VwGH 2003/21/0183

VwGH2003/21/018319.12.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des B, vertreten durch Dr. Martin Preslmayr, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dr. Karl Lueger-Ring 12, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 16. Oktober 2002, Zl. Fr 5440/01, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §16;
AVG §68 Abs1;
AVG §73 Abs1;
AVG §73 Abs2;
AVG §73;
FrG 1997 §10 Abs1 Z1;
FrG 1997 §113 Abs8;
FrG 1997 §15 Abs1;
FrG 1997 §15 Abs2;
FrG 1997 §15;
FrG 1997 §34;
FrG 1997 §37;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §16;
AVG §68 Abs1;
AVG §73 Abs1;
AVG §73 Abs2;
AVG §73;
FrG 1997 §10 Abs1 Z1;
FrG 1997 §113 Abs8;
FrG 1997 §15 Abs1;
FrG 1997 §15 Abs2;
FrG 1997 §15;
FrG 1997 §34;
FrG 1997 §37;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 9. August 2001 wies die Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung als Behörde erster Instanz den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, gemäß §§ 12 Abs. 1, 10 Abs. 2 Z 1 sowie 34 des (bis 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, aus dem Bundesgebiet aus.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und führte zur Begründung im Wesentlichen aus:

Der Beschwerdeführer sei im Oktober 1996, ohne im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels zu sein, nach Österreich gereist. Vom 1. Oktober 1997 bis 1. Jänner 1998 habe er - damals im Besitz eines kroatischen Passes - auf Grund des Sichtvermerksabkommens zwischen Österreich und Kroatien sichtvermerksfrei aufhältig sein dürfen. Da er seit Dezember 1997 im Besitz eines bosnischen Reisepasses sei, habe er für seinen Aufenthalt in Österreich auch einen Aufenthaltstitel benötigt. Eine Ausweisung nach § 33 Abs. 1 FrG vom 14. Juli 1999 sei im Instanzenzug aufgehoben worden, weil dem Beschwerdeführer eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis mit Gültigkeit vom 28. Oktober 1999 bis 27. Oktober 2000 erteilt worden sei. Am 20. April 2001 habe er einen Antrag auf "Verlängerung des Aufenthaltstitels" gestellt. Mit Urteil vom 9. September 2002 sei er nach den §§ 15, 127, 128 Abs. 1 Z 4 sowie 130 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von neun Monaten, davon acht Monate bedingt nachgesehen, verurteilt worden. Auf Grund dieser (rechtskräftigen) Verurteilung sei am 9. September 2002 ein bis 9. September 2012 gültiges Aufenthaltsverbot erlassen worden, welches mit 24. September 2002 (Ablauf der Berufungsfrist) rechtskräftig geworden sei.

Gemäß § 10 Abs. 1 FrG sei die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels zu versagen, wenn gegen den Fremden ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot besteht. Somit stehe ein absoluter Versagungsgrund der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels entgegen.

Der Beschwerdeführer habe in Österreich teilweise mit seiner Mutter bzw. seinem Stiefvater und teilweise mit seiner Freundin zusammengelebt. Außerdem seien drei Geschwister rechtmäßig in Österreich aufhältig. Auch wenn mit der Ausweisung ein Eingriff in sein Privat- und Familienleben verbunden sei, sei dieser Eingriff zulässig, wenn man bedenke, dass der Beschwerdeführer wegen der von ihm zugestandenen strafbaren Handlungen rechtskräftig zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden sei. Somit sei die Ausweisung dringend geboten. Es gäbe keine zu berücksichtigenden wesentlichen Elemente, wonach die Beurteilung des Ermessensspielraums der Behörde zu seinen Gunsten führen würde.

Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid an ihn gerichtete Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom 23. September 2003, B 65/03-13, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten, der nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde über die ergänzte Beschwerde erwogen hat:

Dem Bescheid liegt zu Grunde, dass gegen den Beschwerdeführer ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot erlassen worden sei.

Bei dieser Konstellation erweist sich aus folgenden Gründen die Erlassung einer Ausweisung als rechtswidrig:

Die maßgeblichen Bestimmungen des FrG lauten auszugsweise:

"Versagung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels

§ 10. (1) Die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn

1. gegen den Fremden ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot besteht;

...

Verfahren im Falle von Versagungsgründen für einen weiteren

Aufenthaltstitel

§ 15. (1) Werden in einem Verfahren zur Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels Versagungsgründe bekannt, so hat die Behörde - gegebenenfalls nach Einholung einer fremdenpolizeilichen Stellungnahme - den Antragsteller vom Versagungsgrund in Kenntnis zu setzen, ihm mitzuteilen, dass eine Aufenthaltsbeendigung (§§ 33 ff) beabsichtigt ist und ihm darzulegen, warum dies unter Bedachtnahme auf den Schutz seines Privat- oder Familienlebens (§ 37) zulässig scheint. Außerdem hat sie ihn zu informieren, dass er das Recht hat, sich hiezu binnen einer gleichzeitig festzusetzenden, 14 Tage nicht unterschreitenden Frist, zu äußern.

(2) Nach Ablauf dieser Frist ist bei unverändertem Sachverhalt das Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung zu veranlassen; der Ablauf der Frist des § 73 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, wird dadurch bis zum Abschluss dieses Verfahrens gehemmt. Sobald sich ergibt, daß eine Aufenthaltsbeendigung unzulässig ist, hat die Behörde den weiteren Aufenthaltstitel zu erteilen.

(3) Erwächst jedoch eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, so ist das Verfahren über den Antrag auf Erteilung des weiteren Aufenthaltstitels formlos einzustellen. Dieses Verfahren ist fortzusetzen, sobald nach einer Aufhebung der Ausweisung oder des Aufenthaltsverbotes durch den Verfassungsgerichtshof oder Verwaltungsgerichtshof feststeht, dass deren Verhängung nunmehr unterbleibt.

Ausweisung Fremder mit Aufenthaltstitel

§ 34. (1) Fremde, die sich auf Grund eines Aufenthaltstitels oder während eines Verfahrens zur Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels im Bundesgebiet aufhalten, können mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn

1. nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre oder

2. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegensteht oder

3. ..."

Vorauszuschicken ist, dass die Ausweisung von Fremden, die sich während eines Verfahrens zur Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels - gleichgültig ob rechtmäßig oder unrechtmäßig - im Bundesgebiet aufhalten, abschließend in der spezielleren Norm des § 34 FrG geregelt ist und die Ausweisung solcher Personen gemäß § 33 leg. cit. nicht in Betracht kommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Juni 2000, Zl. 99/18/0436). Somit lägen an sich auch im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für ein Vorgehen nach § 15 FrG vor.

Nach den ErläutRV (685 BlgNR 20. GP, Seite 65 f) dient § 15 FrG der Verfahrenskonzentration und verhindert einen "doppelten Instanzenzug" gegen einen abweislichen Bescheid der Aufenthaltsbehörde einerseits und gegen eine Ausweisung andererseits.

In seinem unmittelbaren Anwendungsbereich regelt § 15 FrG insbesondere die Rechtsfolgen einer von der Niederlassungs- (Aufenthalts-)behörde veranlassten Einleitung eines aufenthaltsbeendigenden Verfahrens für das Verfahren über den Antrag auf Erteilung einer weiteren Niederlassungsbewilligung (den Verlängerungsantrag). In diesem vom Gesetz unmittelbar geregelten Fall bewirkt die Veranlassung des Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung die Hemmung der Frist des § 73 AVG. Führt das von der Niederlassungs-(Aufenthalts-)behörde veranlasste Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung zu einem rechtskräftigen Bescheid über diese, so ist das Verfahren über den in Rede stehenden Antrag formlos einzustellen. Nicht die Einstellung bewirkt den Entfall der Entscheidungspflicht, sondern schon, wie in dem hg. Erkenntnis vom 10. September 1999, Zl. 99/19/0102, dargelegt, die davor erfolgte Veranlassung der Aufenthaltsbeendigung.

In diesem zitierten Erkenntnis bekräftigte der Gerichtshof weiters die Ansicht, dass es aus gesetzessystematischen und teleologischen Erwägungen

geboten sei, § 15 FrG auch dann anzuwenden, wenn nicht von der Niederlassungs-(Aufenthalts-)behörde veranlasste aufenthaltsbeendigende

Verfahren anhängig sind. Im Falle der Anhängigkeit eines solchen aufenthaltsbeendigenden Verfahrens bei der Fremdenpolizeibehörde hat die Niederlassungs-(Aufenthalts-)behörde zunächst nach § 15 Abs. 1 FrG vorzugehen und kann sodann die in § 15 Abs. 2 FrG vorgesehene Hemmung durch einen Aktenvermerk in Verbindung mit einer entsprechenden Mitteilung an den Antragsteller oder die Fremdenpolizeibehörde herbeiführen. Liegt jedoch eine - nicht von der Niederlassungs-(Aufenthalts-)behörde veranlasste - rechtskräftige Aufenthaltsbeendigung in Form eines Aufenthaltsverbotes bereits vor, so ist der Niederlassungs- (Aufenthalts-)behörde die Erteilung der Bewilligung zwingend versagt (§ 10 Abs. 1 Z 1 FrG). Anders als bei Anhängigkeit eines aufenthaltsbeendigenden Verfahrens bei den Fremdenpolizeibehörden ist daher im Falle der rechtskräftigen Beendigung eines solchen Verfahrens für die Durchführung der in § 15 FrG vorgesehenen Verfahrensschritte durch die Niederlassungs-(Aufenthalts-)behörde kein Raum und es endet die Entscheidungspflicht der Niederlassungs-(Aufenthalts-)behörde ex lege mit der Rechtskraft der Aufenthaltsbeendigung.

Aus dieser Rechtslage ist zu folgern, dass der in § 34 FrG genannte "Versagungsgrund" nicht das Vorliegen eines rechtskräftigen Aufenthaltsverbotes (§ 10 Abs. 1 Z 1 FrG) umfasst, weil diesfalls die nach Zulässigkeitsprüfung zu erlassende aufenthaltsbeendigende Maßnahme nicht erst herbeigeführt werden muss, sondern bereits gegeben ist. In diesem Fall ist auch bereits die in § 15 Abs. 2 FrG vorgesehene Prüfung vorgenommen worden, ob eine solche Maßnahme (Aufenthaltsverbot oder Ausweisung nach § 34 FrG) zulässig ist. Eine nochmalige Beurteilung in Form der Erlassung einer Ausweisung nach § 34 FrG steht mit den Intentionen des § 15 FrG nicht im Einklang. Nur so kann im Übrigen ein Konflikt vermieden werden, der sich daraus ergebe, dass einerseits bei der Versagung eines Aufenthaltstitels aus dem Grund eines bestehenden Aufenthaltsverbotes auf die persönlichen Interessen des Fremden nicht Bedacht genommen werden darf (vgl. zur Rechtslage des Fremdengesetzes 1992 das hg. Erkenntnis vom 14. April 1993, Zl. 93/18/0141), andererseits eine solche Prüfung im Fall der Erlassung einer Ausweisung nach § 34 FrG vom Gesetz her (§ 37 leg. cit.) geboten wäre.

Die belangte Behörde hat also insoweit das Gesetz verkannt, als sie in der gegebenen Konstellation eine auf das Vorliegen eines rechtskräftigen Aufenthaltsverbotes gestützte Ausweisung nach § 34 FrG ausgesprochen hat.

Demnach war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer im Pauschalbetrag bereits enthalten ist.

Wien, am 19. Dezember 2006

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