VwGH 2003/03/0164

VwGH2003/03/01643.9.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über den Antrag des AL in O, vertreten durch Mag. Titus Trunez, Rechtsanwalt in 4150 Rohrbach, Stadtplatz 11, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 16. April 2003, Zl. VwSen-108131/20/Sch/Pe, betreffend Übertretungen des Gefahrgutbeförderungsgesetzes, den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Gemäß § 46 VwGG wird dem Antrag stattgegeben.

Begründung

Mit Schriftsatz vom 6. Juni 2003, gerichtet an den Verwaltungsgerichtshof, erhob der Beschwerdeführer gemäß Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG Beschwerde gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 16. April 2003, Zl. VwSen-108131/20/Sch/Pe, betreffend Übertretungen des Gefahrgutbeförderungsgesetzes.

Die Briefsendung wurde am 6. Juni 2003 - vier Tage vor Ablauf der am 10. Juni 2003 endenden sechswöchigen Beschwerdefrist - zur Post gegeben, wobei aber auf dem Kuvert als Empfänger nicht der Verwaltungsgerichtshof, sondern die belangte Behörde aufschien.

Die belangte Behörde leitete die Sendung an den Beschwerdevertreter zurück, bei dem sie am 16. Juni 2003 eintraf. Am selben Tag brachte der Vertreter einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist ein. Dies mit der Begründung, die unrichtige Adressierung auf dem Kuvert sei auf das bisher einmalige Versehen einer Kanzleiangestellten zurückzuführen und stelle ein unvorhergesehenes Ereignis dar. Die Sekretärin werde regelmäßig "überwacht" und die Post werde mit dem von der Kanzleikraft vorgefertigten Kuvert dem Vertreter vorgelegt, der auch immer die richtige Adressierung kontrolliere; dies sei jedoch auf Grund des "Zeitgedränges" unterblieben, sodass der Fehler nicht bemerkt worden sei. Es handle sich daher um ein "Versehen minderen Grades der Kanzleikraft", welches sich der Rechtsvertreter und der Antragsteller als Partei anrechnen lassen müsse.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand einer Partei, die durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Die Wiedereinsetzung ist nach der ständigen hg. Rechtsprechung (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 25. Juni 1996, Zl. 95/17/0605, mwN) auch zu bewilligen, wenn eine Frist durch ein Verhalten von Angestellten des Bevollmächtigten der Partei versäumt wurde, es sei denn, es läge ein Verschulden der Partei vor. Dem Verschulden der Partei selbst ist das Verschulden ihres Vertreters gleichzustellen. Ein Versehen einer Kanzleibediensteten stellt für einen Rechtsanwalt und damit für die von diesem vertretene Partei nur dann ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis dar, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Angestellten hinreichend nachgekommen ist. Zu prüfen ist also, ob ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden des einschreitenden Rechtsanwaltes im Hinblick auf seine Aufsichts- und Kontrollpflichten vorliegt.

Der Verwaltungsgerichtshof geht von dem im Wiedereinsetzungsantrag in sich widerspruchsfrei dargestellten und in den wesentlichen Punkten mit der eidesstättigen Erklärung der Kanzleikraft übereinstimmenden Sachverhalt aus.

In seiner Rechtsprechung hat es der Verwaltungsgerichtshof nicht als zweckmäßige und zumutbare Kontrollmaßnahme angesehen, dass sich der Rechtsanwalt nach Übergabe sämtlicher Schriftstücke an die bisher bewährte Kanzleikraft in jedem Fall noch von der tatsächlichen Durchführung der Expedierung der Sendung überzeugt. Die Überwachungspflicht des Parteienvertreters geht also nicht so weit, jede einzelne einfache Arbeitsverrichtung wie die Kuvertierung und Aufgabe von Postsendungen zu kontrollieren (vgl. zum Ganzen den zitierten hg. Beschluss vom 25. Juni 1996, Zl. 95/17/0605).

Einem manipulativen Vorgang dieser Art ist es gleichzuhalten, wenn der vom Anwalt kontrollierte Schriftsatz den richtigen Adressaten aufweist, jedoch der bislang verlässlichen Kanzleikraft ein Versehen bei der Beschriftung des Kuverts passiert (vgl. den hg. Beschluss vom 27. Juli 1994, Zl. 94/13/0131). Auch in einem solchen Fall liegt dem Rechtsanwalt - unter dem Gesichtspunkt einer rationellen und arbeitsteiligen, die Besorgung abgegrenzter Aufgabenbereiche delegierenden Betriebsführung - keine Verletzung der Sorgfaltspflicht dadurch zur Last, dass er nach Kontrolle des Schriftstückes und seiner Adressierung sich nicht in jedem Fall auch von der richtigen Adressierung auf dem Kuvert, etwa durch nochmalige Vorlage des Schriftsatzes mit dem Kuvert, überzeugt.

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher stattzugeben.

Wien, am 3. September 2003

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