VwGH 2003/11/0302

VwGH2003/11/030217.10.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des K in P, vertreten durch Dr. Peter Wasserbauer, Dr. Gisela Possnig und Dr. Michael Maurer, Rechtsanwälte in 8160 Weiz, Lederergasse 10/2, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 14. Oktober 2003, Zl. UVS 42.2-21/2003-2, betreffend Aufforderung zur amtsärztlichen Untersuchung und zur Beibringung einer verkehrspsychologischen Stellungnahme, zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §24 Abs1;
FSG 1997 §24 Abs4;
FSG 1997 §8;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Weiz vom 26. August 2003 wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen, ein amtsärztliches Gutachten über seine gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen vorzulegen. Im Anschluss daran findet sich im Spruch dieses Bescheides der "Hinweis", dass für die Erstellung des amtsärztlichen Gutachtens eine verkehrspsychologische Stellungnahme, eingeschränkt auf die Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit, benötigt werde.

Begründend verwies die Erstbehörde zunächst auf die "Vorgeschichte" des Beschwerdeführers. Dieser habe im Juni 1992 einen schweren Unfall (mit Schädel-Hirn-Trauma und spastischer Halbseitenlähmung) erlitten und sei danach körperlich schwer behindert gewesen. Nach einer weiteren "Unfallserie" sei dem Beschwerdeführer die Lenkberechtigung vorübergehend entzogen und erst 1996 unter Beschränkungen wieder erteilt worden. Eine Reduzierung dieser Beschränkungen durch die Behörde (auf eine erlaubte Fahrgeschwindigkeit von 50 km/h und einen Aktionsradius von 100 km) sei 1997 erfolgt. Am 10. März 2003 sei es neuerlich zu einem Verkehrsunfall des Beschwerdeführers gekommen. Eine Überprüfung der Unfallstelle habe ergeben, dass die Schleuderspur des Kraftfahrzeuges des Beschwerdeführers am linken Straßenbankett begonnen habe. Der Beschwerdeführer habe dazu angegeben, dass er durch ein entgegenkommendes Fahrzeug zuerst geblendet und dann abgedrängt (nach der Aktenlage: zum Auslenken genötigt) worden sei. Aus Anlass dieses Unfalls habe die Amtsärztin unter Bezugnahme auf die Krankengeschichte des Beschwerdeführers und auf zwei fachärztliche Befunde die Überprüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers für erforderlich gehalten. An der vorliegenden Befundlage könne nach Ansicht der Erstbehörde auch die erwähnte Wiedererteilung der Lenkberechtigung des Beschwerdeführers nichts ändern, weil bei der Behörde wegen der genannten ärztlichen Äußerung, des Unfallhergangs vom 10. März 2003 und der Vorgeschichte "nun doch" Bedenken hinsichtlich der gesundheitlichen Eignung des Beschwerdeführers, konkret hinsichtlich des Ausreichens der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit, bestünden.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung.

Mit dem angefochtenen Bescheid änderte die belangte Behörde den Spruch des Erstbescheides dahingehend ab, dass der Beschwerdeführer gemäß § 24 Abs. 4 FSG verpflichtet wurde, sich binnen zwei Monaten ab Zustellung dieses Bescheides untersuchen zu lassen und die zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde (verkehrspsychologische Stellungnahme eingeschränkt auf die Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit) beizubringen. Dem Berufungsvorbringen, die angesprochene Unfallserie liege bereits zehn Jahre zurück und dem Beschwerdeführer sei in der Zwischenzeit die Lenkberechtigung rechtskräftig wiedererteilt worden, hielt die belangte Behörde einerseits die aus ihrer Sicht zutreffenden Ausführungen der Erstbehörde entgegen und andererseits den Umstand, dass die Amtsärztin in schlüssiger Weise die Überprüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers für erforderlich gehalten habe. Es treffe nach Ansicht der belangten Behörde zwar zu, dass die lange zurückliegende Unfallserie die gesundheitliche Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen nicht mehr berühre. Schon im Hinblick auf den Verkehrsunfall vom 10. März 2003 und die im Erstbescheid geschilderten näheren Umstände dieses Verkehrsunfalls sei aber gemäß § 24 Abs. 4 FSG ein Grund für Bedenken gegen das Vorliegen der gesundheitlichen Eignung des Beschwerdeführers gegeben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Der Beschwerdeführer wendet sich zunächst dagegen, dass die belangte Behörde eine Unfallserie, die bereits zehn Jahre zurückliege, in ihre Beurteilung miteinbezogen habe. Nach diesen Unfällen habe sich nämlich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers verbessert und es sei ihm schließlich deshalb die Lenkberechtigung wiedererteilt worden. Bedenken der Behörde an seiner gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen könnten daher nur solche sein, die nach dem Zeitpunkt der Wiedererteilung der Lenkberechtigung entstanden seien. Der erwähnte Verkehrsunfall vom 10. März 2003 habe sich zwar nach der Wiedererteilung der Lenkberechtigung des Beschwerdeführers ereignet, doch hätte die belangte Behörde dabei nicht nur berücksichtigen müssen, dass dieser Unfall in keinem Zusammenhang mit den körperlichen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers gestanden sei, sondern dass es sich dabei auch um ein singuläres Ereignis seit der Wiedererteilung der Lenkberechtigung gehandelt habe. Was schließlich die von der belangten Behörde ins Treffen geführte amtsärztliche Stellungnahme betreffe, so könnten aus dieser Bedenken gegen die gesundheitliche Eignung des Beschwerdeführers nicht schlüssig abgeleitet werden.

Der im gegenständlichen Beschwerdefall maßgebende § 24 FSG lautet auszugsweise:

"5. Abschnitt

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung

Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

  1. 1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder
  2. 2. die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Auflagen, Befristungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken. Diese Einschränkungen sind gemäß § 13 Abs. 2 in den Führerschein einzutragen.

    ...

(4) Bestehen Bedenken, ob die Voraussetzungen der gesundheitlichen Eignung noch gegeben sind, ist ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten gemäß § 8 einzuholen und gegebenenfalls die Lenkberechtigung einzuschränken oder zu entziehen. Bei Bedenken hinsichtlich der fachlichen Befähigung ist ein Gutachten gemäß § 10 einzuholen und gegebenenfalls die Lenkberechtigung zu entziehen. Leistet der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der festgesetzten Frist einem rechtskräftigen Bescheid, mit der Aufforderung, sich ärztlich untersuchen zu lassen, die zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde zu erbringen oder die Fahrprüfung neuerlich abzulegen, keine Folge, ist ihm die Lenkberechtigung bis zur Befolgung der Anordnung zu entziehen.

..."

Die Erstbehörde, auf deren Bescheidbegründung die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zunächst verwies, hat die Bedenken gegen die gesundheitliche Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen unter drei Gesichtspunkten, nämlich mit der "Vorgeschichte" des Beschwerdeführers, seinem Unfall vom 10. März 2003 und mit der amtsärztlichen Stellungnahme begründet. Zum ersten Aspekt hat die belangte Behörde, wie dargestellt, letztlich zutreffend erkannt, dass Umstände, die vor dem Zeitpunkt der Erteilung der Lenkberechtigung des Beschwerdeführers gelegen sind, nicht geeignet sind, begründete Bedenken im Sinne des § 24 Abs. 4 FSG hervorzurufen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. September 2001, Zl. 99/11/0279).

Wie erwähnt hat die belangte Behörde ihre Bedenken gegen die gesundheitliche Eignung des Beschwerdeführers, und zwar gegen dessen kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit, im Wesentlichen mit dem Verkehrsunfall des Beschwerdeführers vom 10. März 2003 begründet. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Aufforderungsbescheid gemäß § 24 Abs. 4 FSG nur dann zulässig, wenn im Zeitpunkt seiner Erlassung (im Falle einer Berufungsentscheidung im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides) bei der Behörde (nach wie vor) begründete Bedenken in der Richtung bestehen, dass der Inhaber der Lenkberechtigung die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen derjenigen Klassen, die von seiner Lenkberechtigung erfasst werden, nicht mehr besitzt, und ein aktuelles amtsärztliches Gutachten ohne eine neuerliche Untersuchung des Betreffenden oder ohne neue Befunde nicht erstellt werden kann. Hiebei geht es zwar noch nicht darum, konkrete Umstände zu ermitteln, aus denen bereits mit Sicherheit auf das Fehlen einer Erteilungsvoraussetzung geschlossen werden kann, es müssen aber genügend begründete Bedenken in dieser Richtung bestehen, die die Prüfung des Vorliegens solcher Umstände geboten erscheinen lassen. Derartige Bedenken sind in einem Aufforderungsbescheid nachvollziehbar darzulegen (vgl. den hg. Beschluss vom 13. August 2004, Zl. 2004/11/0063, und das Erkenntnis vom 27. Jänner 2005, Zl. 2004/11/0217, je mwN).

Im Erkenntnis vom 18. März 2003, Zl. 2002/11/0230, hat der Verwaltungsgerichtshof die Bedenken der Führerscheinbehörde gegen die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen wegen des Verursachens eines Verkehrsunfalls bestätigt. Diesem Erkenntnis lag allerdings ein Verkehrsunfall auf Grund eines besonders riskanten Überholmanövers zu Grunde, der zu schweren Verletzungen des Lenkers geführt hat. Ein annähernd vergleichbares Verhalten des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde im vorliegenden Beschwerdefall (in dem es überdies nach der Aktenlage lediglich zu einem Sachschaden an dem vom Beschwerdeführer gelenkten Kraftfahrzeug kam) nicht festgestellt. Auch mit dem Hinweis auf die Begründung des Erstbescheides, wonach die vom Kraftfahrzeug des Beschwerdeführers stammenden Schleuderspuren des gegenständlichen Verkehrsunfalls am linken Straßenbankett begonnen hätten, wird ein besonders auffälliges Fahrverhalten des Beschwerdeführers, das die genannten Bedenken der belangten Behörde hervorrufen könnte, nicht dargetan. Im Erstbescheid wurde nämlich in Übereinstimmung mit der Aktenlage (ON 1) auch erwähnt, dass der Beschwerdeführer als Ursache des Unfalls vom 10. März 2003 ein Fremdverschulden angegeben hat, weil er von einem entgegen kommenden Fahrzeug geblendet und zum Auslenken genötigt worden sei. Da die belangte Behörde keine schlüssigen gegenteiligen Feststellungen getroffen hat, durfte sie allein aus dem genannten Verkehrsunfall keine begründeten Bedenken im Sinne des § 24 Abs. 4 FSG ableiten.

Soweit die belangte Behörde ihre Bedenken gegen die gesundheitliche Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen auf die amtsärztlichen Stellungnahmen vom 21. Mai 2003 und vom 17. Juni 2003 (Akt ON 10 und 13) stützt, ist ihr entgegen zu halten, dass die Sachverständige darin nicht dargelegt hat, welche der gesundheitlichen Einschränkungen des Beschwerdeführers schon vor dem Zeitpunkt der Wiedererteilung der Lenkberechtigung bestanden haben, sodass diese Stellungnahmen der Amtsärztin nach dem Gesagten (vgl. abermals das zitierte Erkenntnis Zl. 99/11/0279) nicht geeignet waren, Bedenken im Sinne des § 24 Abs. 4 FSG hervorzurufen. Von beiden Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bleibt im Übrigen unerwähnt, dass sich im Akt (ON 5) überdies ein amtsärztliches Gutachten derselben Amtsärztin gemäß § 8 FSG vom 22. April 2003 befindet, das - nach dem Zeitpunkt des Unfalls vom 10. März 2003 - die gesundheitliche Eignung des Beschwerdeführers (lediglich unter den Auflagen der Verwendung einer Brille und eines Automatikgetriebes) bestätigt, was im diametralen Gegensatz zum angefochtenen Bescheid steht.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über das Kostenbegehren erfolgte im Rahmen des gestellten Antrages und gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 17. Oktober 2006

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