VwGH 2009/22/0265

VwGH2009/22/02655.5.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder und die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des E A, vertreten durch Mag. Laszlo Szabo, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Claudiaplatz 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 21. August 2009, Zl. E1/16769/09, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL Art2;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z12;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §9 Abs1 Z1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 21. August 2009 verhängte die belangte Behörde über den Beschwerdeführer, einen nigerianischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1, § 61, § 63 und § 66 Abs. 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Zur Begründung dieser Maßnahme verwies sie auf die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers vom 10. April 2006 wegen des (wiederholten) Vergehens nach § 27 Abs. 1 Suchtmittelgesetz - SMG und des Vergehens nach § 27 Abs. 2 SMG zu einer teilbedingt nachgesehenen Geldstrafe (Deliktszeitraum etwa September 2004 bis Anfang März 2006).

Eine weitere rechtskräftige Verurteilung sei durch das Landesgericht Innsbruck am 6. Mai 2009 wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Deliktsfall und Abs. 3 erster Fall SMG und des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgift nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Deliktsfall und Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten erfolgt. Diesem Urteil sei zu Grunde gelegen, dass der Beschwerdeführer zwischen Anfang April 2006 und 4. Februar 2009 anderen Personen Suchtgift in einer die Grenzmenge mehrfach übersteigenden Menge weiterverkauft bzw. anlässlich gemeinsamer Konsumation unentgeltlich zur Verfügung gestellt habe. Er habe diese Taten vorwiegend deshalb begangen, um sich für den persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder die Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen. Weiters habe er Suchtgift zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen.

Die Verurteilungen - so die weitere Bescheidbegründung - erfüllten den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 erster und vierter Fall FPG. Das Fehlverhalten des Beschwerdeführers zeige deutlich seine negative Einstellung zur Rechtsordnung. Sein Aufenthalt gefährde die öffentliche Sicherheit und die Gesundheit anderer im Sinn des § 60 Abs. 1 FPG.

Ein relevanter Eingriff in sein Privat- oder Familienleben im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG liege vor. Der Beschwerdeführer halte sich seit Dezember 1997 im Bundesgebiet auf und sei seit 2005 im Besitz eines unbefristeten Aufenthaltstitels. Seit 1998 habe er eine Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin, die am 24. Jänner 2000 den gemeinsamen Sohn geboren habe. Der Beschwerdeführer lebe mit seiner Familie im gemeinsamen Haushalt. Es sei ihm auch gelungen, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Seit der vorzeitigen Haftentlassung am 4. Juli 2009 arbeite er bei einem näher genannten Unternehmen als Hilfsarbeiter. Bindungen zum Heimatstaat Nigeria habe er angesichts seines langen Aufenthaltes in Österreich nicht mehr. Er habe dort jedoch bis zu seinem 23. Lebensjahr gelebt und es seien ihm daher die dortigen Gegebenheiten nicht fremd. Die soziale Komponente seiner Integration werde durch seine schweren Drogendelikte von ca. September 2004 bis zu seiner Verhaftung am 4. Februar 2009 erheblich beeinträchtigt. Die Verhinderung gewerbsmäßigen Drogenhandels habe einen sehr großen öffentlichen Stellenwert. Die durch das Aufenthaltsverbot entstehenden "Unannehmlichkeiten" müssten im schwerwiegenden öffentlichen Interesse an der Verhinderung der Drogenkriminalität in Kauf genommen werden.

Ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot entspreche durchaus den für seine Erlassung maßgeblichen Umständen.

Ein Aufenthaltsverbot-Verbotsgrund gemäß § 61 FPG komme im Fall des Beschwerdeführers nicht zum Tragen, auch nicht § 61 Z 3 FPG iVm § 10 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz. Vor Verwirklichung des für das Aufenthaltsverbot maßgeblichen Sachverhalts habe sich der Beschwerdeführer nicht einmal volle sieben Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten.

Die Behörde könne auch nicht im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes Abstand nehmen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage samt Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer meint, dass ihm auf Grund der Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin der Status eines begünstigten Drittstaatsangehörigen zukomme und demnach gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 FPG der unabhängige Verwaltungssenat über seine Berufung hätte entscheiden müssen.

Diesem Vorbringen ist schon deshalb der Boden entzogen, weil der Beschwerdeführer weder Ehepartner noch Verwandter im Verhältnis zur Ankerperson und daher nicht begünstigter Drittstaatsangehöriger iSd § 9 Abs. 1 Z. 1 FPG sein kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. September 2009, 2008/21/0600, in dem festgehalten wurde, dass dem Lebensgefährten nicht die Eigenschaft als Familienangehöriger zukommt).

Aber auch der Hinweis auf die Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG geht ins Leere. Deren Art. 2 umschreibt als Familienangehörigen nämlich (bloß) den Ehegatten, den eingetragenen Lebenspartner (sofern nach den Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats die eingetragene Partnerschaft der Ehe gleichgestellt ist) und näher definierte Verwandte.

Somit fällt der Beschwerdeführer weder nach Unionsrecht noch nach nationalem Recht unter den Begriff des Familienangehörigen bzw. begünstigten Drittstaatsangehörigen, weshalb die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol als zuständige Behörde die Bestimmung des § 60 FPG zu Recht angewendet hat .

Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (diese Konventionsbestimmung nennt die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) zuwiderläuft (Z 2).

In § 60 Abs. 2 FPG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des § 60 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann.

Nach Z 1 dieser Bestimmung ist dies der Fall, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die behördlichen Feststellungen.

Davon ausgehend wurde der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt. Angesichts des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Suchtmittelkriminalität hegt der Gerichtshof auch keine Bedenken gegen die weitere behördliche Ansicht, dass die Gefährdungsprognose nach § 60 Abs. 1 FPG zutrifft.

(Zu dem in der Beschwerde nicht relevierten Aufenthaltsverfestigungstatbestand des § 56 FPG und dem dort normierten qualifizierten Gefährdungsmaßstab genügt der Hinweis, dass zum einen schon die dort beispielsweise angeführten Tatbestände für das Vorliegen einer schweren Gefahr erfüllt sind, zum anderen beim gegenständlichen Suchtgifthandel an der angesprochenen Gefährdung kein Zweifel besteht.)

Auch der Beschwerdehinweis auf den Aufenthaltsverbot-Verbotsgrund des § 61 Z 3 FPG führt nicht zum Erfolg.

Diese Bestimmung lautet:

"§ 61. Ein Aufenthaltsverbot darf nicht erlassen werden, wenn

...

3. dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mindestens einer unbedingten einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden oder er würde einen der in § 60 Abs. 2 Z 12 bis 14 bezeichneten Tatbestände verwirklichen;

..."

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 StbG darf einem Fremden die Staatsbürgerschaft nur verliehen werden, wenn er sich seit mindestens zehn Jahren rechtmäßig und ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten hat und davon zumindest fünf Jahre niedergelassen war.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird die Wendung "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" in § 61 Z 3 FPG dahin ausgelegt, dass der Fremde vor dem ersten der von der Behörde zulässigerweise zur Begründung des Aufenthaltsverbotes herangezogenen Umstände, die in ihrer Gesamtheit die Maßnahme tragen, somit bei Beginn seines das Aufenthaltsverbot begründenden strafbaren Verhaltens, die Verleihungsvoraussetzung erfüllt haben muss (vgl. etwa das Erkenntnis vom 26. Jänner 2010, 2009/22/0267). Es unterliegt keinem Zweifel, dass die belangte Behörde auch das der ersten Verurteilung zu Grunde liegende Fehlverhalten im Bereich der Suchtmittelkriminalität zur Begründung des Aufenthaltsverbotes heranziehen durfte. Somit ist es unerheblich, ob allein auf dieses Verhalten gestützt die Staatsbürgerschaft zu versagen gewesen wäre.

Im Übrigen ist die Zehn-Jahres-Frist auch bei Beginn des der zweiten Verurteilung zu Grunde liegenden Fehlverhaltens mit Anfang April 2006 noch nicht abgelaufen gewesen, weshalb auch ohne Bedachtnahme auf die erste Verurteilung der genannte Verbotsgrund nicht greifen würde.

Letztlich ist auch der Ansicht der Beschwerde nicht beizupflichten, dass die belangte Behörde die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK zu Gunsten des Beschwerdeführers hätte vornehmen müssen. Auch wenn dieser auf einen langen inländischen Aufenthalt, eine Beschäftigung und eine Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin und ein gemeinsames Kind verweisen kann, steht dem ein Fehlverhalten im Bereich der Suchtmittelkriminalität gegenüber, das sich nicht in einer einzelnen Handlung manifestierte, sondern über einen Zeitraum von 2004 bis 2009 ausgeübt wurde und von dem der Beschwerdeführer auch nach einer strafrechtlichen Verurteilung nicht abgehalten werden konnte. Demnach erreichen selbst die beträchtlichen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich nicht das Gewicht des maßgeblichen öffentlichen Interesses am Schutz der Gesundheit anderer und an der Unterbindung der Suchtmittelkriminalität.

Da somit dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 5. Mai 2011

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