VwGH Ra 2015/01/0232

VwGHRa 2015/01/023219.4.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Berger, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Landeck in 6500 Landeck, Tirol, Innstraße 5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 14. Oktober 2015, Zl. LVwG- 2015/23/1167-16, betreffend Beschwerde nach § 88 Abs. 2 SPG (mitbeteiligte Partei: C I in I, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48), zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art130 Abs1 Z2;
LPolG Tir 1976 §10 Abs1;
LPolG Tir 1976;
SPG 1991 §19;
SPG 1991 §2 Abs2;
SPG 1991 §3;
SPG 1991 §88 Abs2;
SPG 1991 §88;
B-VG Art130 Abs1 Z2;
LPolG Tir 1976 §10 Abs1;
LPolG Tir 1976;
SPG 1991 §19;
SPG 1991 §2 Abs2;
SPG 1991 §3;
SPG 1991 §88 Abs2;
SPG 1991 §88;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seiner Anfechtung, sohin in seinen Spruchpunkten 1., 3. und 5., wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

I.

Angefochtenes Erkenntnis

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol (Verwaltungsgericht) vom 14. Oktober 2015 wurde gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG der Maßnahmenbeschwerde der mitbeteiligten Partei gegen die Amtshandlung durch Beamte der Polizeiinspektion Landeck insofern stattgegeben, als festgestellt wurde, dass die mitbeteiligte Partei durch die Aufforderung seitens eines Beamten der Polizeiinspektion Landeck am 27. März 2015 zwischen 10.30 und 11.45 Uhr im Vernehmungszimmer der Polizeiinspektion Landeck, ihr Erbrochenes selbst "aufzuputzen", in ihren Rechten verletzt worden ist (Spruchpunkt 1.).

2 Die Bezirkshauptmannschaft Landeck wurde gemäß § 35 Abs. 2, 4 und 7 VwGVG iVm § 1 VwG-Aufwandersatzverordnung verpflichtet, der mitbeteiligten Partei den Schriftsatzaufwand und Verhandlungsaufwand in der Höhe von insgesamt EUR 1.659,60 binnen zwei Wochen nach Zustellung des Erkenntnisses zu ersetzen (Spruchpunkt 3.).

3 Die ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt (Spruchpunkt 5.).

4 Begründend stellte das Verwaltungsgericht fest, zwei Polizeibeamten der Polizeiinspektion Landeck hätten am 27. März 2015 zwischen 10.00 und 10.30 Uhr die mitbeteiligte Partei im Stadtgebiet von Landeck beobachtet, wie sie gebettelt habe. Da ihr Verhalten als aggressives Betteln gewertet worden sei, sei die mitbeteiligte Partei einer Kontrolle unterzogen worden, im Zuge derer hervorgekommen sei, dass gegen die mitbeteiligte Partei eine offene Verwaltungsstrafe der Bezirkshauptmannschaft Schwaz bestehe. Zwecks Abklärung hätten die Beamten die mitbeteiligte Partei aufgefordert, mit ihnen auf die Polizeistation zu kommen.

5 Unmittelbar nach Betreten der Polizeiinspektion habe die mitbeteiligte Partei die Gegenstände, die sie mitgeführt habe, auf Aufforderung der Beamten in eine Depositenbox gelegt, wo sie bis zur Übergabe im Polizeianhaltezentrum verwahrt worden seien.

6 Im Vernehmungszimmer sei die mitbeteiligte Partei zunächst auf einem Stuhl gesessen, habe sich danach auf den Boden gelegt und erbrochen. Da sie am Boden liegen geblieben sei und sich nicht gerührt habe, habe ein Polizeibeamter das Gesicht der mitbeteiligten Partei mit Wasser besprenkelt, worauf sie aufgestanden sei und sich wieder auf den Stuhl gesetzt habe. Auf Grund der Tatsache, dass sie an einer ansteckenden Krankheit leide, sei die mitbeteiligte Partei vom Polizeibeamten aufgefordert bzw. gebeten worden, das von ihr Erbrochene aufzuwischen, was sie in weiterer Folge auch getan habe, nachdem der Polizeibeamte Reinigungsutensilien gebracht habe. Nach Abschluss der Amtshandlung sei die Rettung gerufen worden, um den gesamten Raum zu desinfizieren. Einen Arzt habe die mitbeteiligte Partei zu keinem Zeitpunkt verlangt, ebenso wenig die Kontaktaufnahme mit einer Vertrauensperson.

7 Um 11.50 Uhr sei die Festnahme der mitbeteiligten Partei ausgesprochen worden, nachdem die Bezirkshauptmannschaft Landeck den Auftrag zur Vorführung zum Strafantritt erteilt habe.

8 Nach Ausführung der Beweiswürdigung und Anführung der Rechtsgrundlagen führte das Verwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht zu Spruchpunkt 1. aus, die mitbeteiligte Partei erachte sich durch die Tatsache, dass sie von den Polizeibeamten aufgefordert worden sei, ihr Erbrochenes selbst aufzuwischen, in ihrem Recht gemäß Art. 3 EMRK verletzt. Diesbezüglich könne dahingestellt bleiben, ob die mitbeteiligte Partei eine Krankheit nur vorgetäuscht und ihr Erbrechen absichtlich herbeigeführt habe. Unstrittig sei, dass sie nach Aufforderung eines Polizeibeamten, der auch Reinigungsutensilien gebracht habe, ihr Erbrochenes aufgewischt habe.

9 Bei dieser Aufforderung habe es an der Befehls- und Zwangsgewalt gefehlt, zumal die mitbeteiligte Partei nicht damit rechnen habe müssen, nach Verweigerung der Aufforderung unmittelbar mittels Befehls- und Zwangsgewalt zum Aufwischen verhalten zu werden.

10 Jedoch würden die Landesverwaltungsgerichte gemäß § 88 Abs. 2 SPG auch über Beschwerden von Personen erkennen, die behaupten, auf andere Weise durch die Besorgung der Sicherheitsverwaltung in Rechten verletzt worden zu sein, soweit dies nicht in Form eines Bescheides erfolgt sei. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall gegeben.

11 Art. 3 EMRK verbiete unter anderem eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung von Personen durch staatliche Organe. Erniedrigend sei eine Behandlung, wenn der Betroffene ohne besonderen Grund gedemütigt oder entwürdigt werde.

12 Diese Voraussetzungen seien fallbezogen gegeben gewesen. Selbst in Anbetracht der Tatsache, dass die mitbeteiligte Partei an einer ansteckenden Krankheit gelitten habe, sei die Aufforderung, ihr Erbrochenes aufzuwischen, nicht notwendig und daher unverhältnismäßig gewesen, zumal anschließend ohnehin eine Desinfizierung des gesamten Raumes durch die Rettung erfolgt sei. Revision

13 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die vom Verwaltungsgericht gemäß § 30a Abs. 7 VwGG unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt wurde.

14 Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Grundsätzlich

15 Die belangte Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht bringt in ihrer Amtsbeschwerde als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, das Verwaltungsgericht habe abweichend von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht berücksichtigt, dass für die Anwendung von § 88 Abs. 2 SPG wesentlich sei, dass der Amtshandlung eine sicherheitspolizeiliche Komponente inne wohne. Die in Rede stehende Amtshandlung nach dem Tiroler Landes-Polizeigesetz iVm VStG habe jedoch nicht zur Sicherheitsverwaltung im Sinne des § 2 SPG gehört. Dem angefochtenen Erkenntnis ließen sich keinerlei Prüfschritte oder Erwägungen zu diesem wesentlichen rechtlichen Aspekt entnehmen.

16 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch berechtigt. Rechtslage

17 Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausübung der Sicherheitspolizei (Sicherheitspolizeigesetz - SPG), BGBl. Nr. 566/1991 in der Fassung BGBl. I Nr. 97/2014, lauten:

"Besorgung der Sicherheitsverwaltung

§ 2. ...

(2) Die Sicherheitsverwaltung besteht aus der Sicherheitspolizei, dem Paß- und dem Meldewesen, der Fremdenpolizei, der Überwachung des Eintrittes in das Bundesgebiet und des Austrittes aus ihm, dem Waffen-, Munitions-, Schieß- und Sprengmittelwesen sowie aus dem Pressewesen und den Vereins- und Versammlungsangelegenheiten.

Sicherheitspolizei

§ 3. Die Sicherheitspolizei besteht aus der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, ausgenommen die örtliche Sicherheitspolizei (Art. 10 Abs. 1 Z 7 B-VG), und aus der ersten allgemeinen Hilfeleistungspflicht.

...

Beschwerden wegen Verletzung subjektiver Rechte

§ 88. ...

(2) Außerdem erkennen die Landesverwaltungsgerichte über Beschwerden von Menschen, die behaupten, auf andere Weise durch die Besorgung der Sicherheitsverwaltung in ihren Rechten verletzt worden zu sein, sofern dies nicht in Form eines Bescheides erfolgt ist."

Rechtsprechung des VwGH zu § 88 Abs. 2 SPG

18 Eine Beschwerde nach § 88 SPG ist eine solche, die sich auf Verwaltungsakte im Bereich der Sicherheitsverwaltung bezieht (vgl. den hg. Beschluss vom 26. März 2007, 2005/01/0039, mwN) und kommt damit nur innerhalb der Sicherheitsverwaltung in Frage (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. März 2006, 2003/01/0596, mwN).

19 Dafür ist es bereits ausreichend, dass der Amtshandlung eine sicherheitspolizeiliche Komponente innewohnte und dass solcherart zumindest auch Aufgaben der Sicherheitsverwaltung besorgt wurden (vgl. das genannte Erkenntnis 2003/01/0596, mwN; sowie zur sicherheitspolizeilichen Komponente auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) vom 12. Dezember 1998, B 1341/97, VfSlg. 15.372). Entscheidend ist, ob dem Beschwerdevorbringen der Mitbeteiligten oder den getroffenen Feststellungen etwas zu entnehmen ist, was dem Verhalten der einschreitenden Polizeibeamten eine sicherheitspolizeiliche Komponente verleihen könnte (vgl. den hg. Beschluss vom 25. März 2003, 2002/01/0252).

20 Aus dem sicherheitspolizeilichen Charakter der Verhaltensweisen folgt einerseits, dass sie im Weg des § 88 Abs. 2 SPG bekämpft werden können, selbst wenn sie sich nicht als Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt darstellen sollten. Andererseits steht damit fest, dass diese Maßnahmen nur dann rechtens waren, wenn sie in den der sicherheitspolizeilichen Aufgabenerfüllung zur Verfügung stehenden Befugnissen Deckung fanden (vgl. das Erkenntnis vom 30. Jänner 2001, 2000/01/0018, mwN).

21 Zu Beschimpfungen durch behördliche Organe im Zuge einer Amtshandlung hat der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten, dass diese keine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt darstellen und daher als solche auch nicht selbständig Gegenstand einer Maßnahmenbeschwerde sein können. Soweit ihnen eine sicherheitspolizeiliche Komponente inne wohnt, können sie allerdings mit einer Beschwerde nach § 88 Abs. 2 SPG bekämpft werden. Dies ist dann der Fall, wenn diese mit dem polizeilichen Handeln rechtlich oder tatsächlich verbunden sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. Dezember 2007, 2004/01/0133).

22 Diese zur Zuständigkeit der Unabhängigen Verwaltungssenate nach § 88 Abs. 2 SPG ergangene Rechtsprechung ist auch für die inhaltsgleiche Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte nach § 88 Abs. 2 SPG maßgeblich.

Fallbezogene Beurteilung

23 Das Vorbringen der Amtsbeschwerde, das Verwaltungsgericht sei im angefochtenen Erkenntnis von dieser Rechtsprechung abgewichen bzw. habe diese nicht berücksichtigt, besteht zu Recht.

24 Nach den unstrittigen Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses erfolgte die Aufforderung der Polizeibeamten an die mitbeteiligte Partei, ihr Erbrochenes aufzuwischen, zeitlich vor dem Ausspruch der Festnahme. Diese Aufforderung ist daher nicht als Modalität der Festnahme anzusehen (vgl. zu einer Modalität einer Maßnahme etwa das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 2006, 2005/01/0032).

25 Die einzelfallbezogene Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, bei dieser Aufforderung habe es sich um keine Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gehandelt, ist nicht unvertretbar.

26 Fallbezogen ist entscheidend, ob der bekämpften Amtshandlung (der Aufforderung an die mitbeteiligte Partei, ihr Erbrochenes aufzuwischen) eine sicherheitspolizeiliche Komponente inne gewohnt hat.

27 Das Verwaltungsgericht hat sich jedoch, wie von der Amtsbeschwerde zutreffend gerügt, mit den Rechtsgrundlagen der Amtshandlung (bis zur Festnahme) nicht beschäftigt. Es spricht in diesem Zusammenhang lediglich von einer "offenen Verwaltungsstrafe" der Bezirkshauptmannschaft Schwaz. Wie von der Amtsrevision vorgebracht und durch die Aktenlage bestätigt, handelt es sich um den Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe betreffend eine Übertretung nach § 10 Abs. 1 Tiroler Landes-Polizeigesetz (Bettelverbot).

Auch mit der Frage einer allfällig vorliegenden sicherheitspolizeilichen Komponente der Aufforderung, das Erbrochene aufzuwischen, hat sich das Verwaltungsgericht nicht beschäftigt. So finden sich keinerlei Ausführungen darüber, ob die verfahrensgegenständliche Aufforderung mit sicherheitspolizeilichem Handeln rechtlich oder tatsächlich verbunden war.

Vielmehr hat das Verwaltungsgericht ohne Weiteres angenommen, dass die Voraussetzungen des § 88 Abs. 2 SPG im vorliegenden Fall gegeben seien.

28 Diese Auffassung besteht nicht zu Recht:

Bei der Vollziehung des Tiroler Landes-Polizeigesetzes handelt es sich um keine Angelegenheit der Sicherheitsverwaltung gemäß § 2 Abs. 2 SPG.

Die Aufforderung der Polizeibeamten an die mitbeteiligte Partei, die von ihr mitgeführten Gegenstände in eine Depositenbox zu legen, kann entgegen der Auffassung der mitbeteiligten Partei keine sicherheitspolizeiliche Komponente begründen, sondern ist im Zusammenhang mit dem in Aussicht genommenen Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe betreffend eine Übertretung nach § 10 Abs. 1 Tiroler Landes-Polizeigesetz zu sehen.

Auch die Berufung der mitbeteiligten Partei auf die erste allgemeine Hilfeleistungspflicht nach § 19 SPG kann eine sicherheitspolizeiliche Komponente der Amtshandlung nicht darstellen, da es diese den Sicherheitsbehörden nur zur Aufgabe macht, subsidiär im Rahmen verwaltungspolizeilicher Gefahrenabwehr einzuschreiten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Juni 2008, 2005/05/0377, mwN). Vorliegend erfolgte das Handeln der Polizeiorgane jedoch wie angeführt im Rahmen des in Aussicht genommenen Vollzugs einer Ersatzfreiheitsstrafe betreffend eine Übertretung nach § 10 Abs. 1 Tiroler Landes-Polizeigesetz. Ergebnis

29 Indem das Verwaltungsgericht dennoch angenommen hat, dass die Voraussetzungen des § 88 Abs. 2 SPG im vorliegenden Fall gegeben seien, hat es das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

30 Dieses war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 19. April 2016

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