VwGH 2009/22/0267

VwGH2009/22/026726.1.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 10. August 2009, Zl. E1/1368/2009, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §38 Abs1 Z3;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §61 Z3;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
StbG 1985 §10 Abs1 Z4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrG 1997 §38 Abs1 Z3;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §61 Z3;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
StbG 1985 §10 Abs1 Z4;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, gemäß § 60 Abs. 1 Z 1 und 2 und Abs. 2 Z 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

In der Bescheidbegründung verwies sie auf die rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers und legte die diesen Verurteilungen zu Grunde liegenden Tathandlungen dar.

So sei der Beschwerdeführer am 3. März 2006 wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

Eine weitere Verurteilung sei am 1. Dezember 2006 nach den §§ 27 und 28 SMG sowie § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, davon zwölf Monate bedingt nachgesehen, erfolgt. Der Beschwerdeführer habe im Zeitraum Dezember 2003 bis September 2004 Kokain erworben und besessen, in mehrfachen Handlungen ein- und ausgeführt sowie gewerbsmäßig in einer großen Menge durch Verkauf in Verkehr gesetzt.

Mit Urteil vom 30. Mai 2008 sei eine (nach dem Akteninhalt: bedingt nachgesehene) Zusatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten wegen teils vollendeten, teils versuchten schweren Diebstahls durch Einbruch verhängt worden. Demnach habe der Beschwerdeführer von September 2006 bis Ende Oktober 2006 insgesamt sechs versuchte Einbruchsdiebstähle in vier Hotels, einen Golfklub und einen PKW verübt.

Am 11. Jänner 2007 sei er festgenommen und in die Justizanstalt Salzburg eingeliefert worden.

Die letzte Verurteilung sei am 21. Oktober 2008 nach den §§ 27 und 28a SMG zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten erfolgt. Der Beschwerdeführer habe von Ende Jänner 2005 bis 21. August 2008 Kokain erworben und besessen, mehrfach von Slowenien aus- und nach Österreich eingeführt sowie in den Jahren 2003 bis 2005, 2007 und 2008 bestimmten Personen (entgeltlich bzw. unentgeltlich) überlassen.

Mit Beschluss vom 11. November 2008 sei der Vollzug der verhängten Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten bis 11. November 2009 aufgeschoben worden. Ihm sei aufgetragen worden, sich einer stationären Entwöhnungsbehandlung zu unterziehen.

In rechtlicher Hinsicht erachtete die belangte Behörde den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG mehrfach als erfüllt.

Unter Hinweis darauf, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum von zumindest August 2003 bis Juni 2008 Suchtgift illegal in Österreich eingeführt und in Verkehr gesetzt sowie auch an minderjährige Personen verkauft habe, hob die belangte Behörde die besondere Gefährlichkeit des Beschwerdeführers hervor, die zweifellos auch ein Grundinteresse der Gemeinschaft insoweit berühre, als der Handel mit großen Mengen Suchtgift eine große und manifeste Gefahr für die Volksgesundheit darstelle. Der Beschwerdeführer habe einige Tage vor seiner letzten Gerichtsverhandlung wegen des Verdachts des Einbruchsdiebstahls mehrere suchtmittelrelevante Telefongespräche geführt bzw. seinem Suchtmitteldealer in Slowenien mitgeteilt, dass er nach der Verhandlung zu ihm kommen werde, um Kokain zu kaufen. Er habe auch die Rechtswohltat der bedingten Strafnachsicht erhalten und diese Chance nicht zu nutzen vermocht, sondern sei erneut straffällig geworden. Somit könne nicht von einer günstigen Zukunftsprognose ausgegangen werden. Bei Suchtgiftdelikten seien erfahrungsgemäß die Wiederholungs- und Rückfallsgefahr sehr groß.

Der Beschwerdeführer sei im Jahr 1992, somit im Alter von 16 Jahren, nach Österreich gekommen. Er habe am 22. Februar 2008 eine bosnische Staatsangehörige geheiratet, mit der er die in den Jahren 2000 und 2007 geborenen Kinder habe. Erst seit 12. Mai 2009 gehe er einer meldepflichtigen Erwerbstätigkeit nach. Zumindest seit 1. Jänner 2003 sei er nachweislich lediglich tage- bzw. monatsweise einer Erwerbstätigkeit nachgegangen. Durch die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes werde in sein Privat- und Familienleben eingegriffen.

Das Aufenthaltsverbot sei zum Schutz der Volksgesundheit und zur Verhinderung strafbarer Handlungen, somit zur Erreichung von in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen, dringend geboten. Die öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes und die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung dieses Aufenthaltsverbotes wögen unverhältnismäßig schwerer als dessen Auswirkungen auf seine Lebenssituation. Beim Beschwerdeführer handle es sich um einen "notorischen Rechtsbrecher mit einem sehr hohen Aggressionspotential". Bereits im Jahr 1997 habe Strafanzeige wegen des Verdachts der schweren Körperverletzung erstattet werden müssen. Von 1996 bis 2001 schienen insgesamt 18 Verwaltungsstrafen auf.

Im Blick auf § 61 Z 3 FPG führte die belangte Behörde aus, dass dem Beschwerdeführer die Staatsbürgerschaft nicht hätte verliehen werden können, weil bereits im Jahr 1997 Strafanzeige erstattet worden sei. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 Staatsbürgerschaftsgesetz (1985 - StbG) dürfe einem Fremden die Staatsbürgerschaft nur verliehen werden, wenn gegen ihn nicht wegen des Verdachts einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Vorsatztat bei einem inländischen Gericht ein Strafverfahren anhängig ist.

§ 61 Z 4 FPG gelange nicht zur Anwendung, weil der Beschwerdeführer erst im Alter von 16 Jahren in das Bundesgebiet gereist und somit nicht von klein auf hier aufgewachsen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (diese Konventionsbestimmung nennt die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) zuwiderläuft (Z 2).

In § 60 Abs. 2 FPG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des § 60 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann.

Nach Z 1 dieser Bestimmung ist dies der Fall, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

In der Beschwerde wird nicht in Abrede gestellt, dass durch die mehrfachen Verurteilungen des Beschwerdeführers der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG verwirklicht sei.

Mit dem Hinweis, dass der Beschwerdeführer bereits die österreichische Staatsbürgerschaft hätte erlangen können, zeigt die Beschwerde jedoch eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Gemäß § 61 Z 3 FPG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 verliehen hätte werden können. Dies gilt zwar dann nicht, wenn der Fremde wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mindestens einer unbedingten einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist; dieser Ausnahmetatbestand ist beim Beschwerdeführer allerdings nicht erfüllt.

§ 10 Abs. 1 StbG lautet auszugsweise:

"§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft darf einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn

1. er sich seit mindestens zehn Jahren rechtmäßig und ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten hat und davon zumindest fünf Jahre niedergelassen war;

2. er nicht durch ein inländisches oder ausländisches Gericht wegen einer oder mehrerer Vorsatztaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, die der Verurteilung durch das ausländische Gericht zugrunde liegenden strafbaren Handlungen auch nach dem inländischen Recht gerichtlich strafbar sind und die Verurteilung in einem den Grundsätzen des Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, entsprechendem Verfahren ergangen ist;

3. er nicht durch ein inländisches Gericht wegen eines Finanzvergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist;

4. gegen ihn nicht wegen des Verdachtes einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Vorsatztat oder eines mit Freiheitsstrafe bedrohten Finanzvergehens bei einem inländischen Gericht ein Strafverfahren anhängig ist;

5. durch die Verleihung der Staatsbürgerschaft die internationalen Beziehungen der Republik Österreich nicht wesentlich beeinträchtigt werden;

6. er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet;

  1. 7. sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist und
  2. 8. er nicht mit fremden Staaten in solchen Beziehungen steht, dass die Verleihung der Staatsbürgerschaft die Interessen der Republik schädigen würde."

    Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird die Wendung "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" in § 38 Abs. 1 Z 3 Fremdengesetz 1997 (nun § 61 Z 3 FPG) dahin ausgelegt, dass der Fremde vor dem ersten der von der Behörde zulässigerweise zur Begründung des Aufenthaltsverbotes herangezogenen Umstände, die in ihrer Gesamtheit die Maßnahme tragen, somit bei Beginn seines das Aufenthaltsverbot begründenden strafbaren Verhaltens, die Verleihungsvoraussetzung erfüllt haben muss (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 31. August 2006, 2004/21/0110).

    Dieser Zeitpunkt ist im vorliegenden Fall entgegen der Ansicht der belangten Behörde mit Dezember 2003 anzusetzen. Die Bezugnahme der belangten Behörde auf eine im Jahr 1997 erfolgte Strafanzeige ist verfehlt, war doch keineswegs im vorhin genannten maßgeblichen Zeitpunkt iSd § 10 Abs. 1 Z 4 StbG noch ein Strafverfahren anhängig. Dass das dieser Strafanzeige zugrunde liegende Verhalten ein Verleihungshindernis iSd § 10 Abs. 1 Z 6 erfüllt hätte, wird von der belangten Behörde offensichtlich im Blick auf die im Akt erliegende anwaltliche Mitteilung, dass der Beschwerdeführer freigesprochen wurde, nicht releviert.

    Da auch die Zehnjahresfrist des § 10 Abs. 1 Z 1 StbG von der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogen wurde, erweist sich das Aufenthaltsverbot beim vorliegenden Sachverhalt als im Grunde des § 61 Z 3 FPG unzulässig.

    Somit war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

    Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

    Wien, am 26. Jänner 2010

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