VwGH 83/07/0323

VwGH83/07/032311.9.1984

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schima und die Hofräte Dr. Salcher, Dr. Hoffmann, Dr. Fürnsinn und Dr. Zeizinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Müller, über die Beschwerde des GB in W, vertreten durch Dr. Erich Kovar, Rechtsanwalt in Wien I, Wiesingerstraße 6, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 21. Oktober 1983, Zl. III/1‑22541/4‑83, betreffend Zurückweisung einer Berufung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §47
AVG §47 Abs1
ZPO §292
ZPO §296
ZustG §22 implizit

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1984:1983070323.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.485,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf vom 21. Juli 1982 wurde der Beschwerdeführer einer Verwaltungsübertretung nach § 32 Abs. 2 lit. c in Verbindung mit § 137 Abs. 1 und 2 WRG 1959 schuldig erkannt und über ihn eine Geldstrafe und eine Arreststrafe verhängt. Dieses Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer nach Ausweis der Verwaltungsakten anläßlich einer persönlichen Vorsprache bei dieser Behörde am 28. September 1982 ausgefolgt.

2. Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 21. Oktober 1983 gemäß §§ 66 Abs. 4 und 32 Abs. 2 AVG 1950 in Verbindung mit § 51 VStG 1950 als verspätet eingebracht zurückgewiesen. In der Begründung führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, es sei auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens erwiesen, daß das Straferkenntnis am 31. August 1982 durch Hinterlegung zugestellt worden sei. Die Berufungsfrist habe somit am 14. September 1983 geendet; die erst am 4. Oktober 1982 zur Post gegebene Berufung sei somit als verspätet eingebracht zu betrachten. Das Berufungsvorbringen, demzufolge sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Zustellung (31. August 1982) nicht an seiner Wohnadresse aufgehalten habe, könne deshalb nicht als stichhältig gewertet werden, da einerseits da Ermittlungsverfahren keinerlei Bestätigung der Angaben des Beschwerdeführers (wonach er sich vom 10. August bis 14. September 1982 durchgehend in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten habe) ergeben habe, anderseits die vom Beschwerdeführer zusätzlich geforderte Bestätigung seiner Angaben (durch eidesstattliche Erklärungen zweier Zeugen) innerhalb der hiefür eingeräumten Frist nicht beigebracht worden sei.

3. Der Beschwerdeführer erachtet sich nach dem gesamten Beschwerdevorbringen durch diesen Bescheid in seinem Recht auf meritorische Erledigung seiner Berufung verletzt. Er macht Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend und begehrt deshalb die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

4. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Sowohl als Verfahrensrüge als auch als Rechtsrüge macht die Beschwerde geltend, daß es die belangte Behörde unterlassen habe, die näheren Umstände der Hinterlegung, insbesondere den Ort derselben (gemeint wohl: des Zustellversuches), einer ausreichenden Prüfung zu unterziehen und dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu geben, hiezu Stellung zu nehmen. Dieser Einwand ist berechtigt.

1.2. Die belangte Behörde stützt ihre Annahme, es sei das erstinstanzliche Straferkenntnis dem Beschwerdeführer am 31. August 1982 im Wege der Hinterlegung rechtswirksam zugestellt worden (vgl. die zu diesem Zeitpunkt noch geltenden Bestimmungen des § 23 Abs. 4 und 6 AVG 1950), darauf, daß das Ermittlungsverfahren keine „Bestätigung“ für eine vorübergehende Abwesenheit des Beschwerdeführers von seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort (vgl. § 23 Abs. 7 AVG 1950) erbracht habe und es zudem der Beschwerdeführer unterlassen habe, der Behörde gegenüber den Nachweis seiner vorübergehenden Ortsabwesenheit zu führen. Mit dieser Argumentation übersieht die belangte Behörde, daß es vorerst ihre Aufgabe gewesen wäre, zu klären, ob ausreichende Ermittlungsergebnisse die Annahme rechtfertigen, daß eine - mit der Wirkung der Zustellung ausgestattete - vorschriftsmäßige Hinterlegung erfolgt ist. Hiebei hätte sie sich mit dem (in den Verwaltungsakten erliegenden) Zustellnachweis betreffend die in Rede stehende Hinterlegung auseinanderzusetzen gehabt. Dies hätte zu folgenden Überlegungen führen müssen:

Gemäß § 47 AVG 1950 ist die Beweiskraft von öffentlichen und Privaturkunden von der Behörde nach den Vorschriften der §§ 292 bis 296, 310 und 311 ZPO zu beurteilen. Nach § 292 Abs. 1 ZPO begründen öffentliche Urkunden vollen Beweis dessen, was darin amtlich verfügt oder erklärt, oder von der Behörde oder der Urkundsperson bezeugt wird. Gemäß dem zweiten Absatz des zitierten Paragraphen ist der Beweis der Unrichtigkeit des bezeugten Vorganges oder der bezeugten Tatsache oder der unrichtigen Beurkundung zulässig.

Die vom Zusteller erstellten Zustellnachweise sind öffentliche Urkunden, die den Beweis dafür erbringen, daß die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist, doch ist der Gegenbeweis gemäß § 292 Abs. 2 ZPO offen (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. März 1982, Slg. Nr. 10 687/A).

Ob und in welchem Maße Durchstreichungen, Radierungen und andere Auslöschungen, Einschaltungen oder sonstige äußere Mängel einer Urkunde deren Beweiskraft mindern oder dieselbe ganz aufheben, hat gemäß § 296 ZPO das Gericht nach § 272 (diese Bestimmung regelt den sogenannten Grundsatz der freien Beweiswürdigung) zu beurteilen. Die Vorschrift des § 296 ZPO gilt auch für öffentliche Urkunden. Die Regel über die Beweiskraft gemäß § 292 Abs. 1 ZPO gilt somit uneingeschränkt nur für unbedenkliche (öffentliche) Urkunden, also solche Urkunden, die keine äußeren Mängel und Fehler aufweisen (vgl. Fasching, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen, III. Band, Wien 1966, Seite 380).

Auf dem Zustellnachweis betreffend die Hinterlegung des Straferkenntnisses am 31. August 1982 sind der Name und die Adresse des Beschwerdeführers durchkreuzt, wobei allerdings nach dem äußeren Erscheinungsbild unklar ist, ob diese Durchkreuzung aufrechterhalten werden sollte. Dazu kommt, daß sich auf der Rückseite des betreffenden Briefumschlages der (vermutlich postamtliche) Vermerk „zurück, da neue Adresse: T-Straße, Wien“ befindet. Allerdings ist auch dieser Vermerk durchkreuzt. Von einer unbedenklichen (öffentlichen) Urkunde kann demnach nicht gesprochen werden.

Da es sohin an einem Urkundenbeweis für die vorschriftsmäßige Hinterlegung und damit rechtswirksame Zustellung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses fehlt, wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, den tatsächlichen Zustellvorgang zu ermitteln.

2. Nach dem Gesagten ist der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig geblieben; der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 2 VwGG 1965 aufzuheben.

3. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 lit. a und b VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 7. April 1981, BGBl. Nr. 221. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da zum einen neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwandersatz eine gesonderte Vergütung von Umsatzsteuer nicht vorgesehen ist und zum anderen an Stempelgebühren lediglich S 425,-- (Eingabengebühr S 300,--, Vollmachtgebühr S 100,--, Beilagengebühr S 25,--) zu entrichten waren.

Wien, am 11. September 1984

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