VwGH 2009/21/0276

VwGH2009/21/027625.3.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 17. August 2009, Zl. VwSen-401026/6/Gf/Mu/Bu, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: S, vertreten durch B), zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art130 Abs2;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §77 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
B-VG Art130 Abs2;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §77 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger von Guinea-Bissau, reiste am 26. März 2001 (von Spanien kommend) unter falscher Identität und Verwendung eines portugiesischen Reisepasses illegal nach Österreich ein. Er wurde noch am Flughafen in Wien-Schwechat im Hinblick auf den Verdacht des Suchtgiftschmuggels festgenommen. In der Folge wurde er mit Urteil des Landesgerichtes Korneuburg vom 27. August 2001 wegen § 28 Abs. 2 und 4 Z 3 SMG (Einfuhr von Suchtgift in einer übergroßen Menge) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Im Hinblick auf diese strafgerichtliche Verurteilung wurde über den Mitbeteiligten von der Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn am 3. März 2003 ein (rechtskräftig gewordenes) unbefristetes Aufenthaltsverbot verhängt. Die Strafhaft verbüßte der Mitbeteiligte bis 26. März 2003.

Nachdem der Mitbeteiligte anschließend in Schubhaft genommen worden war, stellte er am 3. April 2003 einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde mit rechtskräftigem Bescheid des Bundesasylamtes vom 30. Juni 2003 als offensichtlich unbegründet abgewiesen; unter einem wurde die Zulässigkeit der (insbesondere) Abschiebung des Mitbeteiligten in den Herkunftsstaat festgestellt.

Mit rechtskräftigem Gerichtsurteil vom 19. November 2004 wurde der Mitbeteiligte neuerlich wegen eines Suchtmitteldeliktes nach § 28 Abs. 1 SMG und wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 StGB zu einer (bis zum 1. Juni 2006 vollzogenen) Freiheitsstrafe in der Dauer eines Jahres verurteilt. Schließlich weist der Mitbeteiligte noch eine weitere strafgerichtliche Verurteilung auf, nämlich vom 12. Oktober 2006 zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wegen § 28 Abs. 2 vierter Fall und Abs. 3 erster Fall SMG (gewerbsmäßiger Suchtgifthandel in Bezug auf eine große Menge). Der Mitbeteiligte wurde aus dieser Strafhaft am 3. Juni 2009 bedingt entlassen.

Davor, nämlich am 18. Mai 2009, hatte der Mitbeteiligte (neuerlich) einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz gestellt, der mit (unbekämpft gebliebenem) Bescheid vom 2. Juni 2009 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. Gleichzeitig wurde die Ausweisung des Mitbeteiligte in seinen Herkunftsstaat verfügt. Nach den Eintragungen im Asylwerberinformationssystem wurde dieser Bescheid dem Mitbeteiligten in der Justizanstalt Suben am 3. Juni 2009 ausgefolgt und noch am selben Tag dem Bundesasylamt ein unterfertigter Zustellschein übermittelt.

Der Mitbeteiligte wurde am 7. August 2009 am Flughafen Linz-Hörsching bei der - mit einem auf eine andere Person lautenden portugiesischen Personalausweis - versuchten Ausreise (nach Barcelona) festgenommen. Bei der anschließenden Befragung durch die Grenzpolizeiinspektion Linz-Hörsching behauptete der Mitbeteiligte (u.a.), er habe von 2001 bis 2008 bei einem Mädchen aus Kamerun, das dann nach Kanada ausgewandert sei, in Wien gewohnt. Danach habe er "einmal dort und einmal da" gewohnt, immer bei verschiedenen Freunden und Bekannten. Seine Postadresse sei immer bei "Mama X" gewesen. Dort sei er Ende Juni 2009 das letzte Mal gewesen. Es sei keine Post für ihn gekommen; er habe daher keinen Ausweisungsbescheid erhalten. Er habe zu einer Freundin (über Barcelona) nach Portugal fliegen wollen. Diese habe ihm den verwendeten "Ausweis" - die darin aufscheinende Person sei ihm nicht bekannt - nach Österreich geschickt, wobei der Mitbeteiligte hinzufügte, "Adresse weiß ich nicht mehr".

Mit Bescheid vom 7. August 2009 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land (BH) gegen den Mitbeteiligten gemäß § 76 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung an. Begründend führte die BH im Wesentlichen aus, der Mitbeteiligte halte sich in Österreich unberechtigt auf, weil gegen ihn seit 18. Juni 2009 ein rechtskräftiger Ausweisungsbescheid bestehe. Es sei daher beabsichtigt, den Mitbeteiligten in Schubhaft zu nehmen und ihn in sein Heimatland abzuschieben. Es sei anzunehmen, dass sich der Mitbeteiligte den beabsichtigten fremdenpolizeilichen Maßnahmen entziehen könnte, weil er bei seiner Anhaltung am Flughafen zu seiner Legitimation lediglich gefälschte Reisedokumente vorgewiesen habe. Dies berechtige zu der Annahme, dass er versuche, eine falsche Identität vorzutäuschen, um sich der "Ausweisung" aus Österreich zu entziehen. Es müsse auch davon ausgegangen werden, dass der Zweck der Schubhaft nicht durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden könne. Der beschriebenen Fluchtgefahr könne verlässlich nur mit Schubhaft begegnet werden, weil realistische Ansatzpunkte für die Anwendung gelinderer Mittel gemäß § 77 FPG nicht ersichtlich seien. Der mit der Schubhaftverhängung verbundene Eingriff in die persönliche Freiheit des Mitbeteiligten stehe im Hinblick auf das besondere öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens nicht außer Verhältnis zu dem verfolgten Ziel.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 17. August 2009 gab der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Oberösterreich (die belangte Behörde) einer vom Mitbeteiligten am 14. August 2009 erhobenen Schubhaftbeschwerde unter Kostenzuspruch Folge und stellte gemäß § 83 FPG iVm § 67c Abs. 3 AVG seine Anhaltung als rechtswidrig fest.

Die belangte Behörde führte in der Begründung im Wesentlichen - (u.a.) mit dem Hinweis auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Juni 2007, Zl. 2004/21/0003, und vom 22. Juni 2006, Zl. 2006/21/0081 - aus, das Vorliegen einer vollstreckbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme, von strafgerichtlichen Verurteilungen und von fehlender Ausreisewilligkeit reiche nicht für die Tragfähigkeit der Prognose, der Fremde werde sich dem weiteren fremdenpolizeilichen Verfahren entziehen. Auch wenn daher hier der Schubhaftgrund des Vorliegens eines durchsetzbaren Aufenthaltsverbotes und einer durchsetzbaren Ausweisung gegeben sei, dürfe sich die Anhaltung nicht als unverhältnismäßige Maßnahme erweisen und nur im Sinne einer ultima-ratio-Maßnahme zum Einsatz gebracht werden. Das bedeute, dass die alternative Heranziehung gelinderer Mittel nur dann nicht zum Tragen komme, wenn das Sicherungsbedürfnis anders nicht erreichbar sei. Es müssten somit in jedem Einzelfall die Tatbestandsvoraussetzungen für die Schubhaftverhängung und darüber hinaus der aktuelle Sicherungsbedarf geprüft und schließlich noch begründet werden, weshalb keine gelinderen, in gleicher Weise zur Zielerreichung geeigneten Maßnahmen zum Tragen kämen.

Im gegenständlichen Fall stünden die gegen den Mitbeteiligten ausgesprochenen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen (Aufenthaltsverbot und Ausweisung) "derzeit keineswegs bereits unmittelbar" vor ihrer tatsächlichen Umsetzung, denn aus dem Akt der BH ergäben sich keine Hinweise dafür, der Mitbeteiligte könnte "in naher Zeit" in seinen Heimatstaat abgeschoben werden. Damit stelle sich für den Mitbeteiligten aber die Situation auch nicht so dar, dass er "gegenwärtig praktisch umgehend" mit seiner faktischen zwangsweisen Außerlandesschaffung zu rechnen habe. Da der Mitbeteiligte bei seiner Festnahme gerade im Begriff gewesen sei, das Bundesgebiet (wenn auch in rechtswidriger Weise) zu verlassen, und auch bei seiner Einvernahme am 7. August 2009 in keiner Weise zu erkennen gegeben habe, dass er keinesfalls in seinen Heimatstaat zurückkehren wolle, habe die BH sohin auch nicht ohne Weiteres von einer Gefahr des zukünftigen Untertauchens ausgehen können. Außerdem habe der Mitbeteiligte angegeben, bis Juni 2009 unter einer bestimmten Adresse aufhältig gewesen zu sein, wobei amtswegige Ermittlungen in diesem Punkt offenkundig vollständig unterblieben seien. Ohne derartige zusätzliche konkrete Anhaltspunkte habe die BH aber nicht in vertretbarer Weise vom Fehlen jeglicher Unterkunftsmöglichkeit ausgehen können.

Dem Überwiegen des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen stehe - so begründete die belangte Behörde weiter - gegenüber, dass der Mitbeteiligte bislang keinerlei Verhalten gesetzt habe, aus dem konkret und mit hoher Wahrscheinlichkeit zu schließen gewesen wäre, er werde sich bei einer Entlassung aus der Schubhaft umgehend dem behördlichen Zugriff zu entziehen versuchen. Daher bleibe noch zu prüfen, ob nicht auch gelindere Mittel - Auftrag, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen und/oder sich in periodischen Abständen bei einer bestimmten Polizeiinspektion zu melden - ausgereicht hätten, den mit der Schubhaft verfolgten Zweck in gleicher Weise sicherzustellen. Mangels konkreter gegenteiliger Anhaltspunkte spreche der Umstand, dass der Mitbeteiligte "allenfalls" bei dem von ihm (in der Schubhaftbeschwerde) namhaft gemachten Bekannten Aufnahme und finanzielle Unterstützung finden könne, dafür, beim gegenwärtigen Stand des Abschiebungsverfahren "jedenfalls im Sinne einer Erstmaßnahme, also zumindest vorerst," gelindere Mittel - wie insbesondere die tägliche Meldung bei einer Sicherheitsdienststelle - genügen zu lassen. Erst wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte offenbar geworden wäre, dass gelindere Mittel tatsächlich nicht dazu hingereicht hätten, um die Durchführung des fremdenpolizeilichen Verfahrens ordnungsgemäß zu gewährleisten, hätte in einem zweiten Schritt die Schubhaft als eingriffsintensivere Maßnahme angewendet werden dürfen. Im gegenständlichen Fall habe die BH jedoch von Anfang an nicht einmal den Versuch unternommen, gelindere Mittel anstelle der Schubhaftverhängung zum Einsatz zu bringen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die Amtsbeschwerde verweist auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 76 Abs. 1 FPG, wonach es beim Sicherungsbedarf wesentlich auf die soziale Integration des Fremden ankomme. So sei etwa beim Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte in Österreich die Schubhaft sehr wohl als gerechtfertigt angesehen worden. Neben der Integration des Fremden sei freilich auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen. Darüber hinaus sei auch die Straffälligkeit des Betreffenden zu beachten.

Der Verwaltungsgerichtshof habe außerdem im Erkenntnis vom 17. März 2009, Zl. 2007/21/0542, zu einem ähnlich gelagerten Fall ausgeführt, dass der Fremde keinen Rechtsanspruch auf die Anwendung gelinderer Mittel habe, sondern es nach Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit im Ermessen der Behörde liege, das gelindere Mittel zu verhängen. Bei dieser Prüfung sei unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses vor allem der Frage nachzugehen, ob im jeweils vorliegenden Einzelfall ein Sicherungsbedürfnis gegeben sei, wofür etwa eine mangelnde soziale Verankerung in Österreich spreche.

Im Beschwerdefall habe die belangte Behörde selbst angenommen, der Mitbeteiligte besitze nur geringe Barmittel. Nach der Aktenlage sei davon auszugehen, dass der Mitbeteiligte auch über keine Wohnmöglichkeit verfüge. Der "lapidare Hinweis" des Mitbeteiligten auf Unterstützung durch Freunde, ohne konkrete Nachweise zu erbringen, könne diese Ansicht nicht erschüttern. Ferner gehe aus dem Akt hervor, dass sich der Mitbeteiligte, der jederzeit mit einer bevorstehenden Abschiebung habe rechnen müssen, im Suchtgiftmilieu bewege und zuletzt auch versucht habe, unter falscher Identität auszureisen. Es könne daher keinesfalls mehr davon ausgegangen werden, dass gelindere Mittel zur Durchführung der Abschiebung des Mitbeteiligten ausgereicht hätten.

Mit diesen Ausführungen ist die beschwerdeführende Sicherheitsdirektion im Ergebnis im Recht:

§ 76 Abs. 1 und § 77 Abs. 1 FPG lauten:

"Schubhaft

§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

Gelinderes Mittel

§ 77. (1) Die Behörde kann von der Anordnung der Schubhaft Abstand nehmen, wenn sie Grund zur Annahme hat, dass deren Zweck durch Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann. Gegen Minderjährige hat die Behörde gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn, sie hätte Grund zur Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann."

Die Schubhaft wurde gegen den Mitbeteiligten gemäß § 76 Abs. 1 erster Satz FPG zur Sicherung seiner Abschiebung angeordnet. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Abschiebung ist gemäß § 46 Abs. 1 FPG das Vorliegen einer durchsetzbaren Ausweisung oder eines durchsetzbaren Aufenthaltsverbotes. Diese Bedingung war im vorliegenden Fall im Hinblick auf das gegen den Mitbeteiligten erlassene unbefristete Aufenthaltsverbot vom 3. März 2003 und die verfügte asylrechtliche Ausweisung vom 2. Juni 2009 (zweifach) erfüllt.

Die Zulässigkeit der Schubhaft verlangt nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung darüber hinaus ihre Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit, zu deren Beurteilung eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung der Außerlandesschaffung (Aufenthaltsbeendigung) und dem privaten Interesse an der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen ist. Bei dieser Prüfung ist unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses vor allem der Frage nachzugehen, ob im jeweils vorliegenden Einzelfall ein Sicherungsbedürfnis gegeben ist. Das setzt die gerechtfertigte Annahme voraus, der Fremde werde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bzw. nach deren Vorliegen der Abschiebung (insbesondere) durch Untertauchen entziehen oder es/sie zumindest wesentlich erschweren. Fehlende Ausreisewilligkeit für sich allein - insoweit ist der belangten Behörde beizupflichten - erfüllt dieses Erfordernis noch nicht. Die bloße (Absicht der) Nichtbefolgung eines Ausreisebefehls vermag somit für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen, sondern der Sicherungsbedarf muss in weiteren Umständen begründet sein. Für die Bejahung eines Sicherungsbedarfs kommen im Anwendungsbereich des § 76 Abs. 1 FPG insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei Prüfung des Sicherungsbedarfs freilich auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. März 2009, Zl. 2007/21/0542, mwH; siehe daran anschließend etwa auch das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2009/21/0121).

Entgegen der Meinung der belangten Behörde war die Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft am Maßstab der dargestellten Judikatur gerechtfertigt:

Soweit die belangte Behörde nämlich schon die mangelnde Ausreisewilligkeit des Mitbeteiligten in Frage stellte und ein nur durch Schubhaft zu sicherndes öffentliches Interesse an der Abschiebung des Mitbeteiligten (in sein Heimatland) verneinte, ließ sie wesentliche Gesichtspunkte des vorliegenden Beschwerdefalles außer Acht. Bei dieser Beurteilung wäre nämlich zu berücksichtigen gewesen, dass der Mitbeteiligte den Vollzug des gegen ihn im Jahr 2003 erlassenen Aufenthaltsverbotes zunächst durch seinen erst mehr als zwei Jahre nach seiner Einreise und im Stande der Schubhaft gestellten, offensichtlich unbegründeten ersten Asylantrag unterlaufen hat. Auch der zweite, kurz vor Beendigung seiner dreijährigen Anhaltung in Strafhaft eingebrachte und wegen entschiedener Sache zurückgewiesene Antrag auf internationalen Schutz hatte offenbar den Zweck, eine Abschiebung in Umsetzung des Aufenthaltsverbotes hintan zu halten. Schließlich lässt sich aber auch die am 7. August 2009 versuchte illegale Ausreise unter falscher Identität nach Spanien bzw. Portugal dahin deuten, damit sollte der aufgrund der asylrechtlichen Ausweisung vorzunehmenden Abschiebung in seinen Herkunftsstaat durch einen Aufenthaltswechsels innerhalb des EU-Raumes zuvor gekommen werden. Dieses Verhalten lässt aber auch eine ausreichende Mobilität des Mitbeteiligten erkennen, der offenbar auch über die Möglichkeit verfügt, sich gefälschte Reisedokumente zu verschaffen. Zur Gefahr einer Erschwerung der Abschiebungsmaßnahme durch ein "Untertauchen" in Österreich ist darauf zu verweisen, dass der Mitbeteiligte bei der Vernehmung am 7. August 2009 als Inlandsadresse nur "1101 Wien" angab, die Adresse, an die ihm der fremde Personalausweis angeblich geschickt worden war, nicht anführen konnte (bzw. wollte) und erklärte, einmal da und einmal dort bei verschiedenen Freunden und Bekannten gewohnt zu haben. Nach dem Inhalt der im Akt befindlichen Auskunft aus dem Zentralen Melderegister war der Mitbeteiligte insbesondere nach seiner letzten Haftentlassung an keiner Adresse gemeldet und entgegen seinen Behauptungen bestand auch keine sogenannte "Obdachlosenmeldung" beim Verein "XY". In dieses Bild passen auch die Täuschungshandlungen in Bezug auf seine Identität bei der Einreise, ebenso aber auch die aktenwidrigen Behauptungen, er habe bis 2008 mit einer Freundin aus Kamerun in Wien zusammengewohnt und der asylrechtliche Ausweisungsbescheid vom 2. Juni 2009 sei ihm nicht zugekommen.

Bei der hier gegebenen Sachlage hätte in Bezug auf die Intensität des Sicherungsbedarfs aber auch die dreimalige Suchtgiftdelinquenz des geradezu als unverbesserlichen Wiederholungstäter einzustufenden Mitbeteiligten in Verbindung mit der wegen seiner (unbestrittenen) Mittellosigkeit naheliegenden Wiederholungsgefahr einbezogen werden müssen. Diesen Umständen kann nämlich im Rahmen der angesprochenen Verhältnismäßigkeitsprüfung insofern Bedeutung zukommen, als eine erhebliche Delinquenz des Fremden das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Effektivität seiner (baldigen) Abschiebung - in Abhängigkeit von der Schwere der Straftaten - maßgeblich vergrößern kann (vgl. auch dazu das schon genannte Erkenntnis vom 17. März 2009, Zl. 2007/21/0542, und jenes vom heutigen Tag, Zl. 2009/21/0121). Das ist hier aber unzweifelhaft der Fall.

Die von der belangten Behörde gesehene Notwendigkeit amtswegiger Ermittlungen durch die BH zu einem möglichen Wohnsitz des Mitbeteiligten kann aber angesichts der dargestellten Aktenlage, insbesondere der erwähnten Angaben des Mitbeteiligten in seiner Vernehmung zur beabsichtigten Schubhaftverhängung, nicht erkannt werden. Soweit sich die Argumentation der belangten Behörde auf eine Unterkunftsmöglichkeit für den Mitbeteiligten bei einem Bekannten in Traun stützt, ist darauf hinzuweisen, dass davon (nach dem Inhalt der vorgelegten Akten) erstmals in der Schubhaftbeschwerde die Rede war (siehe auch dazu das eine ähnliche Konstellation betreffende Erkenntnis vom 17. März 2009, Zl. 2007/21/0542).

Im vorliegenden Fall hätte ein solcher - wie die Amtsbeschwerde formuliert - "lapidarer Hinweis" aber auch nicht zur Annahme, die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung seien damit weggefallen, und zur Enthaftung des Mitbeteiligten führen dürfen. Das Vorbringen in der Schubhaftbeschwerde beschränkte sich nämlich darauf, dass der Mitbeteiligte bei einem namentlich genannten "Freund" ordnungsgemäß "gemeldet werden kann" und dieser auch für den notwendigen Unterhalt aufkomme. Nähere Ausführungen über die Beziehung des Mitbeteiligten zu diesem "Freund", konkrete Angaben über dessen persönliche Verhältnisse und ein Vorbringen, dass der Mitbeteiligte bei diesem auf Dauer einen festen Wohnsitz begründen könnte, fehlen. Auch die belangte Behörde meinte dazu, dass das Beschwerdevorbringen noch keinen Nachweis für eine "fortgeschrittene soziale Integration" bilden könne, und spricht insoweit auch nur davon, dass der Mitbeteiligte "allenfalls" bei dem von ihm namhaft gemachten Bekannten Aufnahme und finanzielle Unterstützung finden könnte.

Aus den dargestellten Umständen hätte somit gefolgert werden müssen, der Mitbeteiligte werde sich voraussichtlich ohne Verhängung der Schubhaft dem fremdenpolizeilichen Zugriff entziehen und dadurch seine in Vollstreckung der gegen ihn bestehenden aufenthaltsbeendenden Maßnahmen beabsichtigte Abschiebung zumindest wesentlich erschweren. In der vorliegenden Konstellation hätte aber, und zwar auch bei der - von der belangten Behörde nur implizit vorgenommenen - Prüfung der Frage, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen, die Anwendung eines gelinderen Mittels nicht in Betracht gezogen werden dürfen. Die dem angefochtenen Bescheid offenbar zugrundeliegende Auffassung, es hätte im Hinblick auf die noch nicht unmittelbar bevorstehende Abschiebung ein gelinderes Mittel jedenfalls versucht werden müssen, kann angesichts des bisherigen, evident auf eine Vereitelung der Abschiebung in sein Heimatland gerichteten Verhaltens des Mitbeteiligten und des Fehlens eines festen Wohnsitzes nicht geteilt werden.

Im Hinblick auf die allgemeinen Bemerkungen im angefochtenen Bescheid zu § 77 Abs. 1 FPG und die Deutung der diesbezüglichen Ausführungen im Erkenntnis vom 17. März 2009, Zl. 2007/21/0542, in der Amtsbeschwerde ist noch Folgendes klar zu stellen:

In diesem (schon mehrfach erwähnten) Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof dargelegt, dass die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel im Sinn des § 77 Abs. 1 FPG eine Ermessensentscheidung ist. Weiters wurde darauf hingewiesen, dass auch die Anwendung gelinderer Mittel das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraussetzt. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (siehe dazu schon das Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (siehe idS bereits das Erkenntnis vom 28. Mai 2008, Zl. 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich läge eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn - wie im vorliegenden Fall - die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 25. März 2010

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