VwGH 93/17/0261

VwGH93/17/026120.9.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Puck, Dr. Höfinger, Dr. Köhler und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Fegerl, über die Beschwerde der J-Gesellschaft m.b.H. in W, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien vom 29. Juni 1993, Zl. MD-VfR - C 6/93 , betreffend Haftung für Getränkesteuer, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
AVG §66 Abs4;
BAO §14 Abs1 lita;
BAO §14 Abs1;
BAO §289 Abs2;
BAO §4 Abs1;
BAO §92;
B-VG Art140 Abs5;
B-VG Art140 Abs7;
B-VG Art18 Abs1;
LAO Wr 1962 §12 Abs1 idF 1992/040;
LAO Wr 1962 §12 Abs1 lita;
LAO Wr 1962 §12 Abs1 Z1 idF 1992/040;
LAO Wr 1962 §12 Abs1;
LAO Wr 1962 §3 Abs1;
LAONov Wr 1992;
VwGG §63 Abs1;
VwRallg;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
BAO §14 Abs1 lita;
BAO §14 Abs1;
BAO §289 Abs2;
BAO §4 Abs1;
BAO §92;
B-VG Art140 Abs5;
B-VG Art140 Abs7;
B-VG Art18 Abs1;
LAO Wr 1962 §12 Abs1 idF 1992/040;
LAO Wr 1962 §12 Abs1 lita;
LAO Wr 1962 §12 Abs1 Z1 idF 1992/040;
LAO Wr 1962 §12 Abs1;
LAO Wr 1962 §3 Abs1;
LAONov Wr 1992;
VwGG §63 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Laut Kaufvertrag vom 18. April 1991 erwarb die beschwerdeführende Gesellschaft von T. einen im Vertrag näher bezeichneten Gastgewerbebetrieb in W., S-straße 13, mit allem rechtlichen und faktischen Zubehör einschließlich des in einer Beilage aufgelisteten Inventars und aller zugehörigen Mietrechte um den Kaufpreis von S 700.000,--. Als Zeitpunkt des Besitzübergangs ergibt sich aus dem Vertrag der Tag der Vertragsunterzeichnung, also der 18. April 1991. 1.2. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 29. Juni 1993 wurde die Beschwerdeführerin in Abweisung ihrer Berufung gegen den erstinstanzlichen Haftungsbescheid vom 5. April 1993 "auf Grund des § 12 Abs. 1 und §§ 2 und 5 der Wiener Abgabenordnung - WAO, LGBl. für Wien Nr. 21/1962, in der Fassung LGBl. für Wien Nr. 21/1988, als Haftpflichtige zur Zahlung der für die Zeit vom 1. Jänner 1990 bis 18. April 1991 im Betrieb in W., S-straße 13 entstandenen Getränkesteuerschuld des Vorgängers T. im Betrage von S 37.435,10 herangezogen" und zur Entrichtung dieses Betrages aufgefordert.

In der Entscheidungsbegründung führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, daß die Aufhebung der Bestimmung des § 12 Abs. 1 WAO durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 4. Oktober 1991, G 210/91, in diesem Verfahren ohne Bedeutung sei, da der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen habe, daß die Aufhebung mit Ablauf des 30. September 1992 in Kraft trete. Vor dem Hintergrund des in der weiteren Begründung teilweise wiedergegebenen - zu § 14 Abs. 1 lit. a BAO ergangenen - Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Oktober 1981, Zl. 81/13/0081, stehe fest, daß der Gastgewerbebetrieb in W., S-straße 13, an die Beschwerdeführerin im ganzen übereignet worden sei. Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 22. April 1986, Zl. 85/14/0165, festgestellt habe, seien bei einem Gastgewerbebetrieb das zur Verfügung gestellte Lokal und die Geschäftseinrichtung die tragende Unternehmensgrundlage. Beides sei der Beschwerdeführerin durch den Vertrag vom 18. April 1991 übereignet worden. Der Versuch der Beschwerdeführerin, diesen Vertrag als "Scheingeschäft" zur Deckung einer Ablöseforderung darzustellen, sei wenig überzeugend, weil eine Ablöserückforderung auf diesem Weg nicht vermieden werden könne. Die Nichtübernahme des Personals und des Bierbezugsvertrages seien für eine Übereignung im ganzen ebensowenig entscheidungswesentlich wie die Zurücklegung der Gewerbeberechtigung des Verkäufers. Im Hinblick darauf, daß der Steuerrückstand beim Primärschuldner nicht rasch eingebracht werden könne, entspreche die Geltendmachung der Haftung den Ermessensrichtlinien der Zweckmäßigkeit und Billigkeit.

1.3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Die beschwerdeführende Partei erachtet sich in ihrem Recht verletzt, "ohne gesetzliche Grundlage nicht zur Zahlung einer fremden Abgabenschuld herangezogen" zu werden.

1.4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1.1. Wird ein Unternehmen oder ein im Rahmen eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im ganzen übereignet, so haftet der Erwerber nach dem ersten Haftungstatbestand des § 12 Abs. 1 WAO in der Fassung vor und nach der Novelle LGBl. Nr. 40/1992 für Abgaben, bei denen die Abgabepflicht sich auf den Betrieb des Unternehmens gründet, soweit die Abgaben auf die Zeit seit dem Beginn des letzten, vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres entfallen.

Was die Frage des Betriebsüberganges dem Grunde nach anlangt, so wird in der Beschwerde geltend gemacht, bei ordnungsgemäßer Ermittlung des Sachverhaltes hätte dieser nicht unter den Begriff der Betriebsübernahme subsumiert werden können. Die Beschwerdeführerin habe im Abgabenverfahren behauptet, der Kaufvertrag über das Unternehmen sei ein Scheinvertrag gewesen. Die Begründung des angefochtenen Bescheides, warum dies nicht der Fall sei, sei mangelhaft.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 12. Dezember 1988, Slg. N.F. Nr. 6369/F, zum vergleichbaren Haftungstatbestand des § 14 Abs. 1 lit. a BAO ausgeführt hat, dient diese dem Zweck, die im Unternehmen (Betrieb) als solchem liegende Sicherung für die auf den Betrieb sich gründenden Abgabenschulden durch den Übergang des Unternehmens (Betriebes) in andere Hände nicht verlorengehen zu lassen. Die Haftung knüpfe dabei an die Übereignung eines Unternehmens (oder eines im Rahmen eines Unternehmens gesondert geführten Betriebes) im ganzen, also an den Übergang eines lebenden (lebensfähigen) Unternehmens bzw. Betriebes an; dabei müßten nicht alle zum Unternehmen (Betrieb) gehörigen Wirtschaftsgüter übereignet werden, sondern nur jene, welche die wesentliche Grundlage des Unternehmens (Betriebes) bildeten und den Erwerber in die Lage versetzten, das Unternehmen fortzuführen. Die Frage, welche Wirtschaftsgüter die wesentliche Grundlage des Unternehmens (Betriebes) bildeten, sei in funktionaler Betrachtungsweise nach dem jeweiligen Unternehmens- bzw. Betriebstypus (z.B. ortsgebundene Tätigkeit, kundengebundene Tätigkeit, Produktionsunternehmen usw.) zu beantworten (Hinweise auf die hg. Erkenntnisse vom 3. Oktober 1984, Zl. 83/13/0042, und vom 22. April 1986, Zl. 85/14/0165).

Bei Gastronomieunternehmen, wie Kaffeehäusern, Hotels und Konditoreien, zählen das Grundstück, das Gebäude und die Einrichtung, nicht jedoch das Warenlager und das Personal zu den wesentlichen Grundlagen des Unternehmens (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 20. November 1990, Zl. 90/14/0122, vom 11. Dezember 1992, Zl. 89/17/0259, vom 29. April 1992, Zl. 91/17/0023, und vom 27. September 1994, Zl. 93/17/0066). Hinsichtlich der tragenden Unternehmensgrundlagen Lokal und Geschäftseinrichtung hat der Gerichtshof ausgeführt, daß der Erwerber in der Lage sein müsse, in den vorhandenen Betriebsräumen ohne wesentliche Unterbrechung einen dem vorangegangenen gleichwertigen Gewerbebetrieb fortzuführen (hg. Erkenntnisse vom 22. April 1986, Zl. 85/14/0165, und vom 27. September 1994, Zl. 93/17/0066).

2.1.2. Die beschwerdeführende Partei hat im Abgabenverfahren bestritten, den Gewerbebetrieb des Primärschuldners erworben zu haben, vielmehr sei es ihr ausschließlich um die Erlangung der Mietrechte am Gastgewerbelokal gegangen. Feststellungen darüber, welche Betriebsgegenstände der Primärschuldner der beschwerdeführenden Partei nun tatsächlich übereignet hat - woraus der Schluß gezogen hätte werden können, die Beschwerdeführerin habe ein lebendes (lebensfähiges) Unternehmen (hier: einen lebenden Gastgewerbebetrieb) erworben - wurden im angefochtenen Bescheid jedoch nicht getroffen. Auch wurde nicht festgestellt, ob die strittige Übertragung die wesentlichen Unternehmensgrundlagen zum Gegenstand hatte und in diesem Zeitpunkt noch ein lebendes (zumindest ein ohne wesentliche Unterbrechung reaktivierbares) Unternehmen vorhanden gewesen ist. Vielmehr ist die belangte Behörde von der unzutreffenden Rechtsauffassung ausgegangen, es komme bei der Beurteilung eines Erwerbsvorganges als Übereignung eines Unternehmens im ganzen im Sinne des § 12 Abs. 1 WAO ausschließlich auf die Beurteilung des der Übertragung zugrundegelegten Vertrages an. Aus diesem Grund hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig gelassen, wenn sie gemeint hat, sich ausschließlich mit der Einwendung der Beschwerdeführerin, der Vertrag sei ein Scheinvertrag, auseinandersetzen zu müssen, und ihren Bescheid sodann nur auf den Inhalt des Vertrages stützen zu können.

Die belangte Behörde hat dadurch den angefochtenen Bescheid, soweit es um die Haftungsinanspruchnahme dem Grunde nach geht, mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.

2.2.1. § 12 Abs. 1 WAO in der Fassung LGBl. Nr. 40/1992 (Art. I Z. 4) lautet:

"§ 12. (1) Wird ein Unternehmen oder ein im Rahmen eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im ganzen übereignet, so haftet der Erwerber

  1. 1. für Abgaben, bei denen die Abgabepflicht sich auf den Betrieb des Unternehmens gründet, soweit die Abgaben auf die Zeit seit dem Beginn des letzten, vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres entfallen;
  2. 2. für Steuerabzugsbeträge, die seit dem Beginn des letzten, vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres abzuführen waren,

    mit folgenden Einschränkungen:

    Der Erwerber haftet für die Abgabenrückstände jedes Kalenderjahres bis zu 110 vH des Steuerbetrages, der im zweitvorangegangenen Kalenderjahr im erworbenen Betrieb angefallen ist; hat der Betrieb nicht das ganze Vergleichsjahr bestanden, so ist der im Vergleichsjahr angefallene Steuerbetrag auf ein ganzes Jahr hochzurechnen, hat er überhaupt nicht bestanden, so ist ein vergleichbarer Betrieb heranzuziehen."

Diese Bestimmung des Art. I Z. 4 der Novelle LGBl. für Wien Nr. 40/1992, ausgegeben am 16. September 1992, ist gemäß § 5 Abs. 1 des Gesetzes über das Gesetzblatt der Stadt Wien, LGBl. Nr. 1/1945, mangels einer ausdrücklich anders lautenden Regelung am 17. September 1992 in Kraft getreten.

Die Neufassung des § 12 Abs. 1 WAO durch LGBl. Nr. 40/1992 unterscheidet sich von der Stammfassung durch die Bezeichnung der litera a) und b) als Ziffern 1. und 2. sowie durch die Anfügung der Einschränkungen des letzten Satzes. Die Stammfassung des § 12 Abs. 1 lit. a WAO wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 4. Oktober 1991, G 210/91, Slg. Nr. 12.844, als verfassungswidrig aufgehoben, weil eine unüberschaubare - im Ergebnis unbeschränkte - Haftung in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise dem Erwerber eines Unternehmens (Betriebes) das Risiko des Bestandes offener Abgabenschulden aufbürdet.

Mit Erkenntnis vom 20. Juni 1991, G 3, 127, 173/91, Slg. Nr. 12.764, hatte der Verfassungsgerichtshof bereits die - dem § 12 WAO wörtlich entsprechende - Bestimmung des § 14 BAO als verfassungswidrig aufgehoben.

Im zitierten Erkenntnis vom 4. Oktober 1991, Slg. Nr. 12.844, sprach der Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 140 Abs. 5 B-VG aus, daß die Aufhebung des § 12 Abs. 1 lit. a WAO mit Ablauf des 30. September 1992 in Kraft tritt. Gemäß Art. 140 Abs. 7 letzter Satz B-VG bedeutete dieser Ausspruch zunächst, daß die aufgehobene Gesetzesbestimmung - abgesehen von der im gegenständlichen Fall nicht relevanten Ausnahme des Anlaßfalles - auf alle bis zum Ablauf des 30. September 1992 verwirklichten Tatbestände anzuwenden war. Der Landesgesetzgeber ließ nun diese vom VfGH gesetzte Frist für das Außerkrafttreten des § 12 Abs. 1 lit. a WAO in der Stammfassung nicht zur Gänze verstreichen, bevor er die novellierte Fassung dieser Bestimmung in Kraft setzte, sondern ließ die Novelle schon am 17. September 1992 in Kraft treten. Da die Frist nach Art. 140 Abs. 5 B-VG einen nahtlosen Übergang zu einer allfälligen Neuregelung gewährleisten soll (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Dezember 1985, Slg. Nr. 10.731), bestehen zum einen keine Bedenken gegen die Vorgangsweise des Wiener Landesgesetzgebers und ist zum anderen Art. 140 Abs. 7 letzter Satz B-VG so zu verstehen, daß er die Möglichkeit der Erlassung einer neuen Regelung im Gegenstand vor Ablauf der gesetzten Frist nicht ausschließt und im Falle einer solchen Derogation der Gesetzesbestimmung, für deren Außerkrafttreten der VfGH eine Frist bestimmt hat, nur alle jene Tatbestände erfaßt, die sich vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neufassung verwirklicht haben. § 12 Abs. 1 lit. a WAO alte Fassung war somit lediglich auf die bis zum Ablauf des 16. September 1992 verwirklichten Tatbestände anzuwenden.

2.2.2. Die beschwerdeführende Partei bringt unter anderem vor, die belangte Behörde hätte im gegenständlichen Fall bereits § 12 Abs. 1 WAO in der Fassung LGBl. Nr. 40/1992 anzuwenden gehabt und folglich Erhebungen hinsichtlich einer Überschreitung der in dieser Norm vorgesehenen Haftungsgrenzen durchführen müssen. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerdeführerin zutreffend eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf:

2.2.3. Wie der Verwaltungsgerichthof in seinem Erkenntnis vom 23. Oktober 1986, Zl. 85/08/0140, Slg. NF. Nr. 12.280/A, dargelegt hat, handelt es sich bei der Frage, welches Recht von der Behörde anzuwenden ist, um eine Auslegungsfrage jener Bestimmungen, die den zeitlichen Geltungsbereich zum Gegenstand haben. Eine solche Regelung kann explizit, z.B. in einer Übergangsbestimmung, erfolgen. Sie kann sich aber auch aus dem Regelungstatbestand der Norm, um deren Anwendung es geht, implizit ergeben, etwa wenn auf einen bestimmten Zeitpunkt oder einen bestimmten Zeitraum abgestellt wird. Ergibt sich hieraus keine Lösung (im Sinne der Anwendung einer im Entscheidungszeitpunkt der Behörde nicht mehr in Geltung stehenden Rechtsnorm), gilt die Zweifelsregel, daß das im Entscheidungszeitpunkt in Geltung stehende Recht anzuwenden ist. In dem zitierten Erkenntnis vom 23. Oktober 1986 nimmt der Verwaltungsgerichtshof Bezug auf das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 4. Mai 1977, Slg. NF. Nr. 9315/A, in dem der Verwaltungsgerichtshof in ähnlicher Weise ausgeführt hat, daß die Rechtsmittelbehörde im allgemeinen das im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides geltende Recht anzuwenden habe; eine andere Betrachtungsweise sei dann geboten, wenn etwa der Gesetzgeber in einer Übergangsbestimmung zum Ausdruck bringe, daß auf anhängige Verfahren noch das bisher geltende Recht anzuwenden sei, oder wenn darüber abzusprechen sei, was an einem bestimmten Stichtag oder in einem konkreten Zeitraum Rechtens gewesen sei.

Enthalten materiell-rechtliche Steuergesetze keine besondere Anordnung über ihren zeitlichen Anwendungsbereich (zeitlichen Rechtsbedingungsbereich), ist bei Erlassung von Steuerbescheiden grundsätzlich jene Rechtslage maßgebend, unter deren zeitlicher Geltung der Abgabentatbestand verwirklicht wurde, mit anderen Worten jene Rechtslage, die in dem Zeitraum gilt oder gegolten hat, in welchem sich der abgabenrechtlich relevante Sachverhalt verwirklicht hat. Nach diesem sogenannten Grundsatz der Zeitbezogenheit der Abgaben (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 12. November 1981, Zl. 16/3706/80, vom 20. Mai 1988, Zl. 86/17/0178, vom 30. Oktober 1991, Zl. 86/17/0149, vom 26. Mai 1995, Zl. 95/17/0067, vom 15. September 1995, Zl. 95/17/0106 und vom 26. Jänner 1996, Zl. 95/17/0484) ist also die im Zeitpunkt (Zeitraum) der Entstehung des Abgabenanspruches geltende Rechtslage heranzuziehen. Es liegt damit einer jener Fälle vor, deren der Verwaltungsgerichtshof in dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 4. Mai 1977, Slg. NF Nr. 9315/A, gedacht hat, wenn er ausführte, eine "andere Betrachtungsweise" (nämlich eine andere als das Abstellen auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Bescheiderlassung) werde "auch dann Platz zu greifen haben, wenn darüber abzusprechen ist, was an einem bestimmten Stichtag oder in einem konkreten Zeitraum Rechtens war". Der sogenannte Grundsatz der Zeitbezogenheit der Abgaben stellt eine solche aus der Systematik der Abgabengesetze gewonnene rechtliche Regel dar.

2.2.4. Wie der Verwaltungsgerichtshof in dem zu § 14 BAO ergangenen Erkenntnis vom 19. September 1995, Zl. 95/14/0038, ausgeführt hat, verbiete sich allerdings eine derartige (auf den Zeitpunkt der Entstehung des Abgabenanspruches bezogene) Betrachtungsweise, was die Frage der anzuwendenden Rechtslage anlangt, bei der Beurteilung einer Haftungsinanspruchnahme:

Nach diesem Erkenntnis sei gemäß § 280 iVm § 289 BAO in sachverhaltsmäßiger Hinsicht auf alle Umstände Bedacht zu nehmen, die sich bis zur Erlassung der Berufungsentscheidung ereigneten. Dies könne beispielsweise Umstände betreffen, die im Bereich der Ermessensübung zu berücksichtigen seien, oder etwa auch die mittlerweile eingetretene Tilgung der Abgabenschuld durch den Primärschuldner. Auf diesen Sachverhalt sei aber - da die Auslegung des § 14 BAO in der Fassung BGBl. Nr. 448/1992 nichts Gegenteiliges ergebe - entsprechend dem im Erkenntnis Slg. NF. Nr. 9315/A zum Ausdruck gebrachten Grundsatz das im Zeitpunkt der Erlassung der Berufungsentscheidung geltende Recht anzuwenden. Mit dem angefochtenen Bescheid werde nämlich nicht darüber abgesprochen, ob die Haftung des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Betriebsübergabe bestanden habe, sondern eine derartige Haftung für den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides ausgesprochen. Die Betriebsübergabe stelle lediglich einen Teil des gegebenen Sachverhaltes dar, der von der belangten Behörde in der Richtung hätte beurteilt werden müssen, ob er zusammen mit den weiteren Sachverhaltselementen nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung zur Verwirklichung des Haftungstatbestandes führe.

Der Verwaltungsgerichtshof gelangt auch im vorliegenden, die vergleichbare Rechtslage nach § 12 WAO betreffenden Beschwerdefall zum selben Ergebnis. Von Bedeutung erscheint dem Verwaltungsgerichtshof dabei im besonderen die Erwägung, daß dem Wiener Landesgesetzgeber bei Erlassung der WAO-Novelle LGBl. Nr. 40/1992, die hinsichtlich der Novellierung des § 12 WAO keine Übergangsbestimmung enthält, zugesonnen werden kann und muß, er habe damit eine Regelung treffen wollen, die in möglichst umfassender Weise dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes Slg. Nr. 12.844/1991 Rechnung trägt. Vor dem Hintergrund dieser dem Gesetzgeber zusinnbaren Zielsetzung ist die WAO-Novelle dahin auszulegen, daß die neue Haftungsregelung nach § 12 WAO alle jene Fälle erfaßt, in denen die Haftungsinanspruchnahme nach Inkrafttreten der Novelle erfolgt, gleichgültig ob der Abgabenbemessungszeitraum und/oder der haftungsbegründende Betriebsübergang vor oder nach diesem Zeitpunkt liegt, zumal im Beschwerdeverfahren Regelungen über den haftungsbegründenden Betriebsübergang bereits vor der Gesetzesänderung dem Rechtsbestand angehört haben.

2.2.5. In Verkennung der Rechtslage hat es die belangte Behörde unterlassen, in sachverhaltsmäßiger Hinsicht zu prüfen, ob im gegenständlichen Fall die Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 letzter Satz WAO in der Fassung LGBl. Nr. 40/1992 erfüllt sind. Auch aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

2.3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I Z. 1 und Art. III Abs. 2 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

2.4. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 48/1965, hingewiesen.

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