VwGH 2012/10/0213

VwGH2012/10/021322.10.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde des J D in T, vertreten durch Mag. Alexander Ertl, Rechtsanwalt in 4070 Eferding, Kirchenplatz 8, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 16. Juli 2012, Zl. SO‑130521/ 5‑2012‑FF, betreffend Zurückweisung eines Sozialhilfeantrages, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §13 Abs3
SHG OÖ 1998
SHG OÖ 1998 §24 Abs2
SHG OÖ 1998 §24 Abs3
SHG OÖ 1998 §26 Abs3
SHG OÖ 1998 §7
VwGG §42 Abs2 Z1
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2013:2012100213.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 16. Juli 2012 hat die Oberösterreichische Landesregierung den Antrag des Beschwerdeführers vom 3. November 2010 auf Gewährung von Sozialhilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 13 Abs. 3 AVG iVm § 24 Oö. Sozialhilfegesetz 1998 ‑ Oö. SHG 1998, LGBl. Nr. 82, zurückgewiesen.

Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, dass die Behörde erster Instanz mit Bescheid vom 14. Dezember 2010 den Antrag des Beschwerdeführers mit der Begründung zurückgewiesen habe, dass der Beschwerdeführer dem am 17. November 2010 gemäß § 13 Abs. 3 AVG erteilten Auftrag zur Verbesserung seines schriftlichen Antrages durch Vorlage einer Bestätigung über sein Einkommen aus der geringfügigen Beschäftigung beim Unternehmen V. nicht rechtzeitig nachgekommen sei.

§ 24 Oö. SHG 1998 verpflichte den Antragsteller zur Mitwirkung. Komme er dieser Verpflichtung nicht nach, so sei auf Grundlage des festgestellten Sachverhaltes zu entscheiden. Werde hingegen ‑ zum Schutz des Antragstellers ‑ ein Verbesserungsauftrag gemäß § 13 Abs. 3 AVG erteilt, so werde dadurch deutlich, dass ohne die geforderten Unterlagen eine Entscheidung nicht getroffen werden könne. Da die Einkommensnachweise für die Beurteilung des vorliegenden Falles unentbehrlich seien, habe die Behörde erster Instanz zu Recht einen Verbesserungsauftrag erteilt.

Der Beschwerdeführer habe die Bestätigung über sein Einkommen aus der geringfügigen Beschäftigung beim Unternehmen V. erst mit der Berufung und somit verspätet vorgelegt. Diese Unterlagen seien von der belangten Behörde nicht zu berücksichtigen gewesen, weil Gegenstand des Berufungsverfahrens lediglich die Frage sei, ob die Behörde erster Instanz den Antrag zu Recht gemäß § 13 Abs. 3 AVG zurückgewiesen habe.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Zunächst ist auszuführen, dass ‑ wovon auch beide Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ausgehen ‑ auf Grund der Zurückweisung des Antrages gemäß § 13 Abs. 3 AVG durch die Behörde erster Instanz "Sache" des Berufungsverfahren nur die Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung war (vgl. aus der ständigen hg. Judikatur etwa das Erkenntnis vom 29. April 2010, Zl. 2008/21/0302).

Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe sämtliche Antragsvoraussetzungen erfüllt; die Vorlage von Einkommensbestätigungen sei keine Antragsvoraussetzung nach dem Oö. SHG 1998. Da der Behörde bekannt gewesen sei, dass der Beschwerdeführer beim Unternehmen V. nur geringfügig beschäftigt gewesen sei, sei die Sache auch entscheidungsreif gewesen. Hätte die Behörde noch weitere Unterlagen für erforderlich gehalten, so hätte sie eine entsprechende Urkundenvorlage auftragen können. Für einen Verbesserungsauftrag nach § 13 Abs. 3 AVG sei jedoch kein Raum verblieben.

Die Behörde erster Instanz ‑ deren Bescheid am 14. Dezember 2010 erging ‑ hatte die Bestimmungen des Oö. SHG 1998 anzuwenden. Die hier maßgebeblichen Bestimmungen dieses Gesetzes haben (auszugsweise) folgenden Wortlaut:

"§ 23. Anwendbarkeit des AVG

Auf das behördliche Verfahren finden die Vorschriften des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) Anwendung, soweit in diesem Landesgesetz nichts anderes normiert wird.

§ 24. Informations‑ und Mitwirkungspflicht

(1) Die Behörde hat die hilfesuchende Person (ihren gesetzlichen Vertreter) der jeweiligen Sachlage entsprechend zu informieren, zu beraten und anzuleiten, soweit dies zur Erreichung der Ziele sozialer Hilfe notwendig ist.

(2) Die hilfesuchende Person (ihr gesetzlicher Vertreter) ist verpflichtet, an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes mitzuwirken. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht sind die zur Durchführung des Verfahrens unerlässlichen Angaben zu machen und die dafür erforderlichen Urkunden oder Unterlagen beizubringen. Weiters hat sich die hilfesuchende Person den für die Entscheidungsfindung unerlässlichen Untersuchungen zu unterziehen.

(3) Kommt eine hilfesuchende Person (ihr gesetzlicher Vertreter) ihrer Mitwirkungspflicht ohne triftigen Grund nicht nach, kann die Behörde der Entscheidung über den Leistungsanspruch den Sachverhalt, soweit er festgestellt wurde, zu Grunde legen. Voraussetzung dafür ist, dass die hilfesuchende Person oder ihr Vertreter nachweislich auf die Folgen einer unterlassenen Mitwirkung hingewiesen worden ist.

...

§ 26. Berufungsverfahren

...

(3) Kommt der Berufungswerber seiner Mitwirkungspflicht gemäß § 24 Abs. 2 erst im Berufungsverfahren nach, kann die Berufungsbehörde bei der Beurteilung des bis zu diesem Zeitpunkt bestehenden Leistungsanspruches nach § 24 Abs. 3 vorgehen.

..."

Das mit 1. Oktober 2011 in Kraft getretene Oö. Mindestsicherungsgesetz – Oö. BMSG, LGBl. 74/2011, das das Sozialhilfegesetz im hier gegenständlichen Bereich der Leistung von Hilfe zum Lebensunterhalt abgelöst hat, normiert in seinem § 28 folgendes:

"§ 28.

Anträge

(1) Die Leistung bedarfsorientierter Mindestsicherung setzt einen vorherigen Antrag voraus. Sie ist auch ohne Antrag anzubieten, wenn Umstände bekannt werden, die eine Hilfeleistung erforderlich machen.

(5) Im Antrag auf bedarfsorientierte Mindestsicherung sind folgende Angaben zu machen und durch entsprechende Nachweise zu belegen:

1. zur Person und Familien- bzw. Haushaltssituation

2. aktuelle Einkommens- und Vermögenssituation

3. Wohnsituation

4. zum Daueraufenthalt gemäß § 4 Abs. 1 Z 2, soweit die fremdenrechtlichen Vorschriften Dokumente zu dessen Nachweis vorsehen.

Sofern diesbezüglich erforderliche Unterlagen nicht vorgelegt werden, kommt § 13 Abs. 3 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) zur Anwendung.

..."

Die Erläuterungen der Vorlage der Oberösterreichischen Landesregierung zu diesem Gesetz (Blg. 357/2011 zu den Wortprotokollen des Oö. Landtages XXVII. GP, Seite 52) halten dazu fest:

"... In der Praxis hat die Frage der Abgrenzung von § 13 Abs. 3 AVG und § 24 Abs. 3 bzw. 26 Abs. 3 Oö. Sozialhilfegesetz 1998 immer wieder Fragen aufgeworfen. Daher wird nun im Abs. 5 klargestellt, welche Unterlagen (erforderlichenfalls) bei der Antragsstellung beigebracht werden müssen. Werden diese Unterlagen auch nach Erteilung eines Verbesserungsauftrages nicht vorgelegt, so ist der Antrag zurückzuweisen. ..."

Nach § 13 Abs. 3 AVG ermächtigen Mängel schriftlicher Anbringen die Behörde nicht zur Zurückweisung. Die Behörde hat vielmehr von Amts wegen unverzüglich deren Behebung zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Behebung des Mangels innerhalb einer angemessenen Frist mit der Wirkung auftragen, dass das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist zurückgewiesen wird. Wird der Mangel rechtzeitig behoben, so gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht.

Bei den von dieser Bestimmung umfassten ‑ materiellen oder formellen ‑ Mängeln handelt es sich um das Fehlen von für die Partei erkennbaren Anforderungen an ein vollständiges und fehlerfreies Anbringen (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG‑Kommentar, Rz. 27 zu § 13 und die dort angeführten Beispiele aus der hg. Judikatur). Von derartigen Mängeln im Sinn von § 13 Abs. 3 AVG zu unterscheiden ist das zur meritorischen Erledigung eines Antrages durch seine Abweisung führende Fehlen einer Erfolgsvoraussetzung (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2001, Zl. 2001/19/0089). Als derartige Erfolgsvoraussetzung hat der Verwaltungsgerichtshof im bereits zitierten Erkenntnis vom 29. April 2010, Zl. 2008/21/0302, die Vorlage von Urkunden zum Nachweis des gesicherten Lebensunterhaltes eines Niederlassungswerbers qualifiziert, wenn im Gesetz lediglich beispielhaft und nicht ausreichend konkret aufgezählt ist, welche Nachweise dafür zu erbringen sind. Weiters im Erkenntnis vom 23. Februar 2011, Zl. 2008/11/0033, die Vorlage von Unterlagen zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage für Kammerbeiträge, wenn im Gesetz nur geregelt ist, auf welcher Grundlage die Beiträge zu bemessen sind und dass der Betreffende an der Ermittlung mitzuwirken hat.

Zur Abgrenzung von Mängeln im Sinne vom § 13 Abs. 3 AVG zu derartigen Erfolgsvoraussetzungen halten die Materialien zur AVG‑Novelle BGBl. I Nr. 158/1998 (Erläuterungen des selbstständigen Antrages des Verfassungsausschusses 1167 BlgNR. XX. GP , 27) Folgendes fest:

"'Mängel', die das Anbringen nicht unzulässig machen, sondern nur seine Erfolgsaussichten beeinträchtigen, werden durch die Neuformulierung des Abs. 3 nicht erfasst. Die Behörde trifft daher auch keine Verpflichtung, die Partei anzuleiten, ihren Antrag so zu formulieren, dass ihm allenfalls stattgegeben werden kann. Ob eine bestimmte 'Mangelhaftigkeit' eines Anbringens dessen Zurückweisung oder Abweisung zur Folge hat (mit anderen Worten: Ob ein bestimmter 'Mangel' einem Mängelbehebungsverfahren zugänglich ist oder nicht), ergibt sich nicht aus Abs. 3, sondern aus jenen Rechtsvorschriften, die an das Vorliegen dieses 'Mangels' bestimmte Rechtsfolgen knüpfen."

Ob es sich beim Fehlen der Einkommensbestätigung des Beschwerdeführers um einen (einer Verbesserung gemäß § 13 Abs. 3 AVG zugänglichen) Mangel des Antrags handelt oder um eine sonstige Unzulänglichkeit, die nicht die Vollständigkeit des Antrages, sondern seine Erfolgsaussichten betrifft, ist somit nach dem Oö. SHG 1998 zu beurteilen (vgl. dazu etwa die bereits zitierten hg. Erkenntnisse, Zl. 2008/11/0033 und Zl. 2008/21/0302).

Voraussetzung für die Gewährung von Sozialhilfe nach dem Oö. SHG 1998 ist gemäß dessen § 7 das Vorliegen einer "sozialen Notlage". Eine solche liegt gemäß Abs. 1 Z. 1 dieser Bestimmung bei Personen vor, die ihren Lebensunterhalt nicht decken können. Welche Unterlagen zum Nachweis dieser Voraussetzung vorzulegen sind, wird im Gesetz nicht konkret geregelt. § 24 Abs. 2 Oö. SHG 1998 verpflichtet die hilfesuchende Person lediglich dazu, an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes mitzuwirken und im Rahmen dieser Mitwirkungspflicht die zur Durchführung des Verfahrens unerlässlichen Angaben zu machen und die "dafür erforderlichen Urkunden oder Unterlagen" beizubringen. Die Folgen der Verletzung dieser Mitwirkungspflicht ohne triftigen Grund sind in § 24 Abs. 3 leg. cit. ausdrücklich geregelt. Demnach kann die Behörde der Entscheidung über den Leistungsanspruch den Sachverhalt, soweit er festgestellt wurde, zu Grunde legen, wenn die hilfesuchende Person oder ihr Vertreter nachweislich auf diese Folgen einer unterlassenen Mitwirkung hingewiesen worden ist. Aus § 26 Abs. 3 leg. cit. ergibt sich, dass über den zugrundeliegenden Antrag auch dann inhaltlich zu entscheiden ist, wenn der Antragsteller seiner Mitwirkungspflicht erst im Berufungsverfahren nachkommt.

Aus dem maßgeblichen Materiengesetz ergibt sich somit eindeutig, dass es sich bei der Vorlage eines Einkommensnachweises aus einem bestimmten Beschäftigungsverhältnis nicht um eine ‑ einem Mängelbehebungsauftrag gemäß § 13 Abs. 3 AVG zugängliche ‑ Voraussetzung für einen vollständigen Sozialhilfeantrag, sondern um eine Erfolgsvoraussetzung handelt, bei deren Fehlen der Antrag ‑ mangels Nachweis einer sozialen Notlage ‑ abzuweisen ist.

Daran kann der Umstand nichts ändern, dass nach den Materialien zum Oö. BMSG mit dessen § 28 Abs. 5, wonach im Antrag u.a. Angaben über die aktuelle Einkommens‑ und Vermögenssituation zu machen und durch entsprechende Nachweise zu belegen sind und bei Unterlassung der Vorlage derartiger Urkunden nach § 13 Abs. 3 AVG vorzugehen ist, lediglich "klargestellt" wird, welche Unterlagen bei der Antragsstellung beizubringen sind, bei deren Fehlen mit Verbesserungsauftrag gemäß § 13 Abs. 3 AVG vorzugehen ist.

Die belangte Behörde hat somit insofern die Rechtslage verkannt, als sie die Erlassung eines Mängelbehebungsauftrages gemäß § 13 Abs. 3 AVG zur Vorlage einer Einkommensbestätigung des Beschwerdeführers für zulässig erachtete.

Da sich der Bescheid schon deshalb als rechtswidrig erweist, braucht nicht auf das Vorbringen eingegangen zu werden, wonach der Beschwerdeführer den Antrag auf Gewährung von sozialer Hilfe bereits vor dem 3. November 2010 mündlich bei der Behörde erster Instanz gestellt habe.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde ‑ im Rahmen der oben dargestellten "Sache" des Berufungsverfahrens ‑ den Bescheid der Behörde erster Instanz, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 13 Abs. 3 AVG zurückgewiesen wurde, zu beheben und der Behörde erster Instanz die Fällung einer inhaltlichen Entscheidung unter Berücksichtigung der nunmehr vorliegenden Einkommensbestätigung aufzutragen haben.

Aus den dargestellten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl II Nr. 455/2008.

Wien, am 22. Oktober 2013

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