VwGH 2009/15/0182

VwGH2009/15/018224.5.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Zorn, Dr. Büsser, MMag. Maislinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des Finanzamtes Salzburg-Stadt in 5026 Salzburg, Aignerstraße 10, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Salzburg, vom 9. September 2009, Zl. RV/0144-S/08, betreffend Kapitalertragsteuer für die Zeiträume 2003, 2004 und 2005 (mitbeteiligte Partei: F-Stiftung in S), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §59 Abs1;
BAO §198;
BAO §224 Abs1;
BAO §288 Abs1 litd;
BAO §289 Abs2;
BAO §92;
EStG §93;
EStG §95 Abs2;
VwRallg;
AVG §59 Abs1;
BAO §198;
BAO §224 Abs1;
BAO §288 Abs1 litd;
BAO §289 Abs2;
BAO §92;
EStG §93;
EStG §95 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die Mitbeteiligte ist eine österreichische Privatstiftung.

Im Zuge einer Außenprüfung traf der Prüfer folgende Feststellung:

Die natürliche Person Herbert H, Schweiz, hatte eine Unterbeteiligung an der R Holding GmbH (im Folgenden: Holding) gehalten. Im Jahr 1998 erklärten sich die vier Gesellschafter der Holding - sie sind zugleich Stifter der Mitbeteiligten - bereit, Herbert H abzufinden. Dies erfolgte dadurch, dass diese Gesellschafter die Verbindlichkeit der Holding gegenüber Herbert H "in ihr Privatvermögen transferierten". In der Folge wurden der Mitbeteiligten am 28. September 1998 die Anteile an der Holding im Wege einer Nachstiftung zugewendet. In der Stiftungszusatzurkunde ist festgehalten, dass sich die vier widmenden Holding-Gesellschafter der Mitbeteiligten gegenüber verpflichten, allenfalls auftretende, noch von ihnen zu vertretende Verbindlichkeiten unverzüglich zu berichtigen und die Mitbeteiligte schadlos zu halten. Die Mitbeteiligte hat sodann in den Jahren 2003, 2004 und 2005 jeweils 100.000 EUR an Herbert H zur Tilgung der Verbindlichkeit geleistet.

In der Niederschrift über die Schlussbesprechung ist festgehalten, dass die Zahlungen nach Ansicht des Prüfers "verdeckte Zuwendungen der Stiftung an die Gesellschafter" darstellten, und daher für die Jahre 2003, 2004 und 2005 jeweils 25% Kapitalertragsteuer (jeweils 25.000 EUR) anfielen. Gleichlautende Feststellungen finden sich in Tz 1 des Berichtes vom 27. Dezember 2006 über das Ergebnis der Außenprüfung.

Aufgrund dieser Prüfungsfeststellungen erließ das Finanzamt sodann gegenüber der Mitbeteiligten drei Bescheide mit Ausfertigungsdatum 18. Jänner 2008 zur Erhebung der Kapitalertragsteuer, und zwar für jedes der drei Jahre 2003, 2004 und 2005 einen (jeweils über Kapitalertragsteuer von 25.000 EUR). Das Finanzamt erließ die Bescheide unter Verwendung des Formulars "L20". Die Bescheide sind daher mit "Haftungs- und Abgabenbescheid(e)" überschrieben. Zur Bescheidbegründung wird in der Bescheidbeilage ausgeführt, die vier Gesellschafter der Holding (Friedrich E, Heike K, Gerold E und Werner E), die zugleich Stifter der Mitbeteiligten seien, hätten mit der Nachstiftung vom 28. September 1998 ihre Anteile an der Holding der Mitbeteiligten zugewendet. Die genannten vier Gesellschafter hätten vorher zum Zweck der Beseitigung einer Unterbeteiligung des Herbert H an der Holding eine Verbindlichkeit gegenüber Herbert H (persönlich) übernommen gehabt. Diese Verbindlichkeit der vier Gesellschafter gegenüber Herbert H habe sich sodann in deren Privatvermögen befunden. In der Stiftungszusatzurkunde sei festgelegt worden, dass die vier widmenden Holding-Gesellschafter sich verpflichteten, "etwa auftretende noch von ihnen zu vertretende Verbindlichkeiten unverzüglich zu berichtigen und die Stiftung diesbezüglich schad- und klaglos zu halten." Die Bezahlung der Verbindlichkeit habe dann aber die Mitbeteiligte vorgenommen. Darin liege eine Bereicherung der Stifter, weil diese ihre Verbindlichkeit nicht selbst getilgt hätten. Zudem liege eine auf die Vorteilsgewährung gerichtete Willensentscheidung der Mitbeteiligten vor.

Im Einzelnen habe die Mitbeteiligte am 16. Juni 2003, am 6. Februar 2004 und sodann im Jahr 2005 je 100.000 EUR an Herbert H, Schweiz, bezahlt. Bei den Zahlungen der Mitbeteiligten handle es sich um eine verdeckte Zuwendung, weil die Stifter insgesamt 300.000 EUR ihrer privaten Verbindlichkeiten nicht selbst bezahlt hätten, sondern die Stiftung diese Zahlungen übernommen habe. Die Zuwendungen stellten sich wie folgt dar:

2003

Friedrich E

25.000,00

davon 25%

6.250,00

 

Heike K

25.000,00

davon 25%

6.250,00

 

Gerold E

25.000,00

davon 25%

6.250,00

 

Werner E

25.000,00

davon 25%

6.250,00

 

Gesamt

100.000,00

 

25.000,00

     

2004

Friedrich E

25.000,00

davon 25%

6.250,00

 

Heike K

25.000,00

davon 25%

6.250,00

 

Gerold E

25.000,00

davon 25%

6.250,00

 

Werner E

25.000,00

davon 25%

6.250,00

 

Gesamt

100.000,00

 

25.000,00

     

2005

Friedrich E

25.000,00

davon 25%

6.250,00

 

Heike K

25.000,00

davon 25%

6.250,00

 

Gerold E

25.000,00

davon 25%

6.250,00

 

Werner E

25.000,00

davon 25%

6.250,00

 

Gesamt

100.000,00

 

25.000,00

Die Mitbeteiligte erhob Berufung gegen die "Haftungs- und Abgabenbescheide". Zur Begründung wurde ausgeführt, mit den bekämpften Bescheiden sei für die Jahre 2003 bis 2005 Kapitalertragsteuer von jährlich 25.000 EUR vorgeschrieben worden, weil eine Bereicherung der Stifter eingetreten sei. Nach Ansicht der Mitbeteiligten sei allerdings zu beachten, dass mit der Übertragung der Holding-Beteiligungen an die Mitbeteiligte auch die Verpflichtung gegenüber Herbert H, Schweiz, auf die Mitbeteiligte übergegangen sei. Es sei zwar richtig, dass die Verpflichtung gegenüber Herbert H zunächst im Privatvermögen der Stifter gewesen sei. Unrichtig sei aber, dass die Stifter im Zuge der Nachstiftung bloß ihre Holding-Beteiligungen übertragen hätten, nicht aber die Verpflichtung gegenüber Herbert H. Somit erweise sich die Feststellung einer verdeckten Zuwendung als rechtswidrig, weil die Verpflichtung gegenüber Herbert H nicht mehr den Stiftern, sondern der Mitbeteiligten zuzurechnen gewesen sei. Es werde daher die ersatzlose Aufhebung der Bescheide beantragt.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung Folge und hob die Bescheide des Finanzamtes auf. Zur Begründung führte sie aus, es sei strittig, ob die Zahlungen der Mitbeteiligten (drei Mal 100.000 EUR) an Herbert H, Schweiz, Zuwendungen der Mitbeteiligten an die Stifter zur Tilgung der privaten Schulden der Stifter darstellten - in diesem Fall unterlägen sie dem Kapitalertragsteuerabzug - oder bloß die Erfüllung einer Verbindlichkeit, die im Zuge der Zuwendung der Holding-Beteiligung (gleichsam als Gegenleistung für die Zuwendung der Beteiligung) auf die Mitbeteiligte übergegangen sei.

§ 93 EStG bestimme, dass bei inländischen Kapitalerträgen die Einkommensteuer durch Abzug vom Kapitalertrag im Wege der Kapitalertragsteuer erhoben werde.

Zu den inländischen Kapitalerträgen zählten dabei Zuwendungen jeder Art von nicht unter § 5 Z 6 KStG 1988 fallenden Privatstiftungen, wobei als Zuwendungen auch Vorteile anzusehen seien, die anlässlich der unentgeltlichen Übertragung eines Wirtschaftsgutes an die Privatstiftung vom Empfänger der Zuwendung erzielt würden.

Gemäß § 95 Abs. 2 EStG 1988 sei Schuldner der Kapitalertragsteuer der Empfänger der Kapitalerträge. Die Kapitalertragsteuer werde durch Abzug einbehalten. Der zum Abzug Verpflichtete iSd § 95 Abs. 3 EStG 1988 hafte dem Bund für die Einbehaltung und Abfuhr der Kapitalertragsteuer.

Gemäß § 95 Abs. 3 EStG sei bei inländischen Kapitalerträgen der Schuldner der Kapitalerträge zum Abzug der Kapitalertragsteuer verpflichtet.

§ 95 Abs. 5 EStG 1988 laute:

"Dem Empfänger der Kapitalerträge ist die Kapitalertragsteuer

ausnahmsweise vorzuschreiben, wenn

1. der zum Abzug Verpflichtete die Kapitalerträge nicht vorschriftsmäßig gekürzt hat oder

2. der Empfänger weiß, dass der Schuldner die einbehaltene Kapitalertragsteuer nicht vorschriftsmäßig abgeführt hat und dies dem Finanzamt nicht unverzüglich mitteilt."

Aus diesen Bestimmungen ergebe sich, dass die auf Zuwendungen von Privatstiftungen entfallende Einkommensteuer durch den Abzug von Kapitalertragsteuer zu erheben sei. Die zuwendende Privatstiftung sei zum Abzug und zur Abfuhr an das Finanzamt verpflichtet. Unterlasse die Privatstiftung den Kapitalertragsteuerabzug, gebe es zwei Möglichkeiten:

Zum einen hafte die Schuldnerin der Kapitalerträge (die Privatstiftung) dem Bund für die Abfuhr der Kapitalertragsteuer. Solche Haftungen seien gem. § 224 BAO durch Erlassung von Haftungsbescheiden geltend zu machen. Der Haftungsbescheid müsse einen Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die eine Haftungspflicht begründe, enthalten. Die Kapitalertragsteuer könne aber auch dem Empfänger der Kapitalerträge (dem Stifter oder dem Begünstigten) direkt vorgeschrieben werden, wenn der zum Abzug Verpflichtete die Kapitalerträge nicht vorschriftsmäßig gekürzt habe. Die Vorschreibung habe in diesem Fall im Wege eines Abgabenbescheides (§ 198 BAO) zu erfolgen. Die Rechtsgrundlage müsse im Spruch des Bescheides allerdings nicht genannt werden (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. August 2006, 2002/17/0164, mit weiteren Nachweisen).

Daraus folge, dass die Vorschreibung der Kapitalertragsteuer entweder in einem Haftungsbescheid oder in einem Abgabenbescheid erfolgen könne. Die Abgabenbehörde habe zwischen diesen beiden Möglichkeiten zu wählen.

Im gegenständlichen Fall stehe außer Zweifel, dass die Erstbescheide des Finanzamtes alle Merkmale aufwiesen, die sie zu einem Bescheid machten (§ 93 BAO). Sie enthielten die Bezeichnung "Bescheid", den Adressaten, die Bezeichnung der Behörde, ein Datum, die Unterschrift und auch ein Leistungsgebot.

Die Überprüfungs- und Änderungsbefugnis der belangten Behörde beschränke sich auf die "Sache". Sache sei die Angelegenheit, über die im Spruch des bekämpften Bescheides des Finanzamtes abgesprochen worden sei.

Bei der hier zu beurteilenden Kapitalertragsteuer seien der Vorgang sowie der Empfänger des Vorteils verbal so klar zu umschreiben, dass es einem sachkundigen Dritten möglich sei, diese zweifellos zuzuordnen und abzugrenzen.

Ergehe die Vorschreibung an den Empfänger der Kapitalerträge mittels eines Abgabenbescheides, habe der Bescheid klar zu umschreiben, über welchen Vorgang und damit über welche bestimmte Abgabe er abspreche. Die Angabe eines Zeitraumes sei nur zur Ergänzung der verbalen Umschreibung geeignet.

Innerhalb derselben Abgabenart könne die Festsetzung mehrerer Abgaben desselben Kalenderjahres (Wirtschaftsjahres) zwar gemäß § 201 Abs. 4 BAO auch in einem einzigen Bescheid zusammengefasst erfolgen, auch in einem solchen Fall sei es allerdings - zur Fixierung der "Sache" - notwendig, jede einzelne Vorteilszuwendung klar zu umschreiben.

Die Festsetzung durch einen Abgabenbescheid habe sich - im Gegensatz zur Geltendmachung der Haftung - auf die gesamte zu entrichtende Abgabe und nicht bloß auf eine restliche Abgabenforderung für bestimmte Sachverhalte zu erstrecken (Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Mai 2008, 2008/15/0136, und vom 12. November 1997, 95/16/0321).

Spruch eines Haftungsbescheides sei die Geltendmachung der Haftung für einen bestimmten Abgabenbetrag einer bestimmten Abgabe aufgrund eines bestimmten Rechtstitels. Die Inanspruchnahme zur Zahlung einer (fremden) Abgabe könne auf verschiedene Haftungstitel gestützt werden, weshalb es erforderlich sei, diesen zu konkretisieren. In Bezug auf die Kapitalertragsteuer komme neben § 95 Abs. 2 EStG 1988 auch die Haftung nach den allgemeinen Bestimmungen der §§ 9 und 11 BAO in Frage.

Der Rechtstitel umreiße aber nicht nur die entschiedene Sache, er bestimme auch die Änderungsbefugnis der Rechtsmittelbehörde. Während es ihr bei der Haftung gem. § 9 BAO nicht zustehe, den Haftungsbetrag zu erhöhen, sei dies bei der Haftung gemäß § 95 Abs. 2 EStG 1988 nach der Rechtsprechung nicht ausgeschlossen (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. Februar 2005, 2004/13/0126, zusammenfassend RdW 2005, 258).

Deshalb müsse ein Haftungsbescheid auch die exakte Umschreibung der Abgabe enthalten, über die er absprechen wolle. Werde die Haftung für mehrere Abgaben und dabei insbesondere für mehrere Abgabenschuldner (Empfänger von Kapitalerträgen) in einem Schriftstück ausgesprochen, so handle es sich dabei um einen Sammelbescheid.

Auch bei der Haftung für auf (verdeckte) Zuwendungen von Privatstiftungen entfallende Kapitalertragsteuern müsse der Umschreibungspflicht entsprechend sorgfältig entsprochen werden. Die bloße Angabe eines Prüfungszeitraumes könne nicht genügen und schaffe Unklarheiten.

Erforderlich seien sowohl die exakte Beschreibung des beurteilten Sachverhaltes wie auch die Benennung der Empfänger der Kapitalerträge.

Die Berufungsbehörde dürfe eine Person, die von der Abgabenbehörde erster Instanz bloß als Haftungspflichtige in Anspruch genommen worden sei, nicht zum Abgabenschuldner erklären.

Im konkreten Fall gehe aus den bekämpften Bescheiden des Finanzamtes nicht ausreichend hervor, worüber tatsächlich abgesprochen werden solle. Es sei ausgeschlossen, einen einzigen Bescheid sowohl als Abgaben- wie auch als Haftungsbescheid zu erlassen. In Bezug auf die Kapitalertragsteuer sei deshalb die Überschrift des Formularvordruckes L20 - "Haftungs- und Abgabenbescheid(e)" - irreführend und hätte einer Streichung bedurft.

Es sei der belangten Behörde nicht möglich zu klären, ob es sich um Abgaben- oder Haftungsbescheide handle und - für den Fall, dass über eine Haftung abgesprochen worden sei -, auf welche konkrete Haftungsbestimmung sich die Bescheide stützten.

Der Spruch der Bescheide enthalte weiters keine Umschreibung des haftungsbegründenden Sachverhaltes sowie keine Nennung des Abgabenschuldners. Diese könnten zwar unter Umständen aus der Bescheidbegründung abgeleitet werden, was aber nicht als ausreichend beurteilt werden könne.

Aus den Bescheiden des Finanzamtes ergebe sich nur, dass das Finanzamt jeweils beabsichtigte, eine Kapitalertragsteuer von 25.000 EUR vorzuschreiben.

Die belangte Behörde sei nicht in der Lage, aus der Textierung des bekämpften Bescheides mit ausreichender Klarheit festzustellen, ob die Inanspruchnahme der Mitbeteiligten als Abgabepflichtige oder als Haftungspflichtige erfolgen solle und welche Haftungsbestimmung herangezogen werden solle. Auch die Abgabenbeträge und die Abgabenschuldner ließen sich nur aus der Bescheidbegründung ableiten.

Aus diesem Grunde seien die Bescheide des Finanzamtes mit zu vielen Fehlern und Unklarheiten behaftet, um die zu entscheidende "Sache" ausreichend zu konkretisieren. Die Bescheide seien deshalb ersatzlos aufzuheben, was aber mangels entschiedener Sache einer neuerlichen Bescheiderlassung nicht entgegenstehe. Von einer inhaltlichen Behandlung der Kapitalertragsteuervorschreibung und der Berufung sei deshalb abzusehen gewesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid vom Finanzamt erhobene Beschwerde erwogen:

Gemäß § 289 Abs. 2 BAO ist die Abgabenbehörde zweiter Instanz berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde erster Instanz zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Berufung als unbegründet abzuweisen.

Die Änderungsbefugnis der Abgabenbehörde zweiter Instanz darf nicht zu einer Entscheidung führen, die nicht "Sache" (also Gegenstand des Verfahrens) vor der Abgabenbehörde erster Instanz war (vgl. die bei Ritz, BAO4, § 289 Tz 38 ff, angeführte hg. Rechtsprechung). Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 9. Februar 2005, 2004/13/0126, ausgeführt hat, wird bei einem Bescheid, mit dem eine persönliche Haftung geltend gemacht wird, die Identität der Sache, über die abgesprochen wurde, insbesondere durch den Tatbestand begrenzt, der für die geltend gemachte Haftung maßgebend ist.

§ 224 Abs. 1 und 2 BAO lauten:

"(1) Die in Abgabenvorschriften geregelten persönlichen Haftungen werden durch Erlassung von Haftungsbescheiden geltend gemacht. In diesen ist der Haftungspflichtige unter Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die seine Haftungspflicht begründet, aufzufordern, die Abgabenschuld, für die er haftet, binnen einer Frist von einem Monat zu entrichten.

(2) Die Bestimmungen des Einkommensteuerrechtes über die Geltendmachung der Haftung für Steuerabzugsbeträge bleiben unberührt."

In Haftungsbescheiden ist gemäß § 224 Abs. 1 BAO auf die maßgebende Haftungsvorschrift hinzuweisen. Aus einem solchen Hinweis ergibt sich in Bezug auf den Haftungstatbestand auch die Festlegung der "Sache" des Verfahrens. Zur Festlegung der Sache bedarf es allerdings nicht zwingend der Anführung einer Gesetzesstelle; es reicht vielmehr hin, wenn nach dem Gesamtbild der Umstände des Einzelfalles kein Zweifel darüber besteht, welche Haftungsbestimmung zur Anwendung gebracht worden ist, was regelmäßig bei der Kapitalertragsteuer unterliegenden Vorgängen iSd § 93 EStG 1988 der Fall ist. Erschließt sich die konkrete Haftungsnorm bloß auf diese Weise, ist ein solcher Mangel im Rechtsmittelverfahren durch die exakte Benennung der Gesetzesstelle zu sanieren.

Der Spruch eines Bescheides ist im Zweifel im Sinne des angewendeten Gesetzes auszulegen (vgl. Ritz, BAO4, § 92 Tz 7). Bestehen Zweifel über den Inhalt des Spruches, so ist zu dessen Deutung auch die Begründung heranzuziehen (vgl. beispielsweise das hg. Erkenntnis vom 22. April 2009, 2006/15/0257).

Aus der Begründung der Bescheide des Finanzamtes ergibt sich im gegenständlichen Fall, von welchem Sachverhalt das Finanzamt ausgegangen ist: Die mitbeteiligte Privatstiftung habe (konkret bezeichnete) Privatschulden ihrer vier (namentlich genannten) Stifter getilgt, und zwar in den Jahren 2003 bis 2005 mit jeweils 25.000 EUR pro Stifter und Jahr. In der Bescheidbegründung ist weiters festgehalten, dass das Finanzamt diesen Vorgang als einkommensteuerlich relevante Zuwendung einer Privatstiftung (hier an die Stifter) ansehe. Weiters ergibt sich aus den Bescheiden die Ansicht des Finanzamtes, dass diese Zuwendungen Kapitalertragsteuer von 25% auslösten, und welcher Betrag an Kapitalertragsteuer auf die einzelnen Vorteilsempfänger entfällt. Bei der gegebenen Konstellation kann kein Zweifel bestehen, dass das Finanzamt die Kapitalertragsteuer auf § 93 Abs. 2 lit. d EStG 1988 (Zuwendungen von Privatstiftungen) gestützt hat.

Das Finanzamt hat sich zur Bescheiderlassung eines mit "Haftungs- und Abgabenbescheid(e)" überschriebenen Formulars für so genannte "händische" Bescheide bedient. Ein solcher Vordruck soll offenkundig dazu dienen, in der Form eines Sammelbescheides einerseits Haftungsbescheide (beispielsweise betreffend Lohnsteuer) und andererseits Abgabenbescheide (beispielsweise betreffend Dienstgeberbeitrag) zu erlassen. Der belangten Behörde ist zuzustimmen, dass eine solche Form der Bescheiderlassung Unklarheiten hervorrufen kann, wenn die Bescheidgestaltung nicht in Bezug auf jeden einzelnen Bescheid klarlegt, ob ein Abgaben- oder ein Haftungsbescheid vorliegt.

Im gegenständlichen Fall sind auf der Grundlage der vom Finanzamt angenommenen Zuwendung eines Vorteils durch die Privatstiftung (Mitbeteiligte) an Dritte (hier Stifter) und einer daraus vom Finanzamt abgeleiteten Kapitalertragsteuerpflicht die betreffenden Bescheide an die Privatstiftung (Mitbeteiligte) erlassen worden. Somit besteht kein Zweifel, dass mit den Bescheiden die Haftung für Kapitalertragsteuer gemäß § 95 Abs. 2 EStG 1988 bei der zur Einbehaltung und Abfuhr verpflichteten Privatstiftung geltend gemacht worden ist. Es liegt nicht der (vom Gesetz als Ausnahme angesehene) Fall des § 95 Abs. 5 EStG 1988 der Vorschreibung von Kapitalertragsteuer (mit Abgabenbescheid) an den Empfänger der Kapitalerträge (hier die Stifter) vor, sind doch die Bescheide des Finanzamtes gerade nicht an die Stifter gerichtet.

Bei verständiger Würdigung ist sohin zweifelsfrei zu erkennen, dass mit den Bescheiden des Finanzamtes vom 18. Jänner 2008 die Haftung der Privatstiftung für Kapitalertragsteuer iSd § 93 Abs. 2 lit. d iVm § 95 Abs. 2 EStG 1988 in Bezug auf konkret bezeichnete Vorteilszuwendungen an konkret genannte Personen geltend gemacht worden ist.

Dass das Finanzamt seine Bescheide als "Abgaben- und Haftungsbescheid(e)" bezeichnet hat, ist eine Bescheidgestaltung, die zu Unklarheiten führt. Ein solcher Umstand kann jedoch in der Begründung der Berufungsentscheidung saniert werden, indem klar zum Ausdruck gebracht wird, dass Haftungsbescheide vorliegen.

Die belangte Behörde hat die Bescheide des Finanzamtes mit der Begründung aufgehoben, die unklare Bescheidgestaltung des Finanzamtes mache die Festlegung der "Sache" unmöglich. Damit hat sie die Rechtslage verkannt.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 24. Mai 2012

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