VwGH Ra 2015/02/0225

VwGHRa 2015/02/02257.3.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck und die Hofräte Dr. Lehofer und Dr. N. Bachler als Richter, unter Beiziehung der Schriftführerin Mag. Harrer, über die Revision des K in L, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom 2. September 2015, Zl. LVwG-4/2098/3-2015, betreffend Übertretung der StVO (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung), zu Recht erkannt:

Normen

VStG §19;
VStG §51;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §27;
VwGVG 2014 §28;
VwGVG 2014 §42;
VwRallg;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Salzburg hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung vom 27. November 2014 wurde der Revisionswerber schuldig erkannt, er habe am 20. September 2014 um 20:52 als Lenker an einem näher genannten Ort, welcher außerhalb eines Ortgebietes liege, die in diesem Bereich kundgemachte zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 64 km/h überschritten. Wegen dieser Übertretung nach § 52 lit. a Z 10a StVO wurde über den Revisionswerber gemäß § 99 Abs. 2e StVO eine Geldstrafe von EUR 400,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 84 Stunden) verhängt.

2 Die nur gegen die Strafhöhe gerichtete Beschwerde des Revisionswerbers wies das Landesverwaltungsgericht Salzburg mit Erkenntnis vom 16. Februar 2015 als unbegründet ab. Dagegen erhob der Revisionswerber Revision an den Verwaltungsgerichtshof, der mit Erkenntnis vom 6. Juli 2015, Zl. Ra 2015/02/0042, das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufhob, weil das Verwaltungsgericht das Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung bei der Strafzumessung als erschwerend berücksichtigt hatte, obwohl dieser Umstand bereits für den Strafsatz des § 99 Abs. 2e StVO relevant gewesen war.

3 Mit dem nunmehr angefochtenen, im fortgesetzten Verfahren ergangenen Erkenntnis vom 2. September 2015 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde abermals als unbegründet ab.

In diesem Erkenntnis verweist das Verwaltungsgericht zunächst darauf, dass der Revisionswerber die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 64 km/h überschritten habe und somit gemäß § 99 Abs. 2e StVO der Strafrahmen von EUR 150,-- bis EUR 2.180,-- betrage. Durch die gravierende Überschreitung der höchstzulässigen Geschwindigkeit werde die Verkehrssicherheit massiv reduziert, weil solch überhöhte Geschwindigkeiten immer wieder Ursache für schwere und schwerste Verkehrsunfälle darstellten.

Als strafmildernd werde die bisherige verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit gewertet. Andere Milderungsgründe oder besondere Erschwerungsgründe seien im Verfahren nicht hervorgekommen. An Verschulden sei dem Revisionswerber zumindest grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen, weil ihm als geprüftem Kfz-Lenker die erhebliche Überschreitung der höchstzulässigen Geschwindigkeit in diesem Streckenabschnitt hätte auffallen müssen. Ansatzpunkte für eine außerordentliche Milderung der Strafe iSd § 20 VStG hätten sich im Verfahren nicht ergeben. Aufgrund der vom Revisionswerber gemachten Angaben sei von durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen auszugehen. Die Strafe sei auch aus spezialpräventiven Gründen jedenfalls erforderlich, um dem Revisionswerber das Unrecht der Tat vor Augen zu führen und ihn in Zukunft von ähnlichen Übertretungen abzuhalten. Die Strafhöhe erscheine auch aus generalpräventiven Gründen erforderlich, um hinkünftig derartige Geschwindigkeitsübertretungen wirksam zurückzudrängen.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision des Revisionswerbers, in der beantragt wird, der Verwaltungsgerichtshof möge die Revision zulassen, dieser Folge geben und das angefochtene Erkenntnis kostenpflichtig aufheben. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu als unbegründet abzuweisen, und den Revisionswerber zum Kostenersatz zu verpflichten. Der Revisionswerber erstattete eine Äußerung zur Revisionsbeantwortung.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

5 Gemäß § 99 Abs. 2e StVO in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 39/2013 begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von 150,-- bis 2.180,-- Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe von 48 Stunden bis zu sechs Wochen, zu bestrafen, wer die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 40 km/h oder außerhalb des Ortsgebiets um mehr als 50 km/h überschreitet.

6 Gemäß § 19 Abs. 1 VStG sind Grundlage für die Bemessung der Strafe die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat. Nach Abs. 2 leg. cit. sind im ordentlichen Verfahren (§§ 40 bis 46) überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und allfällige Sorgepflichten des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

7 Die Revision zulässig und - im Ergebnis - auch berechtigt. 8 Der Revisionswerber meint zunächst, das Verwaltungsgericht

habe gegen die Bindungswirkung des hg. Erkenntnisses vom 6. Juli 2015, Zl. Ra 2015/02/0042, verstoßen, indem es im zweiten Rechtsgang wieder auf das Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung Bezug genommen habe.

9 Zwar ist dem Revisionswerber einzuräumen, dass auch im nunmehr angefochtenen Erkenntnis die "gravierende Überschreitung" der Geschwindigkeit angesprochen wird. Es ist für den Verwaltungsgerichtshof jedoch nicht erkennbar, dass das Ausmaß der Geschwindigkeitsübertretung abermals als Erschwerungsgrund Eingang in die Strafbemessung gefunden hat und das Verwaltungsgericht damit gegen die Bindungswirkung verstoßen hätte.

10 Soweit der Revisionswerber rügt, dass § 19 VStG weder die General- noch die Spezialprävention als Strafbemessungskriterien enthalte und diese daher vom Verwaltungsgericht bei der Strafbemessung nicht hätten berücksichtigt werden dürfen, ist ihm entgegenzuhalten, dass die Behörde (und nunmehr auch das Verwaltungsgericht) nach der hg. Rechtsprechung in die Strafbemessung Überlegungen der Spezial- und Generalprävention einbeziehen darf (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 24. November 2008, Zl. 2006/05/0113 m.w.H.).

11 Bei der Strafbemessung hat die Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung als Erstbehörde u. a. die gravierende Geschwindigkeitsüberschreitung durch den Revisionswerber als erschwerend berücksichtigt und ist insgesamt zum Ergebnis gekommen, dass eine Strafe von EUR 400,-- zu verhängen war. Konkret führte die Bezirkshauptmannschaft Salzburg bei der Strafbemessung in ihrem Straferkenntnis Folgendes aus (Schreibweise und Fehler im Original):

"Die von Ihnen angegebenen Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse wurden berücksichtigt. Weitere besondere erschwerende oder mildernde Umstände sind nicht bekannt geworden.

Strafmildernd wurde ihre Unbescholtenheit im Bezirk Salzburg-Umgebung gewertet.

Der Beschuldigte hat durch eine erhebliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit welche im Tatortbereich 70 km/h betragen hat, um 91%, dem Schutzzweck der Straßenverkehrsordnung gravierend zuwider gehandelt. Zweck der Straßenverkehrsordnung ist es, für alle Verkehrsteilnehmer eine geordnete und möglichst gefahrlose Benutzung der Straßen zu gewährleisten. Dies, um die mit der Benützung von öffentlichen Straßen verbundenen Gefahren für körperliche Unversehrtheit, Leben sowie Eigentum an Sachen, hintanzuhalten. Geschwindigkeitsübertretzungen führen häufig zu schweren Verkehrsunfällen nicht nur mit hohen Sach-, sondern auch mit schweren Personenschäden.

Der Unrechtsgehalt der zu beurteilenden Verwaltungsübertretung ist daher als gravierend zu bezeichnen. (...)

Gegen eine niedrigere Straffestsetzung sprechen auch general- und spezialpräventive Erwägungen; (...)."

12 Mit dem aufgehobenen Erkenntnis vom 16. Februar 2015 war die von der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung verhängte Strafe von EUR 400,-- vom Verwaltungsgericht unter (unzulässiger) Berücksichtigung der Geschwindigkeitsübertretung im Rahmen der Strafbemessung bestätigt worden.

13 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wurde die Beschwerde des Revisionswerbers erneut abgewiesen und die von der Erstbehörde verhängte Strafe von EUR 400,-- erneut bestätigt, wobei das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis bei der Strafbemessung gemäß dem hg. Erkenntnis vom 6. Juli 2015, Zl. Ra 2015/02/0042, auf das Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung nicht (mehr) Bezug nimmt.

14 Gemäß § 42 VwGVG darf auf Grund einer vom Beschuldigten oder auf Grund einer zu seinen Gunsten erhobenen Beschwerde in einem Erkenntnis oder in einer Beschwerdevorentscheidung keine höhere Strafe verhängt werden als im angefochtenen Bescheid.

15 Wie der Verwaltungsgerichtshof zu § 51 VStG ausgesprochen hat, verstößt die Berufungsbehörde unter anderem dann nicht gegen das Verschlimmerungsverbot, wenn sie im Rahmen der vorzunehmenden eigenen Bewertung von Milderungs- und Erschwernisgründen trotz Wegfalls eines Erschwerungsgrundes oder Hinzutritts eines Milderungsgrundes begründeter Weise zur gleichen Strafhöhe gelangt wie die erstinstanzliche Behörde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Oktober 2007, Zl. 2006/09/0031).

16 Da in Verwaltungsstrafsachen auch nach der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 weiterhin das Verbot der "reformatio in peius" besteht (vgl. hierzu auch das hg. Erkenntnis vom 9. September 2015, Zl. Ro 2015/03/0032), sind die Grundsätze der zitierten Rechtsprechung auch auf den vorliegenden Fall übertragbar.

17 Es läge somit kein Verstoß gegen das Verschlimmerungsverbot vor, wenn das Verwaltungsgericht bei Verneinung eines von der Verwaltungsstrafbehörde für die Bemessung der Strafe herangezogenen Erschwerungsgrundes die verhängte Strafe nicht herabsetzt, wenn es in der Lage ist zu begründen, dass andere Umstände vorlagen, die es rechtfertigen, das Ausmaß der verhängten Strafe für angemessen zu halten (vgl. zur alten Rechtslage nach § 51 VStG die hg. Erkenntnisse vom 15. Mai 1990, Zl. 90/02/0016, sowie vom 2. September 1992, Zl. 92/02/0211).

18 Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht trotz Wegfall eines - von der Erstbehörde zu Unrecht herangezogenen - Erschwerungsgrundes die von der Erstbehörde verhängte Strafe bestätigt. Andere Erschwerungsgründe, die für die Verhängung einer Strafe in der gleichen Höhe wie im Straferkenntnis der Erstbehörde sprächen, hat das Verwaltungsgericht im angefochtenen jedoch Erkenntnis nicht angeführt, sondern lediglich festgehalten, dass kein Erschwerungsgrund vorgelegen habe. Damit hat das Verwaltungsgericht jedoch nicht im Sinne der zitierten hg. Judikatur ausreichend dargelegt, weshalb dennoch dieselbe Strafe wie die der belangten Behörde zu verhängen war.

19 Im Übrigen ist anzumerken, dass das Verwaltungsgericht zwar festhält, dass die konkrete Strafhöhe aus spezialpräventiven Gründen erforderlich sei, dies jedoch nicht weiter begründet. Das Verwaltungsgericht geht vielmehr an anderer Stelle davon aus, dass der Revisionswerber unbescholten sei, sodass sich für den Verwaltungsgerichtshof nicht erschließt, welche spezialpräventiven Gründe für die Strafbemessung tatsächlich maßgeblich waren.

20 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.

21 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am 7. März 2016

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