VwGH Ro 2014/05/0025

VwGHRo 2014/05/002518.11.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Sußner, über die Revision des J G in W, vertreten durch Dr. Otto Schubert, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Lerchenfelderstraße 15, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 3. Dezember 2013, Zl. RU1-BR-1128/004-2013, betreffend baupolizeilichen Auftrag (mitbeteiligte Partei: Gemeinde W, vertreten durch Onz, Onz, Kraemmer, Hüttler Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16), zu Recht erkannt:

Normen

BauO NÖ 1996 §35 Abs2 Z3;
BauRallg;
BauO NÖ 1996 §35 Abs2 Z3;
BauRallg;

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Der Revisionswerber hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte ist auf das hg. Erkenntnis vom 16. März 2012, Zl. 2009/05/0102, zu verweisen. Daraus ist Folgendes hervorzuheben:

Dem Revisionswerber waren mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 1. Juli 2005 und mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 10. Jänner 2006 für Umbauarbeiten an einem bestehenden Gebäude eine Baubewilligung bzw. Planwechselbewilligung erteilt worden. Erhebungen in der Folge ergaben, dass die Gebäudehöhe durch den Turm des Gebäudes um ca. 4,5 m überschritten worden war.

Mit Bescheid vom 24. September 2007 erteilte der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde dem Revisionswerber gemäß § 29 der Niederösterreichischen Bauordnung 1996 (BO) den Auftrag, bezüglich des von Baumaßnahmen betroffenen südöstlichen Teils des Gebäudes mit einer verbauten Fläche von ca. 129,48 m2 einen Zustand herzustellen, der dem vorherigen entspreche. Daher sei dieser Gebäudeteil vollständig abzubrechen.

Vorangegangen war diesem Bescheid ein Gutachten des Amtssachverständigen vom 22. März 2007, in dem unter anderem ausgeführt worden war, wie im beiliegenden Katasterplan vermerkt, seien sechs umliegende Gebäude als Bezugsobjekte im Sinne des § 54 BO im Umgebungsbereich vorhanden. Diese Objekte seien von allgemein zugänglichen Orten zugleich mit dem gegenständlichen Bau sichtbar. Die örtliche Erhebung habe unterschiedliche maximale Gebäudehöhen ergeben. Diese im beiliegenden Balkendiagramm dargestellten Werte lägen zwischen 5,9 m und 8,3 m. Das gegenständliche Vorhaben weise demgegenüber eine Gebäudehöhe beim Wohnhaus von 9 m und beim Turm von 14,6 m auf. Mit Hilfe der Darstellung im Balkendiagramm sei sehr augenfällig die Abweichung des gegenständlichen Vorhabens (Turm) um rund zwei Geschoßhöhen im Vergleich zum Umgebungsbestand ersichtlich.

Die gegen den Bescheid vom 24. September 2007 erhobene Berufung des Revisionswerbers wurde mit Bescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde vom 21. Mai 2008 als unbegründet abgewiesen. Dagegen erhob der Revisionswerber Vorstellung, der mit Bescheid der belangten Behörde vom 4. März 2009 keine Folge gegeben wurde.

Mit dem zitierten Vorerkenntnis vom 16. März 2012 wurde der Bescheid der belangten Behörde vom 4. März 2009 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Die Aufhebung erfolgte deshalb, weil es nach den im Akt befindlichen Sachverständigenäußerungen nicht nachvollziehbar sei, dass die Herstellung eines Zustandes, der dem vorherigen entspreche, bloß im Wege einer Demolierung nicht nur der konsenswidrig errichteten Teile des Turmes, sondern des gesamten Bauwerkes möglich wäre. Dem Revisionswerber wäre daher jedenfalls die Möglichkeit einzuräumen gewesen, den bewilligten Zustand herzustellen.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 20. April 2012 wurde daraufhin der Vorstellung des Revisionswerbers gegen den Bescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde vom 21. Mai 2008 Folge gegeben, dieser Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeindevorstand verwiesen.

Mit Bescheid vom 19. Februar 2013 änderte der Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde den Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 24. September 2007 dahingehend ab, dass dem Revisionswerber gemäß § 35 Abs. 2 Z 3 erster Fall und letzter Satz BO der Auftrag erteilt wurde, im südöstlichen Teil des Gebäudes mit einer verbauten Fläche von ca. 129,48 m2 binnen 12 Monaten ab Rechtskraft entweder den dem Plan Nr. 05/93/2005 der B GmbH vom Dezember 2005 entsprechenden Zustand herzustellen oder diesen Gebäudeteil vollständig abzubrechen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Bauzustand habe sich seit Erlassung des Bescheides des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 24. September 2007 insofern geändert, als das Gebäude (ungeachtet der verfügten Baueinstellung) zur Gänze fertiggestellt worden sei. Dem zitierten Vorerkenntnis vom 16. März 2012 sei eindeutig zu entnehmen, dass der bestehende Zustand nicht bewilligt werden könne. Die Baubehörde erster Instanz habe dem Revisionswerber daher zu Recht einen baupolizeilichen Auftrag zur Herstellung des vorherigen Zustandes erteilt. Entsprechend der Rechtsmeinung des Verwaltungsgerichtshofes sei dem Revisionswerber aber die alternative Möglichkeit einzuräumen gewesen, das Gebäude auf den bewilligten Zustand zurückzubauen. Nach Fertigstellung des Vorhabens könne sich der Auftrag nur mehr auf § 35 BO stützen. Es liege zwar kein gesamtes konsensloses und nicht bewilligungsfähiges Gebäude vor, es bestehe aber ein nicht zulässiger Gebäudeteil. Auf Grund des letzten Satzes des § 35 Abs. 2 Z 3 BO sei somit ein Teilabbruch anzuordnen. Zwar komme eine Baueinstellung nach § 29 BO nur in Betracht, solange ein Bauwerk noch nicht vollendet worden sei, allerdings könne schon vor Vollendung ein Abbruchauftrag gemäß § 35 Abs. 2 Z 3 erster Fall BO erteilt werden.

Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Vorstellung. Er führte aus, gemäß § 54 BO dürften zur Wahrung des Charakters der Bebauung Ausnahmen gewährt werden, wenn keine hygienischen oder brandschutztechnischen Bedenken bestünden. Das Fertiggestellte solle genehmigt werden. Es gehe hier um die Wahrung des Charakters des Gebäudes, der zerstört würde, wenn das oberste Stockwerk ("Luginsland") abgerissen werden müsste (romanischer Bogen und Renaissancegiebel würden zerstört). Ein Abriss wäre nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand und hohen Kosten, wenn überhaupt, möglich. Das Bauwerk sei fertig, und die Bewohner hätten sich daran gewöhnt. Es gehöre mittlerweile schon zum Ortsbild und werde von Anrainern geschätzt. Der Revisionswerber und viele andere Bürger hielten es für eine Sehenswürdigkeit und würden es gerne behalten, wie es sei. Der Vorstellung beigeschlossen waren Fotos von Gebäuden "in näherer Umgebung", von Gebäuden ("Gebäudevergleich") "im Umkreis von 5000 m" und von Vierkanthöfen sowie eine Unterlage "Stimmen aus der Bevölkerung".

Mit dem in Revision gezogenen Bescheid wurde die Vorstellung des Revisionswerbers als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und von Rechtsvorschriften im Wesentlichen ausgeführt, bei konsenslosen Bauwerken habe die Baubehörde zunächst ganz allgemein die Bewilligungsfähigkeit zu prüfen. Im Falle einer positiven Beurteilung sei dem Eigentümer die Einbringung eines entsprechenden Antrages innerhalb einer bestimmten Frist aufzutragen. Ein solcher Auftrag habe jedoch zu entfallen, wenn das Bauwerk, wie im gegenständlichen Fall, unzulässig sei. Die Frage der Genehmigungsfähigkeit sei rechtskräftig geklärt. Das Bauwerk habe sich als unzulässig dargestellt. Der Auftrag zum Abbruch betreffe eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung und sei zwingend vorgesehen. Eine Berücksichtigung wirtschaftlicher Interessen kenne die BO nicht. Auch sei keine Bedachtnahme darauf, ob Gemeindebewohner mit einer Abweichung vom Konsens einverstanden seien, im Gesetz vorgesehen. Dem Grund nach habe der Revisionswerber den Abbruchauftrag gar nicht bekämpft. Zwar dürften nach § 54 Abs. 4 BO zur Wahrung des Charakters der Bebauung Ausnahmen von den Festlegungen des § 54 BO unter gewissen Voraussetzungen erteilt werden. Mit dem turmartigen Gebäude werde aber schon der Charakter der Bebauung nicht gewahrt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Revision mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und, ebenso wie die mitbeteiligte Partei, in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Revision beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In der Revision wird im Wesentlichen geltend gemacht, es sei nicht geprüft worden, ob unter Zugrundelegung des § 54 Abs. 4 BO eine Bewilligungsfähigkeit gegeben gewesen wäre. Die Bewilligungsfähigkeit sei unter Berufung auf ein Gutachten des Amtssachverständigen nach einem Lokalaugenschein vom 31. Oktober 2005 verneint worden. Maßgebend sei aber die Sach- und Rechtslage im Jahr 2013. Es dürfe als bekannt vorausgesetzt werden, der Revisionswerber habe dies auch mit Lichtbildern darzulegen versucht, dass sich in den vergangenen acht Jahren das Ortsbild durchaus massiv verändert habe und das streitgegenständliche Bauwerk keinesfalls in Widerspruch zu den in der Umgebung befindlichen Bauwerken stehe. Diese laufenden Veränderungen im Ortsbild hätte die Behörde zu berücksichtigen gehabt. Es wäre ein neuerliches Gutachten in Auftrag zu geben gewesen. Eine neuerliche Begutachtung hätte ergeben, dass das errichtete Gebäude in keinem Widerspruch zu den Bauwerken der Umgebung stehe und es zur Erhaltung des Charakters der Bebauung notwendig sei, das Gebäude des Revisionswerbers zu bewilligen. In der näheren Umgebung befänden sich durchaus Gebäude mit ähnlicher Höhe. Das errichtete Gebäude sei, sozusagen im historischen Interesse, an mittelalterliche Vierkanthöfe angelehnt. Der Revisionswerber sei damit bemüht gewesen, das Bauwerk in die Landschaftsstruktur einzugliedern und das Ortsbild nicht mit allfälligen architektonischen Experimenten zu verunstalten. Er habe sich bemüht, das Bauwerk architektonisch und historisch der Umgebung anzupassen. Das Gebäude sei außerdem seit etlichen Jahren fertig und werde vom Revisionswerber und seiner Familie bewohnt. Der Abbruch würde einen unzumutbaren Eingriff in die Lebensverhältnisse des Revisionswerbers und seiner Familie darstellen. Auch die damit verbundenen Kosten wären außerhalb jeglichen Verhältnisses.

§ 29 BO regelt die Baueinstellung (diesbezüglich ist auf die Darlegungen im zitierten Vorerkenntnis vom 16. März 2012 zu verweisen).

§ 35 BO idF LGBl. Nr. 8200-8 lautet auszugsweise:

"§ 35

Sicherungsmaßnahmen und Abbruchauftrag

...

(1) ...

(2) Die Baubehörde hat den Abbruch eines Bauwerks anzuordnen, wenn

...

3. für das Bauwerk keine Baubewilligung (§ 23) oder Anzeige (§ 15) vorliegt und

? das Bauwerk unzulässig ist (§ 15 Abs. 3 und § 23 Abs. 1) oder ? der Eigentümer den für die fehlende Bewilligung

erforderlichen Antrag oder die Anzeige nicht innerhalb der von der Baubehörde bestimmten Frist ab der Zustellung der Aufforderung hiezu eingebracht hat.

Für andere Vorhaben gilt Z. 3 sinngemäß.

..."

§ 54 BO enthält in seinen Absätzen 1 bis 3 Regelungen für Bauwerke im Baulandbereich ohne Bebauungsplan. Abs. 4 dieser Bestimmung idF LGBl. Nr. 8200-19 lautet:

"(4) Zur Wahrung des Charakters der Bebauung darf von den Absätzen 1 bis 3 abgewichen werden, wenn dagegen keine brandschutztechnischen Bedenken bestehen und der Lichteinfall unter 45 Grad auf bewilligte Hauptfenster auf den Nachbargrundstücken nicht beeinträchtigt wird."

Soweit der Revisionswerber vorbringt, dass der Abbruch eines Gebäudeteils einen unzumutbaren Eingriff in seine Lebensverhältnisse und in jene seiner Familie darstellen würde sowie dass die Abbruchkosten außerhalb "jeglichen Verhältnisses" lägen, ist ihm zu entgegnen, dass das Gesetz auf diese Kriterien nicht abstellt (vgl. die bei Pallitsch/Pallitsch/Kleewein, Niederösterreichisches Baurecht, 8. Auflage, S. 577 unter Z 18 zitierte hg. Rechtsprechung).

Der Revisionswerber macht geltend, die Berufungsbehörde und die belangte Behörde hätten sich nicht auf das Gutachten aus dem Jahr 2007, beruhend auf einem Ortsaugenschein aus dem Jahr 2005, stützen dürfen, weil sich das Ortsbild geändert habe. Dazu ist zunächst zu bemerken, dass die Behauptung der Änderung des Ortsbilds eine Tatsachenfrage betrifft, die dem vor dem Verwaltungsgerichtshof geltenden Neuerungsverbot unterliegt. Abgesehen davon hat der Revisionswerber nicht die konkreten Objekte genannt, durch die sich relevante Änderungen gegenüber den Sachverständigenfeststellungen ergeben sollen. Zwar hat der Revisionswerber seiner Vorstellung Lichtbilder beigeschlossen, er hat aber nicht ausgeführt, wo die betreffenden Gebäude liegen, in welcher Relation sie zum gegenständlichen Bau stehen und wann sie errichtet worden sind. Ausgehend davon konnte die belangte Behörde schließlich auch in Bezug auf § 54 Abs. 4 BO in der oben genannten Fassung unbedenklich zu dem Ergebnis gelangen, dass im Hinblick auf die seinerzeitigen Feststellungen des Sachverständigen der gegenständliche Bauteil nicht der Wahrung des Charakters der Bebauung dient. Es war daher nicht erforderlich, dem Revisionswerber im Sinne des § 35 Abs. 2 Z 3 BO zunächst aufzutragen, eine fehlende Bewilligung einzuholen (vgl. die bei Pallitsch/Pallitsch/Kleewein, aaO, S. 580 f unter Z 33 zitierte hg. Rechtsprechung).

Bemerkt wird abschließend, dass im Hinblick darauf, dass bereits der erstinstanzliche Bescheid vom 24. September 2007 eine Anordnung des Abbruches enthalten hat, keine Bedenken dagegen bestehen, dass die Berufungsbehörde den Abbruchauftrag nunmehr auf § 35 Abs. 2 Z 3 BO gestützt hat (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 31. März 2008, Zl. 2007/05/0126).

Die Revision erweist sich daher insgesamt als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG iVm § 4 VwGbk-ÜG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich die auf §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013 idF Nr. 8/2014 und der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 18. November 2014

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