VwGH Ra 2015/01/0089

VwGHRa 2015/01/008913.10.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer, Dr. Fasching sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Schweda, über die Revision des D A in K, vertreten durch Mag. Birgit Hermann-Kraft, Rechtsanwältin in 6330 Kufstein, Oberer Stadtplatz 5a, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. März 2015, Zl. W211 1432939-1/18E, betreffend Angelegenheit nach dem Asylgesetz 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §3 Abs1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 2005 §3 Abs1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seiner Anfechtung (Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der begehrten Zuerkennung des Asylstatus) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Revisionswerber, ein somalischer Staatsangehöriger, beantragte am 2. August 2012 in Österreich internationalen Schutz und begründete diesen Antrag zusammengefasst damit, al-Shabaab habe ihn aufgefordert zu kämpfen oder Geld zu zahlen. Nach seiner Weigerung sei er mit dem Umbringen bzw. der Enteignung seines Lebensmittelgeschäftes bedroht worden. Als er seinem Bruder das Geschäft überlassen habe, sei dieser bedroht und mitgenommen und das Geschäft geplündert worden. Al-Shabaab habe dem Revisionswerber mitgeteilt, dass er gegen den Islam sei und ihr Gericht seine Tötung beschlossen habe.

Mit Bescheid vom 1. Februar 2013 wies das Bundesasylamt den Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab und den Revisionswerber gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Somalia aus.

Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 10. März 2015 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet ab, erkannte dem Revisionswerber jedoch gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 10. März 2016. Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

Das BVwG erachtete das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers, insbesondere die behauptete Gefährdung durch al-Shabaab im Falle seiner Rückkehr nach Mogadischu, als glaubwürdig. Der Revisionswerber habe seine Fluchtgeschichte im Rahmen der vor dem BVwG durchgeführten mündlichen Verhandlung detailreich und konsistent erzählt.

Rechtlich führte das BVwG mit Verweis auf die aktuellen Länderinformationen aus, dass der Revisionswerber in kein entsprechendes Risikoprofil falle. Er könne nicht als Deserteur angesehen werden, sei kein Mitarbeiter der somalischen Regierung gewesen oder habe für diese in irgendeiner indirekten Art und Weise gearbeitet und habe auch keine weiteren Merkmale, die ihn ins Visier al-Shabaabs bringen würden. Der Revisionswerber habe ein Geschäft geführt und hätte entweder Schutzgeld zahlen oder bei der "Sache" der al-Shabaab-Miliz mitkämpfen sollen, sei aber gerade nicht von al-Shabaab rekrutiert worden. In Hinblick auf eine aktuelle und zukünftige maßgeblich wahrscheinliche Gefährdung einer gezielten und individuellen Verfolgung des Revisionswerbers durch al-Shabaab in Mogadischu müsse in Hinblick auf die geänderte Machtposition der al-Shabaab-Miliz in der Stadt und die Profile ihrer Opfer gezielter Attentate davon ausgegangen werden, dass dem Revisionswerber eine solche gezielte Verfolgung eben nicht drohe.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die außerordentliche Revision macht unter anderem geltend, das angefochtene Erkenntnis leide an gravierenden Begründungsfehlern und weiche insofern von näher genannter hg. Rechtsprechung ab. Der Revisionswerber habe geschildert, dass al-Shabaab ihn "verurteilt" habe, er beharrlich durch al-Shabaab verfolgt worden sei und hätte getötet werden sollen.

Die Revision ist schon nach diesem Vorbringen zulässig und begründet.

Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass einer (versuchten) Zwangsrekrutierung dann Asylrelevanz zukommt, wenn aus der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, eine tatsächliche oder nur unterstellte politische Gesinnung abgeleitet wird, an die eine Verfolgung anknüpft. Entscheidend für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist, mit welchen Reaktionen der al-Shabaab-Miliz der Revisionswerber aufgrund seiner Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, rechnen muss und ob in seinem Verhalten eine - wenn auch nur unterstellte - politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Jänner 2015, Zl. Ra 2014/18/0090, mwN).

Das BVwG begründet seine Auffassung, wonach der Revisionswerber keiner asylrelevanten Verfolgungsgefahr unterliege, im Wesentlichen damit, dass er kein Risikoprofil verwirkliche, weil er nicht als Deserteur angesehen werden könne, kein Mitarbeiter der somalischen Regierung gewesen sei und auch keine weiteren Merkmale habe, die ihn ins Visier der al-Shabaab-Miliz bringen würden. Der Revisionswerber sei gerade nicht von al-Shabaab rekrutiert worden.

Ausgehend davon, dass das BVwG im vorliegenden Fall das gesamte Fluchtvorbringen des Revisionswerbers seiner Entscheidung als glaubwürdig zu Grunde gelegt hat, greift diese Auffassung jedoch zu kurz.

Das BVwG hat dabei nämlich das Vorbringen des Revisionswerbers, al-Shabaab werfe ihm - infolge seiner Weigerung, sich der versuchten Rekrutierung zu beugen - vor, gegen den Islam zu sein und das Gericht habe seine Tötung beschlossen, unberücksichtigt gelassen, und die Möglichkeit einer daraus resultierenden konkreten Verfolgungsgefahr wegen unterstellter politischer oder religiöser Gesinnung des Revisionswerbers nicht geprüft (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. März 2015, Zl. Ra 2014/18/0168).

Vor dem Hintergrund der zitierten hg. Rechtsprechung liegt die für die Asylrelevanz wesentliche Verfolgungshandlung nämlich gerade in den Folgen, die dem Revisionswerber aufgrund der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, drohen (vgl. das erwähnte hg. Erkenntnis vom 28. Jänner 2015).

Das angefochtene Erkenntnis war sohin wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 13. Oktober 2015

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte