Normen
AVG §10 Abs1;
AVG §10 Abs3;
EGVG 2008 Art3 Abs1 Z1;
GewO 1994 §1 Abs2;
GewO 1994 §1 Abs6;
GewO 1994 §1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2015:RA2015030031.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit, als damit der Beschwerde des Mitbeteiligten Folge gegeben und der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Amtstetten vom 29. Oktober 2014, Zl AMS2-V- 14 32049/6, ersatzlos behoben wurde, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Begründung
I. Sachverhalt und Revisionsverfahren:
1. Aus Anlass der Kontrolle eines Gefahrguttransportes am 28. April 2014 am Verkehrskontrollplatz in Haag (NÖ) leitete die Bezirkshauptmannschaft Amstetten (BH) gegen den Geschäftsführer eines Beförderungsunternehmens mit Sitz in der Slowakei ein Verwaltungsstrafverfahren wegen mehrerer Übertretungen des Gefahrgutbeförderungsgesetzes (GGBG) ein.
2. Mit E-Mail vom 16. Mai 2014 gab der Mitbeteiligte (unter Bezugnahme auf seine berufliche Tätigkeit als Sicherheitsbeauftragter der S AG) der Behörde bekannt, dass das Verwaltungsstrafverfahren im Auftrag des Beschuldigten über den Mitbeteiligten abzuwickeln sei. Gleichzeitig legte er eine mit 4. April 2012 datierte Vertretungsvollmacht des Beschuldigten bei und erstattete zu den erhobenen Vorwürfen eine inhaltliche Stellungnahme.
3. Die gegen den Geschäftsführer des Beförderers im Verwaltungsstrafverfahren erlassene Strafverfügung vom 4. Juni 2014 wurde mit E-Mail des Mitbeteiligten vom 23. Juni 2014 im Auftrag des Beschuldigten beeinsprucht.
4. Mit Bescheid der BH vom 29. Oktober 2014 wurde der Mitbeteiligte im gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 10 Abs 3 AVG nicht als Bevollmächtigter und Vertreter zugelassen (Spruchpunkt I.). Die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde gemäß § 13 Abs 2 AVG ausgeschlossen (Spruchpunkt II.).
Begründend führte die BH im Wesentlichen aus, aus den vorliegenden Schreiben ergebe sich eindeutig, dass der Mitbeteiligte seine Vertretungstätigkeit nicht als Privatperson, sondern im Rahmen seiner Tätigkeit für die S AG durchführe. Die
S AG verfüge über eine Gewerbeberechtigung zur Beförderung von Gütern mit Kraftfahrzeugen im grenzüberschreitenden Verkehr und für das Speditionsgewerbe. Die gegenständliche Vertretungstätigkeit erfolge im Rahmen der Gewerbeausübung der
S AG, zumal es sich offensichtlich um Zusatzleistungen handle, welche im Rahmen der Ausübung des Speditions- oder Güterbeförderungsgewerbes für Geschäftspartner geleistet würden. Gleichartige Vollmachten seien der BH in mehreren ähnlich gelagerten Strafverfahren vorgelegt worden. Es sei daher auch auf Grund der Anzahl der Vertretungstätigkeiten davon auszugehen, dass die Vertretung anderer zu Erwerbszwecken erfolge; dies sei gemäß § 10 Abs 3 AVG nicht zulässig.
5. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis Folge und hob den angefochtenen Bescheid ersatzlos auf. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.
In der Begründung des Erkenntnisses führte das LVwG zusammengefasst aus, informierte Vertreter der S AG hätten in der mündlichen Verhandlung zu vergleichbaren Strafverfahren angegeben, dass der Mitbeteiligte Angestellter der S AG sowie Gefahrgutbeauftragter sei. Er verfüge über einen All-in-Vertrag bzw pauschalierte Überstunden und könne seine Arbeitszeit im Wesentlichen frei einteilen. Von der Arbeitgeberin würde akzeptiert, dass die hier interessierenden Vertretungstätigkeiten auch innerhalb der Dienstzeit mit Mitteln der S AG entfaltet würden. Bei der Arbeitszuteilung fänden sie jedoch keine Berücksichtigung und es bestehe keine Verpflichtung der Mitarbeiter, derartige Vertretungen zu übernehmen, sondern liege dies in ihrem Ermessen. Bei den vertretenen Personen handle es sich um Lenker bzw Geschäftsführer von Unternehmen, die nicht Auftraggeber der S AG seien, sondern ihrerseits von der S AG zu Transportzwecken in Anspruch genommen würden.
Rechtlich folgerte das LVwG, gemäß § 10 Abs 3 AVG seien als Bevollmächtigte solche Personen nicht zuzulassen, die unbefugt die Vertretung anderer zu Erwerbszwecken betreiben. Angesprochen sei damit die unzulässige Winkelschreiberei. Es könne zwar kein Zweifel daran bestehen, dass durch die Verfassung von Schriftsätzen bzw die Setzung von Vertretungshandlungen generell der Tatbestand der Winkelschreiberei erfüllt werden könne. Fraglich sei vorliegend jedoch, ob von einer Ausübung zu Erwerbszwecken ausgegangen werden könne. Nach Wiedergabe einschlägiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Gewerbsmäßigkeit einer Tätigkeit schloss das LVwG, im konkreten Fall hätten sich zunächst keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der ad personam bevollmächtigte Mitbeteiligte die hier interessierenden Vertretungsaktivitäten selbst gewerbsmäßig gesetzt habe. Fraglich sei jedoch, ob sich die Vertretungshandlungen wirtschaftlich als Akte der S AG begreifen ließen und dort als Aktivitäten zur Verfolgung des Unternehmensziels verstanden werden könnten. Dies wäre jedenfalls dann der Fall, wenn es sich bei den vertretenen Personen um (potentielle) Kunden (und deren Mitarbeiter) der S AG handeln würde. Von diesen Fällen hebe sich die vorliegende Konstellation jedoch dadurch ab, dass sie lediglich Auftragnehmer (und deren Mitarbeiter) der S AG betreffe. Nun bestehe kein Zweifel daran, dass (unentgeltliche) Hilfeleistungen und Vertretungshandlungen für eigene Arbeitnehmer, wenn sie sich sachlich bloß auf den durch das Dienstverhältnis abgesteckten Bereich bezögen, grundsätzlich nicht dem Unternehmenszweck dienten, sondern sich als Fürsorgemaßnahme im arbeitsrechtlichen Sinn verstehen ließen. Dies namentlich dann, wenn die Übertretungen durch den Arbeitgeber veranlasst bzw unter Umständen sogar verschuldet worden seien. Nichts anderes könne aber gelten, wenn - wie hier - Aufträge nicht an eigene Arbeitnehmer, sondern an andere (Sub‑)Unternehmen bzw deren Mitarbeiter weitergegeben würden. In dieser Konstellation könne daher von einer (wirtschaftlich) der S AG zuzurechnenden gewerbsmäßigen Aktivität dieser Gesellschaft nicht ausgegangen werden. Demnach erweise sich der Ausschluss von der Vertretung gemäß § 10 Abs 3 AVG als nicht zulässig.
6. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
In der Revision wird im Wesentlichen geltend gemacht, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Jede im Rahmen eines Gewerbebetriebs ausgeübte Tätigkeit trage schon hiedurch allein den Charakter der Gewerbsmäßigkeit an sich. Die Übernahme der Vertretung von Auftragnehmern und deren Mitarbeiter durch die S AG könne Einfluss auf den ausgehandelten Werklohn haben und binde die Auftragnehmer an das Unternehmen; sie erfolge daher gewerbsmäßig und werde so zu Erwerbszwecken betrieben. Darüber hinaus habe das LVwG zu Unrecht von einer mündlichen Verhandlung abgesehen und es habe übersehen, dass keine schriftliche Vollmacht des Beschuldigten zugunsten des Mitbeteiligten vorgelegen sei (die Vollmacht vom 4. April 2012 sei vielmehr vom Beförderungsunternehmen ausgestellt gewesen).
7. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte, die Revision zurück- bzw hilfsweise abzuweisen. Es wird (unter anderem) geltend gemacht, das LVwG sei zu Recht davon ausgegangen, dass die Vertretung aufgrund der Person des Vertretenen einen Fürsorgecharakter aufweise. Sie stehe auch im Einklang mit der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, bei der Beurteilung der Interessen der Verwaltungsrechtspflege vor allem auf die zweckentsprechende Verteidigung Bedacht zu nehmen. Genau diese Verteidigung versuche die BH mit ihrem Vorgehen zu verhindern.
II. Rechtslage:
1. § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl Nr 52/1991 idF BGBl I Nr 33/2013 (VStG), lautet (auszugsweise):
"§ 24. Soweit sich aus diesem Bundesgesetz nicht anderes ergibt, gilt das AVG auch im Verwaltungsstrafverfahren. (...)"
2. § 10 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl Nr 51/1991 idF BGBl I Nr 100/2011 (AVG), lautet (auszugsweise):
"Vertreter
§ 10. (1) Die Beteiligten und ihre gesetzlichen Vertreter können sich, sofern nicht ihr persönliches Erscheinen ausdrücklich gefordert wird, durch eigenberechtigte natürliche Personen, juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften vertreten lassen. (...)
(2) Inhalt und Umfang der Vertretungsbefugnis richten sich nach den Bestimmungen der Vollmacht; hierüber auftauchende Zweifel sind nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Die Behörde hat die Behebung etwaiger Mängel unter sinngemäßer Anwendung des § 13 Abs. 3 von Amts wegen zu veranlassen.
(3) Als Bevollmächtigte sind solche Personen nicht zuzulassen, die unbefugt die Vertretung anderer zu Erwerbszwecken betreiben.
(...)"
3. Art III Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 2008, BGBl I Nr 87/2008 idF BGBl I Nr 33/2013 (EGVG), lautet (auszugsweise):
"Artikel III
(1) Wer
1. in Angelegenheiten, in denen er nicht zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugt ist, gewerbsmäßig für den Gebrauch vor inländischen oder ausländischen Gerichten oder Verwaltungsbehörden schriftliche Anbringen oder Urkunden verfasst, einschlägige Auskünfte erteilt, vor inländischen Gerichten oder Verwaltungsbehörden Parteien vertritt oder sich zu einer dieser Tätigkeiten in schriftlichen oder mündlichen Kundgebungen anbietet (Winkelschreiberei) (...)
begeht (...) eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde (...) mit einer Geldstrafe von bis zu 218 Euro (...) zu bestrafen."
III. Erwägungen:
- 1. Die Revision ist zulässig und begründet.
- 2. Gemäß § 10 Abs 1 erster Satz AVG kann als Vertreter auch eine natürliche Person, eine juristische Person oder eine eingetragene Personengesellschaft die kein befugter Parteienvertreter ist, vor Verwaltungsbehörden einschreiten, solange die Vertretung anderer nach § 10 Abs 3 AVG nicht zu Erwerbszwecken erfolgt, wobei mangels einer eigenen Begriffsbestimmung im § 10 Abs 3 AVG bzw im Art III Abs 1 Z 1 EGVG (betreffend den Verwaltungsstraftatbestand der Winkelschreiberei) bei der inhaltlichen Bestimmung des Begriffes "zu Erwerbszwecken" die Bestimmung des § 1 GewO 1994 heranzuziehen ist (vgl etwa VwGH vom 31. Mai 2012, 2010/06/0207, mwN).
3. Gemäß § 1 Abs 2 erster Satz GewO 1994 liegt eine gewerbsmäßige Tätigkeit vor, wenn sie selbständig, regelmäßig und in der Absicht betrieben wird, einen Ertrag oder sonstigen wirtschaftlichen Vorteil zu beziehen.
Um von einer Gewinnerzielungsabsicht im Sinne des § 1 Abs 2 GewO 1994 ausgehen zu können, kommt es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht darauf an, ob mit der in Rede stehenden Tätigkeit tatsächlich ein Ertrag oder wirtschaftlicher Vorteil erzielt wird. Die Absicht ist aus äußeren Umständen abzuleiten. Herkömmlich genügt es, dass eine Tätigkeit im Allgemeinen auf die Erzielung eines wirtschaftlichen Vorteiles gerichtet ist, der im Einzelnen nicht unbedingt in einem geldlichen Gewinn bestehen muss. Eine solche Ertragserzielungsabsicht ist gegeben, wenn die einer gewerblichen Tätigkeit entsprechenden Geschäfte in einer Weise abgeschlossen werden, welche die Möglichkeit der Erzielung eines Gewinnes offen lässt, und welche eben charakteristisch ist für den auf einen Gewinn abzielenden Betrieb einer Unternehmung. Unter Ertrag bzw wirtschaftlichem Vorteil ist jede wirtschaftlich positive Wirkung, namentlich die Erzielung eines geldlichen Gewinnes, aber auch sonstige den Geschäftszielen dienliche positive Effekte, wie zum Beispiel die Festigung bestehender Geschäftsverbindungen, die Vergrößerung des Kreises der Geschäftskunden, die Steigerung des Bekanntheitsgrades eines Unternehmens oder die Verbesserung der Kreditwürdigkeit zu verstehen (vgl VwGH vom 31. Mai 2012, 2010/06/0207, mwN).
4. Nach den Sachverhaltsannahmen des LVwG hat der Mitbeteiligte die Vertretung im Verwaltungsstrafverfahren für den Geschäftsführer eines ausländischen Transportunternehmens übernommen, das mit der Arbeitgeberin des Mitbeteiligten (der S AG) geschäftlich verbunden ist, indem es in deren Auftrag Gefahrguttransporte abwickelt. Er hat diese Tätigkeit bei Würdigung der gesamten Umstände nicht als Privatperson, sondern in seiner Funktion als Gefahrgutbeauftragter der S AG - mit deren Wissen und Willen - durchgeführt, weshalb es gerechtfertigt ist, seine Vertretungstätigkeit der Arbeitgeberin zuzurechnen und sie daraufhin zu überprüfen, ob sie aus Sicht der S AG zu Erwerbszwecken erfolgte.
5. Das LVwG verneinte den Erwerbszweck der gegenständlichen Vertretungstätigkeit aus Sicht der S AG mit dem Hinweis darauf, dass lediglich eine (unentgeltliche) Hilfeleistung für das Organ eines Auftragnehmers vorliege. Diese sei nicht anders zu bewerten als die Übernahme der Vertretung für eigene Arbeitnehmer, die im Rahmen arbeitsrechtlicher Fürsorgemaßnahmen stattfinde.
Dem tritt die Revision zu Recht entgegen. Vorauszuschicken ist, dass die Zulässigkeit der Vertretung eigener Arbeitnehmer unter dem Blickwinkel des § 10 Abs 3 AVG hier nicht behandelt werden muss, weil der Beschuldigte im vorliegenden Fall unstrittig kein Arbeitnehmer der S AG ist.
Die Beurteilung des LVwG, eine für (ausländische) Geschäftspartner übernommene Vertretung in (inländischen) Verwaltungsstrafverfahren habe keine den Geschäftszielen der S AG dienlichen positiven Effekte und erfolge nicht zu Erwerbszwecken, vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu teilen. Zutreffend weist die Amtsrevision darauf hin, dass nicht nur die Geschäftsbeziehungen zu den Auftraggebern, sondern auch jene zu den Auftragnehmern der S AG mit den Erwerbszwecken dieses Unternehmens in Zusammenhang stehen. Unterstützende Tätigkeiten für Auftragnehmer im hier in Rede stehenden Ausmaß fördern daher zweifellos bestehende Geschäftskontakte und können darüber hinaus als Anreiz für andere Unternehmen dienen, mit der S AG zukünftig in Geschäftsbeziehung zu treten.
6. Ausgehend davon steht die angefochtene Entscheidung im Widerspruch zur wiedergegebenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 10 Abs 3 AVG und vermag daher schon deshalb keinen Bestand zu haben. Auf die weiteren in der Amtsrevision geltend gemachten Rechtsfragen braucht bei diesem Ergebnis nicht eingegangen zu werden.
7. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
8. Eine Kostenentscheidung hatte gemäß § 47 Abs 4 VwGG zu entfallen.
Wien, am 9. September 2015
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)