VwGH Ro 2015/15/0009

VwGHRo 2015/15/000915.9.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bamminger, über die Revision des Finanzamts Bregenz in 6900 Bregenz, Brielgasse 19, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 22. Dezember 2014, Zl. RV/1100285/2012, betreffend Einkommensteuer 2011 (mitbeteiligte Partei: M F in L, vertreten durch Mag. J R in D), zu Recht erkannt:

Normen

EStG 1988 §33 Abs1;
EStG 1988 §34 Abs6;
EStG 1988 §35 Abs1;
EStG 1988 §33 Abs1;
EStG 1988 §34 Abs6;
EStG 1988 §35 Abs1;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Die Mitbeteiligte (geboren 1925) ist Pensionistin und Bezieherin von Pflegegeld (Pflegestufe 1); sie wohnt zu Hause. In der Steuererklärung für 2011 machte sie außergewöhnliche Belastungen wegen Behinderung in Höhe von 7.917 EUR geltend. Einer Beilage zur Steuererklärung ist zu entnehmen, dass insgesamt Ausgaben von 10.095,26 EUR als außergewöhnliche Belastungen angesprochen wurden; in diesem Betrag sind Kosten für "Essen auf Rädern" (1.112,30 EUR) enthalten. Von der Summe der Ausgaben wurden die Haushaltsersparnis (327,86 EUR) sowie das erhaltene Bundespflegegeld (1.850,40 EUR) abgezogen.

2 Mit Bescheid des Finanzamtes vom 1. März 2012 wurde die Einkommensteuer für das Jahr 2011 festgesetzt. Für außergewöhnliche Belastungen wurden als tatsächliche Kosten aus der eigenen Behinderung ein Betrag von 6.804,70 EUR berücksichtigt. Begründend führte das Finanzamt aus, Kosten für das Mittagessen stellten keine außergewöhnliche Belastung dar, sondern seien Kosten der privaten Lebensführung.

3 Die Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Berufung. Sie machte geltend, sie sei nicht in der Lage, einzukaufen und zu kochen. Nach einem Krankenhausaufenthalt habe man sie überzeugt, dass das Essen täglich gebracht werden müsse; Ärzte und Sozialbetreuer hätten starke Ernährungsdefizite festgestellt.

4 Mit Berufungsvorentscheidung vom 20. März 2012 wies das Finanzamt die Berufung als unbegründet ab. "Essen auf Rädern" könne von jeder Person bestellt werden. Jede Person müsse essen, es handle sich hiebei um nicht abzugsfähige Aufwendungen der privaten Lebensführung. Nur die Kosten einer etwaigen Pflegehilfe, die das "Essen auf Rädern" verabreiche, sei als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig.

5 Die Mitbeteiligte beantragte die Entscheidung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz. Sie brachte weiters vor, wäre sie in der Lage, sich selbst zu verpflegen, würde sie die Leistung betreffend Essen auf Rädern nicht annehmen. Der Krankenpflegeverein habe keine eigene Produktion für die Zubereitung. Daher organisiere dieser Verein die Herstellung durch Gastronomiebetriebe vor Ort. Die Zustellung werde über den Krankenpflegeverein durchgeführt. Es würden die Kosten abzüglich der Haushaltsersparnis angesetzt. Die Mitbeteiligte nehme die Dienstleistung der Mittagsverpflegung nicht aus Faulheit, Jux und Tollerei in Anspruch, sondern habe von den Sozialarbeitern dazu angehalten werden müssen, diese Leistung zu beanspruchen, weil sonst ihr Leben nur im Ganztagsaufenthalt in einer Alteneinrichtung verantwortbar wäre oder eine 24-Stunden-Hilfe beansprucht werden müsste.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der (nunmehrigen) Beschwerde teilweise Folge und setzte die Einkommensteuer 2011 neu fest. Es sprach aus, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof sei nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

7 Begründend führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, die Mitbeteiligte habe den Dienst "Essen auf Rädern" allein bedingt durch ihre Behinderung und auf dringende fachliche Empfehlung hin in Anspruch genommen. Damit erweise sich die Beschwerde dem Grunde nach als berechtigt. Dem Finanzamt sei aber beizupflichten, dass nur die behinderungsbedingten Mehraufwendungen, nicht hingegen die üblichen Kosten der privaten Lebenshaltung abzugsfähig seien. Es dürften sohin nur jene Aufwendungen berücksichtigt werden, die der Mitbeteiligten behinderungsbedingt dadurch erwüchsen, dass ihr Essen außer Haus und von bezahlten Kräften zubereitet und in weiterer Folge warm zugestellt worden sei. Ein Vorteilsausgleich, bei dem lediglich die auf Basis der Sachbezugsverordnung ermittelte Haushaltsersparnis ausgeschieden werde, sei tendenziell unzureichend. Die Mitbeteiligte habe dargelegt, die Haushaltsersparnis könne mit 50% der Kosten berücksichtigt werden, was einem Rohaufschlag auf den Wareneinsatz von 100% entsprechen würde und damit der Kalkulation für Mittagsmenüs im Gastgewerbe nahekomme. Das Bundesfinanzgericht schließe sich diesen Überlegungen an. Dies bedeute, dass je gelieferte Mahlzeit 3,30 EUR auf das Essen im engeren Sinn und 3,30 EUR auf behinderungsbedingt in Anspruch genommene Dienstleistungen entfielen, was in dem Zusatz "auf Rädern" zum Ausdruck komme.

8 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision des Finanzamtes. Das Finanzamt macht im Wesentlichen geltend, die Einnahme von Verpflegung sei nicht außergewöhnlich. Die Kosten der Verpflegung könnten daher nicht als außergewöhnliche Belastung abgezogen werden. Im vorliegenden Fall sei das Essen von Helferinnen des Mobilen Hilfsdienstes (MOHI) von zwei Gasthäusern abgeholt und in der üblichen Warmhaltebox geliefert worden. Die Kosten für die Essenszustellung seien im angefochtenen Erkenntnis ungekürzt berücksichtigt worden, da deren Mitverrechnung im Rahmen des vom MOHI in Rechnung gestellten Arbeitszeitaufwandes enthalten sei. Der krankheitsbedingte Entfall einer Ersparnis an Verpflegungskosten durch den Wegfall der günstigen Verpflegungsmöglichkeit (z.B. durch den Verlust der Fähigkeit, sich das Essen selbst zubereiten zu können) könne zu keiner außergewöhnlichen Belastung führen, da die Einnahme von zu bezahlender Mittagsverpflegung auch bei Pensionisten nicht unüblich sei. Auch die von Krankenhäusern eingehobenen Kostenbeiträge, mit denen im Wesentlichen die durch die erhaltene Krankenhausverpflegung ersparten Verpflegungskosten abgegolten würden, führten zu keiner außergewöhnlichen Belastung. Bei den in Abzug gebrachten Kosten für "Essen auf Rädern" handle es sich um keine Krankendiätverpflegung, weshalb weder ein Pauschbetrag gemäß § 2 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBl. Nr. 303/1995 idF BGBl. II Nr. 430/2010, noch die Aufwendungen für die normale Mittagsverpflegung als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig seien.

9 Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

11 Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss außergewöhnlich sein, sie muss zwangsläufig erwachsen und sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen.

12 Die Belastung ist nach § 34 Abs. 2 EStG 1988 außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse und gleicher Vermögensverhältnisse erwächst.

13 Nach § 34 Abs. 3 EStG 1988 erwächst die Belastung dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.

14 Die Belastung beeinträchtigt nach § 34 Abs. 4 EStG 1988 wesentlich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soweit sie einen näher geregelten Selbstbehalt übersteigt.

15 Nach § 34 Abs. 6 EStG 1988 können u.a. Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung, soweit sie die Summe pflegebedingter Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen, ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes abgezogen werden, wenn die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 EStG 1988 vorliegen. Der Bundesminister für Finanzen kann mit Verordnung festlegen, in welchen Fällen und in welcher Höhe Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung ohne Anrechnung auf einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 und ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung zu berücksichtigen sind.

16 Hat der Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen u. a. durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung und erhält weder der Steuerpflichtige noch sein (Ehe‑)Partner noch sein Kind eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage), so steht ihm nach § 35 Abs. 1 EStG 1988 jeweils ein Freibetrag (§ 35 Abs. 3 EStG 1988) zu.

17 Anstelle des Freibetrages können nach § 35 Abs. 5 EStG 1988 auch die tatsächlichen Kosten aus dem Titel der Behinderung geltend gemacht werden.

18 Gemäß § 1 Abs. 1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBl. Nr. 303/1995 idF BGBl. Nr. 430/2010, sind die in den §§ 2 bis 4 dieser Verordnung genannten Mehraufwendungen als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, wenn der Steuerpflichtige Aufwendungen u.a. durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung hat. Diese Mehraufwendungen sind gemäß § 1 Abs. 3 der Verordnung nicht um eine pflegebedingte Geldleistung oder um einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 zu kürzen. Nach § 2 der Verordnung sind als Mehraufwendungen wegen Krankendiätverpflegung ohne Nachweis der tatsächlichen Kosten bei bestimmten Krankheiten näher geregelte Pauschalbeträge pro Kalendermonat zu berücksichtigen.

19 Wenn § 34 Abs. 6 EStG 1988 an die "Voraussetzungen des § 35 Abs. 1" anknüpft, so bezieht sich dies schon im Hinblick darauf, dass § 34 Abs. 6 EStG 1988 eine Berücksichtigung von Mehraufwendungen nur bei Übersteigen der pflegebedingten Geldleistungen vorsieht, nicht auch auf die in § 35 Abs. 1 EStG 1988 genannte Voraussetzung, dass keine pflegebedingten Geldleistungen bezogen werden (vgl. zur Entwicklung dieser Bestimmung Fuchs in Hofstätter/Reichel, § 34 Abs. 6 bis 9 EStG 1988, Tz 18).

20 Begünstigungsfähig als außergewöhnliche Belastung ist grundsätzlich nur der durch die Behinderung bedingte Mehraufwand, somit jener Aufwand, der über die typischen Kosten der Lebensführung hinausgeht (vgl. VwGH vom 2. Juni 2004, 2003/13/0074, VwSlg. 7933/F).

21 Kosten für die eigene Verpflegung sind typische Kosten der Lebensführung. Derartige Aufwendungen werden durch die tarifliche Steuerfreistellung des pauschalen Existenzminimums in § 33 Abs. 1 EStG 1988 berücksichtigt (vgl. VwGH vom 30. März 2016, 2013/13/0063, mwN). Es ist auch keineswegs außergewöhnlich, Mahlzeiten außerhalb des Hauses in Gaststätten einzunehmen (vgl. VwGH vom 23. November 1967, 1671/66, VwSlg. 3685/F; und vom 3. November 1992, 92/14/0135, mwN). Auch wenn im vorliegenden Fall die in einem Gasthaus zubereiteten Speisen nicht im Gasthaus, sondern zu Hause konsumiert wurden, so entstanden dadurch keine behinderungsbedingten (vgl. insoweit auch VwGH vom 10. Februar 2016, 2013/15/0254, betreffend Haushaltshilfe im Falle einer Krankheit oder Pflegebedürftigkeit) Mehraufwendungen. Mehraufwendungen wegen Krankendiätverpflegung aufgrund einer der in § 2 der Verordnung BGBl. Nr. 303/1996 genannten Krankheiten werden von der Mitbeteiligten nicht geltend gemacht.

22 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 15. September 2016

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