VwGH Ro 2014/21/0077

VwGHRo 2014/21/007723.4.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Revision des A H, zuletzt in V, vertreten durch Mag. Karin Leitner, Rechtsanwältin in 8700 Leoben, Mühltalerstraße 29, gegen das am 10. Juli 2014 mündlich verkündete und am 11. Juli 2014 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, Zl. G307 2009368-1/10E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

12010E267 AEUV Art267;
32013R0604 Dublin-III Art2 litn;
32013R0604 Dublin-III Art28 Abs1;
32013R0604 Dublin-III Art28;
32013R0604 Dublin-III;
BFA-VG 2014 §22a Abs1 idF 2015/I/041;
BFA-VG 2014 §22a Abs1;
BFA-VG 2014 §22a Abs2 idF 2015/I/041;
BFA-VG 2014 §22a Abs2;
B-VG Art130 Abs1 Z2;
B-VG Art140 Abs1;
B-VG Art140 Abs7;
EURallg;
FrPolG 2005 §76 Abs2 idF 2012/I/087;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2 idF 2012/I/087;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4 idF 2012/I/087;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §35;
VwRallg;
12010E267 AEUV Art267;
32013R0604 Dublin-III Art2 litn;
32013R0604 Dublin-III Art28 Abs1;
32013R0604 Dublin-III Art28;
32013R0604 Dublin-III;
BFA-VG 2014 §22a Abs1 idF 2015/I/041;
BFA-VG 2014 §22a Abs1;
BFA-VG 2014 §22a Abs2 idF 2015/I/041;
BFA-VG 2014 §22a Abs2;
B-VG Art130 Abs1 Z2;
B-VG Art140 Abs1;
B-VG Art140 Abs7;
EURallg;
FrPolG 2005 §76 Abs2 idF 2012/I/087;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2 idF 2012/I/087;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4 idF 2012/I/087;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §35;
VwRallg;

 

Spruch:

Das bekämpfte Erkenntnis wird im Umfang seiner Anfechtung (Spruchpunkt A. II. und Spruchpunkt A. III., soweit der Antrag des Revisionswerbers auf Kostenersatz abgewiesen wurde) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Somalia, reiste am 18. Juni 2014 nach Österreich ein und stellte hier einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid vom 19. Juni 2014 verhängte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber gemäß Art. 28 der Dublin III-VO iVm § 76 Abs. 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung (nach Italien) sowie zur Sicherung der Abschiebung.

Der Revisionswerber erhob gegen den genannten Bescheid sowie gegen seine Anhaltung in Schubhaft Beschwerde. Dieser Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem am 10. Juli 2014 mündlich verkündeten und am 11. Juli 2014 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis gemäß § 22a BFA-Verfahrensgesetz iVm Art. 28 Dublin III-VO dahingehend statt, dass es den Schubhaftbescheid sowie die Anhaltung in Schubhaft vom 19. Juni 2014 bis 10. Juli 2014 für rechtswidrig erklärte (Spruchpunkt A. I.). Überdies (Spruchpunkt A. II.) stellte das BVwG gemäß § 22a Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz iVm Art. 28 Dublin III-VO fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Schließlich wies das BVwG die Anträge der Parteien (des Revisionswerbers und des BFA) auf Kostenersatz gemäß § 35 VwGVG ab (Spruchpunkt A. III.) und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei (Spruchpunkt B.).

Gegen die Spruchpunkte A. II. und A. III. - soweit der Kostenersatzantrag des Revisionswerbers abgewiesen wurde - richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen hat:

1. Zu Spruchpunkt A. II.:

Die insoweit getroffene Feststellung stützt sich neben der - verfassungsrechtlich unbedenklichen (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12. März 2015, G 151/2014 ua.) - verfahrensrechtlichen Grundlage (§ 22a Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz) inhaltlich auf Art. 28 Dublin III-VO.

Gemäß Art. 28 Abs. 1 Dublin III-VO dürfen die Mitgliedstaaten eine Person nicht allein deshalb in Haft nehmen, weil sie dem durch diese Verordnung festgelegten Verfahren (beabsichtigte Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat) unterliegt. Allerdings dürfen sie nach Abs. 2 zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren im Einklang mit dieser Verordnung "die entsprechende Person" nach einer Einzelfallprüfung in Haft nehmen, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, die Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen. Unter dem Begriff der "Fluchtgefahr" ist nach Art. 2 lit. n Dublin III-VO "das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte", zu verstehen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19. Februar 2015, Zl. Ro 2014/21/0075, festgehalten hat, bedarf es am Boden von Art. 2 lit. n Dublin III-VO ergänzend innerstaatlich gesetzlich festgelegter Kriterien zur Konkretisierung der in Art. 28 Abs. 2 der Verordnung für die Verhängung von Schubhaft (ua.) normierten Voraussetzung des Vorliegens von "Fluchtgefahr". Gemäß dem genannten Erkenntnis, auf dessen Begründung im Übrigen im Einzelnen gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen sei, werden die hier in Frage kommenden Schubhafttatbestände nach § 76 Abs. 2 Z 2 und 4 FPG diesem Erfordernis nicht gerecht. In einer solchen Konstellation kommt daher Schubhaft gegen Fremde, die sich in einem Verfahren nach der Dublin III-VO befinden, zwecks Sicherstellung des Überstellungsverfahrens nach Art. 28 der Verordnung nicht in Betracht. Schon deshalb erweist sich der gegenständliche Fortsetzungsausspruch als rechtswidrig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

2. Zu Spruchpunkt A. III.:

In diesem Zusammenhang ist zunächst auf das schon erwähnte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12. März 2015 zu verweisen, mit dem dieser - gemäß Art. 140 Abs. 7 zweiter Satz B-VG aussprechend, dass diese Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind - § 22a Abs. 1 und 2 BFA-Verfahrensgesetz als verfassungswidrig aufgehoben hat (siehe dazu die Kundmachung des Bundeskanzlers unter BGBl. I Nr. 41/2015). Auch im vorliegenden Fall ist daher nunmehr, gleich wie im Anlassfall zu G 151/2014 ua., davon auszugehen, dass die zu Grunde liegende Beschwerde an das BVwG, soweit damit die dem Schubhaftbescheid nachfolgende Anhaltung bekämpft wird, eine Beschwerde gegen die behauptete Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt darstellt (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12. März 2015, E 4/2014, Rz 18). Es kommt daher § 35 VwGVG zur Anwendung, uzw. zumindest insoweit, als er einem Beschwerdeführer vor dem Verwaltungsgericht im Falle seines Obsiegens in einem Beschwerdeverfahren wegen behaupteter Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Kostenersatz einräumt.

Jedenfalls vor dem Hintergrund der rechtskräftigen Entscheidung des BVwG mit seinem Spruchpunkt A. I. einerseits sowie dem oben zu Punkt 1. erzielten Ergebnis andererseits, sodass von einem vollständigen Obsiegen des Revisionswerbers auszugehen ist, kann daher die Abweisung seines Kostenersatzbegehrens keinen Bestand haben. Auch Spruchpunkt A. III. des bekämpften Erkenntnisses war daher im Umfang seiner Anfechtung gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 23. April 2015

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte