VwGH 85/01/0162

VwGH85/01/016227.1.1988

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Hoffmann, Dr. Herberth, Dr. Kremla und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hadaier, über die Beschwerde der Stadtgemeinde X, vertreten durch Dr. Erich Pexider, Rechtsanwalt in Zwettl, Neuer Markt 11, gegen den Bescheid des Einigungsamtes Gmünd vom 21. März 1985, Zl. Re 4/76-114, betreffend Kündigungsanfechtung (mitbeteiligte Partei: Personalvertretung-Betriebsrat des aö Krankenhauses der Stadt X, vertreten durch Dr. Raimund Gehart, Rechtsanwalt in Wien I, Opernring 23), zu Recht erkannt:

Normen

ArbVG §105 Abs1;
ArbVG §105 Abs2;
ArbVG §105 Abs3 Z2 lita;
ArbVG §105 Abs3 Z2;
ArbVG §105 Abs4;
BDG 1979 §91 impl;
GdVBG NÖ 1976 §37 Abs2 lita;
GdVBG NÖ 1976 §37 Abs2 litf;
GdVBG NÖ 1976 §4 Abs1 Satz1;
GdVBG NÖ 1976 §4 Abs1 Satz2;
GdVBG NÖ 1976 §4 Abs1;
VwGG §28 Abs1 Z4;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 lita;
VwGG §42 Abs2 Z1 impl;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1988:1985010162.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 8.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Anfechtung der Kündigung des Dienstnehmers Primarius Dr. UN der jetzt beschwerdeführenden Stadtgemeinde durch den mitbeteiligten Betriebsrat statt. Sie ging dabei im wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:

Der Vertreter der Stadtgemeinde X habe dem Betriebsrat am 30. März 1976 die beabsichtigte Kündigung des Primararztes Dr. N mitgeteilt. Am 31. März 1976 sei vom Betriebsrat um eine Beratung im Sinne des § 105 Abs. 2 ArbVG ersucht worden und habe diese am 3. April 1976 stattgefunden. Am Schluß dieser Beratung habe der Betriebsratsobmann Dr. K erklärt, daß der Betriebsrat gegen die beabsichtigte Kündigung Widerspruch erhebe. Die Kündigung sei mit Schreiben vom 29. April 1976 ausgesprochen worden.

Der Betriebsrat habe bereits am 21. November 1975 den Beschluß gefaßt gehabt, "bei Entlassungen (gemeint gewesen seien Kündigungen und Entlassungen) eine Stellungnahme abzugeben, damit der Gekündigte eine Chance beim Einigungsamt erhalte". Am 12. März 1976 sei vom Betriebsrat beschlossen worden "einer Kündigung des Dr. N nicht zuzustimmen"; am 2. April 1976 sei beschlossen worden, den Beschluß vom 12. März 1976 aufrecht zu erhalten.

Daraus folgerte die belangte Behörde, daß der Betriebsratsobmann zum Widerspruch und damit der Betriebsrat zur Anfechtung der Kündigung legitimiert gewesen seien.

In der Sache stellte die belangte Behörde zum einen fest, daß Primarius Dr. N die folgenden, ihm von der Stadtgemeinde X zum Vorwurf gemachten Äußerungen gegenüber Patientinnen bzw. im Zusammenhang mit solchen getätigt habe:

Zu MS: "Haben Sie Busensausen?";

Zu CH: "Hätten Sie nicht so viel gefressen, wären Sie nicht

so dick"; "Euch Waldviertlern wird eine Schüssel mit Knödeln auf

den Tisch gestellt, darum seid Ihr so dick";

Zur Patientin R: "Walroß";

Zur Patientin H: "Kann von ihrem Balg drei Monate leben";

Zum Gatten der Patientin P: "Scheißen Sie auf die Leute";

Zur Patientin L: "Atmen Sie wie ein Hund".

Zum anderen stellte die belangte Behörde fest, daß Dr. N mit Urteil des Kreisgerichtes Krems/Donau vom 25. März 1977 zu 10 eVr 501/76 betreffend ein am 8. April 1976 in den Nachrichten erschienenes Interview wegen des Vergehens der üblen Nachrede gemäß §§ 111 und 117 Abs. 2 StGB gegenüber dem Gesundheitsstadtrat der Gemeinde X ET verurteilt worden, mit Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 8. November 1977 zu 12 Bs 380/77, hingegen freigesprochen worden sei; der Oberste Gerichtshof habe aber am 5. Dezember 1978 zu 9 Os 77/78 einer von der Generalprokuratur begründet erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes stattgegeben.

Rechtlich qualifizierte die belangte Behörde die oben dargestellten Äußerungen des Primarius Dr. N zwar als gewisse Taktlosigkeiten, jedoch nur als vereinzelte Entgleisungen, die weder dem Ansehen noch den Interessen des Dienstes abträglich gewesen seien; eine Verurteilung des Primarius Dr. N wegen Amtsehrenbeleidigung des Stadtrates T hätte nach Ansicht der belangten Behörde zwar "vermutlich zur Stattgebung der Kündigung führen müssen", jedoch wertete sie den Freispruch als relevant und führte aus, daß die begründete Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes daran nichts geändert habe. Außerdem erachtete die belangte Behörde die Kündigung als sozial ungerechtfertigt, weil Primarius Dr. N seine Bezüge als Abteilungsleiter samt Privatgebühren verlöre und ein neues Primariat nicht mehr finden könne. Der Beweis, daß betriebliche Interessen des Krankenhauses X nachteilig berührt seien, sei der Stadtgemeinde X nicht gelungen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die beschwerdeführende Stadtgemeinde erachtet sich, "insofern in ihrem Recht verletzt, als trotz des Vorliegens aller Voraussetzungen für die am 12. April 1976 ausgesprochene Kündigung gemäß § 36 Abs. 2 lit. f des Niederösterreichischen Gemeinde-Vertragsbedienstetengesetzes 1969 bzw. nunmehr § 37 Abs. 2 lit. f des Niederösterreichischen Gemeinde-Vertragsbedienstetengesetzes 1976 der von der Personalvertretung (Betriebsrat) erhobenen Anfechtung dieser Kündigung stattgegeben wurde".

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sie und die mitbeteiligte Partei erstatteten Gegenschriften, in denen eine Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 105 Arbeitsverfassungsgesetz hat auszugsweise folgenden, für die vorliegende Beschwerdesache relevanten Wortlaut:

"(1) Der Betriebsinhaber hat vor jeder Kündigung eines Arbeitnehmers den Betriebsrat zu verständigen, der innerhalb von 5 Arbeitstagen hiezu Stellung nehmen kann.

(2) Der Betriebsinhaber hat auf Verlangen des Betriebsrates mit diesem innerhalb der Frist zur Stellungnahme über die Kündigung zu beraten ...

(3) Hat der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung innerhalb der in Abs. 1 genannten Frist nicht ausdrücklich zugestimmt, so kann diese beim Einigungsamt angefochten werden, wenn ……..

Z 2. Die Kündigung sozial ungerechtfertigt und der gekündigte Arbeitnehmer bereits sechs Monate im Betrieb oder Unternehmen, dem der Betrieb angehört, beschäftigt ist. Sozial ungerechtfertigt ist eine Kündigung, die wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt, es sei denn, der Betriebsinhaber erbringt den Nachweis, daß die Kündigung

a) durch Umstände die in der Person des Arbeitnehmers gelegen sind und die betrieblichen Interessen nachteilig berühren oder

b) durch betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegenstehen, begründet ist ……

(4) Der Betriebsinhaber hat den Betriebsrat vom Ausspruch der Kündigung zu verständigen. Der Betriebsrat kann auf

Verlangen des gekündigten Arbeitnehmers binnen einer Woche nach Verständigung vom Ausspruch der Kündigung diese beim Einigungsamt anfechten, wenn er der Kündigungsabsicht ausdrücklich widersprochen hat ...."

Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Niederösterreichischen Gemeinde-Vertragsbedienstetengesetzes 1976 ist der Vertragsbedienstete verpflichtet, die ihm übertragenen Arbeiten und Verrichtungen fleißig und gewissenhaft nach bestem Wissen und Können zu vollziehen. Er hat seinem Vorgesetzten und Mitbediensteten mit Achtung zu begegnen, die dienstlichen Anordnungen der Vorgesetzten zu befolgen, sich sowohl im Dienste wie außerhalb des Dienstes seiner Stellung angemessen und ehrenhaft zu betragen.

Gemäß § 37 Abs. 2 lit. a und f leg. cit. liegt ein Kündigungsgrund u.a. insbesondere vor: a) wenn der Vertragsbedienstete seine Dienstpflicht gröblich verletzt, sofern

nicht die Entlassung in Frage kommt; ... f) wenn sich erweist, daß

das gegenwärtige oder frühere Verhalten des Vertragsbediensteten dem Ansehen oder den Interessen des Dienstes abträglich ist, sofern nicht die Entlassung in Frage kommt; ...

Die Beschwerde führt u.a. ins Treffen, daß schon vor dem Einigungsamt das Vorliegen der Voraussetzung des Anfechtungsrechtes des Betriebsrates gemäß § 105 ff Arbeitsverfassungsgesetz bestritten worden sei und macht in diesem Zusammenhang insbesondere geltend, daß ungeachtet des Wortlautes des Beschlusses des Betriebsrates vom 12. März 1976, der Kündigung des Primarius Dr. N nicht zuzustimmen, der Betriebsratsobmann gegen die Kündigung einen ausdrücklichen Widerspruch erhoben habe. Es liege daher nur ein sogenannter schlichter Widerspruch vor und sei deshalb der Betriebsrat zur Anfechtung der Kündigung nicht legitimiert gewesen.

Diesem Einwand kann nicht nähergetreten werden, weil sich die Beschwerdeführerin in der gemäß § 28 Abs. 1 Z. 4 VwGG vorgenommenen Bezeichnung des Beschwerdepunktes ausdrücklich darauf beschränkt hat, eine Verletzung ihres subjektiven Rechtes auf Kündigung des Dienstnehmers Primarius Dr. N gemäß den Bestimmungen der §§ 36 Abs. 2 lit. f bzw. 37 Abs. 2 lit. f Niederösterreichisches Gemeinde-Vertragsbedienstetengesetz 1969 bzw. 1976 zu behaupten. Sie hat damit den Prozeßgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens dahin festgelegt, daß der Verwaltungsgerichtshof an den dadurch abgesteckten Rahmen in der Überprüfung des angefochtenen Bescheides auf seinen Einklang mit der zitierten Bestimmung des Niederösterreichischen Gemeinde-Vertragsbedienstetengesetzes in der für den Beschwerdefall geltenden Fassung gebunden ist (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. September 1984, Slg. N.F. Nr. 11.525/A, 82/03/0112)

Die Frage der Anfechtungslegitimation des Betriebsrates und die allenfalls damit zusammenhängenden Probleme einer Deckung der vom Betriebsratsobmann abgegebenen Erklärung durch einen entsprechenden Beschluß des Betriebsratskollegiums kann somit nicht mehr Gegenstand der Überprüfung des angefochtenen Bescheides durch den Verwaltungsgerichtshof sein.

Die Beschwerde rügt unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit, daß die belangte Behörde ohne Bedachtnahme auf den Inhalt der vom Obersten Gerichtshof über die erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes getroffenen Entscheidung allein auf Grund des vom Obersten Gerichtshof als rechtswidrig erkannten Freispruches des Primarius Dr. N durch das Oberlandesgericht Wien zu Unrecht angenommen hat, daß seitens des genannten Dienstnehmers eine gröbliche Verletzung seiner Dienstpflichten im Sinne der oben zitierten Bestimmungen des Niederösterreichischen Gemeinde- Vertragsbedienstetengesetzes nicht stattgefunden hätte.

Damit ist die Beschwerde im Recht. Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang zunächst, daß der angefochtene Bescheid einerseits den konkreten Inhalt der vom Kreisgericht Krems/Donau im Verfahren 10 E Vr 501/76 getroffenen Tatsachenfeststellungen und der dazu ergangenen Berufungsentscheidung des Oberlandesgerichtes Wien zu 12 Bs 380/77 sowie der Erwägungen des Obersten Gerichtshofes zu 9 Os 77/78 nicht enthält und daß sich andererseits die zitierten Entscheidungen der genannten Gerichte auch nicht bei den Verwaltungsakten befinden.

Angesichts des klaren Wortlautes der hier maßgeblichen Bestimmungen der §§ 4 Abs. 1 und 37 Abs. 2 lit. a und f des Niederösterreichischen Gemeinde-Vertragsbedienstetengesetzes bzw. des § 105 Abs. 3 Z. 2 lit. a ArbVG kommt es keinesfalls auf das Vorliegen einer rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilung des Dienstnehmers wegen eines unehrenhaften Verhaltens an, sondern vielmehr nur auf das Verhalten selbst, welches aber angesichts der Entscheidung des Obersten Gerichtshof über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes im Zusammenhang mit den Feststellungen der Strafgerichte als objektiviert erscheint.

Es wäre daher Aufgabe der belangte Behörde gewesen, die den zitierten Strafverfahren zu Grunde liegenden Fakten gemäß § 60 AVG 1950 festzustellen und sich mit ihnen vor dem Hintergrund der maßgeblichen Bestimmungen des Niederösterreichischen Gemeinde-Vertragsbedienstetengesetzes rechtlich auseinanderzusetzen. Der Umstand, daß die belangte Behörde, ausgehend von ihrer unrichtigen Rechtsmeinung, daß es allein auf eine gerichtliche Verurteilung des Dienstnehmers ankomme, relevante Tatsachenfeststellungen unterlassen hat, belastet den angefochtenen Bescheid nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 24. Februar 1972, Zl. 1308/70 und vom 12. Dezember 1975, Zl. 472/74; sog. sekundärer Verfahrensmangel - vgl. Oberndorfer,

Die Österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit 168), was gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG zu seiner Aufhebung führen muß.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.

Wien, am 27. Jänner 1988

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