VwGH Ra 2014/22/0115

VwGHRa 2014/22/01155.5.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrat Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl und die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revision des I C in Wien, vertreten durch Mag. Karlheinz Amann, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wipplingerstraße 20/8-9, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 21. Juli 2014, Zl. VGW- 151/023/25742/2014-14, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §68 Abs1;
EMRK Art8;
NAG 2005 §43 Abs3;
NAG 2005 §44b Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2015:RA2014220115.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am 15. März 2007 illegal ein und stellte am 17. April 2007 einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes. Dieser wurde mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 21. April 2008 rechtskräftig abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof lehnte die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 27. April 2011 ab.

Am 18. August 2011 langte der Antrag des Revisionswerbers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung beschränkt" gemäß § 43 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) idF BGBl. I Nr. 122/2009 beim Magistrat der Stadt Wien ein.

Diesen Antrag wies der Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 3. April 2014 unter Hinweis auf § 44b Abs. 1 Z 1 iVm § 43 Abs. 3 NAG idF vor BGBl. I Nr. 87/2012 ab.

Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die gegen den genannten Bescheid erhobene Beschwerde ab und bestätigte den Bescheid mit der Maßgabe, dass der Antrag vom 18. August 2011 als unzulässig zurückgewiesen werde. Weiters erklärte es die ordentliche Revision für unzulässig.

Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, es sei hinsichtlich des Zeitraumes seit dem Eintritt der Rechtskraft der letztinstanzlichen Ausweisungsentscheidung zu prüfen, ob bis zur erstinstanzlichen Zurückweisung eine maßgebliche Sachverhaltsänderung eingetreten sei. Der Landeshauptmann von Wien habe lediglich irrtümlich das Begehren abanstatt zurückgewiesen, habe aber - was der angewendeten Rechtsgrundlage sowie der Textierung des Spruches eindeutig zu entnehmen sei - die Tatbestandsvoraussetzungen des § 44b Abs. 1 Z 1 NAG herangezogen. Die im Verfahren vorgebrachten Sachverhaltsänderungen, nämlich das Vorliegen von im Übrigen nicht überzeugenden Einstellungszusagen, der äußerst geringfügige Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache und die Erbringung ehrenamtlicher Tätigkeiten im Rahmen seiner Vereinszugehörigkeit, wiesen nicht eine solche Bedeutung und Relevanz auf, dass in einer Gesamtbetrachtung im Hinblick auf Art. 8 EMRK eine andere Beurteilung geboten wäre. Somit erweise sich die behördliche Ansicht als nicht rechtswidrig, dass keine maßgebliche Änderung des Sachverhalts im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens des Revisionswerbers eingetreten sei, die nunmehr in vergleichender Betrachtung der bereits ausgesprochenen Ausweisung zu einer Unzulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bzw. der Versagung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK führen könne.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision; eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Revision ist zulässig, weil das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist. Sie ist demnach auch berechtigt.

Der Revisionswerber reiste - wie bereits erwähnt - am 15. März 2007 ein und wurde in Verbindung mit der Abweisung seines Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes mit Bescheid vom 21. April 2008 rechtskräftig ausgewiesen. Zu Recht erachtete das Verwaltungsgericht den letztgenannten Zeitpunkt als relevant dafür, ob sich bis zur Zurückweisung des Antrags der Sachverhalt in Bezug auf die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK maßgeblich geändert habe.

Mit einer Antragszurückweisung gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG (in der hier gemäß § 81 Abs. 23 NAG anzuwendenden Fassung vor BGBl. I Nr. 87/2012) darf nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nach Erlassung einer Ausweisung nur dann vorgegangen werden, wenn im Hinblick auf das Antragsvorbringen eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 EMRK nicht erforderlich ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 9. November 2011, 2011/22/0260).

Ein maßgeblich geänderter Sachverhalt liegt nur dann nicht vor, wenn die geltend gemachten Umstände von vornherein keine solche Bedeutung aufweisen, die eine Neubeurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK geboten hätte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Juli 2011, 2011/22/0127).

Im vorliegenden Fall hat sich der Revisionswerber bis zur Erlassung der Ausweisung lediglich ca. ein Jahr im Bundesgebiet aufgehalten. Seit der Ausweisung bis zur Erlassung des Bescheides des Landeshauptmannes von Wien sind aber fast weitere sechs Jahre vergangen. Wird nun berücksichtigt, dass der Beurteilung der Zulässigkeit der Ausweisung lediglich ein einjähriger inländischer Aufenthalt des Revisionswerbers zu Grunde lag, der Beurteilung einer Sachverhaltsänderung jedoch ein weiterer ca. sechsjähriger inländischer Aufenthalt zu unterstellen war, ist dem Verwaltungsgericht ein Rechtsirrtum dahin vorzuwerfen, dass es schon die Möglichkeit einer anderen Beurteilung nach Art. 8 EMRK ausgeschlossen hat. Ein maßgeblich geänderter Sachverhalt liegt nämlich nicht erst dann vor, wenn der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitel erteilt werden müsste (vgl. auch dazu das zitierte Erkenntnis 2011/22/0127).

Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 5. Mai 2015

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