VwGH 99/08/0064

VwGH99/08/00647.8.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der Sozialversicherungsanstalt der Bauern, vertreten durch Dr. Christian Preschitz, Dr. Michael Stögerer, Rechtsanwälte in 1070 Wien, Neubaugasse 3/10, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 16. März 1999, Zl. 120.631/3-7/98, betreffend Unfallversicherungspflicht nach dem BSVG (mitbeteiligte Partei: R in K), zu Recht erkannt:

Normen

BSVG §2 Abs1 Z1;
BSVG §3 Abs1 Z1;
BSVG §3 Abs2;
LAG §5 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) hat der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 1. September 1997 sprach die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt aus, der Mitbeteiligte sei ab 1. Oktober 1978 gemäß § 3 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes (BSVG) in der Unfallversicherung pflichtversichert. Nach der Begründung sei der Mitbeteiligte ab 1. Jänner 1979 Alleineigentümer eines landwirtschaftlichen Betriebes mit 1,9202 ha landwirtschaftlich genutzter Fläche und einem Einheitswert von S 9.000,-- gewesen. Seit 1. Jänner 1991 sei seine Ehefrau Hälfteeigentümerin dieses Betriebes. Nach dem Verkauf einer Teilfläche seien dem Mitbeteiligte und seiner Ehefrau 1,1784 ha mit einem Einheitswert von S 5.000,-- verblieben. Auf dieser Restfläche stünden ca. 45 Obstbäume; das darauf wachsende Gras werde zweimal jährlich gemäht und das Mähgut werde an Landwirte weitergegeben. Das Obst werde vom Mitbeteiligten gepresst und für den Eigenverbrauch verwertet. Diese Nutzung liege auf der Linie einer landwirtschaftlichen Bewirtschaftung.

Dem dagegen erhobenen Einspruch des Mitbeteiligten gab der Landeshauptmann von Burgenland mit Bescheid vom 16. Februar 1998 keine Folge. Nach der Begründung sei der Mitbeteiligte seit 1975 (Allein- bzw. Mit‑)Eigentümer einer landwirtschaftlich genutzten Fläche, deren Einheitswert während des gesamten Zeitraumes über S 2.000,-- betragen habe. Es handle sich bei diesem Grundstück um eine Wiese bzw. eine Grünfläche, die vom Mitbeteiligten zweimal jährlich abgemäht werde; das Mähgut werde an Landwirte verschenkt oder kompostiert. Die rund 45 Obstbäume trügen nicht jährlich Früchte. Gegebenenfalls werde das Obst gepresst und für den Haushalt verwendet bzw. bleibe auch hängen oder verfaule am Boden. Auf Grund dieser Tätigkeiten liege ein landwirtschaftlicher Betrieb vor.

Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Berufung, in der er u.a. vorbrachte, er habe mehr als die Hälfte der Bäume gefällt.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Mitbeteiligten Folge und sprach aus, dieser sei seit dem 1. Oktober 1978 nicht nach § 3 BSVG unfallversichert. Nach geraffter Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und einer Darstellung der Rechtslage stellte die belangte Behörde fest, dass auf dem landwirtschaftlich nutzbaren Grundstück des Mitbeteiligten "ca. zweimal jährlich" Gras gemäht werde; das Mähgut werde an Bauern verschenkt bzw. kompostiert, um eine Verwilderung zu vermeiden. Die rund 45 alten Obstbäume trügen nicht jährlich; anfallendes Obst werde teilweise im eigenen Haushalt verwendet, teilweise verfaule es. In rechtlicher Hinsicht vertrat die belangte Behörde die Auffassung, dass das Mähen des Grases als Schutz vor Verwilderung sowie der geringfügige Verzehr von Früchten keinen landwirtschaftlichen Betrieb darstellten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt, jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.

Der Mitbeteiligte hat eine Gegenschrift erstattet, in der er - erkennbar - die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 3 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 BSVG sind in der Unfallversicherung, soweit es sich um natürliche Personen handelt, diejenigen Personen pflichtversichert, die auf ihre Rechnung und Gefahr einen land(forst)wirtschaftlichen Betrieb im Sinne der Bestimmungen des Landarbeitsgesetzes 1984 (LAG), BGBl. Nr. 287/1984, dessen zuletzt im Sinne des § 25 des Bewertungsgesetzes festgestellter Einheitswert den Betrag von S 2.000,-- erreicht oder übersteigt, führen oder auf deren Rechnung und Gefahr ein solcher Betrieb geführt wird.

Die Bestimmung des Landarbeitsgesetzes, auf die hier verwiesen wird, lautet:

"§ 5. (1) Betriebe der Land- und Forstwirtschaft im Sinne dieses Bundesgesetzes sind Betriebe der land- und forstwirtschaftlichen Produktion und ihre Nebenbetriebe, soweit diese in der Hauptsache die Verarbeitung der eigenen Erzeugnisse zum Gegenstand haben und sich nicht als selbständige, von der Land- und Forstwirtschaft getrennt verwaltete Wirtschaftskörper darstellen, ferner die Hilfsbetriebe, die der Herstellung und Instandhaltung der Betriebsmittel für den land- und forstwirtschaftlichen Hauptbetrieb dienen. In diesem Rahmen zählen zur land- und forstwirtschaftlichen Produktion die Hervorbringung und Gewinnung pflanzlicher Erzeugnisse mit Hilfe der Naturkräfte einschließlich des Wein- und Obstbaues, des Gartenbaues und der Baumschulen, das Halten von Nutztieren zur Zucht, Mästung oder Gewinnung tierischer Erzeugnisse sowie die Jagd und Fischerei."

Voraussetzung für die Versicherungspflicht ist somit die Führung eines land(forst)wirtschaftlichen Betriebes auf eigene Rechnung und Gefahr. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Betrieb der Land- und Forstwirtschaft im Sinne der zuletzt wiedergegebenen Bestimmung dann gegeben, wenn innerhalb einer organisatorischen Einheit eine physische oder juristische Person oder eine Personengemeinschaft allein oder mit Arbeitskräften mit Hilfe von technischen oder immateriellen Mitteln die Erzielung bestimmter Arbeitsergebnisse in der land- und forstwirtschaftlichen Produktion fortgesetzt verfolgt. Das Vorliegen eines Betriebes der Land- und Forstwirtschaft muss auch dann angenommen werden, wenn eine land- und forstwirtschaftliche Tätigkeit im technischen Sinn entwickelt wird, ohne dass hiebei eine Gewinnerzielung beabsichtigt oder möglich ist (vgl. das Erkenntnis vom 18. Dezember 1981, Zl. 2663/79), oder wenn die Tätigkeit bloß als Hobby betrieben wird (vgl. das Erkenntnis vom 20. Februar 2002, Zl. 2001/08/0201, mit weiteren Nachweisen).

Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist unstrittig, dass der Einheitswert der dem Mitbeteiligten jeweils gehörigen Fläche S 2.000,-- überstiegen hat. Strittig ist, ob das Mähen und Kompostieren bzw. Verschenken des Grases einerseits bzw. das Ernten der Obstbäume und die Verwertung des Obstes andererseits landwirtschaftliche Tätigkeiten sind.

Hinsichtlich des Grases liegt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann eine landwirtschaftliche Tätigkeit vor, wenn mit dem gemähten Gras in einer Art verfahren wird, die an sich auf der Linie einer landwirtschaftlichen Bewirtschaftung liegt. Bei einer bloßen Vernichtung des gemähten Grases (zum Beispiel um der Gefahr eines Grasbrandes vorzubeugen), läge keine landwirtschaftliche Bewirtschaftung vor (vgl. das Erkenntnis vom 27. Juni 1980, Zlen. 2869, 2870/78). In Anlehnung an diese Entscheidung hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 30. Jänner 2002, Zl. 96/08/0289, ausgesprochen, dass die Kompostierung des Aufwuchses einer ehemals als Weingarten bewirtschafteten, nicht weiter landwirtschaftlich genutzten Fläche, auf der nach Gewährung einer Stilllegeprämie Begrünungs- und Pflegemaßnahmen durchzuführen waren, nicht auf der Linie einer landwirtschaftlichen Bewirtschaftung liegt (vgl. dazu auch das Erkenntnis vom 4. Oktober 2001, Zl. 97/08/0643, in dem die Verwendung von Sumpfgras als Einstreu als kostengünstige und umweltschonende Entsorgungsmöglichkeit als nicht auf der Linie einer Bewirtschaftung im Sinne des Landarbeitsgesetzes gewertet wurde). Ebenso wenig stellt die (kostenlose) Überlassung des Grases an dritte Personen, gleich wie diese das Gras verwenden, eine landwirtschaftliche Betriebsführung des Schenkers dar (vgl. das Erkenntnis vom 27. Juni 1980, Zlen. 2869, 2870/78)

Vor diesem rechtlichen Hintergrund kann der von der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt in ihrer Beschwerde vertretene Standpunkt, das jährlich zweimalige Mähen, Kompostieren bzw. Verschenken von Gras liege "auf der Linie einer landwirtschaftlichen Bewirtschaftung", nicht geteilt werden, während die gegenteilige Einschätzung der belangten Behörde im Ergebnis der dargestellten Rechtslage entspricht.

Vertritt die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt in der Beschwerde weiter die Ansicht, der durch den Mitbeteiligten betriebene Obstbau begründe einen landwirtschaftlichen Betrieb, ist ihr aus nachgenannten Erwägungen zu folgen:

Reifen Früchte nur fallweise und reicht deren Zahl bzw. Menge gerade aus, um an Ort und Stelle verzehrt zu werden, kann eine landwirtschaftliche Bewirtschaftung nicht angenommen werden (vgl. das Erkenntnis vom 20. Februar 2002, Zl. 96/08/0355, mit einem Hinweis auf das Erkenntnis vom 16. Oktober 1986, Zl. 83/08/0256, in dem für Bäume mit derart geringem Ertrag die Bezeichnung "Naschbäume" verwendet wurde). Ist aber die Grenze zur Geringfügigkeit der geernteten Menge überschritten, entspricht die Menge somit nicht nur dem Ertag von "Naschbäumen", liegt der Obstbau auf der Linie einer landwirtschaftlichen Bewirtschaftung (vgl. das schon zitierte Erkenntnis vom 18. Dezember 1981). Selbst wenn der Obstbau ausschließlich für den Eigenbedarf erfolgt, liegt er, sobald die genannten Mengen überschritten werden, auf der Linie der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung (vgl. das Erkenntnis vom 20. Februar 2002, Zl. 2001/08/0201, in dem der Verwaltungsgerichtshof die "hobbymäßige" Bewirtschaftung von 25 Obstbäumen in diese Richtung beurteilt hat). Auch der Anbau von Johannisbeeren auf einem Grundstück zum Zwecke des Marmeladekochens für den eigenen Bedarf, liegt, wenn der Ertrag das zur Abgrenzung herangezogene Ausmaß überschreitet, auf der Linie der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung (vgl. das Erkenntnis vom 18. Dezember 1981, Zl. 2663/79). Für die Beurteilung als landwirtschaftliche Tätigkeit schadet es auch nicht, wenn die Obstbäume nur jedes zweite Jahr Früchte tragen; kurzfristige Unterbrechungen der üblichen Nutzung ändern nämlich nichts an einer als durchgehend zu beurteilenden landwirtschaftlichen Produktion (vgl. das Erkenntnis vom 30. Jänner 2002, Zl. 96/08/0289).

Die belangte Behörde durfte aber bei dieser Rechtslage auf der Grundlage ihrer Feststellungen, nach denen die 45 alten Obstbäume nicht jährlich trügen und anfallendes Obst teilweise im eigenen Haushalt verwendet wird bzw. teilweise verfault - soweit die Beschwerde bei der Verwertung des "zum Teil" abgeernteten Obstes davon ausgeht, dass dieses gepresst worden sei und daraus Säfte für den eigenen Bedarf erzeugt worden seien und auch zu Mehlspeisen verarbeitet worden sei, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt - nicht den Schluss ziehen, dass die Obstgewinnung "geringfügig" und schon deshalb nicht als landwirtschaftliche Produktion einzustufen sei. Bei 45 Obstbäumen - und selbst dem Vorbringen des Mitbeteiligten in seiner Berufung und der Gegenschrift folgend bei 21 Obstbäumen, die nur alle zwei Jahre trügen - kann - auch bei teilweisem Verfaulen - von einem geringfügigen Ertrag keine Rede sein. Der Mitbeteiligte bestreitet

nicht, dass Obst (offenbar handelt es sich um Äpfel) gepflückt und verwendet wurde. Er behauptet aber auch nicht, dass alle Bäume im selben Jahr von der Obstbrache betroffen seien oder dass die geerntete und nicht verfaulte Menge die geschilderte Geringfügigkeitsgrenze nicht überträfe, weshalb von einem durchschnittlichen Ertrag der Bäume ausgegangen werden kann. Dieser kann aber selbst von etwa 20 Bäumen vom Mitbeteiligten (und seiner Familie) nicht an Ort und Stelle verzehrt werden.

Ist in der Gegenschrift davon die Rede, dass von den verbliebenen Obstbäumen jährlich ein bis zwei Bäume "nicht mehr austreiben und verdorren", kann dieses Vorbringen - abgesehen von seinem Neuerungscharakter - allenfalls für eine Beurteilung der Voraussetzungen in der Zeit nach Erlassung des angefochtenen Bescheides von Bedeutung sein, während der Mitbeteiligte noch in der Gegenschrift von einem Bestand von 21 Obstbäumen ausgeht.

Verweist der Mitbeteiligte in seiner Gegenschrift weiter auf seinen seit 1963 in Deutschland gelegenen Wohnsitz, ist dieser Umstand ohne Belang, weil er einerseits selbst angab, immer wieder seine Liegenschaft besucht zu haben - die beschriebenen Tätigkeiten erfordern keine regelmäßige Anwesenheit auf der Liegenschaft -; andererseits kommt es auf die persönliche Ausführung der Arbeiten durch den Eigentümer des Betriebes nicht an (vgl. das Erkenntnis vom 4. Oktober 2001, Zl. 98/08/0008). Die Durchführung der Arbeiten wurde nicht in Frage gestellt.

Im Ergebnis liegt daher ein Obstbau iSd § 5 Abs. 1 LAG vor, somit ein Betrieb der Landwirtschaft, der vom Mitbeteiligten auf seine Rechnung und Gefahr betrieben wird. Aus dem unbestrittenen Einheitswert des Betriebes von über S 2.000,-- ergibt sich die Unfallversicherungspflicht des Mitbeteiligten.

Da die belangte Behörde die dargestellte Rechtslage verkannte, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 7. August 2002

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