Normen
MeldeG 1972 §22 Abs1;
MeldeG 1972 §3 Abs1;
MeldeG 1991 §22 Abs1;
MeldeG 1991 §3 Abs1;
MRKZP 07te Art4 Abs1;
MRKZP 07te Art4;
NAG 2005 §53 Abs1;
NAG 2005 §77 Abs1 Z4;
VStG §22 Abs1;
VStG §30;
VwGG §42 Abs2 Z1;
MeldeG 1972 §22 Abs1;
MeldeG 1972 §3 Abs1;
MeldeG 1991 §22 Abs1;
MeldeG 1991 §3 Abs1;
MRKZP 07te Art4 Abs1;
MRKZP 07te Art4;
NAG 2005 §53 Abs1;
NAG 2005 §77 Abs1 Z4;
VStG §22 Abs1;
VStG §30;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der genannte Bescheid wird im Umfang seiner Anfechtung (Behebung des Spruchpunktes 2. des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Ried/Innkreis vom 14. Jänner 2010 und Einstellung des diesbezüglichen Strafverfahrens sowie im Kostenausspruch) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Zuerkennung von Aufwandersatz wird abgewiesen.
Begründung
Mit Straferkenntnis vom 14. Jänner 2010 sprach die Bezirkshauptmannschaft Ried/Innkreis gegenüber der Mitbeteiligten, einer deutschen Staatsangehörigen, (auszugsweise) Folgendes aus:
"1. Sie haben am 11.06.2008 in B. … mit Hauptwohnsitz Unterkunft genommen und es zumindest bis zum 05.07.2009 unterlassen, sich beim Meldeamt ... polizeilich anzumelden ...
2. Sie haben sich als EWR-Bürgerin am 11.06.2008 in B.
… niedergelassen und halten sich länger als drei Monate im Bundesgebiet auf. Sie haben es nach Ablauf von 3 Monaten ab Ihrer Niederlassung bis 05.07.2009 unterlassen, diese der Behörde anzuzeigen, obwohl EWR-Bürger, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmen, wenn sie sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, spätestens nach Ablauf von drei Monaten ab ihrer Niederlassung diese der Behörde anzuzeigen haben."
Dadurch seien
zu 1. § 3 Abs. 1 iVm § 22 Abs. 1 Z. 1 Meldegesetz 1991 und
zu 2. § 53 Abs. 1 iVm § 77 Abs. 1 Z. 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) idF der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009
verletzt.
Deshalb wurden über die Mitbeteiligte Geldstrafen (zu Punkt 1. von EUR 40,--, zu Punkt 2. von EUR 30,--), im Fall der Uneinbringlichkeit Ersatzfreiheitsstrafen verhängt.
Begründend führte die Bezirkshauptmannschaft Ried/Innkreis - soweit im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung - nach näherer Darstellung des Sachverhalts aus, gemäß § 77 Abs. 1 Z. 4 NAG begehe eine Verwaltungsübertretung, wer als EWR-Bürger eine Anmeldebescheinigung nach § 53 NAG nicht rechtzeitig beantrage. Dies sei der Mitbeteiligten vorzuwerfen. Ihr wäre es, zumal Verständigungsschwierigkeiten nicht vorgelegen seien, möglich gewesen, entsprechende Erkundigungen einzuholen, etwa bei der zuständigen Behörde zu eruieren, welchen Pflichten sie durch ihre Niederlassung im Bundesgebiet unterliege. Dieser Verpflichtung sei sie fahrlässig nicht nachgekommen.
Mit Bescheid vom 2. Februar 2010 behob die belangte Behörde Spruchpunkt 2. des genannten Straferkenntnisses vom 14. Jänner 2010 und stellte das Verwaltungsstrafverfahren insoweit gemäß § 45 Abs. 1 Z. 3 VStG ein. Im Übrigen wies sie die von der Mitbeteiligten erhobene Berufung ab, bestätigte in diesem Umfang das Straferkenntnis vom 14. Jänner 2010 und traf einen entsprechenden Kostenausspruch.
Begründend führte sie aus, die in § 77 Abs. 1 Z. 4 iVm § 53 NAG angeordnete Sanktion, die im Einklang mit Art. 8 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) stehe, stelle "im Gesamtkontext des Fremdenrechts betrachtet" eine Spezialbestimmung zu den genannten melderechtlichen Vorschriften dar. Es bedeute eine unzulässige Doppelbestrafung iSd Art. 4 des 7. ZPEMRK sowie eine Diskriminierung von EU-Bürgern, würden diese sowohl nach dem Meldegesetz als auch nach den genannten Vorschriften des NAG belangt. Da die Mitbeteiligte bereits "wegen einer Begehung des Allgemeindelikts nach dem Meldegesetz in Anspruch genommen" worden sei, sei das wegen einer Verletzung "des Spezialdelikts nach dem NAG geführte Strafverfahren" einzustellen.
Über die erkennbar gegen die teilweise Aufhebung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses und den Kostenausspruch gerichtete Beschwerde der Bundesministerin für Inneres hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde sowie nach Äußerungen durch die Mitbeteiligte in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:
§ 3 Abs. 1 und § 22 Abs. 1 Meldegesetz 1991 lauten
(auszugsweise):
"Unterkunft in Wohnungen; Anmeldung
§ 3. (1) Wer in einer Wohnung Unterkunft nimmt, ist innerhalb von drei Tagen danach bei der Meldebehörde anzumelden.
…
Strafbestimmungen
§ 22. (1) Wer
1. die ihn treffende Meldepflicht nach den §§ 3, 4, 5 oder 6 nicht erfüllt … begeht eine Verwaltungsübertretung und ist ... zu bestrafen."
§ 53 Abs. 1 NAG in der (während des Tatzeitraumes vom 12. September 2008 bis zum 5. Juli 2009 geltenden) Stammfassung lautete:
"Anmeldebescheinigung
§ 53. (1) EWR-Bürger, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmen, und deren Angehörige gemäß § 52 haben, wenn sie sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, spätestens nach Ablauf von drei Monaten ab ihrer Niederlassung diese der Behörde anzuzeigen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen (§§ 51 oder 52) ist von der Behörde auf Antrag eine Anmeldebescheinigung auszustellen. Diese gilt zugleich als Dokument zur Bescheinigung des Daueraufenthalts des EWR-Bürgers."
§ 77 Abs. 1 Z. 4 NAG idF der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 (davor inhaltsgleich Z. 5 dieser Bestimmung in der Stammfassung) traf (auszugsweise) folgende Anordnung:
"Strafbestimmungen
§ 77. (1) Wer
...
4. eine Anmeldebescheinigung oder eine Daueraufenthaltskarte nach §§ 53 und 54 nicht rechtzeitig beantragt,
begeht eine Verwaltungsübertretung und ist ... zu bestrafen."
Das NAG sollte unter anderem der Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) dienen. Diese normiert im Art. 5 Abs. 1 und 5 Folgendes:
"Artikel 5
Recht auf Einreise
(1) Unbeschadet der für die Kontrolle von Reisedokumenten an den nationalen Grenzen geltenden Vorschriften gestatten die Mitgliedstaaten Unionsbürgern, die einen gültigen Personalausweis oder Reisepass mit sich führen, und ihren Familienangehörigen, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die einen gültigen Reisepass mit sich führen, die Einreise.
Für die Einreise von Unionsbürgern darf weder ein Visum noch eine gleichartige Formalität verlangt werden.
...
(5) Der Mitgliedstaat kann von dem Betroffenen verlangen, dass er seine Anwesenheit im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats innerhalb eines angemessenen und nicht diskriminierenden Zeitraums meldet. Die Nichterfüllung dieser Meldepflicht kann mit verhältnismäßigen und nicht diskriminierenden Sanktionen geahndet werde."
Art. 8 Abs. 1 und 2 der Freizügigkeitsrichtlinie lautet:
"Artikel 8
Verwaltungsformalitäten für Unionsbürger
(1) Unbeschadet von Artikel 5 Absatz 5 kann der Aufnahmemitgliedstaat von Unionsbürgern für Aufenthalte von über drei Monaten verlangen, dass sie sich bei den zuständigen Behörden anmelden.
(2) Die Frist für die Anmeldung muss mindestens drei Monate ab dem Zeitpunkt der Einreise betragen. Eine Anmeldebescheinigung wird unverzüglich ausgestellt; darin werden Name und Anschrift der die Anmeldung vornehmenden Person sowie der Zeitpunkt der Anmeldung angegeben. Die Nichterfüllung der Anmeldepflicht kann mit verhältnismäßigen und nicht diskriminierenden Sanktionen geahndet werden."
Die belangte Behörde ist aus folgenden Überlegungen zu Unrecht von einer Verletzung des Doppelbestrafungsverbotes ausgegangen:
Der Verfassungsgerichtshof führte aus, dass die Verfolgung wegen ein und desselben tatsächlichen Verhaltens nach zwei verschiedenen Straftatbeständen grundsätzlich zulässig sei, sofern diese sich in ihren wesentlichen Elementen unterscheiden (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Dezember 2010, B 343/10, mit Hinweis auf das unter Berücksichtigung des Urteils des EGMR zu Art. 4 Abs. 1 7. ZPEMRK vom 10.2.2009 (GK), Fall Zolotukhin, Appl. 14.939/03, ergangene Erkenntnis VfSlg. 18.833). Dadurch werde die frühere Rechtsprechung, wonach es darauf ankomme, ob der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpfe, sodass kein weiteres Strafbedürfnis gegeben sei, fortgeführt.
Fallbezogen ordnet § 3 Abs. 1 Meldegesetz 1991 an, dass sich derjenige, der in einer Wohnung Unterkunft nimmt, innerhalb von drei Tagen danach bei der Meldebehörde anzumelden hat; § 22 Abs. 1 leg. cit. stellt die Verletzung dieser Anordnung unter Strafdrohung.
In der Bestrafung nach dieser Bestimmung einerseits sowie gemäß § 53 Abs. 1 iVm § 77 Abs. 1 Z. 4 NAG andererseits liegt schon deshalb keine unzulässige Doppelbestrafung, weil nicht dasselbe Verhalten geahndet wird. Einerseits geht es nämlich um die Unterlassung der Anmeldung nach § 3 Abs. 1 Meldegesetz 1991, andererseits um das Unterbleiben der gemäß § 53 Abs. 1 NAG gebotenen Anzeigepflicht. Weder die dargestellten Verpflichtungen noch - anders als die belangte Behörde meint - die entsprechenden Straftatbestände stehen daher zueinander im Verhältnis der Spezialität.
Die zitierten Vorschriften des Meldegesetzes, die unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Normadressaten bestimmte Meldeverpflichtungen (innerhalb von drei Tagen nach Unterkunftnahme) begründen, decken auch andere Regelungsbereiche (etwa die Gewährleistung der Erreichbarkeit von Personen oder die Schaffung von Anknüpfungspunkten für andere - nur zum Teil - verwaltungsrechtliche Agenden) ab als die gemäß § 53 Abs. 1 NAG gegenüber EWR-Bürgern (also einer bestimmten Gruppe von Fremden) normierte Pflicht, rechtzeitig eine Anmeldebescheinigung zu beantragen. Dadurch soll speziell den Niederlassungs- und Fremdenbehörden Anlass und Möglichkeit zur Wahrnehmung der ihnen übertragenen Aufgaben eröffnet werden. Es liegen somit unterschiedliche Regelungsbereiche vor, sodass auch nicht davon die Rede sein kann, die Anwendung der zitierten Strafvorschrift nach dem Meldegesetz würde den Unrechts- und Schuldvorwurf iSd § 77 Abs. 1 Z. 4 iVm § 53 Abs. 1 NAG vollständig erfüllen, weshalb ein weitergehendes Strafbedürfnis nicht gegeben wäre.
Auch die Freizügigkeitsrichtlinie erlaubt für die Verletzung inhaltlich ähnlicher Verpflichtungen (Pflicht zur Meldung der Anwesenheit in Art. 5 Abs. 5 letzter Satz und Pflicht zur Meldung eines über drei Monate hinausgehenden Inlandsaufenthaltes in Art. 8 Abs. 2 letzter Satz) voneinander unabhängig Sanktionen. Die letztgenannte Bestimmung ermöglicht somit von den Sanktionen für die Unterlassung der Meldung der Anwesenheit im Bundesgebiet unabhängige Sanktionen für den hier zu beurteilenden Fall der Unterlassung des Antrages auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung. Eine solche und nicht eine Bestrafung wegen der Verletzung von Meldepflichten liegt dem gegenständlichen Beschwerdeverfahren zu Grunde.
Es durften daher gemäß § 22 Abs. 1 VStG die Strafen für beide Delikte (also auch unter Anwendung des § 77 Abs. 1 Z. 4 NAG) nebeneinander verhängt werden.
Da die belangte Behörde diesen Umstand rechtlich unrichtig beurteilt hat, war ihr Bescheid im Umfang der Anfechtung gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf § 47 Abs. 4 VwGG, wonach auch für erfolgreiche Amtsbeschwerden ein Kostenersatz nicht vorgesehen ist.
Wien, am 15. Dezember 2011
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