VwGH Ro 2014/22/0019

VwGHRo 2014/22/001930.7.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrat Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl und die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Schubert-Zsilavecz, über die Revision der V G S in T, vertreten durch Mag. German Bertsch, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Saalbaugasse 2, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 14. November 2013, Zl. 166.485/2- III/4/13, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §21a Abs1;
NAG 2005 §47 Abs2;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §21a Abs1;
NAG 2005 §47 Abs2;

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige Brasiliens, stellte am 1. Juli 2013 bei der Bezirkshauptmannschaft B einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Am 5. Juli 2013 stellte sie einen Antrag auf Zulassung der Inlandsantragstellung.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft B wurde der Antrag gemäß § 47 Abs. 2 iVm § 21a NAG abgewiesen. Zum Zusatzantrag gemäß § 21 Abs. 3 NAG führte die Bezirkshauptmannschaft begründend aus, dass dieser "obsolet" sei, weil die Inlandsantragstellung gemäß § 21 Abs. 2 Z 1 NAG zulässig sei.

Weiters führte die Bezirkshauptmannschaft in ihrer Begründung aus, die Revisionswerberin sei seit 18. März 2005 mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet und habe bereits von 8. Jänner 2009 bis 7. Jänner 2011 über einen Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" verfügt.

Am 2. April 2013 sei die Revisionswerberin neuerlich in das österreichische Bundesgebiet eingereist und am 8. Juli 2013 nach Brasilien zurückgekehrt.

Drittstaatsangehörige hätten - so die Bezirkshauptmannschaft in ihrer Bescheidbegründung weiter - gemäß § 21a Abs. 1 NAG mit Stellung eines Erstantrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels Kenntnisse der deutschen Sprache nachzuweisen. Dieser Nachweis sei nicht erfolgt. Dem Vorbringen der Revisionswerberin, dass sie Analphabetin sei und ihr somit der Nachweis von Deutschkenntnissen unzumutbar sei, stünde das amtsärztliche Gutachten vom 7. Juni 2013 entgegen. Dieses attestiere der Revisionswerberin keinerlei physische oder psychische Beeinträchtigung im Sinn des § 21a Abs. 4 Z 2 NAG. Die Amtsärztin komme im Gutachten zu dem Schluss, dass aufgrund des körperlichen Befundes der Revisionswerberin von einer ausreichenden Lernfähigkeit auszugehen sei. Es lägen keine schweren Erkrankungen der Revisionswerberin vor, die einen Besuch eines Sprachkurses ausschließen würden.

In der dagegen erhobenen Berufung führte die Revisionswerberin im Wesentlichen aus, dass sie im Jahr 2009 bereits einen Deutschkurs an der Volkshochschule B besucht, jedoch nicht bestanden habe. Somit habe die Revisionswerberin ihren Willen, Deutsch zu lernen, zum Ausdruck gebracht. Es scheitere nicht an der Lernbereitschaft, sondern es würden aufgrund des Analphabetismus der Revisionswerberin - die in Brasilien nie eine Schule besucht habe, weil sie sich nach dem Verlust ihrer Mutter um ihre jüngeren Geschwister habe kümmern müssen - die Grundvoraussetzungen für das Erlernen der deutschen Sprache fehlen. Der Revisionswerberin könne eine erfolgreiche Absolvierung des Deutschkurses nicht zugemutet werden.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Bundesministerin für Inneres (im Folgenden als "Behörde" bezeichnet) wurde die Berufung der Revisionswerberin abgewiesen.

Die Behörde schloss sich im Wesentlichen der Begründung der Bezirkshauptmannschaft B an und führte ergänzend aus, dass es im Erwachsenenalter durchaus mit Mühe und Anstrengung verbunden sei, Versäumnisse aus der Kindheit im Bereich der Bildung aufzuholen, doch gebe es in Österreich die Möglichkeit, Lesen und Schreiben auch im Erwachsenenalter durch den Besuch von Alphabetisierungskursen zu erlernen. Der Befund der Amtsärztin lasse darauf schließen, dass die Revisionswerberin über eine ausreichende Lernfähigkeit verfüge. Die Revisionswerberin habe somit die Voraussetzungen des § 21a Abs. 1 NAG zu erfüllen.

Bei Fehlen besonderer Erteilungsvoraussetzungen wie jener nach § 21a Abs. 1 NAG sei auf familiäre und private Interessen nicht Bedacht zu nehmen, sodass spruchgemäß zu entscheiden gewesen wäre.

Gegen diesen Bescheid erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 26. März 2014, B 1569/2013-4, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Die Revisionswerberin hat die abgetretene Beschwerde auftragsgemäß in Form einer Revision ergänzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Hat der Verfassungsgerichtshof eine Bescheidbeschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG nach Ablauf des 31. Dezember 2013 dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten, ist in sinngemäßer Anwendung des § 4 des Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetzes (VwGbk-ÜG) vorzugehen (vgl. den hg. Beschluss vom 29. April 2014, Ro 2014/04/0014, mwN).

Die abgetretene Beschwerde gilt daher als Revision gemäß Art 133 Abs. 1 Z 1 B-VG für die jedoch im Fall der Entscheidung einer Bundesministerin gemäß § 4 Abs. 5 letzter Satz VwGbk-ÜG die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht gelten; im Übrigen ist das VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung sinngemäß anzuwenden.

§ 21a und § 47 NAG in der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides im November 2013 geltenden Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 lauteten auszugsweise:

"§ 21a. (1) Drittstaatsangehörige haben mit der Stellung eines Erstantrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 2, 4, 5, 6 oder 8 Kenntnisse der deutschen Sprache nachzuweisen. Dieser Nachweis hat mittels eines allgemein anerkannten Sprachdiploms oder Kurszeugnisses einer durch Verordnung gemäß Abs. 6 oder 7 bestimmten Einrichtung zu erfolgen, in welchem diese schriftlich bestätigt, dass der Drittstaatsangehörige über Kenntnisse der deutschen Sprache zumindest zur elementaren Sprachverwendung auf einfachstem Niveau verfügt. Das Sprachdiplom oder das Kurszeugnis darf zum Zeitpunkt der Vorlage nicht älter als ein Jahr sein.

...

(4) Abs. 1 gilt nicht für Drittstaatsangehörige,

...

2. denen auf Grund ihres physischen oder psychischen Gesundheitszustandes die Erbringung des Nachweises nicht zugemutet werden kann; dies hat der Drittstaatsangehörige durch ein amtsärztliches Gutachten oder ein Gutachten eines Vertrauensarztes einer österreichischen Berufsvertretungsbehörde nachzuweisen, oder

...

(5) Die Behörde kann auf begründeten Antrag von rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältigen und gemäß § 21 Abs. 2 zur Inlandsantragstellung berechtigten Drittstaatsangehörigen von einem Nachweis nach Abs. 1 absehen:

...

2. zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK (§ 11 Abs. 3).

Die Stellung eines solchen Antrages ist nur bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides zulässig. Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt."

"§ 47. ...

(2) Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden sind, ist ein Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen.

..."

Die Revision moniert, die Behörde habe ihre Entscheidung einzig und allein auf die Stellungnahme der Amtsärztin der Bezirkshauptmannschaft B vom 7. Juni 2013 gestützt. Die Behörde wäre jedoch angehalten gewesen, selbst ein Gutachten in Auftrag zu geben, "um konkrete Feststellungen zum (Nicht‑)Vorliegen des Unzumutbarkeitsgrundes des Analphabetismus treffen zu können".

Gemäß § 21a Abs. 4 Z 2 NAG haben Drittstaatsangehörige, denen auf Grund ihres physischen oder psychischen Gesundheitszustandes der Nachweis erforderlicher Deutschkenntnisse nicht zugemutet werden kann, einen solchen auch nicht zu erbringen. Dies hat der Drittstaatsangehörige (u.a.) durch ein amtsärztliches Gutachten nachzuweisen.

Die Revision legt nicht dar, inwiefern die Feststellungen aufgrund des von der Bezirkshauptmannschaft eingeholten Amtsgutachtens, nämlich dass die Revisionswerberin keine schweren Erkrankungen aufweist und über "ausreichende Lernfähigkeit" verfügt, nicht zuträfen. Dass der Revisionswerberin die Überwindung ihres Analphabetismus (etwa durch Alphabetisierungskurse) nicht möglich sei, wird auch in der Revision nicht behauptet. Die Annahme der Behörde - ausgehend von dem von der Erstinstanz eingeholten Gutachten -, dass der Revisionswerberin trotz ihres vorgebrachten Analphabetismus der Erwerb von Deutschkenntnissen nicht unzumutbar sei, ist somit nicht zu beanstanden.

Wie die Behörde zutreffend ausführt, ist bei Fehlen einer für die Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels notwendigen besonderen Erteilungsvoraussetzung keine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 2014, 2012/22/0247). Das Vorbringen der Revisionswerberin, ihr privates Interesse überwiege das öffentliche Interesse, ist somit nicht relevant.

Dem weiteren Vorbringen der Revisionswerberin, wonach gemäß § 21a Abs. 5 Z 2 NAG von einem Nachweis nach Abs. 1 leg. cit. abzusehen sei, ist entgegenzuhalten, dass kein diesbezüglicher Antrag gestellt wurde.

Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen. Ein Kostenzuspruch hatte mangels Kostenbegehren nicht zu erfolgen.

Wien, am 30. Juli 2015

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