitz bei Einreisen in die USA nach vorübergehenden

Auslandsaufenthalten seit dem 11.9.2001 hinweisen. ... Der

Genannten (Beschwerdeführerin) könnten aufenthaltsrechtliche Nachteile bzw. Schwierigkeiten in den Vereinigten Staaten im Falle der vorübergehenden Rückkehr nach Österreich anfallen. Im Extremfall wäre, bei Auslandsaufenthalten von mehr als 6 Monaten, sogar der Verfall bzw. Entzug der 'Greencard' zu befürchten...'

Diese Ausführungen lassen eine extreme Beeinträchtigung des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführerin im Sinne des § 28 Abs. 2 StbG im Falle der Nichtannahme der US-amerikanischen Staatsbürgerschaft nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen, zumal die Beschwerdeführerin nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid über einen Nebenwohnsitz in einer österreichischen Gemeinde verfügt und insofern ein maßgeblicher Anhaltspunkt für häufigere bzw. längere Aufenthalte der Beschwerdeführerin in Österreich vorliegt, die - legt man das erwähnte Vorbringen zu Grunde - das Einreise bzw. Aufenthaltsrecht der Beschwerdeführerin in die bzw. in den USA allenfalls erheblich beeinträchtigen könnten.

Mit diesem Aspekt hat sich die belangte Behörde jedoch in keiner Weise auseinander gesetzt.

Sie hat es insbesondere unterlassen, die erforderlichen näheren Feststellungen zu den diesbezüglich relevanten, konkreten Lebensumständen der Beschwerdeführerin (aktueller aufenthaltsrechtlicher Status der Beschwerdeführerin in den USA bzw. Häufigkeit, Dauer der Aufenthalte der Beschwerdeführerin in Österreich) sowie den Konsequenzen, die sich daraus vor dem Hintergrund der - ebenfalls festzustellenden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. März 2009, Zl. 2007/01/0633, mwN) - amerikanischen Rechtslage für den Aufenthaltsstatus/das Aufenthaltsrecht der Beschwerdeführerin in den USA ergeben können, zu treffen.

..."

Ausgehend von der zitierten hg. Rechtsprechung ergibt sich

für den vorliegenden Revisionsfall Folgendes:

15 Der Verlust der "politischen Mitspracherechte" in Österreich sowie die - nicht näher konkretisierten - "Probleme im Grundverkehrsrecht" bewirken keine Beeinträchtigung des Privat- und Familienlebens des Mitbeteiligten.

16 Ebenso wenig führen die mangelnde Möglichkeit des Mitbeteiligten, das Wahlrecht in den USA ausüben zu können sowie die behaupteten, nicht näher konkretisierten, erb- und steuerrechtlichen Nachteile nach amerikanischem Recht zu einer derartigen Beeinträchtigung.

17 Eine extreme Beeinträchtigung des Privat- und Familienlebens des Mitbeteiligten käme im vorliegenden Fall - im Sinne des oberwähnten Erkenntnisses 2009/01/0023 - sohin lediglich im Falle des konkret zu befürchtenden Verlustes der "Green Card" und der damit verbundenen Beeinträchtigung des Einreise- bzw. Aufenthaltsrechts in die bzw. in den USA in Betracht. Der Mitbeteiligte hat dazu jedoch angegeben, dass der Verlust der Karte (nur) im Falle einer ca. einjährigen Wohnungnahme in Österreich zu erwarten wäre. Er hat aber nicht behauptet, über einen derartig langen Zeitraum (künftig) in Österreich aufhältig zu sein. Er hat auch - im Gegensatz zur Beschwerdeführerin im Fall des hg. Erkenntnisses 2009/01/0023 - nicht vorgebracht, über einen Wohnsitz in einer österreichischen Gemeinde zu verfügen. Vielmehr hat der Mitbeteiligte angegeben, seine Liegenschaft in B. seit 36 Jahren lediglich zu Urlaubszwecken, jeweils in der Dauer von ca. zwei Wochen pro Jahr, zu nützen.

18 Davon ausgehend entbehrt die Erwägung des Landesverwaltungsgerichts, wonach sich aus dem (bloßen) Liegenschaftsvermögen des Mitbeteiligten in Österreich ein maßgeblicher Anhaltspunkt für häufigere bzw. längere Aufenthalte des Mitbeteiligten in Österreich ergebe, ebenso einer nachvollziehbaren Grundlage, wie die daran geknüpfte - nicht näher konkretisierte, bloß spekulative - Feststellung, dass dies zu einem Verlust der "Green Card" führen "könnte".

19 Im Übrigen wäre nach den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis der Wiedererwerb der "Green Card" für den Mitbeteiligten möglich. Die vom Verwaltungsgericht insoweit festgestellte Bearbeitungsdauer bzw. die damit verbundenen Kosten sind nicht geeignet, eine extreme Beeinträchtigung des Privat- und Familienlebens des Mitbeteiligten zu bewirken.

20 Das Verwaltungsgericht hat daher im Ergebnis zu Unrecht das Vorliegen eines für die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft des Mitbeteiligten besonders berücksichtigungswürdigen Grundes im Sinne des § 28 Abs. 2 StbG angenommen. Es ist insofern von der zitierten hg. Rechtsprechung abgewichen.

21 5. Das Verwaltungsgericht hat das angefochtene Erkenntnis demnach mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 24. Mai 2016

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte