VwGH 87/06/0020

VwGH87/06/002020.10.1988

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte Mag. Onder, DDr. Hauer, Dr. Würth und Dr. Leukauf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hinterwirth, über die Beschwerde der Firma M in I, vertreten durch Dr. Klaus Nuener, Rechtsanwalt in Innsbruck, Anichstraße 40, gegen den Bescheid der Berufungskommission in Bausachen der Landeshauptstadt Innsbruck vom 5. Jänner 1987, Zl. St.S. 69/1986, betreffend Anrainereinwendungen gegen eine Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: W Gesellschaft m.b.H. in I, vertreten durch Dr. Hans Rainer, Rechtsanwalt in Innsbruck, Lieberstraße 3/1), zu Recht erkannt:

Normen

BauO Tir 1978 §3 Abs11
BauO Tir 1978 §30 Abs3
BauO Tir 1978 §30 Abs4
BauO Tir 1978 §6 Abs2
BauO Tir 1978 §6 Abs3
BauRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1988:1987060020.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat der Landeshauptstadt Innsbruck Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 9.630,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren der mitbeteiligten Partei wird abgewiesen.

Begründung

Die mitbeteiligte Partei suchte im März 1986 um die Baubewilligung zur Durchführung baulicher Änderungen, der Errichtung eines Vordaches und einer Abstellfläche für Lkw im Anwesen D Straße 18 an. Es sei beabsichtigt, auf den Parzellen Nr. 1216/90 und 1216/11, beide KG W, im Anwesen D Straße 18 folgende Baumaßnahmen durchzuführen:

1) In die bestehende Lagerhalle werde an der Nordwestecke ein Lagerbüro im Ausmaß von ca. 6 x 7 m mit darüberliegendem Archiv eingebaut. Weiters werden an der Nordseite drei und an der Südseite ein zusätzliches Rolltor eingebaut, Gestaltung wie bestehende Rolltore. Auch werde das sich an der Nordseite befindliche ca. 1,50 m auskragende Vordach mittels einer Stahlonstruktion auf insgesamt 6,50 m Auskragung erweitert.

2) Es sei geplant, auf dem Platz vor der bestehenden Lagerhalle (neuerworbenes Grundstück Nr. 1216/11) einen Lkw‑Parkplatz zu errichten. In diesem Zuge werde zu der Einfahrt (öffentliche Verkehrsfläche D Straße) ein 14 m breites, zweiflügeliges Gitterschiebetor errichtet.

3) An der nordöstlichen Ecke des Lkw-Parkplatzes werde ein überdachter Fahrradständer mit einer Abstellmöglichkeit für ca. 40 Fahrräder errichtet.

4) Die Einfriedungen an den Grundgrenzen würden erneuert, und zwar

a) an der D Straße würden die Pfeiler um ca. 60 cm aufgemauert und alle Füllungen erneuert werden;

b) an der Feldstraße werde ein Drahtmaschenzaun errichtet.

Nach Einholung von Stellungnahmen des Stadtbauamtes, des Stadtvermessungsamtes, des Amtes für Stadtentwässerung und Abfallbeseitigung, des Tiefbauamtes und der Bau- und Feuerpolizei wurde am 7. Juli 1986 über dieses Ansuchen eine mündliche Verhandlung durchgeführt, bei der diese Stellungnahmen dargelegt und zur Kenntnis genommen wurden. Das Verfahren wurde sodann bis zur Klärung der Frage der Entwässerung des Lkw-Parkplatzes auf unbestimmte Zeit vertagt.

Bei der am 29. September 1986 fortgesetzten mündlichen Verhandlung erhob unter anderem die Beschwerdeführerin (schriftlich) folgende Einwendungen:

1) Das Grundstück verfüge über keine rechtlich gesicherte Verbindung mit einer öffentlichen Verkehrsfläche, da durch das Projekt insbesondere durch Be- und Entladetätigkeiten die Zufahrt verstellt bzw. verhindert werde.

2) Durch die Errichtung des Parkplatzes und des Vordaches erfolge eine Beeinträchtigung des der Beschwerdeführerin zustehenden Geh- und Fahrrechtes auf einem Teilbereich des Bauplatzes.

3) Durch das Projekt erfolge eine Behinderung der Zufahrt zu den Arealen der Beschwerdeführerin. Die Behörde habe jedoch dafür Sorge zu tragen, daß jedes Objekt durch eine ungehinderte Zufahrt zu erreichen sei. Eine Benützung des Areals der Beschwerdeführerin sei ohne Beeinträchtigung der Nachbarinteressen nicht gewährleistet, was die Behörde aufzugreifen habe.

4) Der vorgelegte Plan entspreche nicht den tatsächlichen Verhältnissen in der Natur. Es werde eine konkrete Vermessung und Auspflockung jener Flächen, auf denen das Bauvorhaben realisiert werden solle, beantragt.

5) In einem anderen Bauverfahren habe die Behörde ähnlich gelagerte Einwendungen der Anrainer berücksichtigt und die Situierung des Gebäudes geändert.

6) Nach den Bestimmungen der Tiroler Bauordnung (TBO) habe der Bauwerber geeignete Abstellmöglichkeiten in ausreichender Zahl und Größe für Fahrzeuge zu schaffen. Im Anlaßfall sei nicht geklärt (Frequenzmessungen, Verkehrszählungen fehlen), ob diese Voraussetzung erfüllt sei.

7) Durch die Errichtung des Lkw-Parkplatzes müsse zwingend eine Änderung der vereinbarten Kostentragung betreffend die Dienstbarkeitsfläche erfolgen.

8) Gemäß § 6 Abs. 3 TBO dürfen Vordächer nur dann vor die Straßenfluchtlinie ragen, wenn hiedurch das Straßenbild nicht nachteilig beeinflußt und die Sicherheit des Verkehrs nicht beeinträchtigt werde. Im Anlaßfall erfolge zweifelsfrei eine Verkehrsbeeinträchtigung, weshalb das Bauansuchen abgewiesen werden müßte.

Weiters legte die Beschwerdeführerin Dienstbarkeitsverträge vor und verlangte ausdrücklich eine Vermessung bzw. eine Auspflockung sowohl der Grundgrenzen als auch der geplanten Maßnahmen, da der vorliegende Plan nicht den tatsächlichen Verhältnissen in der Natur entspreche. Der Vertreter der mitbeteiligten Partei erklärte in der mündlichen Verhandlung, die Dienstbarkeitsflächen seien ausreichend in der Natur gekennzeichnet.

Mit Bescheid des Stadtmagistrates der Landeshauptstadt Innsbruck vom 8. Oktober 1986 wurde der mitbeteiligten Partei gemäß § 31 Abs. 9 TBO die beantragte Baubewilligung nach Maßgabe der einen Bestandteil des Bescheides bildenden Pläne unter Vorschreibung bestimmter Auflagen erteilt. Die unter Punkt 1), 3) und 6) angeführten Einwendungen der Beschwerdeführerin wurden gemäß § 30 Abs. 2 TBO als unzulässig zurückgewiesen; die unter Punkt 2) und 7) zitierten Einwendungen wurden gemäß § 30 Abs. 3 TBO auf den ordentlichen Rechtsweg verwiesen und alle übrigen Einwendungen der Beschwerdeführerin unter Anwendung des § 30 Abs. 4 TBO sowie insbesondere unter Berücksichtigung des § 6 Abs. 3 leg. cit. abgewiesen. Dies wurde damit begründet, daß gemäß § 30 TBO nur jene Einwendungen einer materiellen Erledigung zugeführt werden könnten, in denen von einem Nachbarn die Verletzung eines Rechtes behauptet werde, das in einer Bestimmung der Tiroler Bauordnung oder einer auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnung begründet sei, die nicht nur der Wahrung öffentlichen Interesses, sondern auch dem Schutz des Nachbarn diene (subjektiv öffentlich‑rechtliche Einwendung). Die Frage, ob ein Bauplatz eine rechtlich gesicherte Verbindung mit einer öffentlichen Verkehrsfläche aufweise und ob geeignete Abstellmöglichkeiten für Fahrzeuge in ausreichender Zahl und Größe geschaffen werden, habe die Behörde von Amts wegen zu prüfen; den Anrainern komme hiebei kein Mitspracherecht zu. Das unter Punkt 1) und 6) zitierte Vorbringen sei daher zurückzuweisen gewesen. Im Punkt 3) des Parteienvorbringens werde behauptet, eine Benützung des Areals der Beschwerdeführerin sei ohne Beeinträchtigung der Nachbarinteressen nicht gewährleistet. Welche Nachbarinteressen konkret durch das vorliegende Projekt verletzt würden, werde nicht behauptet. Diese Einwendung habe daher schon aus diesem Grund keine Berücksichtigung finden können. Auch enthalte die TBO kein subjektives Recht der Anrainer, daß an den Bauplatz angrenzende Grundstücke eine rechtlich gesicherte Verbindung zu einer öffentlichen Verkehrsfläche aufweisen müßten. Es müsse jedoch darauf hingewiesen werden, daß nach den vorliegenden Planunterlagen der im Lageplan vom Bauwerber gekennzeichnete Servitutsbereich ausdrücklich freigehalten werden solle. Es erfolge insbesondere keine Verbauung dieses Areals. Zum Vorbringen, durch die geplante Bauführung erfolge eine Beeinträchtigung des Geh- und Fahrrechtes der Beschwerdeführerin und es bedürfe einer Änderung der Kostentragungsvereinbarung betreffend diese Dienstbarkeitsfläche, handle es sich um privatrechtliche Einwendungen, welche gemäß § 30 Abs. 3 TBO mangels Einigung bei der Bauverhandlung auf den ordentlichen Rechtsweg zu verweisen seien. Die übrigen Einwendungen seien materiell zu erledigen gewesen. Eine Überprüfung der vorgelegten Planunterlagen durch die beteiligten Sachverständigen habe keine gravierenden Fehler ergeben. Auch sei von der Beschwerdeführerin nicht vorgebracht worden, in welchen Punkten die Planunterlagen mit der Natur nicht übereinstimmten. In der Baubeschreibung sei ausdrücklich dargelegt, daß die Baumaßnahmen lediglich die Parzellen Nr. 1216/90 und 1216/11 insbesondere hinsichtlich der Errichtung des Lkw‑Parkplatzes betreffen. Das geplante Vordach weise zur angrenzenden Liegenschaft der Beschwerdeführerin einen Abstand von mindestens 10 m auf, sodaß in keinem Fall mit der Beeinträchtigung von Nachbarinteressen gerechnet werden könne. Das Verlangen, eine Vermessung des Bauplatzes bzw. der Servitutsfläche vorzunehmen, finde keine Deckung in den Bauvorschriften. Wenn auch eine Verpflockung des Lkw‑Parkplatzes in der Natur nicht erfolgt sei, so könne der Anrainer daraus nicht eine Verletzung subjektiver Rechte ableiten. Insbesondere müsse darauf hingewiesen werden, daß seine formalen Rechte nicht weitergehen könnten als seine materiellen Rechtsansprüche und diese baurechtlich geschützten Interessen könnten durch das Projekt nicht verletzt werden. So sei es insbesondere für die Beurteilung des Projektes unerheblich, wo der genaue Grenzverlauf in der Natur erfolge. Es werde jedoch Aufgabe des Bauwerbers sein, bei der Ausführung des Projektes auf die Grundgrenzen Bedacht zu nehmen. Auch aus dem Umstand, daß in einem früheren Bauverfahren ähnlich gelagerten Einwendungen der Anrainer durch die damalige Bauwerberin Rechnung getragen wurde, könne die Beschwerdeführerin für sich keinen Rechtsanspruch für dieses Verfahren ableiten. Auch der Hinweis auf § 6 TBO könne nicht berücksichtigt werden, weil diese Bestimmung den Abstand baulicher Anlagen von öffentlichen Verkehrsflächen regle. Die Frage, ob der Abstand zu privaten Verkehrsflächen eingehalten sei, könne nach den Bauvorschriften nicht geprüft werden, da ein diesbezüglicher Rechtsanspruch der Anrainer der Tiroler Bauordnung nicht bekannt sei.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung. In dieser brachte sie vor, die Behörde habe eine Überprüfung der geltend gemachten Beeinträchtigung der Zu- und Abfahrtsmöglichkeit zur öffentlichen Verkehrsfläche vom Grundstück der Beschwerdeführerin unterlassen, sie habe sich mit der Frage des Bestehens einer ausreichend gesicherten Verbindung des Bauplatzes zur öffentlichen Verkehrsfläche hin nicht auseinandergesetzt, weshalb das Verfahren mangelhaft geblieben sei. Außerdem sei einem Antrag der Beschwerdeführerin auf Verpflockung bzw. Vermessung des Bauplatzes nicht nachgekommen worden, sodaß die Beschwerdeführerin nicht in der Lage gewesen sei, die im Bauplan ausgewiesenen Maße in der Natur nachzuvollziehen, weshalb das gegenständliche Bauvorhaben mangelhaft geblieben bzw. an einem Formfehler leide. Auch treffe die behördliche Auslegung des § 6 TBO nicht zu, wenn auch der Abstand der vom Bauwerber geplanten Maßnahme nur zur öffentlichen Verkehrsfläche hin zu überprüfen sei, weil eine derartige Einschränkung der Bestimmung des § 6 TBO nicht zu entnehmen sei. Ebenso habe es die Behörde unterlassen, zu prüfen, ob die vorgesehene Anzahl der erforderlichen Abstellplätze ausreiche und sei es auch unbekannt, wie die Einmündung in die öffentliche Verkehrsfläche erfolge, was den Bescheid ebenfalls mit Mangelhaftigkeit belaste.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 5. Jänner 1987 wurde die von der Beschwerdeführerin erhobene Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 als unbegründet abgewiesen und die angefochtene Entscheidung unter Bedachtnahme auf § 31 Abs. 9 TBO bestätigt. Dies wurde damit begründet, daß die Einwendungen über das Fehlen einer rechtlich gesicherten Verbindung zum Grundstück der Beschwerdeführerin von einer öffentlichen Verkehrsfläche und ausreichende Abstellmöglichkeiten für Fahrzeuge auf dem Bauplatz nicht geeignet seien, die Versagung der Baubewilligung zu bewirken, da diese Problemkreise von Amts wegen zu überprüfen seien und den Anrainern hiebei kein Mitspracherecht eingeräumt sei. In objektiver Hinsicht sei zu diesem Vorbringen anzumerken, daß das Bauvorhaben von den zuständigen Amtssachverständigen des Stadtbauamtes begutachtet und von diesen bei Einhaltung der vorgeschriebenen Auflagen als genehmigungsfähig bezeichnet worden sei. Es sei daher davon auszugehen, daß die im Projekt ausgewiesenen Abstellmöglichkeiten sowohl nach Zahl als auch nach Größe für das in Rede stehende Projekt ausreichend seien und eine rechtlich gesicherte Verbindung sowohl des Bauplatzes als auch des Grundstückes der Beschwerdeführerin zu einer öffentlichen Verkehrsfläche hin bestehe. Diese Sachverständigenfeststellungen hätten in keinem Punkt auf fachlicher Ebene widerlegt werden können, sondern erschöpften sich die diesbezüglichen Vorbringen in bloßen, durch keine Beweismittel erhärteten Behauptungen. Die belangte Behörde teile desgleichen die Ansicht der Behörde erster Instanz, wonach das Vorbringen, durch die geplante Bauführung erfolge eine Beeinträchtigung des der Beschwerdeführerin auf dem Bauplatz zustehenden Geh- und Fahrrechtes, als Einwendungen, die ausschließlich im Privatrecht begründet seien, qualifiziert wurden, sodaß auch nach Ansicht der Baubehörde zweiter Instanz eine Verweisung dieser Einwendung auf den ordentlichen Rechtsweg zu Recht erfolgte. Die Regelung des § 6 TBO könne im Zusammenhalt mit § 3 Abs. 11 TBO nur so ausgelegt werden, daß dadurch der Abstand baulicher Anlagen von öffentlichen Verkehrsflächen, wie z. B. Bundesstraßen, öffentlichen Straßen im Sinne des Tiroler Straßengesetzes udgl. festgelegt und bestimmt werde, sodaß die erwähnte Bestimmung auf Servitutsstreifen nicht anwendbar scheine. Der Beschwerdeführerin sei es nicht gelungen, Verletzungen von Bauregeln, die ihre Rechtssphäre betreffen (subjektiv öffentlich‑rechtliche Einwendungen), geltend zu machen und auf Grund der im Bauverfahren abgegebenen Sachverständigengutachten stehe zweifelsfrei fest, daß in objektiv öffentlich-rechtlicher Hinsicht gegen das Bauvorhaben keine Einwände bestehen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde, die auch die Akten des Verwaltungsverfahrens vorlegte, und die mitbeteiligte Partei erstatteten je eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen der Tiroler Bauordnung, LGBl. Nr. 43/1978, lauten:

„§ 3

Begriffsbestimmungen

......

(11) Verkehrsflächen sind die Bundesstraßen, die öffentlichen Straßen im Sinne des Tiroler Straßengesetzes, die Wege, die als gemeinsame Anlage in einem Zusammenlegungsverfahren nach dem Tiroler Flurverfassungslandesgesetz 1969 errichtet worden sind, die Güterwege (§ 4 Abs. 1 des Güter- und Seilwege‑Landesgesetzes, LGBl. Nr. 40/1970) und die Forststraßen (§ 59 Abs. 2 des Forstgesetzes 1975, BGBl. Nr. 440) sowie jene Grundflächen, die im Bebauungsplan durch die Festlegung der Straßenfluchtlinien als Verkehrsflächen ausgewiesen sind.

......“

„§ 6

Abstände baulicher Anlagen von den Verkehrsflächen

.......

(2) Soweit das Straßenbild hiedurch nicht beeinträchtigt wird, können folgende Gebäudeteile und bauliche Anlagen vor der Baufluchtlinie errichtet werden:

a) Vordächer bis zu zwei Meter vor der Baufluchtlinie;

b) offene Balkone, Erker und ähnliches bis zu 1,50 Meter vor der Baufluchtlinie;

c) fassadengestaltende Bauteile, wie Gesimse, Lisenen, Rahmen u.ä., bis 0,50 Meter vor der Baufluchtlinie;

d) offene Schutzdächer unmittelbar über dem Erdgeschoß und an Gebäuden angebrachte Werbeeinrichtungen bis zu 2,50 Meter vor der Baufluchtlinie;

.......

(3) Die im Abs. 2 lit. a bis d angeführten Gebäudeteile können vor die Straßenfluchtlinie vorragen, wenn hiedurch das Straßenbild nicht nachteilig beeinflußt und die Sicherheit des Verkehrs nicht beeinträchtigt wird. Diese Gebäudeteile müssen, wenn sie mehr als 0,20 Meter vor die Straßenfluchtlinie vorragen, mindestens 2,50 Meter über dem Gehsteig liegen. Vom Fahrbahnrand müssen diese Gebäudeteile mindestens 0,60 Meter entfernt sein, es sei denn, sie liegen höher als fünf Meter über der Fahrbahnfläche.“

„§ 30

Nachbarrecht

(1) Nachbarn sind Eigentümer von Grundstücken, die zu dem zur Bebauung vorgesehenen Grundstück in einem solchen räumlichen Naheverhältnis stehen, daß durch die bauliche Anlage oder durch deren Benützung hinsichtlich der durch dieses Gesetz geschützten Interessen mit Rückwirkungen auf ihr Grundstück oder die darauf errichtete bauliche Anlage zu rechnen ist.

(2) Wird im Bauverfahren die Verletzung einer Bestimmung behauptet, die nicht dem Schutz der Nachbarn, sondern ausschließlich der Wahrung öffentlicher Interessen dient (objektiv öffentlich-rechtliche Einwendung), so hat die Behörde diese Einwendung zurückzuweisen.

(3) Wird im Bauverfahren die Verletzung eines subjektiven Rechtes behauptet, das im Privatrecht begründet ist (privatrechtliche Einwendung), so hat die Behörde zunächst eine Einigung zu versuchen. Kommt eine Einigung zustande, so ist sie in der Verhandlungsschrift zu beurkunden. Kommt keine Einigung zustande, so ist der Beteiligte mit seinen privatrechtlichen Einwendungen auf den ordentlichen Rechtsweg zu verweisen. Diese Einwendungen sind im Spruch des Bewilligungsbescheides ausdrücklich anzuführen.

(4) Wird von einem Nachbarn die Verletzung eines Rechtes behauptet, das in einer Bestimmung dieses Gesetzes oder einer auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnung begründet ist, die nicht nur der Wahrung öffentlicher Interessen, sondern auch dem Schutz des Nachbarn dient (subjektiv öffentlich‑rechtliche Einwendung), so hat die Behörde über diese Einwendung abzusprechen, indem sie die Einwendung als unbegründet abweist, die Baubewilligung unter Bedingungen oder mit Auflagen (§ 31 Abs. 8) erteilt oder die Baubewilligung überhaupt versagt. Subjektiv öffentlich-rechtliche Einwendungen können insbesondere auf Vorschriften gestützt werden, die die widmungsgemäße Verwendung von Grundstücken vorschreiben oder die Festlegungen über die Bauweise, die Bauhöhe, die Abstände von Gebäuden, die Beschaffenheit des Bauplatzes und den Brandschutz zum Inhalt haben.“

Die Beschwerdeführerin macht als Verletzung von Verfahrensvorschriften das Unterbleiben der Vermessung und Auspflockung des Projektes, ohne die sie die Beeinträchtigung ihres Servitutsrechtes nicht feststellen könne, sowie das Unterbleiben von Frequenzmessungen auf der Liegenschaft der mitbeteiligten Partei geltend und bringt als Gründe für die inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides vor, daß weder für ihr Grundstück noch für das Grundstück der mitbeteiligten Partei eine rechtlich gesicherte Verbindung mit der öffentlichen Verkehrsfläche bestünde, sie mit wirtschaftlichen Beeinträchtigungen durch diesen Umstand rechnen müsse, der ihr zustehende Servitutsweg über die Liegenschaft der mitbeteiligten Partei beeinträchtigt werde und überdies keine ausreichenden Abstellmöglichkeiten auf der Liegenschaft der mitbeteiligten Partei bestünden. Die Vorschrift des § 6 Abs. 3 TBO sei weiters von der belangten Behörde nicht richtig ausgelegt worden, da darunter sehr wohl auch eine Abstandsbestimmung bezüglich privater Verkehrsflächen (wie Servitutswege) zu verstehen sei.

Wie von der belangten Behörde zutreffend dargelegt wurde, können gemäß § 30 TBO nur jene Einwendungen einer inhaltlichen Erledigung zugeführt werden, mit denen von einem Nachbarn die Verletzung eines Rechtes behauptet wird, das in einer Bestimmung der Tiroler Bauordnung oder einer auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnung begründet ist, das nicht nur der Wahrung öffentlicher Interessen, sondern auch dem Schutz des Nachbarn dient (subjektiv öffentlich‑rechtliche Einwendung). Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, daß weder die Vorschriften über die Verpflichtung zur Schaffung von Stellplätzen Nachbarrechte begründen (vgl. u.a. Erkenntnis vom 23. Mai 1985, Zl. 83/06/0181, BauSlg. Nr. 445), noch hinsichtlich der Frage des Anschlusses des Bauplatzes an das öffentliche Wegenetz dem Nachbarn ein subjektiv öffentliches Recht zusteht (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 3. Juli 1986, Zl. 86/06/0027, BauSlg. Nr. 733). Auch der Einwand, die rechtlich gesicherte Zufahrt der Beschwerdeführerin zur öffentlichen Verkehrsfläche sei durch das Bauprojekt nicht mehr gegeben, geht ins Leere, da die Beschwerdeführerin durch das ihr zustehende Servitutsrecht eine solche rechtlich gesicherte Verbindung zum öffentlichen Wegenetz besitzt.

Wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid auch zutreffend feststellte, konnten die Feststellungen der Sachverständigen, wonach bei Einhaltung der vorgeschriebenen Auflagen die im Projekt ausgewiesenen Abstellmöglichkeiten sowohl nach Zahl als auch nach Größe für das in Rede stehende Projekt ausreichend seien und eine rechtlich gesicherte Verbindung sowohl des Bauplatzes als auch des Grundstückes der Beschwerdeführerin zu einer öffentlichen Verkehrsfläche hin bestehe, von der Beschwerdeführerin in keinem Punkt widerlegt werden, sodaß auch insoweit das diesbezügliche Vorbringen der Beschwerdeführerin ins Leere geht.

Bezüglich der Behauptung der Beschwerdeführerin, durch die geplante Bauführung erfolge eine Beeinträchtigung des der Beschwerdeführerin auf dem Bauplatz zustehenden Geh- und Fahrrechtes, ging die belangte Behörde davon aus, daß dies als privatrechtliche Einwendung zu werten sei. Eine privatrechtliche Einwendung liegt nach ständiger Rechtsprechung dann vor, wenn das Recht, dessen Verletzung behauptet wird, dem Privatrecht angehört. Die von der Beschwerdeführerin aufgestellte Behauptung der Beeinträchtigung ihres Servitutsrechtes hat nun zweifelsohne eine privatrechtliche Einwendung zum Gegenstand, weshalb diese - wie die belangte Behörde richtig erkannte - von der Baubehörde erster Instanz mit Recht auf den Zivilrechtsweg verwiesen wurde.

Wenn die Beschwerdeführerin die Ansicht vertritt, § 6 Abs. 3 TBO sei auch auf Abstände von baulichen Anlagen gegenüber privaten Verkehrsflächen, wie z.B. den Servitutsweg der Beschwerdeführerin, anzuwenden und die belangte Behörde unterliege hiezu einer unzutreffenden Rechtsanschauung, so ist ihr die Begriffsbestimmung des § 3 Abs. 11 TBO entgegenzuhalten, wonach unter Verkehrsflächen Bundesstraßen, öffentliche Straßen im Sinn des Tiroler Straßengesetzes, Wege, die als gemeinsame Anlage in einem Zusammenlegungsverfahren nach dem Tiroler Flurverfassungslandesgesetz errichtet worden sind, Güterwege und Forststraßen sowie jene Grundflächen, die im Bebauungsplan durch die Festlegung der Straßenfluchtlinien als Verkehrsflächen ausgewiesen sind, zu verstehen sind. Eine Subsumtion (sonstiger) privater Verkehrsflächen - im gegenständlichen Fall der Servitutsweg; er ist im maßgeblichen Bebauungsplan nicht als Verkehrsfläche ausgewiesen - unter diese Begriffsbestimmung kommt aber nicht in Betracht (vgl. dazu auch Erkenntnis vom 4. Juli 1985, Zl. 83/06/0193, BauSlg. Nr. 484, betreffend eine private Aufschließungsstraße). Die belangte Behörde ging somit zu Recht davon aus, daß die erwähnte Bestimmung auf den gegenständlichen Servitutsweg nicht anwendbar ist. Abgesehen davon lassen die Pläne das Vorhaben, das im wesentlichen im Einbau von Räumen in ein schon bestehendes Gebäude, in der Verbreiterung des Vordaches zum bestehenden Gebäude und in der Anlegung eines Lkw-Parkplatzes gegenüber dem Gebäude besteht - dazwischen verläuft der Servitutsweg -, eindeutig erkennen, insbesondere auch die Berücksichtigung des Servitutsweges. Da es sich beim Baubewilligungsverfahren um ein Projektsverfahren handelt, kommt den von der Beschwerdeführerin geäußerten Befürchtungen, es werde wiederholt zu einem Verstellen des Servitutsweges (durch Fahrzeuge der mitbeteiligten Partei) kommen, im Baubewilligungsverfahren keine Bedeutung zu.

Ein prozessuales Recht als ein Mittel der Rechtsverfolgung kann nicht weiter gehen, als das dahinterstehende materielle Recht, das im Verwaltungsverfahren durchgesetzt werden soll. Nun richtet sich das Vorbringen der Beschwerdeführerin in Ausführung ihrer Verfahrensrüge (unterbliebene Vermessung bzw. Verpflockung des Bauprojektes und fehlende Frequenzmessung) aber ausdrücklich darauf, daraus eine Beeinträchtigung ihres Servitutsrechtes ableiten bzw. die Zahl der Stellplätze bekämpfen zu können. Da die Einwendung bezüglich der Servitutsbeeinträchtigung aber auf den Zivilrechtsweg zu verweisen war und die Frage der Zahl der Stellplätze kein subjektiv öffentliches Nachbarrecht berührt, konnte die Beschwerdeführerin durch das Unterlassen einer Vermessung (in der Natur) bzw. durch fehlende Frequenzmessungen in keinem Recht verletzt werden. Überdies verabsäumte es die Beschwerdeführerin, in irgendeiner Weise zu konkretisieren, in welchen Punkten die von den Sachverständigen als ausreichend qualifizierten Pläne mit der Natur nicht übereinstimmten. Auf dieses Vorbringen war somit nicht näher einzugehen.

Soweit die Beschwerdeführerin erstmals in ihrer Beschwerdeergänzung vom 4. März 1987 vorbringt, es sei in Ansehung der Abwasserbeseitigung im erstinstanzlichen Baubescheid (auch) auf eine wasserrechtliche Bewilligung zur Errichtung einer Abwasserversickerungsanlage (hinsichtlich der am Parkplatz anfallenden Regenwässer) Bezug genommen worden, diese aber nunmehr (zufolge Entscheidung durch eine unzuständige Behörde) aufgehoben worden sei, ist ihr zu erwidern, daß sie hinsichtlich der Abwasserbeseitigung im Verwaltungsverfahren keine Einwendung erhoben hat, sodaß sie insoweit als präkludiert anzusehen ist (vgl. § 42 AVG 1950). Vor allem aber erwachsen aus Vorschriften über die Sicherstellung der Abwasserbeseitigung keine Nachbarrechte (vgl. Hauer, Tiroler Baurecht, Anm. 4 zu § 30 TBO, S. 119). Angesichts der Entfernung der Liegenschaft der Beschwerdeführerin ist auch nicht erkennbar, inwieweit sie dadurch beeinträchtigt werden könnte. Die Beschwerdeführerin hat überdies nicht einmal Behauptungen in dieser Hinsicht aufgestellt.

Da sich die Beschwerde somit zur Gänze als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985. Die Abweisung des Mehrbegehrens bezieht sich auf den zu Unrecht angesprochenen Kostenersatz für die Vorlage eines Handeisregisterauszuges sowie auf Stempelgebühren für die Gegenschrift (je Ausfertigung nur S 120,--).

Wien, am 20. Oktober 1988

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