VwGH Ra 2015/08/0049

VwGHRa 2015/08/00499.6.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätinnen Dr. Julcher und Mag. Rossmeisel sowie den Hofrat Mag. Berger als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Revision der H. GmbH in O, vertreten durch MMag. Dr. Philipp Götzl, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Imbergstraße 19, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. März 2015, L504 2102201-2/2E, betreffend Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde in einer Sozialversicherungsangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Salzburger Gebietskrankenkasse in 5020 Salzburg, Engelbert-Weiß-Weg 10; weitere Partei:

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4;
VwGG §34 Abs1;
VwGVG 2014 §13 Abs2;
VwGVG 2014 §13 Abs4;
VwGVG 2014 §13 Abs5;
VwGVG 2014 §22 Abs2;
VwGVG 2014 §22 Abs3;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2015:RA2015080049.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Nach Art 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

2.1. Mit Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 22. Dezember 2014 wurde festgestellt, dass die in der dort angeschlossenen Anlage genannten Personen zu den dort genannten Zeiten aufgrund ihrer in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit ausgeübten, entgeltlichen Tätigkeit für die Revisionswerberin gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 ASVG sowie § 1 Abs. 1 lit. a AlVG der Voll- und Arbeitslosenpflichtversicherung unterliegen. In einem weiteren Bescheid vom selben Tag wurde auch über die Beitragspflicht abgesprochen und die Revisionswerberin zur Zahlung von EUR 168.095,42 an Sozialversicherungsbeiträgen sowie EUR 45.496,40 an Verzugszinsen verpflichtet. Gleichzeitig schloss die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse die aufschiebende Wirkung gegen diesen die Beitragspflicht aussprechenden Bescheid gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG aus.

2.2. Gegen beide Bescheide erhob die Revisionswerberin Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und wandte sich auch gegen den Ausspruch über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung.

2.3. Mit dem angefochtenen - nur über den Ausspruch über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung absprechenden - Erkenntnis wurde die Beschwerde in diesem Punkt abgewiesen und ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist.

Unter Anwendung der für das Bundesverwaltungsgericht relevanten gesetzlichen Bestimmungen führte es aus, dass die belangte Behörde im Rahmen einer Abwägung gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG dargelegt habe, dass das berührte öffentliche Interesse, nämlich das Funktionieren des Systems der sozialen Sicherheit durch eine geordnete und zeitgerechte Abfuhr der Beiträge das private Interesse der Revisionswerberin, zumindest an einem Aufschub bis zur rechtskräftigen Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht, überwiege. Die Revisionswerberin habe in der Beschwerde zwar einen "erheblichen Nachteil der Partei" genannt, der ihr durch den vorzeitigen Vollzug entstehen würde, jedoch diesen nicht näher konkretisiert, weshalb sich dadurch keine Änderung in der Sachlage und Bewertung ergäbe. Die belangte Behörde habe aufgezeigt, dass aufgrund des bisherigen Verhaltens der Revisionswerberin in Bezug auf die zeitgerechte und vollständige Abfuhr von Sozialversicherungsbeiträgen erhebliche Einbringungsschwierigkeiten bestanden hätten und es die Revisionswerberin auch unterlassen habe, die von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse eingeforderten Unterlagen vorzulegen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung eventuell eine andere Beurteilung der relevanten Sachlage zugelassen hätte. Auch in der Beschwerde seien diese Beweismittel nicht vorgelegt und es sei bei der Behauptung belassen worden, es bestünde keine Gefahr der Insolvenz, eine positive Auftragsentwicklung und eine Fortbestehensprognose würde erstellt werden.

Angesichts der von der belangten Behörde aufgezählten Fakten könne ihr nicht entgegengetreten werden, dass der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides wegen Gefahr in Verzug dringend geboten sei. Gemäß § 22 Abs. 3 VwGVG ergebe sich keine andere Bedeutung des Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht und habe die Revisionswerberin auch in der Beschwerde nicht konkret und substanziiert dargelegt, dass sich die Voraussetzungen, die für die Entscheidung über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung maßgeblich gewesen seien, wesentlich geändert hätten.

3. In den Ausführungen zur Zulässigkeit der gegen dieses Erkenntnis gerichteten außerordentlichen Revision macht die Revisionswerberin Folgendes geltend:

3.1. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liege in der Frage, ob nach § 13 Abs. 2 VwGVG Gefahr im Verzug bereits vorliege, wenn bloß eine Interessenabwägung ein überwiegendes Interesse indizieren solle, während tatsächlich vorerst zu prüfen sei, ob die sofortige Wirksamkeit des Bescheides im Hinblick auf das öffentliche Interesse wegen Gefahr im Verzug dringend geboten sei. Nur wenn dies der Fall sei, sei eine umfangreichere Abwägung der genannten Interessen durchzuführen. Gefahr im Verzug bedeute einen erheblichen Nachteil für eine Partei oder einen gravierenden Nachteil für das öffentliche Wohl (zitiert wird VwGH 2002/18/0001). Insoweit weiche die vorliegende Entscheidung von der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ab bzw. gebe es zu § 13 Abs. 2 VwGVG noch keine Judikatur. Es lägen auch keine Umstände und Feststellungen vor, wonach der vorzeitige Vollzug des Bescheides jedenfalls und dringend geboten wäre.

3.2. Eine weitere Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung sei darin begründet, dass die angefochtene Entscheidung offen lasse, auf welchen Zeitpunkt hinsichtlich der Beurteilung der Umstände zur Interessenabwägung und der Gefahr im Verzug abzustellen sei. Bei richtiger Beurteilung sei dies die Erlassung des (erstinstanzlichen) Bescheides, worauf das Bundesverwaltungsgericht nicht auseichend Bezug nehme und somit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweiche.

3.3. Das vorliegende Erkenntnis widerspreche auch der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs, wonach vor der inhaltlichen Entscheidung des Verwaltungsgerichts keine irreparablen und unumkehrbaren Tatsachen geschaffen werden sollten, was tatsächlich jedoch der Fall sei.

3.4. Darüber hinaus habe das Bundesverwaltungsgericht entgegen Art 47 Abs. 2 GRC und unter unrichtiger Anwendung des § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG keine mündliche Verhandlung durchgeführt. Dazu fehle Rechtsprechung.

3.5. Schließlich sei die Revision auch deshalb zulässig, weil die Klärung der Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung sei. Da es sich bei Sozialversicherungsabgaben um öffentliche Abgaben handle, sei vielmehr das Bundesfinanzgericht zuständig.

4.1. Gemäß § 13 Abs. 1 VwGVG hat eine rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerde gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG aufschiebende Wirkung.

Gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG kann die Behörde die aufschiebende Wirkung mit Bescheid ausschließen, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheids wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist. Ein solcher Ausspruch ist tunlichst schon in den über die Hauptsache ergehenden Bescheid aufzunehmen.

Gemäß § 13 Abs. 4 VwGVG kann die Behörde Bescheide gemäß Abs. 2 von Amts wegen oder auf Antrag einer Partei aufheben oder abändern, wenn sich der maßgebliche Sachverhalt so geändert hat, dass seine neuerliche Beurteilung einen im Hauptinhalt des Spruchs anderslautenden Bescheid zur Folge hätte.

Gemäß § 13 Abs. 5 VwGVG hat die Beschwerde gegen einen Bescheid gemäß Abs. 2 oder 3 keine aufschiebende Wirkung. Sofern die Beschwerde nicht als verspätet oder unzulässig zurückzuweisen ist, hat die Behörde dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verfahrens unverzüglich vorzulegen. Das Verwaltungsgericht hat über die Beschwerde ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden und der Behörde, wenn diese nicht von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absieht, die Akten des Verfahrens zurückzustellen.

Gemäß § 22 Abs. 2 VwGVG kann das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG die aufschiebende Wirkung durch Beschluss ausschließen, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheids wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist.

Gemäß § 22 Abs. 3 VwGVG kann das Verwaltungsgericht (u.a.) Bescheide gemäß § 13 VwGVG und Beschlüsse gemäß Abs. 2 auf Antrag einer Partei aufheben oder abändern, wenn es die Voraussetzungen des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung anders beurteilt oder wenn sich die Voraussetzungen, die für die Entscheidung über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde maßgebend waren, wesentlich geändert haben.

4.2. Die Entscheidung über Zuerkennung bzw. Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ist damit das Ergebnis einer im Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung.

Wurde eine im Einzelfall vorzunehmende Interessenabwägung, wie sie das Bundesverwaltungsgericht durchgeführt hat, auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen, so ist eine solche einzelfallbezogene Beurteilung im Allgemeinen nicht revisibel (vgl. den hg. Beschluss vom 24. Februar 2015, Zl. Ro 2014/05/0097).

5. Dass dies im vorliegenden Revisionsfall anders zu beurteilen wäre, die Revision also entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichts zulässig ist, zeigt die Revision nicht auf:

5.1. Unter Zugrundelegung der oben wiedergegebenen Rechtsvorschriften hat das Bundesverwaltungsgericht mit näherer Begründung und mit Bezug auf die erstinstanzlichen Feststellungen die Voraussetzungen des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung als gegeben angesehen. Mit ihrem Vorbringen, das die Annahme von Gefahr im Verzug betrifft, negiert die Revisionswerberin einerseits die dazu getroffenen Feststellungen und zeigt andererseits keine als unvertretbar aufzugreifende Fehlbeurteilung durch das Bundesverwaltungsgericht, die die Zulässigkeit der Revision rechtfertigen könnte, auf. Der Frage, ob die besonderen Umstände des Einzelfalles auch eine andere Entscheidung gerechtfertigt hätten, kommt aber in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung zu (vgl. den hg. Beschluss vom 25. Juni 2014, Zl. Ra 2014/07/0026, mwN).

5.2. Die Revision meint, eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung bestehe deshalb, weil die angefochtene Entscheidung offen lasse, "auf welchen Zeitpunkt hinsichtlich der Beurteilung der Umstände zur Interessenabwägung und der Gefahr im Verzug abzustellen ist"; dies sei bei richtiger Beurteilung die Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides, worauf das angefochtene Erkenntnis "nicht ausreichend Bezug" nehme. Damit wird aber nicht dargelegt, dass die Revision von der Lösung dieser Rechtsfrage abhängt, zumal das Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung ohnedies keine Sachverhaltsänderungen zulasten der revisionswerbenden Partei berücksichtigt hat.

5.3. Mit der pauschalen Behauptung, es seien durch den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung irreparable und unumkehrbare Tatsachen geschaffen worden, wird keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dargelegt, zumal nicht dargetan wird, worin diese Tatsachen gelegen wären, um eine Fehlbeurteilung des Gerichtes aufzuzeigen.

5.4. Soweit die Revisionswerberin in ihrer Revision die fehlende mündliche Verhandlung als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzeigt, ist sie darauf zu verweisen, dass das Bundesverwaltungsgericht nach der Regelung des § 13 Abs. 5 VwGVG verpflichtet war, über die Beschwerde "ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden", was impliziert, dass grundsätzlich keine mündliche Verhandlung durchzuführen ist.

5.5. Entgegen der in der Revision geäußerten Ansicht war auch das Bundesverwaltungsgericht und nicht das Bundesfinanzgericht zur Entscheidung über die vorliegende Sozialversicherungsangelegenheit zuständig und wird die Revisionswerberin diesbezüglich auf den in § 1 Bundesfinanzgerichtsgesetz (BFG) eindeutig geregelten Zuständigkeitsbereich des Bundesfinanzgerichts verwiesen.

6. Da somit keine Rechtsfragen aufgeworfen werden, denen im Sinne des Art 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, war die Revision daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 9. Juni 2015

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