VwGH 88/01/0176

VwGH88/01/017623.11.1988

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Hoffmann, Dr. Herberth, Dr. Kremla und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hadaier, über die Beschwerde der Personalvertretung (Betriebsrat) des aö Krankenhauses der Stadt X, vertreten durch den Betriebsratsobmann EP in X, dieser vertreten durch Dr. Raimund Gehart, Rechtsanwalt in Wien I, Opernring 23, gegen den Bescheid des Bundeseinigungsamtes beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales vom 10. Mai 1988, Zl. 64/BEA/1988-2, betreffend Verfahrensaussetzung (mitbeteiligte Partei:

Stadtgemeinde X, vertreten durch den Bürgermeister, dieser vertreten durch Dr. Erich Pexider, Rechtsanwalt in Zwettl, Neuer Markt 11), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §38;
AVG §58 Abs2;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1988:1988010176.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 9.630,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Hinsichtlich der Vorgeschichte wird auf das hg. Vorerkenntnis vom 27. Jänner 1988, Zl. 85/01/0162, verwiesen, womit der Bescheid des Einigungsamtes Gmünd vom 21. März 1985 (Vorbescheid) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben wurde. Mit dem Vorbescheid hatte das Einigungsamt Gmünd der von der nunmehrigen Beschwerdeführerin vorgenommenen Anfechtung der Kündigung des Dienstnehmers Primarius Dr. UN durch die mitbeteiligte Partei stattgegeben.

Der Verwaltungsgerichtshof führte im Vorerkenntnis insbesondere aus, daß es Aufgabe des Einigungsamtes gewesen wäre, die dem Strafverfahren 10 EVr 501/76 des Kreisgerichtes Krems/Donau, der dazu ergangenen Berufungsentscheidung des Oberlandesgerichtes Wien Zl. 12 Bs 380/77 und der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zu 9 Os 77/78 zu Grunde liegenden Fakten vor dem Hintergrund der maßgeblichen Vorschriften des Niederösterreichischen Gemeinde-Vertragsbedienstetengesetzes 1976 zu beurteilen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde durch die belangte Behörde gemäß § 38 AVG das Verfahren bis zur Rechtskraft "der gerichtlichen Entscheidung über das Vorliegen eines Kündigungsgrundes im Sinne des § 37 des Niederösterreichischen Gemeinde-Vertragsbedienstetengesetzes 1976 ausgesetzt".

Die belangte Behörde gründete ihren Bescheid rechtlich darauf, daß "bei den Gerichten" bereits Rechtsstreitigkeiten über die Zahlung des Entgeltes aus dem - nach Meinung der Beschwerdeführerin noch aufrechten - Arbeitsverhältnis zwischen Dr. UN und der Stadtgemeinde X anhängig seien, sodaß über das Vorliegen eines Kündigungsgrundes nach dem Niederösterreichischen Gemeinde-Vertragsbedienstetengesetz von den Gerichten jedenfalls entschieden werden müsse. Sie hielt daher die Unterbrechung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung "über die bereits anhängig gemachten Verfahren über die Entgeltsansprüche des Primarius Dr. UN für zweckmäßig".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Die Beschwerdeführerin erachtet sich - aus dem Beschwerdeinhalt erkennbar - in ihrem Recht auf richtige Anwendung des § 38 AVG 1950 verletzt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sie und die mitbeteiligte Partei erstatteten Gegenschriften, in denen die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 38 AVG 1950 bestimmt:

"Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und die Beurteilung ihrem Bescheide zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird."

Die Beschwerdeführerin wendet sich in erster Linie dagegen, daß die belangte Behörde gerichtsanhängige Entgeltsprozesse, in denen die Frage einer wirksamen Kündigung bzw. eines aufrechten Dienstverhältnisses des Primarius Dr. UN selbst wieder nur als Vorfrage zu behandeln ist, zum Anlaß des vorliegenden Unterbrechungsbeschlusses genommen hat.

Damit ist die Beschwerde im Recht. Unter Vorfrage im hier relevanten verfahrensrechtlichen Sinn versteht man eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden ist (vgl. Walter-Mayer, Grundriß des Österreichischen Verwaltungsverfahrensrechtes4 Rz 306 unter Bezugnahme auf das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 1981, Zl. 2878/79, Slg. N.F. Nr. 10.383/A, sowie die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts3 unter ENr. 2b bis 3 referierte hg. Judikatur). Der Umstand, daß es sich bei der in Rede stehenden Frage um eine solche handeln muß, über die von den anderen Behörden als Hauptfrage zu entscheiden ist, ergibt sich daraus, daß der besondere prozeßökonomische Sinn der Vorschrift des § 38 AVG 1950 nur dann erreicht werden kann, wenn die andere Entscheidung, deren Ergehen abgewartet wird, in der Folge die Behörde bindet (vgl. Walter-Mayer, a.a.O., Rz. 309). Eine solche Bindungswirkung entfaltet aber immer nur eine Entscheidung über eine Hauptfrage.

Dies hat die belangte Behörde bei ihrem Aussetzungsbescheid außer acht gelassen und diesen dadurch mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, was nach § 42 Abs. 1 Z. 1 VwGG zu seiner Aufhebung führen mußte. Nicht unerwähnt soll in diesem Zusammenhang auch bleiben, daß die belangte Behörde in ihrem Bescheid nicht präzise zum Ausdruck gebracht hat, bis zur Rechtskraft welcher gerichtlichen Entscheidung in welchem konkreten Verfahren sie die verfügte Unterbrechung vorgenommen hat. Der angefochtene Bescheid verstößt insofern gegen das Gebot der Bestimmtheit (vgl. Walter-Mayer, a.a.O., Rz. 412 und die dort zitierte Judikatur und Lehre).

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 23. November 1988

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