Normen
ABGB §364 Abs2;
PolStG NÖ 1975 §1 lita;
VwGG §42 Abs2 Z1;
ABGB §364 Abs2;
PolStG NÖ 1975 §1 lita;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung vom 6. Februar 2014 wurde dem Revisionswerber angelastet, er habe es zu verantworten, dass seine Hähne am 5. Jänner 2013 von 00:46 Uhr bis 01:00 Uhr, am 11. Jänner 2013 von 04:20 Uhr bis 05:40 Uhr, am 15. Jänner 2013 von 06:42 Uhr bis 06:55 Uhr, am 20. Jänner 2013 von 04:20 Uhr bis 05:10 Uhr und am 23. Jänner 2013 von 04:18 Uhr bis 04:27 Uhr sowie von 05:55 Uhr bis 06:30 Uhr auf einem näher bezeichneten Grundstück in K durch lautes und durchgehendes Krähen ungebührlicherweise störenden Lärm erregt hätten. Wegen dieser Übertretung des § 1 lit a NÖ Polizeistrafgesetz wurde über den Revisionswerber eine Geldstrafe von EUR 40,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 12 Stunden) verhängt.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde machte der - nicht rechtsfreundlich vertretene - Revisionswerber unter anderem geltend, dass die Tiere artgerecht gehalten würden. Mit einer zeitgesteuerten Tür werde in der Zeit zwischen 20 Uhr und 7 Uhr gewährleistet, dass die Tiere in einer Hütte eingesperrt seien. Die Geräusche der Tiere würden daher nicht durch falsche Tierhaltung verursacht. Da seit über 40 Jahren auch die Nachbarn Geflügel halten würden, könne der Revisionswerber davon ausgehen, dass es sich um ortsübliche Geräusche handle.
Mit dem - ohne weiteres Verfahren und ohne Durchführung einer Verhandlung ergangenen - angefochtenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Das Verwaltungsgericht sprach aus, dass gemäß § 25a VwGG gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG unzulässig ist.
Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass das laute und anhaltende Krähen der Hähne des Revisionswerbers zu den vorgeworfenen Tatzeiten durch Anrainer zur Anzeige gebracht und vom Revisionswerber nicht bestritten worden sei. Auf Grund der behördlichen Feststellungen "sowie der vorliegenden Gutachten" (gemeint offenbar einer Stellungnahme des Amtstierarztes im Verfahren vor der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung) sei dokumentiert, dass sich der Tatort im Bauland-Wohngebiet befinde.
In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, dass - ungeachtet der artgerechten Tierhaltung - das Halten von Hähnen im Bauland-Wohngebiet nicht ortsüblich sei und das Krähen von Hähnen im Bauland-Wohngebiet, insbesondere zur Nachtzeit, zweifellos eine ungebührliche Erregung störenden Lärms darstelle.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Revision mit dem Antrag, es kostenpflichtig aufzuheben.
Das Verwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor. Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 1 lit a NÖ Polizeistrafgesetz begeht, wer ungebührlicherweise störenden Lärm erregt, eine Verwaltungsübertretung, und ist mit Geldstrafe bis zu EUR 1.000,-- (Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen) zu bestrafen.
2. Der Revisionswerber macht zur Zulässigkeit der Revision unter anderem geltend, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob das artgerechte Halten von Tieren, insbesondere von Hühnern und Hähnen in einem gewidmeten Gebiet "Bauland-Wohngebiet" grundsätzlich nicht als ortsüblich bezeichnet werden könne, fehle. Das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es den Flächenwidmungsplan nicht bloß als Indiz für die Ortsüblichkeit ansehe, sondern bereits aus der Flächenwidmung eine Ortsüblichkeit ableite.
3. Die Revision ist zulässig; sie ist auch berechtigt:
3.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind unter "störendem Lärm" Geräusche zu verstehen, die wegen ihrer Lautstärke für das menschliche Empfindungsvermögen unangenehm in Erscheinung treten. Lärm ist dann störend, wenn er wegen seiner Art und/oder seiner Intensität geeignet ist, das Wohlbefinden normal empfindender Menschen zu stören, wobei die Erfahrungen des täglichen Lebens ausreichen, dies zu beurteilen. Nicht schon die Erregung von störendem Lärm ist aber strafbar, sondern es muss noch ein zweites Tatbestandsmerkmal hinzukommen, dass nämlich dieser störende Lärm ungebührlicherweise erregt wurde. Davon ist auszugehen, wenn das Tun oder Unterlassen, das zur Erregung des Lärms führt, gegen ein Verhalten verstößt, wie es im Zusammenleben mit anderen verlangt werden muss, das heißt, es muss jene Rücksichten vermissen lassen, die die Umwelt verlangen kann (vgl den hg Beschluss vom 18. Februar 2015, Ra 2015/03/0013).
3.2. Entscheidend ist, dass die Lärmerregung nach einem objektiven Maßstab geeignet erscheint, von unbeteiligten Personen als ungebührlich und störend empfunden zu werden. Der objektive Maßstab ist unter Zugrundelegung der tatsächlichen Gegebenheiten und nicht nach Ö-Normen und Flächenwidmungen zu finden (vgl das hg Erkenntnis vom 15. Juni 1987, 85/10/0105; vgl zum Abstellen auf die tatsächlichen örtlichen Verhältnisse, nicht aber auf die Widmung einer Liegenschaft auch das hg Erkenntnis vom 11. September 2013, 2012/02/0044, zur Zumutbarkeit einer Lärmbelästigung durch einen Veranstaltungsbetrieb; vgl im Übrigen zur Frage der Ortsüblichkeit von Geräuschimmissionen im Sinne des § 364 Abs 2 ABGB bei der Haltung von Hühnern und Hähnen das Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 12. Juni 2012, 4 Ob 99/12f, in dem ebenfalls festgehalten wird, dass Flächenwidmungspläne in diesem Zusammenhang nur eine Indizfunktion für die im betreffenden Raum tatsächlich bestehenden Verhältnisse haben).
3.3. Im vorliegenden Fall hat der Revisionswerber in seiner Beschwerde an das Verwaltungsgericht vorgebracht, dass seit über vierzig Jahren auch die Nachbarn Geflügel halten und er davon ausgehen könne, dass es sich um ortsübliche Geräusche handle. Das Verwaltungsgericht hat dessen ungeachtet ausschließlich auf die aktuell bestehende Flächenwidmung (Bauland-Wohngebiet) abgestellt und es damit - ausgehend von einer unzutreffenden Rechtsansicht - unterlassen, sich mit den tatsächlichen Verhältnissen im Einzelfall auseinanderzusetzen.
4. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl II Nr 518/2013 idF BGBl II Nr 8/2014. Das den Ersatz der Umsatzsteuer betreffende Kostenmehrbegehren war abzuweisen, da die Umsatzsteuer bereits im
pauschalierten Schriftsatzaufwand enthalten ist (vgl das hg Erkenntnis vom 28. April 1999, 94/13/0097).
Wien, am 9. September 2015
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