Normen
AsylG 2005 §11;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §3;
AsylG 2005 §8 Abs1;
AVG §37;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §17;
AsylG 2005 §11;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §3;
AsylG 2005 §8 Abs1;
AVG §37;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §17;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Der Revisionswerber, ein somalischer Staatsangehöriger, beantragte im Dezember 2011 internationalen Schutz in Österreich. Als Fluchtgrund gab er an, er befürchte, wegen seiner Weigerung, sich der Al Shabaab anzuschließen, getötet zu werden. Zudem sei sein Vater von der Al Shabaab getötet worden, weil man diesem vorgeworfen habe, die Regierung zu unterstützen.
Mit Bescheid vom 6. September 2012 erkannte das Bundesasylamt (nunmehr: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - BFA) dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) zu und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung; seinen weitergehenden Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wies es jedoch gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab.
Mit Erkenntnis vom 30. April 2013 behob der Asylgerichtshof die mit Beschwerde bekämpfte abweisende Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG und verwies die Angelegenheit in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurück.
Mit Bescheid vom 25. März 2014 wies das BFA im zweiten Rechtsgang den Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wegen Unglaubwürdigkeit des Revisionswerbers erneut ab.
2. Die dagegen erhobene Beschwerde, in der der Revisionswerber unter Vorlage aktueller Länderberichte auf die besondere Gefahr der Zwangsrekrutierung aufgrund seiner Zugehörigkeit zum "Minderheitenclan" der Ashraf und auf seine Gefährdung aufgrund der seinem Vater unterstellten Spionage durch die Al Shabaab hinwies und sich im Einzelnen gegen die Beweiswürdigung des BFA wandte, wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
In seiner Begründung stellte das BVwG zunächst abschließend fest, der Revisionswerber sei in seinem Heimatstaat keinen konkreten individuellen Verfolgungen ausgesetzt. Ferner stellte es - ungeachtet der bereits rechtskräftigen Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten - fest, dem Revisionswerber drohe "nicht die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder Todesstrafe". In den Länderfeststellungen finden sich Ausführungen zu massiv durchgeführten Zwangsrekrutierungen durch die Al Shabaab sowie zu Folterungen und Tötungen von Menschen, die von der Al Shabaab der Spionage beschuldigt werden.
In seinen beweiswürdigenden Überlegungen führte das BVwG aus, der Revisionswerber habe keine individuelle und aktuelle begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) glaubhaft gemacht. Das "Bundesasylamt" sei zu Recht von der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Revisionswerbers ausgegangen. Überdies sei - so das BVwG in seiner rechtlichen Beurteilung - auch bei "Wahrunterstellung" des Vorbringens aus diesem keine individuelle, aktuell vorliegende und asylrelevante Verfolgung "von staatlicher Seite ausgehend, oder durch bewusstes Unterlassen eines effektiven Rechtsschutzes im gesamten Staatsgebiet vorliegend und seitens staatlicher Seite toleriert" ableitbar. Vielmehr sei den - zitierten - Aussagen des Revisionswerbers bei seiner Einvernahme "vom 6.3.2012" vor dem Bundesasylamt unmissverständlich entnehmbar, dass er nur zufällig der Rekrutierung durch die Al Shabaab Milizen ausgesetzt gewesen sei. Zudem habe sich nach der Vertreibung der Al Shabaab Mitte 2011 aus Mogadischu die Lage dort derart verbessert, dass nicht von einer aktuellen Verfolgungsgefahr auszugehen sei. Eine "interne Relokationsmöglichkeit" sei daher für den Revisionswerber auf jeden Fall gegeben.
Das Absehen von der mündlichen Verhandlung begründete das BVwG zusammengefasst damit, dass keine "den konkreten Einzelfall im Kern des Vorbringens wesentlich betreffende ergänzende und dieserart in einer neuen mündlichen Verhandlung zu würdigenden neue Sachverhalts- oder Tatsachenelemente" in der Stellungnahme zu den Länderberichten oder in der Beschwerde nachvollziehbar dargelegt worden seien. Sämtliche Würdigungen ließen sich schlüssig und vollständig aus dem Studium des umfassenden Verwaltungsaktes, sowie den unzweifelhaften Länderfeststellungen entnehmen. Alle Elemente zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit seien vollständig ermittelt worden und es würde die vorgenommene rechtliche Beurteilung auch nach der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG nicht anders beurteilt werden.
3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die gegenständliche außerordentliche Revision. Zur Zulässigkeit führt diese aus, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil das BVwG von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen habe, obwohl der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht vollständig geklärt gewesen sei, und es unterlassen habe, sich mit dem konkreten Vorbringen in der Beschwerde auseinanderzusetzen. Dies betreffe auch die Frage der Clanzugehörigkeit des Revisionswerbers und seiner damit verknüpften Furcht vor einer Rekrutierung durch die Al Shabaab. Überdies gehe das BVwG in irriger Rechtsansicht davon aus, dass Zwangsrekrutierungen nicht asylrelevant seien, obwohl der Revisionswerber vorgebracht habe, aufgrund seiner Clanzugehörigkeit zu den Ashrafs besonders gefährdet zu sein, zwangsrekrutiert zu werden. Ein Bezug zur GFK sei gegeben, die Clanzugehörigkeit begründe jedenfalls eine Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe.
Das BFA hat von einer Revisionsbeantwortung Abstand genommen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Revision ist zulässig und auch begründet.
1.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, ausgesprochen, dass ein Absehen von der mündlichen Verhandlung durch das BVwG nach § 21 Abs. 7 BFA-VG wegen geklärten Sachverhalts nur unter folgenden Voraussetzungen zulässig ist:
Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.
1.2. Im vorliegenden Fall ist der Revisionswerber dem von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhalt nicht bloß unsubstantiiert entgegen getreten. Er versuchte in seiner gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Beschwerde aufgezeigte Widersprüche konkret zu entkräften und bezog sich auf einzelne Elemente des Sachverhalts. Zudem zitierte er aktuelle Länderberichte zum Einfluss der Al Shabaab in seiner Heimatregion und trat daher den vom BVwG herangezogenen Länderberichten konkret entgegen. Ausgehend davon war das BVwG im Sinne der oben wiedergegebenen Rechtsprechung gehalten, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.
Daran ändert die Eventualbegründung des BVwG, auch bei "Wahrunterstellung" des Vorbringens sei keine Asylrelevanz gegeben, nichts.
Zunächst ist darauf zu verweisen, dass bei einer "Wahrunterstellung" im Sinne des genannten Erkenntnisses vom gesamten Vorbringen des Revisionswerbers auszugehen ist. Der Revisionswerber behauptet aufgrund seiner Clanzugehörigkeit erhöhter Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch die Al Shabaab ausgesetzt zu sein und zu befürchten, wegen seiner Weigerung, sich den Al Shabaab Milizen anzuschließen, und weil bereits sein Vater aufgrund unterstellter Unterstützung der Regierung von der Al Shabaab ermordet worden sei, von den Al Shabaab getötet zu werden.
Davon ausgehend erscheint die Verneinung jeglicher Asylrelevanz des Vorbringens nicht nachvollziehbar. Das BVwG hätte sich - ausgehend vom Vorbringen des Revisionswerbers - vielmehr mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Al Shabaab Milizen die Weigerung des Revisionswerbers, sich ihnen anzuschließen, auch im Lichte der seinem Vater unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung, als Ausdruck seiner politischen oppositionellen Gesinnung betrachten (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 10. Dezember 2014, Ra 2014/18/0103 bis 0106). Auch die Frage, ob die versuchte Zwangsrekrutierung unter Anknüpfung an ethnische Merkmale - etwa seine Zugehörigkeit zu einer Minderheit, der kein adäquater Schutz durch einen Hauptclan zuteil wird - erfolgt ist, hätte einer näheren Betrachtung bedurft.
Das BVwG hat aber das diesbezügliche Vorbringen des Revisionswerbers in seiner Beurteilung unbeachtet gelassen, obwohl bei Berücksichtigung desselben nicht mehr davon ausgegangen hätte werden können, ein Bezug zu einem Konventionsgrund sei von vornherein nicht denkbar.
Vor diesem Hintergrund hätte das BVwG somit Feststellungen zur Vorgehensweise der Al Shabaab gegen Personen, die sich ihrem Willen in Bezug auf die gewünschte Rekrutierung von Kämpfern widersetzen, treffen müssen. Erst anhand dieser Tatsachengrundlage ließen sich Rückschlüsse auf die den Betroffenen von den Verfolgern allenfalls auch nur unterstellte politische oppositionelle Gesinnung ziehen (vgl. VwGH vom 10. Dezember 2014, Ra 2014/18/0103 bis 0106).
Ferner fehlen Feststellungen zur Clanzugehörigkeit des Revisionswerbers, obwohl dieser im Verfahren mehrmals auf seine Zugehörigkeit zum Clan der Ashraf hingewiesen und eine Verfolgung aufgrund dieser Zugehörigkeit vorgebracht hat. Diese ist auch insofern relevant, als das BVwG zu prüfen gehabt hätte, ob der Revisionswerber bei einer Rückkehr Schutz von seinem Clan zu erwarten hätte. Soweit das BVwG seine Entscheidung darauf stützte, dass der Revisionswerber selbst angegeben habe, nur zufällig rekrutiert worden zu sein und sich dabei tragend auf eine vermeintlich eigene Aussage des Revisionswerbers stützt, ist darauf zu verweisen, dass sich die im Erkenntnis mehrmals zitierte Passage nicht im Akt befindet und offenbar keinen Bezug zum entschiedenen Fall hat.
Sofern sich das BVwG schließlich hilfsweise auch auf die verbesserte Lage in Mogadischu und den Abzug der Al Shabaab aus dieser Stadt stützte und daher eine aktuelle Verfolgungsgefahr des Revisionswerbers durch die Al Shabaab verneinte, ist auszuführen, dass das Erkenntnis keine Feststellungen zur Herkunft des Revisionswerbers enthält. Ausgehend von seinen eigenen Angaben stammt der Revisionswerber aus der Region Gedo und ist dort Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen, weswegen entscheidungswesentlich eine Verfolgungsgefahr in Bezug auf diese Region zu prüfen gewesen wäre.
Die verbesserte Lage in Mogadischu kann schon deshalb nicht relevant sein, weil Mogadischu für den Revisionswerber eine innerstaatliche Fluchtalternative darstellen würde, ihm aber subsidiärer Schutz zuerkannt wurde. Die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative würde daher im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz stehen, weil § 11 AsylG 2005 die Annahme der innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl. VwGH vom 13. November 2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016). Die Argumentation zur verbesserten Lage in Mogadischu vermag daher die Entscheidung des BVwG ebenso wenig zu tragen.
2. Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II. Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am 25. März 2015
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)