European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1984:1984100070.X00
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.450,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf vom 22. Juli 1982 wurde der Beschwerdeführer einer Verwaltungsübertretung nach § 3 Abs. 1 Z. 1 des Niederösterreichischen Naturschutzgesetzes für schuldig befunden und über ihn eine Geldstrafe verhängt. Dieses Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer anläßlich einer Vorsprache bei dieser Behörde am 31. August 1982 ausgefolgt.
Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung wurde mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung (belangte Behörde) vom 9. Februar 1984 als verspätet zurückgewiesen.
In der Begründung wurde ausgeführt, es sei aktenkundig, daß das Straferkenntnis am 31. August 1982 durch Hinterlegung zugestellt, die Berufung aber erst (nach Ablauf der mit zwei Wochen bemessenen Rechtsmittelfrist) am 3. Oktober 1982 verfaßt und deshalb noch später eingebracht worden sei. Ferner sei aktenkundig und im übrigen auch nach der vom Beschwerdeführer vorgenommenen Akteneinsicht - unbestritten geblieben, daß sich im Zuge dieses Verfahrens keinerlei Hinweise darauf gefunden hätten, daß die damalige Hinterlegung vorschriftswidrig durchgeführt, worden sei und damit rechtsunwirksam gewesen wäre. Insbesondere könne hier davon ausgegangen werden, daß sich der Beschwerdeführer am 31. August 1982 in W aufgehalten, bei einer näher bezeichneten Tankstelle 40 l Benzin eingekauft und daher an diesem Tag keinesfalls im Sinne des § 23 Abs. 7 AVG 1950 seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort vorübergehend verlassen habe. Diese Feststellungen deckten sich übrigens auch mit den Ergebnissen eines anderen Verfahrens, das durch den Berufungsbescheid der „NÖ Landesregierung“ (richtig wohl des Landeshauptmannes von Niederösterreich, vgl. die zur hg. Zl. 83/07/0323 protokollierte, dagegen erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof) vom 21. Oktober 1983, Zl. III/1‑22541/4‑83, abgeschlossen worden sei. Auch dort sei die Rechtswirksamkeit einer (gleichfalls durch Hinterlegung am 31. August 1982 bewirkten) Bescheidzustellung an den Beschwerdeführer klargestellt und seine am-4. Oktober 1982 erhobene Berufung als verspätet zurückgewiesen worden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in welcher Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Seinem Beschwerdevorbringen nach erachtet sich der Beschwerdeführer in dem Recht auf meritorische Erledigung seiner Berufung gegen das erwähnte Straferkenntnis vom 22. Juli 1982 verletzt.
Die Ausführungen des Beschwerdeführers lassen sich dahingehend zusammenfassen, daß er die Annahme der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, das Straferkenntnis vom 22. Juli 1982 sei ihm am 31. August 1982 rechtswirksam zugestellt worden, bekämpft und insoweit insbesondere auf den Zustellvorgang Bezug nimmt.
Dem Beschwerdevorbringen kommt aus nachstehenden Erwägungen Berechtigung zu:
In der Begründung des angefochtenen Bescheides geht die belangte Behörde davon aus, daß das Straferkenntnis vom 22. Juli 1982 dem Beschwerdeführer am 31. August 1982 im Wege der Hinterlegung (vgl. die zu diesem Zeitpunkt noch geltende Bestimmung des § 23 Abs. 4 AVG 1950) zugestellt worden sei. Sie stützte sich dabei auf ihrer Meinung nach „aktenkundige“ Feststellungen, wonach sich keinerlei Hinweise darauf gefunden hätten, die damalige Hinterlegung sei vorschriftswidrig durchgeführt worden und damit rechtsunwirksam gewesen. Dabei übersieht die belangte Behörde, daß es vorerst ihre Aufgabe gewesen wäre, zu klären, ob ausreichende Ermittlungsergebnisse die Annahme rechtfertigen, daß eine gesetzmäßige Hinterlegung die Wirkung der Zustellung hatte. Hiebei hätte sie sich mit dem (im vorliegenden Verwaltungsakt in Ablichtung vorhandenen, das Original befindet sich im Akt betreffend den bereits zitierten Bescheid des Landeshauptmannes vom 21. Oktober 1983) Zustellnachweis betreffend die erwähnte Hinterlegung des Straferkenntnisses beim Postamt D am 31. August 1982 auseinanderzusetzen gehabt. Eine solche Auseinandersetzung hätte zu folgenden Überlegungen führen müssen:
Gemäß § 47 AVG 1950 ist die Beweiskraft von öffentlichen und Privaturkunden von der Behörde nach den Vorschriften der §§ 292 bis 296, 310 und 311 ZPO zu beurteilen. Nach § 292 Abs. 1 ZPO begründen öffentliche Urkunden vollen Beweis dessen, was darin amtlich verfügt oder erklärt, oder von der Behörde oder der Urkundsperson bezeugt wird. Gemäß dem zweiten Absatz der zitierten Paragraphen ist der Beweis der Unrichtigkeit des bezeugten Vorganges oder der bezeugten Tatsache oder der unrichtigen Beurkundung zulässig.
Die vom Zusteller erstellten Zustellnachweise sind öffentliche Urkunden, die den Beweis dafür erbringen, daß die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist, doch ist der Gegenbeweis gemäß § 292 Abs. 2 ZPO offen (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. März 1982, Slg. Nr. 10687/A).
Ob und in welchem Maße Durchstreichungen, Radierungen und andere Auslöschungen, Einschaltungen oder sonstige äußere Mängel einer Urkunde deren Beweiskraft mindern oder dieselbe ganz aufheben, hat nach § 296 ZPO das Gericht nach § 272 (diese Bestimmung regelt den sogenannten Grundsatz der freien Beweiswürdigung) zu beurteilen. Die Vorschrift des § 296 ZPO gilt auch für öffentliche Urkunden; die Regel über die Beweiskraft gemäß § 292 ZPO gilt somit uneingeschränkt nur für unbedenkliche Urkunden, also Urkunden, die keine äußeren Mängel und Fehler aufweisen (vgl. Fasching, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen, III. Band, Wien 1966, Seite 380).
Auf dem erwähnten Zustellnachweis betreffend die Hinterlegung des Straferkenntnisses am 31. August 1982 ist der Name und die Adresse des Beschwerdeführers durchkreuzt, wobei allerdings nach dem äußeren Erscheinungsbild unklar ist, ob diese Durchkreuzung aufrechterhalten werden sollte. Dazu kommt, daß sich auf der Rückseite des betreffenden Briefumschlages der (vermutlich postamtliche) Vermerk „Zurück, da neue Adresse: T‑Straße, Wien“ befindet. Auch dieser Vermerk ist allerdings durchkreuzt.
Von einer unbedenklichen (öffentlichen) Urkunde ist daher nicht zu sprechen. Es fehlt somit an einem Nachweis der Zustellung durch eine solche.
Mit Rücksicht darauf, daß es an einem Urkundenbeweis für die ordnungsgemäße Zustellung fehlt, wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, den tatsächlichen Zustellvorgang zu ermitteln.
Der angefochtene Bescheid ist daher mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet, was gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 2 VwGG 1965 zu seiner Aufhebung führen mußte, ohne daß es einer weiteren Auseinandersetzung mit dem übrigen Beschwerdevorbringen bedurfte.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 221/1981.
Das Mehrbegehren betreffend Umsatzsteuer für den Schriftsatzaufwand war im Hinblick auf dessen Pauschalierung abzuweisen. Stempelgebührenersatz war nur im erforderlichen Ausmaß zuzuerkennen (der angefochtene Bescheid war nur in einfacher Ausfertigung vorzulegen, vgl. § 28 Abs. 5 VwGG 1965).
Wien, am 9. Juli 1984
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