VwGH Ra 2015/22/0021

VwGHRa 2015/22/002117.11.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrat Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revision der GPF in Wien, vertreten durch Dr. Robert Hyrohs, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Lenaugasse 3, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 28. Oktober 2014, Zl. VGW- 151/081/11070/2014-46, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3;
VwGVG 2014 §25a Abs1;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien der Säumnisbeschwerde der Revisionswerberin gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 VwGVG statt (Spruchpunkt I) und wies ihren Antrag vom 26. Mai 2011 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger von Österreicher" (§ 8 Abs. 1 Z 8 NAG) ab (Spruchpunkt II). Die ordentliche Revision wurde für unzulässig erklärt (Spruchpunkt IV).

Das Verwaltungsgericht stellte den Verfahrensgang und die Ergebnisse der am 18. September 2014 durchgeführten Verhandlung dar. In der Verhandlung habe die Revisionswerberin angegeben, dass sie vier Wohnungen vermiete, die sie von ihrem Ehemann gemietet habe, ohne selbst dafür Miete zahlen zu müssen. Mit dem daraus erzielten Einkommen bestreite sie ihren Lebensunterhalt. Auf Sachverhaltsebene ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass der Ehemann der Revisionswerberin, der österreichische Staatsbürger A W, der Revisionswerberin fünf Wohnungen vermiete. In einer dieser Wohnungen lebten die Ehegatten gemeinsam, wobei die Revisionswerberin für diese Wohnung ihrem Ehemann Miete in der Höhe von EUR 572,68 monatlich zahle. Die Revisionswerberin lukriere aus Mieteinnahmen (aus der Vermietung der weiteren vier Wohnungen) ein Einkommen von EUR 4.307,81 im Jahr, was einem monatlichen Einkommen von EUR 358,98 entspreche. Weiters traf das Verwaltungsgericht Feststellungen zum Einkommen des A W (in der Höhe von insgesamt EUR 2.069,20 monatlich).

In seiner Beweiswürdigung führte das Verwaltungsgericht - soweit für das vorliegende Revisionsverfahren relevant - aus, dass sich die Feststellung, wonach die Revisionswerberin Einnahmen von EUR 358,98 monatlich aus Vermietung lukriere, auf den von ihr vorgelegten Einkommensteuerbescheid aus dem Jahr 2013 gründe. Die von der Revisionswerberin vorgenommene Aufstellung von Einnahmen aus Vermietung erscheine hingegen nicht nachvollziehbar, weitere Einnahmen aus Vermietung seien auch nicht belegt.

In seiner rechtlichen Beurteilung (betreffend Spruchpunkt II) hielt das Verwaltungsgericht fest, dass zur Sicherung der Finanzierung des Aufenthaltes der Revisionswerberin - unter Berücksichtigung insbesondere der Unterhaltsverpflichtungen des

A W gegenüber zwei früheren Ehefrauen sowie mehreren Kindern - ein monatliches Nettohaushaltseinkommen von insgesamt EUR 2.623,01 nachzuweisen wäre. Unter Berücksichtigung des Einkommens beider Ehepartner würde aber nur ein Betrag von EUR 2.428,18 zur Verfügung stehen. Somit sei die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAG nicht erfüllt. Bei der abschließend vorgenommenen Interessenabwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG gelangte das Verwaltungsgericht zum Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens überwiege. Der gegenständliche Antrag sei somit auf Grund des Fehlens der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAG abzuweisen gewesen.

2. Ausschließlich gegen Spruchpunkt II dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

3.1. Die Revisionswerberin bringt vor, dass das angefochtene Erkenntnis an einer offenkundigen aktenwidrigen Feststellung leide. Die Feststellung des Verwaltungsgerichtes zum Einkommen der Revisionswerberin aus Mieteinnahmen finde in der Aktenlage keine Deckung. Die Revisionswerberin habe - der diesbezüglichen Feststellung des Verwaltungsgerichtes widersprechende - Aufstellungen ihrer Mieteinnahmen für das vierte Quartal 2013 und die ersten beiden Quartale 2014 (allein in diesen beiden Quartalen 2014 hätten die Einkünfte aus Vermietung EUR 8.604,51 betragen) vorgelegt. Dem (vom Verwaltungsgericht herangezogenen) Einkommensteuerbescheid würden nur Einkünfte für das vierte Quartal 2013 zugrunde liegen. Die diesem Einkommensteuerbescheid zu entnehmenden Einnahmen in der Höhe von EUR 4.307,81 seien daher auf ein Kalenderjahr hochzurechnen, woraus ein monatliches Nettoeinkommen von EUR 1.435,- resultiere. Unter Zugrundelegung des insofern höheren Einkommens der Revisionswerberin würde das monatliche Haushaltsnettoeinkommen (von ihr und ihrem Ehemann) den gesetzlich geforderten Betrag übersteigen. Das Verfahren sei mangelhaft gewesen, weil die Begründung in den Verfahrensergebnissen keine Deckung finde.

Die Revision ist - aus nachstehenden Gründen - zulässig und im Ergebnis auch berechtigt.

3.2. Einzig erhebliche Frage ist im vorliegenden Fall, ob die vom Verwaltungsgericht der rechtlichen Beurteilung bzw. der Bejahung des Vorliegens des Erteilungshindernisses nach § 11 Abs. 2 Z 4 NAG zugrunde gelegten Feststellungen zum Einkommen der Revisionswerberin in einem mängelfreien Verfahren getroffen worden sind.

Auch Rechtsfragen des Verfahrensrechts können solche von grundsätzlicher Bedeutung sein, wobei bei einem Verfahrensmangel auch die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang dargetan werden muss, das heißt, dass dieser abstrakt geeignet sein muss, im Falle eines mängelfreien Verfahrens zu einer anderen - für den Revisionswerber günstigeren - Sachverhaltsgrundlage zu führen (siehe den hg. Beschluss vom 24. März 2015, Ra 2015/05/0006, mwN). Die Relevanz ist im vorliegenden Fall gegeben, weil eine Feststellung des Einkommens der Revisionswerberin in der von ihr vorgebrachten Höhe zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen kann.

Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wird dann aufgeworfen, wenn eine Annahme des Verwaltungsgerichtes in unvertretbarer Weise unter Außerachtlassung tragender Verfahrensgrundsätze nicht mit den vorgelegten Akten übereinstimmt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. März 2015, Ra 2014/09/0043, 0044; zur Prüfung einer ins Treffen geführten Aktenwidrigkeit im Hinblick auf das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung siehe auch die hg. Beschlüsse vom 24. Juni 2015, Ra 2014/04/0021, und vom 24. Juni 2014, Ra 2014/05/0004).

Der Verwaltungsgerichtshof ist zwar als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt - als Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - allerdings dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 2. September 2015, Ra 2015/19/0091, 0092, mwN).

Die Beweiswürdigung ist nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges (nicht aber die konkrete Richtigkeit) handelt bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind (siehe das hg. Erkenntnis vom 9. September 2015, Ra 2014/04/0036, mwN).

3.3. Im vorliegenden Fall stützte sich das Verwaltungsgericht für seine Feststellungen zum Einkommen der Revisionswerberin allein auf den vorgelegten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2013, während es die vorgelegten Aufstellungen der Revisionswerberin über Mieteinnahmen als nicht nachvollziehbar erachtete.

Die Revisionswerberin hat allerdings bereits bei der Vorlage des Einkommensteuerbescheides für 2013 vorgebracht, dass sich dieser Bescheid nur auf Einkünfte im vierten Quartal 2013 bezieht. Dieses Vorbringen wird durch die von ihr vorgelegten Aufstellungen über die quartalsweisen Mieteinnahmen (viertes Quartal 2013 sowie erstes und zweites Quartal 2014) gestützt, die auf Einnahmen pro Quartal in etwa im Ausmaß der im Einkommensteuerbescheid für 2013 angeführten Einkünfte verweisen. Weiters hat die Revisionswerberin die zwischen ihr und ihrem Ehemann abgeschlossenen Mietverträge über die vier Wohnungen vorgelegt, aus deren Weitervermietung sie ihre Einnahmen lukriert und denen sich entnehmen lässt, dass die Mietverhältnisse jeweils (erst) am 1. Oktober 2013 begonnen haben.

Ausgehend von dieser Aktenlage erweist sich die Einschätzung des Verwaltungsgerichtes, dass die im Einkommensteuerbescheid für 2013 genannten Einkünfte als jährliches Einkommen auch für das Jahr 2014 zugrunde zu legen sind und somit von einem Monatseinkommen im Ausmaß von EUR 358,98 (einem Zwölftel von EUR 4.307,81) auszugehen ist, als unschlüssig bzw. nicht nachvollziehbar. Eine beweiswürdigende Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Revisionswerberin, wonach sich die Einnahmen für 2013 nur auf das letzte Quartal bezogen haben, bzw. eine Begründung, warum dieses Vorbringen bei der Sachverhaltsfeststellung nicht entsprechend gewürdigt wurde, fehlt.

4. Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.

5. Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am 17. November 2015

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