VwGH Ra 2015/22/0114

VwGHRa 2015/22/011415.12.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrat Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl und die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revision der Bundesministerin für Inneres gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 12. Juni 2015, Zl. VGW- 151/084/4105/2015-1, betreffend Ausstellung einer Aufenthaltskarte nach dem NAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Landeshauptmann von Wien; mitbeteiligte Partei: O F A, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11), zu Recht erkannt:

Normen

NAG 2005 §52;
NAG 2005 §53;
NAG 2005 §54;
NAG 2005 §55;
NAG 2005 §56;
NAG 2005 §57;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
NAG 2005 §52;
NAG 2005 §53;
NAG 2005 §54;
NAG 2005 §55;
NAG 2005 §56;
NAG 2005 §57;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 23. Dezember 2014 wurde der Antrag des Mitbeteiligten, eines nigerianischen Staatsbürgers, vom 27. Februar 2014 "auf Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes" gemäß § 54 Abs. 1 in Verbindung mit § 57 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen. Begründend führte die Behörde aus, der Mitbeteiligte habe nicht nachweisen können, dass seine Ehegattin, eine österreichische Staatsbürgerin, ihr unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in einem anderen EWR-Mitgliedstaat in Anspruch genommen hätte.

Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Verwaltungsgericht Wien mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis statt und behob den Bescheid der Behörde ersatzlos. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für unzulässig erklärt.

In der Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, bei der gegenständlich beantragten Ausstellung einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 NAG handle es sich nicht um einen Antrag auf Erlassung eines Bescheides, sondern um einen solchen auf die Ausstellung einer Urkunde. Die vom Mitbeteiligten begehrte Aufenthaltskarte verschaffe nämlich kein Recht, wirke also nicht konstitutiv, sondern bestätige lediglich das Bestehen eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes, sofern ein solches überhaupt bestehe. Es handle sich somit um einen bloß deklarativ wirkenden Verwaltungsakt in Form einer Urkunde. Die Behörde habe aufgrund der speziellen Verfahrensvorschriften des § 55 NAG im Licht des hg. Erkenntnisses vom 17. November 2011, 2009/21/0378, bei einem Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte nur die Möglichkeiten, entweder bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen die beantragte Karte auszustellen, oder - wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen - den Antragsteller hierüber gemäß § 55 Abs. 3 NAG in Kenntnis zu setzen und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl entsprechend dieser Bestimmung zu befassen. Da der Behörde somit aufgrund der Verfahrensvorschriften gemäß § 55 Abs. 3 NAG keine Befugnis zu einer bescheidmäßigen Abweisung eines Antrages auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 NAG zugekommen sei, sei der bekämpfte Bescheid ersatzlos zu beheben gewesen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die gegenständliche außerordentliche Revision; Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, obwohl das Verwaltungsgericht die Feststellungen der belangten Behörde über das Nichtvorliegen eines grenzüberschreitenden Sachverhaltes unbestritten habe lassen und damit implizit bestätigt habe, dass kein Freizügigkeitssachverhalt vorliege, komme es entgegen § 57 NAG zum Ergebnis, dass bei Beantragung einer Aufenthaltskarte in jedem Fall nach § 55 NAG vorzugehen sei und zwar unabhängig davon, ob der zusammenführende österreichischer Staatsbürger von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht habe oder nicht. Im Falle der Beantragung einer Dokumentation durch Angehörige von nicht freizügigkeitsberechtigten Österreichern sei der Antrag ab- bzw. zurückzuweisen.

Die Revision ist zulässig und auch berechtigt. § 52, § 54 und § 57 NAG lauten auszugsweise:

"§ 52. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. Ehegatte oder eingetragener Partner sind;

..."

"§ 54. (1) Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51) sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, sind zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Dieser Antrag ist innerhalb von vier Monaten ab Einreise zu stellen. § 1 Abs. 2 Z 1 gilt nicht.

..."

"§ 57. Die Bestimmungen der §§ 51 bis 56 finden auch auf Schweizer Bürger, die das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben, und deren Angehörige Anwendung. Für Angehörige von Österreichern gelten die Bestimmungen der §§ 52 bis 56 sinngemäß, sofern der Österreicher sein unionsrechtliches oder das ihm auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in einem anderen EWR-Mitgliedstaat oder in der Schweiz in Anspruch genommen hat und im Anschluss an diesen Aufenthalt nach Österreich nicht bloß vorübergehend zurückkehrt."

§ 55 NAG in der hier anzuwendenden Fassung vor BGBl. I Nr. 70/2015 lautete auszugsweise:

"§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

...

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7.

(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" quotenfrei zu erteilen.

(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird."

Am 27. Februar 2014 stellte der Mitbeteiligte unter Bezugnahme auf seine österreichische Ehegattin einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 in Verbindung mit § 57 NAG.

Wenn die Voraussetzung des § 57 NAG, nämlich dass die zusammenführende Ehegattin ihr unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen hat, nicht vorliegt, ist der Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte abzuweisen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 18. Februar 2010, 2010/22/0010 und vom 26. Februar 2013, 2010/22/0104).

Dem steht auch nicht das vom Verwaltungsgericht zitierte hg. Erkenntnis vom 17. November 2011, 2009/21/0378 (in dem der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen hat, dass die Niederlassungsbehörde, sofern sie der Ansicht ist, dass die Voraussetzungen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts nachträglich weggefallen sind, nach § 55 NAG vorzugehen hat und nicht zur Antragsabweisung berechtigt ist), entgegen, weil gemäß dem Wortlaut des § 57 NAG die Bestimmungen der §§ 52 bis 56 leg. cit. nur dann sinngemäß gelten, wenn der Österreicher sein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen hat.

Das Verwaltungsgericht hat daher in Verkennung der Rechtslage - und ohne auf das Beschwerdevorbringen des Mitbeteiligten einzugehen - zu Unrecht der belangten Behörde die Befugnis zu einer bescheidmäßigen Abweisung der beantragten Ausstellung einer Aufenthaltskarte abgesprochen.

Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 15. Dezember 2015

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